BGH: „Rittigkeitsprobleme“ eines Pferdes als Sachmangel

A. Sachverhalt

Die Klägerin erwarb als Verbraucherin am 5. Oktober 2013 von der Beklagten, die Pferdeauktionen ausrichtet, auf der “79. Herbst-Elite-Auktion” den fünf Jahre alten Wallach “Santiano K” für 31.733,19 Euro zur Nutzung als Sportpferd. Das Pferd hatte bereits erfolgreich an Turnieren teilgenommen.

In der Folgezeit bildete die Tochter der Klägerin, die Zeugin K., die als Pferdewirtin und -ausbilderin tätig ist, das Pferd weiter aus, um es auf den Leistungsstand der Klasse L zu bringen. Im Mai 2014 nahm K. mit dem Pferd an einer Dressurprüfung dieser Klasse teil.

Mit Anwaltsschreiben vom 12. Dezember 2014 fochte die Klägerin den Kaufvertrag unter Berufung auf arglistige Täuschung an. Sie behauptete unter anderem “gravierende Rittigkeitsprobleme”; das Pferd habe “insbesondere die Widersetzlichkeiten des Blockens beziehungsweise Blockierens” gezeigt. Mit Anwaltsschreiben vom 16. März 2015 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag. Sie behauptet im Wesentlichen, die gezeigten “Rittigkeitsmängel” beruhten auf verengten Dornfortsätzen der Wirbelsäule (Kissing Spines).

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Pferds, Feststellung des Annahmeverzugs sowie Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Das Landgericht hat nach Vernehmung mehrerer Zeugen sowie Einholung eines fachtierärztlichen Sachverständigengutachtens nebst ergänzender Anhörung des Sachverständigen die Klage abgewiesen.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat - nach Vernehmung der Zeugin K. und weiterer Zeugen sowie erneuter Anhörung des Sachverständigen durch das Berufungsgericht - Erfolg gehabt. Die vertraglich vorausgesetzte Eignung des Pferdes als Sportpferd habe im Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht vorgelegen, weil das Pferd aufgrund eines Kissing-Spines-Syndroms “Rittigkeitsmängel” aufgewiesen habe. Dies stehe aufgrund der Beweisaufnahme in Verbindung mit der Vermutung des § 476 BGB a.F. zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest. Hierfür genüge es bereits, wenn bei Gefahrübergang lediglich Mangelerscheinungen aufgetreten seien. Um solche handele es sich bei der Verbindung des Kissing-Spines-Syndroms mit den „Rittigkeitsproblemen“.

Die Beklagte hatte Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die beim BGH Erfolg hatte und zur Zulassung der Revision geführt hat.

 

B. Überblick

„Kaufrecht + Pferd = Examensrelevanz“ - so heißt es am Ende einer früheren Entscheidungsbesprechung („Ein Pferd ist kein Gebrauchtwagen“, VIII ZR 69/18) und das bestätigt sich im vorliegenden Urteil des BGH erneut. Ein Pferd ist keine Sache, wird aber wie andere Tiere auch vom Gesetz wie eine behandelt (§ 90a BGB). Ist es mangelhaft, geltend folglich die Kaufrechtsregelungen. Damit ist ein Pferd dann mangelhaft, wenn sein Ist-Zustand vom Soll-Zustand abweicht. Für den Soll-Zustand gilt § 434 BGB. Maßgeblich ist danach zunächst die zwischen den Parteien vereinbarte Beschaffenheit des Pferdes (Satz 1). Fehlt es an einer Beschaffenheitsvereinbarung, kommt es darauf an, ob sich das Pferd für die nach dem Vertrag vorausgesetzte bzw. die übliche Verwendung eignet (Satz 2).

Im Rahmen der Frage nach der Mangelhaftigkeit des Pferdes geht es vorliegend auch um die richtige Anwendung der Beweislastumkehr in § 477 BGB (im Urteil noch § 476 BGB). Ausgangspunkt ist dabei die grundsätzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess. Danach muss der Kläger alle anspruchsbegründenden Voraussetzungen darlegen und im Bestreitensfall beweisen, der Beklagte die Voraussetzungen der Einwendungen und Einreden. Das ist kein akademisches Problem, sondern entscheidet in der Praxis nicht selten über den Prozesserfolg. Lässt sich nicht feststellen, ob ein Mangel der Sache bereits bei Gefahrübergang vorlag, verliert derjenige, der diese Voraussetzung beweisen musste. Grundsätzlich ist das der Käufer, da es sich um eine anspruchsbegründende Voraussetzung handelt. Hiervon macht allerdings § 477 BGB für den Verbrauchsgüterkauf iSv § 474 Abs. 1 BGB eine Ausnahme zugunsten des Verbrauchers, indem er letztlich dem Verkäufer den Beweis abverlangt, dass die Sache bei Gefahrübergang mangelfrei war (§ 292 Satz 1 ZPO).

 

C. Entscheidung

Der VIII. Zivilsenat des BGH bewertet die maßgeblichen Rechtsfragen des Falls durchweg anders als das Berufungsgericht. Er hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

 

I. Sachmangel

Da die Parteien keine Vereinbarung über die Beschaffenheit des Pferdes getroffen haben, kommt es darauf an, ob es sich für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Sportpferd eignet.

Der BGH nimmt zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zur Haftung des Tierverkäufers. Dieser habe lediglich dafür einzustehen, dass das Tier

 -  bei Gefahrübergang nicht krank ist und

 - sich auch nicht in einem Zustand befindet, aufgrund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird und infolgedessen für die vertraglich vorausgesetzte oder gewöhnliche Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre.

Ein klinisch unauffälliges Pferd sei grundsätzlich als Sportpferd geeignet, ohne dass es in jeder Hinsicht einer biologischen oder physiologischen Idealnorm entsprechen müsse. Ebenso wenig würden „Rittigkeitsprobleme“, wie sie die Klägerin dargestellt habe, als vom Idealzustand abweichendes Verhalten für sich gesehen eine Abweichung von der vertraglichen Sollbeschaffenheit darstellen. Dasselbe gelte für die behaupteten „Widersetzlichkeiten“.

Das alles begründet der BGH damit, dass es sich bei Pferden wie sonst bei Tieren auch um Lebewesen handele, die einer ständigen Entwicklung unterlägen und mit individuellen Anlagen ausgestattet seien, aus denen sich unterschiedliche Risiken ergäben. Der Käufer müsse deshalb grundsätzlich damit rechnen, dass das Tier Abweichungen vom Idealzustand aufweise und damit Risiken für die spätere Entwicklung verbunden seien. Der Verkäufer hafte nicht für den Fortbestand des bei Gefahrübergang gegebenen Zustandes. Hinsichtlich der Widersetzlichkeiten könne nie ausgeschlossen werden, dass diese auf dem natürlichen Risiko einer „Disharmonie“ zwischen Pferd und Reiter beruhen. Sodann erläutert der BGH, warum es sich bei den „Kissing Spines“ nicht um einen Mangel handele.

 

II. Rücktritt

Nach Auffassung des BGH habe das Berufungsgericht auch nicht beachtet, dass ein wirksamer Rücktritt vom Kaufvertrag wegen eines Sachmangels (§ 437 Nr. 2 BGB) voraussetze, dass dieser Mangel noch im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vorliegt. Hierzu hatte das Berufungsgericht keine eigenen Feststellungen getroffen, obwohl ein Sachverständiger bei der Begutachtung des Pferdes im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens keine „Rittigkeitsprobleme“ habe feststellen können.

 

III. Anwendung des § 477 BGB (§ 476 BGB a.F.).

Weiterhin habe das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Mangel bei Gefahrübergang vorgelegen habe.

 

1. Ausschluss nach § 474 Abs. 2 Satz 2 BGB

Nach § 474 Abs. 2 Satz 2 BGB finden die Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf keine Anwendung auf gebrauchte Sachen, die in einer öffentlich zugänglichen Versteigerung verkauft werden, an der der Verbraucher persönlich teilnehmen kann. Eine Legaldefinition der öffentlich zugänglichen Versteigerung findet sich in § 312g Abs. 2 Nr. 10 BGB. Nach Auffassung des BGH lässt es sich vorliegend und ohne weitere Feststellungen nicht ausschließen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.

 

2. Mangel innerhalb der Sechs-Monats-Frist

Der BGH nimmt zunächst Bezug auf die von ihm vollzogene Umsetzung einer EuGH-Entscheidung, wonach es für § 477 BGB ausreichend sei, wenn dem Käufer der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine Mangelerscheinung) gezeigt hat, der - unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand - dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 BGB) begründen würde. Der Käufer müsse weder den Grund für die Mangelerscheinung noch den Umstand beweisen, dass diese dem Verkäufer zuzurechnen ist.

Die „Rittigkeitsprobleme“ durch Widersetzen des Pferdes seien jedoch keine Mangelerscheinungen, da es sich dabei - wie ausgeführt - um ein natürliches Risiko handele. Sie könnten deshalb auch nicht gleichgesetzt werden mit Mangelerscheinungen unbelebter Gegenstände.

 

3. Erfolglose Nacherfüllungsfrist

Schließlich weist der BGH noch darauf hin, dass es auch an Feststellungen des Berufungsgerichts zum erfolglosen Ablauf einer Nacherfüllungsfrist nach § 323 Abs. 1 BGB bzw. zur Entbehrlichkeit der Frist, bspw. nach § 326 Abs. 5 BGB, fehle.

 

D. Prüfungsrelevanz

Zwei Aspekte der Entscheidung sollen hier noch einmal zusammengefasst werden:

  • Die Rechtsprechung des BGH zeigt, dass die Gewährleistungsvorschriften des Kaufrechts nicht schematisch auf den Tierkauf übertragen werden dürfen. Ein Tier ist eben keine Sache, sondern ein Lebewesen. Hiermit sind für den Käufer andere Risiken verbunden als beim Kauf eines leblosen Gegenstandes. Insbesondere darf er nicht erwarten, den Verkäufer für alle nachteiligen Veränderungen an der Gesundheit oder dem Wesen des Tieres haftbar machen zu können. Der BGH sagt deshalb: Ein Verkäufer haftet nicht für den Fortbestand des bei Gefahrübergang gegebenen Zustandes des Tieres.

    •  Die Beweislastumkehr in § 477 BGB greift bereits dann, wenn sich innerhalb der Sechs-Monats-Frist ein mangelhafter Zustand der Sache zeigt. Es wird dann vermutet, dass dieser Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Dem Verkäufer obliegt es sodann zu beweisen, dass der Käufer den mangelhaften Zustand selbst herbeigeführt haben muss, da die Sache bei Gefahrübergang noch mangelfrei war. An dieser Stelle ist es sinnvoll, sich mit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 12.10.2016 (VIII ZR 103/15) zu beschäftigen.

    •  Übrigens: Mit Ablauf des 1. Juli 2021 endet die Frist des Gesetzgebers zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/771 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs. Die Richtlinie sieht u.a. vor, dass die Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers von sechs auf mindestens zwölf Monate erweitert wird.

 

E. Weiterer Aspekt, vor allem für Referendare

Die Beklagte hatte nach Verkündung des vorläufig vollstreckbaren Berufungsurteils den ausgeurteilten Betrag an die Klägerin gezahlt. Die Klägerin hat sich deshalb auf den Standpunkt gestellt, ihre Klage habe sich durch diese Erfüllung erledigt. Der BGH hat hingegen darauf verwiesen, dass Zahlungen, die der Schuldner aufgrund eines für vorläufig vollstreckbaren Urteils erbringt, dahin zu verstehen seien, dass sie nur eine vorläufige Leistung darstellen sollen und unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Bestätigung der zugrunde liegenden Verbindlichkeit erfolgen würden. Damit komme ihnen gerade keine Erfüllungswirkung iSv § 362 Abs. 1 BGB zu.

Dieser Aspekt ist vor allem im Zusammenhang mit der einseitigen Erledigungserklärung zu beachten. Erledigung im Rechtssinne tritt ein, wenn die Klage ursprünglich zulässig und begründet war, durch ein Ereignis nach Rechtshängigkeit aber unzulässig oder unbegründet geworden ist. Dabei ist es eben wichtig zu wissen, dass die Zahlung des Beklagten auf ein vorläufig vollstreckbares Urteil grundsätzlich nicht zur Erfüllung des Anspruchs und damit zur Unbegründetheit der Klage nach Rechtshängigkeit führt. Der Beklagte leistet in der Regel nicht, um den Kläger zu befriedigen, sondern um die Zwangsvollstreckung abzuwenden. Dasselbe gilt für die Vollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil, einem Arrestbefehl oder einer einstweiligen Verfügung, und zwar selbst dann, wenn dadurch eine Anspruchsvoraussetzung entfallen ist (zum Besitz bei einer Klage nach § 985 BGB BGH V ZR 115/13).

Hat der Kläger dennoch die Erledigung des Rechtsstreits erklärt, ohne dass sich der Beklagte angeschlossen hat, ist die Feststellungsklage des Klägers unbegründet. Allerdings kann der Kläger die Erledigungserklärung bis zur Anschließung des Beklagten widerrufen (BGH VIII ZR 191/13). Hierin liegt eine weitere Klageänderung, und zwar von der Feststellungsklage zurück zur ursprünglichen Klage. Die Zulässigkeit ergibt sich wieder aus § 264 Nr. 2 ZPO.