BGH: Wann liegt ein Rechtsmangel vor, wenn das Fahrzeug (später) in die SIS-Fahndungsliste eingetragen wird?

A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)

Mit Vertrag vom 12. Juli 2011 kaufte K vom B einen gebrauchten Audi Q7 zu einem Kaufpreis von 36.250 €. Noch am selben Tag wurde der Kaufpreis bezahlt und das Fahrzeug, zusammen mit einer von der Stadt Köln ausgestellten Zulassungsbescheinigung II, in die der B als Eigentümer eingetragen war, an den K übergeben.

Rund 20 Monate später, am 6. März 2013, wurde K mit dem Fahrzeug bei der Rückkehr aus der Türkei an der serbischen Grenze angehalten. Das Fahrzeug wurde dort auf der Grundlage einer Interpol-Meldung mit der Begründung beschlagnahmt, es werde in Rumänien als Gegenstand einer Straftat gesucht. Über das Polizeipräsidium Dortmund erhielt K später zudem die Mitteilung, dass das Fahrzeug seit dem 22. Mai 2014 im Schengener Informationssystem (SIS) zwecks Sicherstellung ausgeschrieben sei. Als Fahrzeughalter sei in Rumänien seit dem 22.12.2008 das Unternehmen E und die A als Besitzerin gemeldet. An dieses Unternehmen wurde das beschlagnahmte Fahrzeug in der Folge herausgegeben.

K erklärt den Rücktritt vom Kaufvertrag und fordert die Rückzahlung des Kaufpreises von B. Zu Recht?

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 26.2.2020 –VIII ZR 267/17)

K könnte gegen B ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 29.000 Euro aus §§ 346 I, 437 Nr. 2, 323, 326 V BGB zustehen.

I. Kaufvertrag

Die Parteien sind durch einen Kaufvertrag über einen gebrauchten Audi Q7 miteinander verbunden.

 

II. Mangelhaftigkeit der Kaufsache

Fraglich ist, ob das Fahrzeug mangelhaft ist (vgl. Einleitungssatz von § 437 BGB).

Ein Sachmangel iSv § 434 BGB ist nicht ersichtlich, möglicherweise stellt aber die Eintragung des Fahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste einen Rechtsmangel iSv § 435 BGB dar. Dazu müsste diese Eintragung ein „Recht eines Dritten in Bezug auf die Sache“ darstellen. Der BGH hatte in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 einen Rechtsmangel bejaht; dabei stellte der BGH maßgeblich darauf ab, dass sich bereits aus der Eintragung eine erhebliche Nutzungsbeeinträchtigung für den Käufer ergebe:

„Auch auf öffentlichem Recht beruhende Eingriffsbefugnisse, Beschränkungen und Bindungen, die die Nutzung der Kaufsache beeinträchtigen, können einen Rechtsmangel begründen (BT-Drucks. 14/6040, S. 217; BeckOK- BGB/Faust, aaO Rn. 18 f.; MünchKommBGB/Westermann, aaO Rn. 10; Erman/Grunewald, aaO Rn. 11). Dies gilt – in Abgrenzung zu den dem Bereich der Sachmängelgewährleistung (§ 434 BGB) zuzuordnenden Sachverhalten – jedenfalls dann, wenn das Eingreifen öffentlich-rechtlicher Normen nicht Folge der (auch) einen Sachmangel begründenden nicht vertragsgemäßen Beschaffenheit der Kaufsache ist; andernfalls liegt es nahe, (nur) einen Sachmangel anzunehmen (Erman/Grunewald, aaO). Schematische Lösungen verbieten sich hierbei (Senatsurteil vom 5. Dezember 1990 – VIII ZR 75/90, BGHZ 113, 106, 112). …

Nach den vorstehend aufgezeigten Maßstäben ist (bereits) die Eintragung eines Kraftfahrzeugs in die Fahndungsliste aufgrund einer SIS- Ausschreibung als Rechtsmangel anzusehen (so auch die einhellige Auffassung der Oberlandesgerichte; vgl. OLG Köln NJW-RR 2014, 1080; OLG Düsseldorf vom 20. Februar 2015 – I-22 U 159/14, juris; OLG München, Urteil vom 2. Mai 2016 – 21 U 3016/15, juris). Zwar handelt es sich bei dem Schengener Informationssystem (nur) um eine interne Datenbank der Sicherheitsbehörden des Schengen-Raumes, mit der – anders als bei einer bereits vollzogenen behördlichen Beschlagnahme oder Sicherstellung – noch kein unmittelbarer Eingriff in Form des Entzugs der Sache verbunden ist. Die Eigenart der auf einem internationalen Abkommen beruhenden SIS-Sachfahndung gebietet es jedoch, bereits die Eintragung als solche und nicht erst eine daraufhin erfolgende Beschlagnahme oder Sicherstellung als Rechtsmangel einzuordnen. Denn bereits die Eintragung eines Kraftfahrzeugs in dieses Fahndungssystem ist für den Käufer mit der Gefahr einer erheblichen Nutzungsbeeinträchtigung verbunden und führt damit zu einer individuellen Belastung, die geeignet ist, den Käufer in der ungestörten Ausübung der ihm nach § 903 Satz 1 BGB gebührenden Rechtsposition zu beeinträchtigen.“

 

Daran hält der BGH auch in der aktuellen Entscheidung fest:

„Wie das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend erkannt hat, können öffentlich-rechtliche Eingriffsbefugnisse, Beschränkungen oder Bindungen in Bezug auf die Kaufsache einen Rechtsmangel im Sinne des § 435 BGB begründen, soweit sie nicht an deren Beschaffenheit anknüpfen; im letzteren Fall kann ein Sachmangel vorliegen ( Senatsurteil vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15 , NJW 2017, 1666 Rn. 18 ff.). Dementsprechend hat der Senat die im Zeitpunkt des Gefahrübergangs aufgrund einer wegen des Verdachts eines Eigentumsdelikts bestehende Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) als Rechtsmangel angesehen ( Senatsurteile vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15 aaO Rn. 14, 22 ff.; vom 26. April 2017 - VIII ZR 233/15 , NJW 2017, 3292 Rn. 10). Denn mit der SIS-Ausschreibung eines Kraftfahrzeugs zur Fahndung ist die konkrete, im gesamten Schengen-Raum bestehende Gefahr verbunden, dass das Fahrzeug bei einer Halteränderung oder bei einer polizeilichen Kontrolle von staatlichen Behörden rechtmäßig sichergestellt oder beschlagnahmt wird ( Senatsurteil vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15 , aaO Rn. 24) mit der Folge, dass es der Käufer - unabhängig von einem etwaig bestehenden, für die Beurteilung eines Rechtsmangels nicht maßgebenden Eigentumsherausgabeanspruch eines (Vor-)Eigentümers - nicht mehr ungestört im In- und Ausland nutzen kann ( Senatsurteil vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15 , aaO Rn. 22, 28).“

Allerdings ist die Eintragung in das SIS erst am 22. März 2014 erfolgt, die Übergabe des Fahrzeugs an den K hingegen schon am 12. Juli 2011. Auch wenn die h.M. davon ausgeht, dass der relevante Zeitpunkt für das Vorliegen eines Rechtsmangels im Sinne von § 435 BGB der Zeitpunkt des Eigentumsübergangs sei, stellt der BGH (ohne weitere Problematisierung) auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs, also die Übergabe am 12. Juli 2011 (§ 446 BGB) ab. Insoweit kann in der Eintragung in das SIS kein Rechtsmangel erblickt werden.

Das Berufungsgericht hatte dennoch einen Rechtsmangel bejaht. Entscheidend für die Annahme eines Rechtsmangels sei nicht die Eintragung in das SIS selbst, sondern das Vorliegen eines Sachverhalts, der dann in der Folge zu einer Eintragung führen könne:

„Das Fahrzeug habe bei der Übergabe an den Kläger am 12. Juli 2011 an einem Rechtsmangel (§ 435 BGB) gelitten, der sich in der späteren Aufnahme des Fahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste manifestiert habe. Die durch die Eintragung in das SIS eröffnete Zugriffsmöglichkeit staatlicher Behörden habe zu einer den Kläger unmittelbar treffenden, individuellen Belastung des Fahrzeugs geführt, wie dessen Beschlagnahme an der serbischen Grenze belege.

Entscheidend für die Annahme eines Rechtsmangels sei aber nicht die Eintragung in das SIS selbst, sondern das Vorliegen eines Sachverhalts, der dann in der Folge zu einer Eintragung führen könne und im Streitfall auch dazu geführt habe. Diese zu der späteren Beschlagnahme führende Ausgangslage habe vorliegend seit der unterbliebenen Rückgabe des im Jahr 2009 als Leasingfahrzeug genutzten Audi Q7 an die Leasinggeberin bestanden, einem Vorgang, der zeitlich vor der am 12. Juli 2011 erfolgten Veräußerung seitens des Beklagten an den Kläger gelegen haben müsse. Zwar sei in einem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die Eintragung in die SIS-Fahndungsliste zeitlich vor der Veräußerung des zur Fahndung ausgeschriebenen Fahrzeugs erfolgt; dies ändere aber nichts daran, dass es, wie der Bundesgerichtshof ausgesprochen habe, für die Annahme eines Rechtsmangels auf das Vorliegen eines Sachverhalts ankomme, der zu einem späteren Zugriff staatlicher Behörden im Wege einer Beschlagnahme führen könne.“

 

Der BGH weist hingegen darauf hin, dass erst die Eintragung in die SIS-Fahndungsliste eine hinreichend konkrete Beeinträchtigung der Eigentümerposition darstelle:

„Der Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Frage, ob in der Eintragung eines Kraftfahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste ein Rechtsmangel liegt, darauf abgestellt, dass diese Eintragung bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestand ( Senatsurteile vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15 , aaO Rn. 14; vom 26. April 2015 - VIII ZR 233/15, aaO). Grund hierfür ist der Umstand, dass der Käufer mit der Aufnahme des Fahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste in der ungestörten Nutzung der Kaufsache und damit in der Ausübung der ihm - nach Übergabe - gebührenden Rechtsposition eines Eigentümers ( § 903 BGB ) konkret beeinträchtigt ist. Erst mit der Eintragung in das SIS verdichtet sich das Risiko der Ausübung von Rechten Dritter - hier in Gestalt strafprozessrechtlicher Zugriffsbefugnisse auf das verkaufte Fahrzeug - so stark, dass mit dessen Verwirklichung unmittelbar und jederzeit gerechnet werden muss.“

 

Daher tritt der BGH der Ansicht des Berufungsgerichts entgegen und verneint einen Rechtsmangel:

„Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang nicht schon dann vor, wenn die letztlich zur späteren Eintragung in das SIS führende Ausgangslage - hier die nicht erfolgte Rückgabe des im Jahr 2009 als Leasingfahrzeug in Rumänien genutzten Audi Q7 an die Leasinggeberin - bereits bei der nach § 446 Satz 1 BGB den Gefahrübergang herbeiführenden Übergabe des Fahrzeugs bestanden hat. …

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest mit der Folge, dass allein das Vorliegen eines tatsächlichen Geschehens, das wegen seiner erst nach Gefahrübergang erkannten strafrechtlichen Bedeutung für eine spätere SIS-Fahndung - und in deren Folge für eine etwaige Beschlagnahme - in irgendeiner Weise kausal geworden ist (hier die unterlassene Rückgabe des im Jahr 2009 in Rumänien als Leasingfahrzeug genutzten Audi Q7 an den Leasinggeber) für die Annahme eines Rechtsmangels nicht genügt.

Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts hätte eine weder sachlich gerechtfertigte noch zumutbare Ausdehnung der Haftung des Gebrauchtwagenverkäufers zur Folge. Denn dieser müsste selbst bei dem Verkauf von Fahrzeugen, die eine lückenlos dokumentierte Historie aufweisen, auf lange Zeit für ein bei Gefahrübergang für ihn weder erkennbares noch beherrschbares tatsächliches Geschehen einstehen, das irgendwann einen staatlichen Zugriff auf das Fahrzeug ermöglicht.“

Dem stehe die frühere Rechtsprechung des BGH zu einer Beschlagnahme nach § 111b StPO nicht entgegen:

„Eine andere Beurteilung ist auch nicht mit Rücksicht auf das Urteil des Senats zu einer nach § 111b StPO rechtmäßig durchgeführten Beschlagnahme geboten ( Senatsurteil vom 18. Februar 2004 - VIII ZR 78/03 , NJW 2004, 1802 unter II 1, in Bezug genommen durch Senatsurteil vom 18. Januar 2017 VIII ZR 234/15 , aaO Rn. 21). Denn dieses Urteil ist zu einer speziellen Sachverhaltskonstellation ergangen und lässt sich nicht dahin verallgemeinern, dass jegliche bei Gefahrübergang vorhandene Umstände, die zu einem späteren Zeitpunkt zu einer behördlichen Sicherstellung des Kaufgegenstandes führen, bereits die Annahme eines im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestehenden Rechtsmangels rechtfertigen.

Der in dem Senatsurteil vom 18. Februar 2004 (VIII ZR 78/03 , aaO) zu beurteilende Sachverhalt zeichnete sich dadurch aus, dass bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine Diebstahlsanzeige vorlag und strafrechtliche Ermittlungen - auch gegen den Käufer des Fahrzeugs - wegen des Verdachts der Hehlerei geführt wurden, in deren Folge es 16 Tage nach der Übergabe zu einer (rechtmäßigen und danach richterlich bestätigten) Beschlagnahme durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden kam ( Senatsurteil vom 18. Februar 2004 - VIII ZR 78/03 , aaO). Somit drohte in jenem Fall bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine alsbaldige behördliche Beschlagnahme, die die Annahme eines bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtsmangels begründen konnte. Eine derartig “verdichtete” Situation einer unmittelbar drohenden behördlichen Beschlagnahme bestand angesichts der vom Berufungsgericht zum zeitlichen Ablauf hier getroffenen Feststellungen bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger jedoch nicht. Somit kann - unabhängig davon, dass zur Frage der Rechtmäßigkeit der von den serbischen Behörden im März 2013 vorgenommenen Beschlagnahme nichts festgestellt ist - auch insoweit ein bei Gefahrübergang vorhandener Rechtsmangel nicht bejaht werden.“

 

III. Ergebnis

Ein Rechtsmangel zum relevanten Zeitpunkt lag nicht vor. Die Rücktrittserklärung des K geht ins Leere. Er kann von B nicht die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen.

D. Fazit

Ein Fall, der die uns bekannte Entscheidung zum Rechtsmangel bei Eintragung eines Fahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste aus dem Jahr 2017 wunderbar ergänzt. Merken sollte man sich die zentrale Argumentation des BGH, wonach die Auffassung des Berufungsgerichts eine weder sachlich gerechtfertigte noch zumutbare Ausdehnung der Haftung des Gebrauchtwagenverkäufers zur Folge hätte:

„Denn dieser müsste selbst bei dem Verkauf von Fahrzeugen, die eine lückenlos dokumentierte Historie aufweisen, auf lange Zeit für ein bei Gefahrübergang für ihn weder erkennbares noch beherrschbares tatsächliches Geschehen einstehen, das irgendwann einen staatlichen Zugriff auf das Fahrzeug ermöglicht.“