Worum geht es?
Zwischen dem für das Grundstücksrecht zuständigen V. Zivilsenat des BGH und dem für das Werkvertragsrecht zuständigen VII. Zivilsenat geht es derzeit um die Frage, ob bei einem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach § 281 Abs. 1 BGB wegen eines Mangels auch solche Mängelbeseitigungskosten ersetzt werden, die noch gar nicht angefallen sind und den Minderwert der Kaufsache bzw. des Werks deutlich übersteigen (sog. fiktive Mängelbeseitigungskosten).
Der VII. Zivilsenat hat mit Urteil vom 22. Februar 2018 (VII ZR 46/17) entschieden, dass fiktive Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht grundsätzlich nicht mehr ersatzfähig seien. Insoweit hat der Senat seine frühere Rechtsprechung, der sich für Kaufverträge auch der V. und der VIII. Zivilsenat angeschlossen hatten, aufgegeben.
Der V. Zivilsenat möchte seine Rechtsprechung fortführen und hat deshalb mit Beschluss vom 13. März 2020 (V ZR 33/19) beim VII. Zivilsenat angefragt, ob dieser an seiner Auffassung aus dem Urteil vom 22. Februar 2018 festhalte. Nunmehr liegt die ausführliche Antwort des VII. Zivilsenats vor.
A. Großer Senat für Zivilsachen
Will ein BGH-Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheidet der Große Senat für Zivilsachen (§ 132 Abs. 1 Satz 1 GVG). Er besteht aus der Präsidentin des BGH und je einem Mitglied der Zivilsenate (§ 132 Abs. 5 Satz 1 GVG).
Bevor der Große Senat angerufen werden darf, muss der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt haben, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG).
Die Anfragen des V. Zivilsenats an den VII. Zivilsenat lauten:
1. Wird an der in dem Urteil vom 22. Februar 2018 (VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 31 ff.) vertretenen Rechtsauffassung festgehalten, wonach der “kleine” Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 280, 281 Abs. 1 BGB nicht anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten (“fiktiven”) Mängelbeseitigungskosten bemessen werden darf?
2. Wird ferner daran festgehalten, dass sich ein Schadensersatzanspruch des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf Vorfinanzierung “in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags” richten kann (Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17, aaO Rn. 67)?
Der VII. Zivilsenat hat mit dem hier vorgestellten Beschluss vom 8. Oktober 2020 erklärt, dass er hinsichtlich beider Fragen an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte.
Prüfung eines Schadensersatzanspruchs, §§ 280 ff. BGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit
B. Ausgangsfall beim V. Zivilsenat
Die Kläger erwarben von dem Beklagten mit notariellem Kaufvertrag vom 27. Februar 2014 eine Eigentumswohnung zum Preis von 79.800 Euro unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. In dem Kaufvertrag heißt es in Nr. III. 1. Abs. 5:
“Dem Verkäufer ist bekannt, dass es in der Vergangenheit an der Schlafzimmerwand Feuchtigkeit gab. Sollte es bis zum 31. Dezember 2015 erneut zu einer Feuchtigkeit im Schlafzimmer kommen, verpflichtet sich der Verkäufer, diese auf seine eigenen Kosten zu beheben.”
Nach Übergabe der Wohnung trat Ende 2014 Feuchtigkeit in dem Schlafzimmer auf, zu deren Beseitigung die Kläger den Beklagten erfolglos unter Fristsetzung aufforderten. Die Wohnungseigentümer ermächtigten die Kläger durch Beschluss auch insoweit zur Behebung der Schäden, als das Gemeinschaftseigentum betroffen ist. Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten die Zahlung voraussichtlicher Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer in Höhe von 12.312,90 Euro und den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten; ferner wollen sie feststellen lassen, dass der Beklagte weitere Schäden ersetzen muss.
C. Überblick
Gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn der Schuldner seine Leistungspflicht aus einem Schuldverhältnis nicht oder nicht wie geschuldet erbringt und ihm der Gläubiger erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung gesetzt hat.
I. Nacherfüllungsansprüche im Kauf- und Werkvertragsrecht
Der Verkäufer einer Sache ist verpflichtet, dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Im Werkvertragsrecht ist der Unternehmer zur Herstellung des vereinbarten Werks verpflichtet (§ 631 Abs. 1 BGB), das er dem Besteller ebenfalls frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen hat (§ 633 Abs. 1 BGB).
Mängel im Werkvertragsrecht, § 633 BGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit
1. Nacherfüllung im Kaufrecht
Verletzt der Verkäufer seine Pflicht, indem er eine mangelhafte Sache übergibt (§ 446 BGB), kann der Käufer gemäß §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) oder die (Nach-) Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen.
Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist (§ 439 Abs. 4 Satz 1 BGB). Der Käufer kann dann nur die andere Art der Nacherfüllung verlangen, es sei denn, auch diese ist nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich (§ 439 Abs. 4 Satz 3 BGB).
Nacherfüllung, §§ 437 Nr. 1, 439 BGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit
Für die Unverhältnismäßigkeit der Kosten kommt es nach § 439 Abs. 4 Satz 2 BGB insbesondere auf den Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und auf die Frage an, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte. Nach der Rechtsprechung des V. Zivilsenats für Grundstückskaufverträge kann als erster Anhaltspunkt davon ausgegangen werden, dass die Kosten der Mängelbeseitigung unverhältnismäßig sind, wenn sie entweder
- den Verkehrswert des Grundstücks in mangelfreiem Zustand oder
- 200 Prozent des mangelbedingten Minderwerts
übersteigen.
2. Werkvertragsrecht
Im Werkvertragsrecht kann der Besteller bei mangelhafter Herstellung des Werks ebenfalls Nacherfüllung verlangen (§ 635 BGB). Dabei kommen die Beseitigung des Mangels und die Herstellung eines neuen Werks in Betracht (§ 635 Abs. 1 BGB). Allerdings hat hier nicht der Besteller, sondern der Unternehmer die Wahl zwischen beiden Arten der Nacherfüllung.
Ist die Nacherfüllung nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten möglich, kann sie der Unternehmer gemäß § 635 Abs. 3 BGB wiederum verweigern. Die Vorschrift wird allerdings restriktiv ausgelegt. Erforderlich ist ein objektiv geringes Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Leistung, während die Nacherfüllung einen ganz erheblichen Kostenaufwand verursachen würde. Da der Unternehmer zur mangelfreien Herstellung verpflichtet ist, lässt sich ein objektiv geringes Interesse des Bestellers nur in Ausnahmefällen - etwa bei kleineren, insbesondere optischen Mängeln - annehmen.
Nach erfolglosem Ablauf einer angemessenen Nacherfüllungsfrist hat der Besteller nicht nur einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung, sondern kann die Mängel auch selbst auf Kosten des Unternehmers beseitigen (Selbstvornahme, § 637 Abs. 1 BGB). Gemäß § 637 Abs. 3 BGB hat er dabei einen Anspruch auf Kostenvorschuss gegen den Besteller.
Aufwendungsersatz, §§ 634 Nr. 2, 637 BGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit
II. Schadensersatz statt der Leistung
Als Schadensersatz statt der Leistung kann der Käufer bzw. der Besteller grundsätzlich das Erfüllungsinteresse (positives Interesse) ersetzt verlangen. Er muss so gestellt werden, wie er stünde, wenn der Verkäufer bzw. der Unternehmer vertragsgemäß geliefert hätte. Damit wird sein Interesse geschützt, eine Leistung zu erhalten, die in einem angemessenen Verhältnis zu seiner Gegenleistung steht (Äquivalenzinteresse). Er kann deshalb grundsätzlich den Minderwert der Kaufsache bzw. des Werks verlangen (kleiner Schadensersatz). Dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Wert im mangelfreien Zustand und dem Wert, der bei mangelfreier Erfüllung bestehen würde.
Im Zivilprozess kann dieser Minderwert nach § 287 ZPO anhand der fiktiven Mängelbeseitigungskosten geschätzt werden. Dieser Auffassung des VII. Zivilsenats für das Werkvertragsrecht haben sich der V. Zivilsenat und der für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenats angeschlossen.
Die tatsächlich angefallenen Mängelbeseitigungskosten erkennt der VII. Zivilsenat auch dann als Schaden des Bestellers an, wenn sie den Minderwert des Werks deutlich übersteigen.
Problematisch erscheint es dagegen, in diesem Fall auch fiktive Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz statt der Leistung anzuerkennen. Es könnte dadurch zu einer im Schadensrecht grundsätzlich verbotenen Überkompensation kommen. Die Schadensersatzansprüche sollen jedoch lediglich den tatsächlich bestehenden Schaden ausgleichen und nicht den Geschädigten bereichern oder den Schädiger bestrafen.
Die Regelung in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, wonach der Gläubiger statt der Naturalrestitution den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen kann, lässt sich dabei nicht heranziehen. Die §§ 249 ff. BGB beziehen sich nicht auf das Äquivalenz-, sondern auf das Integritätsinteresse des Gläubigers, also auf dessen Interesse daran, seine Rechtsgüter vor Beeinträchtigungen zu schützen. Die Naturalrestitution (Mängelbeseitigung/Neulieferung) ist ohnehin nach § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen, so dass sich der Anspruch von vornherein auf Geldzahlung richtet. Das folgt wiederum nicht aus § 251 BGB, da die Naturalrestitution immer noch möglich wäre.
D. Auffassung des V. Zivilsenats im Beschluss vom 13. März 2020
Der V. Zivilsenat hält es auch weiterhin für richtig, dass der Käufer im Rahmen des Schadensersatzanspruchs statt der Leistung fiktive Mängelbeseitigungskosten ersetzt verlangen kann.
I. Minderwert oder fiktive Mängelbeseitigungskosten
Sachmängel würden vorrangig durch Nacherfüllung behoben werden, die der Verkäufer nur verweigern dürfe, wenn sie mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden seien. Gegenstand des Nacherfüllungsanspruchs sei nicht mehr die erstmalige Lieferung einer mangelfreien Sache, sondern die Herstellung ihrer Mangelfreiheit durch Nachbesserung der gelieferten Kaufsache oder durch Nachlieferung einer neuen, mangelfreien Sache.
Der Schadensersatz statt der Leistung solle den ausgebliebenen Erfolg der Nacherfüllung und nicht nur den Minderwert der Kaufsache ausgleichen. Das werde durch den Ersatz der Mängelbeseitigungskosten erreicht. Dies berücksichtige vor allem, dass der Käufer nunmehr selbst für die Nacherfüllung Sorge tragen müsse. Der damit verbundene Aufwand in Form der Mängelbeseitigungskosten belaste seine Vermögensbilanz schon zum Zeitpunkt des Schadensersatzverlangens, so dass es nicht darauf ankommen könne, ob diese Kosten tatsächlich aufgewendet werden.
Der Käufer könne deshalb im Rahmen des kleinen Schadensersatzes entweder den Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen.
Der mangelbedingte Minderwert bilde das Äquivalenzinteresse des Käufers nicht immer zutreffend ab. Bestelle beispielsweise der Käufer einen PKW in einem grellen Farbton, werde ihm aber ein Fahrzeug in einer normalen Farbe geliefert, dürfte der Wert des Fahrzeugs eher steigen, so dass es keinen Minderwert gäbe. Das Interesse des Käufers, für den Kaufpreis die vereinbarte Gegenleistung zu erhalten, könnte folglich nicht ausgeglichen werden.
II. Allgemeines Leistungsstörungsrecht vs. Kauf- und Werkvertragsrecht
Das Mängelgewährleistungsrecht sei für Kauf- und Werkverträge im Gesetz in einem Umfang vereinheitlicht, der einen Gleichlauf bei der Anwendung von § 281 BGB erfordere.
Die Rechte des Käufers bzw. des Bestellers bei Sach- und Rechtsmängeln würden im Hinblick auf Rücktritt und Schadensersatz einheitlich im allgemeinen Leistungsstörungsrecht und nur ergänzend in den Vorschriften des besonderen Teils geregelt. § 437 Nr. 3 BGB bzw. § 634 Nr. 4 BGB würden keine eigenständigen Regelungen über den Schadensersatz treffen, sondern auf den zentralen Haftungstatbestand des § 280 BGB verweisen, der durch § 281 BGB ergänzt werde. § 437 Nr. 3 BGB und § 634 Nr. 4 BGB würden deshalb lediglich „erläuternde Servicenormen“ darstellen.
III. Vorfinanzierung der Mängelbeseitigungskosten
Könnte der Käufer die Kosten der Mängelbeseitigung erst dann ersetzt verlangen, wenn er sie tatsächlich aufgewendet hat, müsste er die Mängelbeseitigung vorfinanzieren, was nicht vertretbar sei. Einen Vorschussanspruch kenne das Kaufrecht nicht. Er lasse sich auch nicht über einen zweckgebundenen Schadensersatzanspruch herleiten, wie ihn der VII. Zivilsenat für den Anspruch des Bestellers gegen den Architekten anerkannt habe. Die Dispositionsfreiheit des Geschädigten bei Sachschäden gehöre zu den anerkannten Grundsätzen des Schadensersatzrechts. Der Käufer müsse sich dafür entscheiden dürfen, mit dem Mangel zu leben und den Wert der Leistung, der sich in den Mängelbeseitigungskosten ausdrücke, anderweitig zu verwenden. Dies führe nicht zu einer Überkompensation. Dasselbe gelte dann, wenn der Käufer die Kaufsache während des Schadensersatzprozesses veräußert und sich der Erwerber an dem Mangel nicht stört.
Im Übrigen würden sich die Mängelbeseitigungskosten in aller Regel leichter ermitteln lassen als der Minderwert.
IV. Fiktive Mängelbeseitigungskosten bei Mangel- und Mangelfolgeschaden
Auch mit Blick auf das Deliktsrecht ergebe sich die Notwendigkeit, dem Käufer die fiktiven Mängelbeseitigungskosten zuzubilligen. Allerdings bestehe insoweit echte Anspruchskonkurrenz. Weder werde die Deliktsordnung von der Vertragsordnung verdrängt noch umgekehrt. Jeder Anspruch sei nach seinen eigenen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seiner Durchsetzung selbstständig zu beurteilen und folge seinen eigenen Regeln. Nach § 249 Abs. 2 BGB könne der Geschädigte statt der Wiederherstellung des Zustands ohne Schädigung die dafür erforderlichen Kosten verlangen. Werden infolge der Schlechtleistung des Verkäufers andere Rechtsgüter des Käufers beschädigt, könnten nur die fiktiven Ersatzkosten dafür abgerechnet werden. Dies führe im Ergebnis wieder zu der durch die Schuldrechtsreform überwundenen Unterscheidung zwischen Mangel- und Mangelfolgeschaden.
V. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
Auch wenn nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats, der sich der V. Zivilsenat angeschlossen habe, der Minderwert anhand der Mängelbeseitigungskosten berechnet werden könne (hierzu unter C.II.), sei damit vorliegend das Interesse der Käufer nicht vollständig abgedeckt. Stelle sich später heraus, dass die tatsächliche Mängelbeseitigung höhere Kosten verursacht habe, komme nämlich eine Nachforderung grundsätzlich nicht in Betracht. Im vorliegenden Fall sei es deshalb in Bezug auf den Antrag der Klägerin, die Ersatzpflicht des Beklagten auch für künftige Schäden feststellen zu lassen, nicht ausreichend, den Schaden anhand der geschätzten Mängelbeseitigungskosten zu berechnen.
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