Die wichtigsten Entscheidungen des BGH aus 2020

Die wichtigsten Entscheidungen des BGH aus 2020

15 Entscheidungen des BGH, die Du kennen solltest

Der BGH sorgte auch 2020 mit seinen Entscheidungen für Aufsehen und hat nicht nur die Formel „Kaufrecht + Pferd = Examensrelevanz“ eindrucksvoll bestätigt, sondern hatte viele weitere (prüfungs-) relevante Themen fernab von Corona zu bearbeiten.

Von Haftungsfragen im Diesel-Skandal über Streitigkeiten zum fiktiven Schadensersatz im Kauf- und Werkvertrag bis hin zum digitalen Erbe, schrecklichen Mordfällen und den Grundsätzen der Strafzumessung haben wir hier die wichtigsten BGH-Entscheidungen des Jahres 2020 für Dich zusammengetragen.

BGH zu fiktiven Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz statt der Leistung im Kauf- und Werkvertragsrecht

Am BGH herrschte Streit zweier Senate über ein hochgradig prüfungsrelevantes Thema: Zwischen dem für das Grundstücksrecht zuständigen V. Zivilsenat des BGH und dem für das Werkvertragsrecht zuständigen VII. Zivilsenat ging es um die Frage, ob bei einem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach § 281 I BGB wegen eines Mangels auch solche Mängelbeseitigungskosten ersetzt werden, die noch gar nicht angefallen sind und den Minderwert der Kaufsache bzw. des Werks deutlich übersteigen (sog. fiktive Mängelbeseitigungskosten).

Der VII. Zivilsenat hat mit Urteil vom 22. Februar 2018 (VII ZR 46/17) entschieden, dass fiktive Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht grundsätzlich nicht mehr ersatzfähig seien. Insoweit hat der Senat seine frühere Rechtsprechung, der sich für Kaufverträge auch der V. und der VIII. Zivilsenat angeschlossen hatten, aufgegeben.

Der V. Zivilsenat möchte seine Rechtsprechung fortführen und hat deshalb mit Beschluss vom 13. März 2020 (V ZR 33/19) beim VII. Zivilsenat angefragt, ob dieser an seiner Auffassung aus dem Urteil vom 22. Februar 2018 festhalte. Die Beiträge zu diesem Thema und die abschließende Gegenüberstellung beider Entscheidungen des BGH findest Du hier:

Fiktive Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz statt der Leistung im Kauf- und Werkvertragsrecht – Teil 1

Fiktive Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz statt der Leistung im Kauf- und Werkvertragsrecht – Teil 2.

BGH: Wann liegt ein Rechtsmangel vor, wenn das Fahrzeug (später) in die SIS-Fahndungsliste eingetragen wird?

Die Prüfungsrelevanz dieser Entscheidung wird dadurch deutlich, dass sie Gegenstand verschiedener Examensdurchgänge 2020 war und sich beispielsweise hervorragend für eine mündliche Prüfung eignet (so etwa im März in Niedersachsen). Dies liegt unter anderem daran, dass der Fall an die bekannte Entscheidung zum Rechtsmangel bei Eintragung eines Fahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste aus dem Jahr 2017 erinnert und ergänzt. Merken solltest Du Dir die zentrale Argumentation des BGH, wonach die Auffassung des Berufungsgerichts eine weder sachlich gerechtfertigte noch zumutbare Ausdehnung der Haftung des Gebrauchtwagenverkäufers zur Folge hätte. Lag zum relevanten Zeitpunkt ein Rechtsmangel vor oder nicht? Die Antwort findest Du im folgenden Beitrag: Wann liegt ein Rechtsmangel vor, wenn das Fahrzeug (später) in die SIS-Fahndungsliste eingetragen wird?

Für einen besseren Lernerfolg haben wir auch passend dazu die prüfungsrelevant aufbereitete Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2017 beigefügt: BGH: Stellt die Eintragung eines Fahrzeugs in die sogenannte SIS-Liste einen Rechtsmangel dar?

BGH bestätigt lebenslange Freiheitsstrafe im „Pausenbrot-Prozess“

Mehrere Jahre lang streute Klaus O. Gift auf die Pausenbrote und in die Getränke seiner Arbeitskollegen. Am schwersten traf es einen jungen Werkstudenten, der Opfer einer hochtoxischen Quecksilberverbindung wurde. Er fiel für lange Zeit ins Wachkoma, bis er Anfang 2020 verstarb. Klaus O. habe beobachten wollen, wie das Gift bei seinen Opfern wirke. Dem psychiatrischen Gutachter kamen seine Äußerungen zu seinem Motiv so vor, als würde hier ein Wissenschaftler ausprobieren wollen, wie verschiedene Stoffe bei einem Kaninchen wirken. Diese Entscheidung ist nicht nur deshalb relevant, weil ihre prozessuale Aufarbeitung an einen filmreifen Krimi erinnert. “Gift-Fälle” (oft in Kombination mit Fragen rund um den Versuchsbeginn, das unmittelbare Ansetzen oder auch die mittelbare Täterschaft) spielen zudem in aktuellen Entscheidungen und der Praxis immer wieder eine Rolle und werden häufig in Prüfungen eingebaut. Grund genug, sich mit den Problemen und Lösungsansätzen auseinanderzusetzen: BGH bestätigt lebenslange Freiheitsstrafe im “Pausenbrot-Prozess”.

BGH: Drei grundlegende Urteile zum Urheberrecht

Metall auf Metall, Afghanistan-Papiere, Texte von Volker Beck zu “Entkriminalisierung von Pädosexualität” – gleich drei Verfahren mit urheberechtlichem Bezug wurden 2020 vom BGH entschieden und alle drei haben grundlegende Bedeutung. Wir haben die wichtigsten Kernaussagen in dem folgenden Beitrag für Dich zusammengetragen: BGH: Drei grundlegende Urteile zum Urheberrecht.

BGH: VW muss Schadensersatz für manipulierte Dieselautos zahlen

Der BGH hat 2020 entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs Schadensersatzansprüche gegen VW zustehen. Dies gelte selbst bei Gebrauchtwagen, die nicht bei einem VW-Vertragshändler erworben worden seien. Es handelte sich hier um die erste höchstrichterliche Entscheidung im Rahmen des „Diesel-Skandals“: BGH: VW muss Schadensersatz für manipulierte Dieselautos zahlen.

Das Thema rund um den Diesel-Skandal ist durchaus komplex, sodass wir hier nochmal die wichtigsten Entscheidungen dazu für Dich in drei Teilen prüfungsrelevant aufbereitet haben:

BGH zum Berliner Raser-Fall

Der BGH hat das Mordurteil für zwei Berliner Autoraser zum Teil bestätigt. Die Richter aus Karlsruhe beschäftigten sich zum zweiten Mal mit dem illegalen Autorennen auf dem Berliner Ku´Damm, bei dem ein Unbeteiligter getötet wurde. Der Fall sorgte bereits 2018 und 2019 sowohl medial als auch juristisch für großes Aufsehen – es ging dabei insbesondere um die Frage nach dem Vorsatz. Den Beitrag findest Du hier: BGH zum Berliner Raser-Fall: Mordurteil (teilweise) bestätigt.

Mietrecht: BGH zu Schönheitsreparaturen

Wer muss eine unrenoviert angemietete Wohnung streichen – der Mieter oder der Vermieter? Die Frage war lange ungeklärt, sodass auch die zuständigen Kammern am LG Berlin in zwei Fällen unterschiedlich geurteilt haben. Der BGH hat sich für eine Kompromisslösung entschieden. Schaue hier nach, was das genau bedeutet: BGH zu Schönheitsreparaturen.

BGH zu “Rittigkeitsproblemen” eines Pferdes als Sachmangel

„Kaufrecht + Pferd = Examensrelevanz“ – diese Formel wird vom BGH auch 2020 wieder bestätigt. Bei einer Pferdeauktion erwarb die Klägerin einen fünf Jahre alten Wallach mit dem Namen „Santiano K“, Kaufpreis: 31.733,19 Euro. Sie wollte das Tier als Sportpferd nutzen, es hatte bereits erfolgreich an Turnieren teilgenommen. Gut ein Jahr nach dem Kauf meldete sich die Klägerin allerdings beim Auktionator. Sie focht den Kaufvertrag unter Berufung auf arglistige Täuschung an, denn das Pferd habe „gravierende Rittigkeitsprobleme“. Daher erklärte sie den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Im Rahmen der Frage nach der Mangelhaftigkeit des Pferdes geht es vorliegend auch um die richtige Anwendung der Beweislastumkehr in § 477 BGB (im Urteil noch § 476 BGB). Ausgangspunkt ist dabei die grundsätzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess: “Rittigkeitsprobleme” eines Pferdes als Sachmangel.

Passend dazu – Beitrag vom 31. März 2020: BGH: Ein Pferd ist kein Gebrauchtwagen!

BGH: Verschleiß an Fahrzeugteilen als Sachmangel

„Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Dieses vermeintlich Wilhelm II. zugesprochene Zitat ist im Straßenverkehr natürlich längst widerlegt. In den Entscheidungen des VIII. Zivilsenats des BGH fällt der Befund dagegen weniger eindeutig aus.

Nachdem der Senat im Frühjahr 2020 das Gewährleistungsrecht anhand von “Rittigkeitsproblemen” eines Pferdes beleuchtet hat (s.o.), ist Gegenstand dieser Entscheidung mal wieder ein Automobil.

In der Sache ändert das natürlich nichts. Es geht wie so oft um das Vorliegen eines Mangels und um die Beweislastumkehr in § 477 BGB (beim BGH noch § 476 BGB a.F.). Da dieses Thema 2020 aber verhältnismäßig häufig am BGH diskutiert wurde, solltest Du auch diese Entscheidung kennen: Verschleiß an Fahrzeugteilen als Sachmangel.

BGH stellt Grundsätze der Strafzumessung klar

Rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe und Ziele hätten schon früher – also bereits vor der Neufassung des § 46 II 2 StGB – strafschärfend berücksichtigt werden müssen, hat der BGH 2020 entschieden. Was bedeutet das für diesen konkreten Fall aus dem Jahre 2011, der sich also noch vor der Neufassung des § 46 II 2 StGB ereignet hat? BGH stellt Grundsätze der Strafzumessung klar.

BGH zur “schutzlosen Lage” in § 177 StGB

2020 hat sich der BGH zudem mit der Frage auseinandergesetzt, wann sich ein Opfer in einer „schutzlosen Lage“ im Sinne des § 177 StGB befindet. Die Norm wurde im Rahmen einer Sexualstrafrechts-Reform überarbeitet, der Gesetzgeber verfolgte damit einen noch stärkeren Schutz vor sexueller Gewalt.

Grundlage für die Entscheidung des Karlsruher Gerichts bildet ein Fall, der vor dem LG Halle verhandelt wurde: Ein Mann hatte 2018 zwei Mädchen sexuell missbraucht. Unter einem Vorwand lockte er das eine Kind in ein leerstehendes Gebäude, das andere Kind wurde von ihm überrumpelt und unter der Drohung der Tötung in eine Ruine geführt. Er verging sich an beiden Kindern. Das LG Halle hat die Tat des Angeklagten als sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexueller Nötigung im Sinne der §§ 176 I, 177 I und V Nr. 2 StGB (Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) gewertet. Der Täter wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Höhe der Freiheitsstrafe hätte möglicherweise anders aussehen können, wenn das LG Halle zusätzlich § 177 V Nr. 3 StGB bejaht hätte. Das Gericht hatte diese Verwirklichung der Begehungsvariante allerdings abgelehnt, weil es an einer schutzlosen Lage und einer darauf beruhenden Willensbeugung des Kindes gefehlt habe. Sowohl die Eltern als Nebenkläger als auch die Staatsanwaltschaft legten gegen das Urteil Revision ein. Wann liegt eine „schutzlose Lage“ nun also vor? Die Antwort findest Du hier: BGH zur “schutzlosen Lage” in § 177 StGB.

BGH: Auslegung eines Vollstreckungstitels über den Zugang der Erben zum Facebook-Konto der Erblasserin

Dieser Beschluss des BGH steht in einer Reihe von Entscheidungen, in denen die teilweise deutlich mehr als ein Jahrhundert alten Regelungen des BGB und der ZPO zeigen, dass sie auch den Anforderungen der heutigen Zeit gewachsen sind. Konstellationen wie die vorliegende bieten sich damit besonders für Prüfungsgespräche an, in denen so ein Bogen von der analogen zur digitalen Welt und zurück geschlagen werden kann.

Die Entscheidung könnte aber auch Anlass geben, sich mit der Systematik des Zwangsvollstreckungsrecht im Allgemeinen und der Vollstreckung von Handlungspflichten im Besonderen zu befassen. Das Zwangsvollstreckungsrecht ist Prüfungsgegenstand in beiden Examen. Schon im ersten Examen ist deshalb ein solides Grundwissen gefordert. Im zweiten Examen sind sodann vertiefte Kenntnisse unerlässlich: Auslegung eines Vollstreckungstitels über den Zugang der Erben zum Facebook-Konto der Erblasserin.

Mord in 85 Fällen: BGH bestätigt Urteil gegen Krankenpfleger

Dieser Fall sorgte schon 2018 für Aufsehen, schließlich gilt Nils H. – der “Pfleger mit dem schwarzen Schatten” – als womöglich größter Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte. Im Verdacht standen sogar mindestens 332 Tötungen, 85 Morde konnten nachgewiesen werden, in weiteren 15 angeklagten Fällen wurde er freigesprochen. Im Zeitraum von 2002 bis Juni 2005 soll der ehemalige Krankenpfleger nach Feststellungen des LG Oldenburg 85 Patient:innen in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst Medikamente verabreicht haben, die zu einem Herzstillstand führten. Der Plan des 43-Jährigen soll dabei perfide gewesen sein: Nach Einschätzung der Richter soll er die lebensbedrohlichen Zustände hervorgerufen haben, um sich anschließend durch eine mögliche Reanimation der Patient:innen die Anerkennung von Kolleg:innen zu sichern. Ebenso soll er sich den Dank „geretteter“ Personen erhofft und die Spannung genossen haben. Dabei habe er es aber in Kauf genommen, dass die Menschen dabei zu Tode kommen können. In 85 bestätigten Fällen trat dies auch ein.

BGH: Gutgläubiger Erwerb des Eigentums an einem nach einer Probefahrt nicht zurückgegebenen Fahrzeug

Über die Prüfungsrelevanz dieser Entscheidung kann es keine zwei Meinungen geben. Wer diese Entscheidung nicht akribisch durcharbeitet, tut sich ganz sicher keinen Gefallen.

Wenn ein Auto nach einer unbeaufsichtigten Probefahrt nicht zum Autohaus zurückgebracht wird, sei es dem Eigentümer nicht nach § 935 BGB abhanden gekommen. Ein Eigentumserwerb durch einen Dritten wäre also möglich, so der BGH: Gutgläubiger Erwerb des Eigentums an einem nach einer Probefahrt nicht zurückgegebenen Fahrzeug.

BGH: Missbrauch der Vertretungsmacht bei einem Insichgeschäft und Bereicherungsausgleich im Dreiecksverhältnis

Last but not least zeigt diese Entscheidung des BGH einmal mehr, wie lohnend die Lektüre höchstrichterlicher Rechtsprechung für die Examensvorbereitung ist. Kurz und bündig stellt der BGH etliche klausurrelevante Probleme dar, die an dieser Stelle noch einmal zusammengefasst werden sollen: Missbrauch der Vertretungsmacht bei einem Insichgeschäft und Bereicherungsausgleich im Dreiecksverhältnis.