AG Lörrach zu Bewertung eines Fitnessstudios

AG Lörrach zu Bewertung eines Fitnessstudios

Onlinebewertungen als Meinungsäußerung im Rahmen von § 1004 I BGB

Viele Unternehmen sind auf positive Bewertungen im Internet angewiesen, um neue Kundinnen und Kunden zu gewinnen. Entsprechend empfindlich reagieren sie dann gelegentlich auf negative Bewertungen. Ein Kunde sah sich daher, nachdem er online geurteilt hatte “Service und Sauberkeit mangelhaft“ mit hohen Geldforderungen konfrontiert, falls er seine Bewertung nicht löscht. Da er aber nicht klein beigegeben wollte, durfte sich das AG Lörrach mit dem Fall beschäftigen.

A. Sachverhalt

Der Kunde (K) verfügte seit 2017 über einen Mitgliedsvertrag mit einem Fitnessstudio und nutzte dieses bis April 2018. Im März 2019 verfasste er einen öffentlichen Eintrag in einem sozialen Netzwerk über das Fitnessstudio. Er empfahl das Fitnessstudio nicht und schrieb: „Service und Sauberkeit mangelhaft“. In dem sozialen Netzwerk hatten schon andere Nutzer auf die mangelhafte Sauberkeit des Studios hingewiesen. Der Betreiber (B) des Fitnessstudios forderte K dazu auf, den Beitrag zu löschen und eine Löschungs- und Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Dieser nahm sich daraufhin einen Anwalt.

Frage 1: Hat B gegen K einen Anspruch auf Löschung der Bewertung?

Frage 2: Hat K gegen B einen Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlichen Anwaltskosten?

B. Entscheidung des AG Lörrach

Frage 1:

B könnte gegen K einen Anspruch auf Löschung der Bewertung aus § 1004 I 1 BGB i. V. m. dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs zustehen. Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist, dass B rechtswidrig in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes in seinem Eigentum beeinträchtigt wird und K der Störer ist.

I. Eigentumsbeeinträchtigung in anderer Weise

Zu den Schutzgütern des § 1004 I 1 BGB

gehört auch das Recht (…) auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, worin die Äußerung des K (…) eingreift.

In diesem Eigentumsrecht wird B durch die negative Äußerung des K über den Betrieb des Fitnessstudios in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt.

II. Rechtswidrigkeit

Die Beeinträchtigung müsste auch rechtswidrig sein. Die Äußerung des K könnte jedoch von seiner Meinungsfreiheit nach Art. 5 I GG gedeckt und somit rechtmäßig sein.

1. Meinungsäußerung

Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass die Äußerung des K eine Meinungsäußerung und keine Tatsachenbehauptung ist.

Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen. (…). Die Aussage des K (…) bewertet den Service und die Sauberkeit. Dafür gibt es keine objektiv nachmessbaren Kriterien. Auch der Ausdruck „mangelhaft“ ist in diesem Zusammenhang eine Äußerung der subjektiven Abwertung und nicht als objektiv nachprüfbare „Schulnote“ zu verstehen. Soweit zumindest in groben Kategorien Service und Sauberkeit objektiv beurteilt werden können, zum Beispiel fehlende Ansprechspersonen für den Service oder verrichtete Putzintervalle hinsichtlich der Sauberkeit, vermengen sich Tatsachenbehauptung und Meinung und es bleibt beim Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. (…)

Die Äußerung des K ist daher keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Meinungsäußerung, die grundsätzlich von Art. 5 I GG geschützt ist.

2. Abwägung

Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern findet seine Grenze nach Art. 5 Abs. 2 GG an den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch §§ 823 Abs. 1, 824, 1004 Abs. 1 BGB gehören. Zu den Schutzgütern dieser Normen gehört auch das Recht des B (…) auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, worin die Äußerung des K (…) eingreift. Um die Zulässigkeit einer Äußerung zu beurteilen, sind die betroffenen Interessen einander in einer umfassenden Abwägung zuzuordnen, bei der alle wesentlichen Umstände zu berücksichtigen sind. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stellt einen offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben. Bei dieser Abwägung sind die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen (…).

a) Interesse des K an der Äußerung

K (…) hat von seinem Recht aus Art. 5 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht. Die Äußerung seiner Meinung über angebotene Dienstleistungen des B (…) in Bezug auf Service und Sauberkeit steht in einem direkten Verhältnis der (…) in Anspruch genommen Dienstleistung. Es ist auch nicht notwendig, dass der K (…) die konkreten Gründe seiner Bewertung angibt (…). Gerade Kundenbewertungen sind davon geprägt, dass in knapper Form der subjektive Eindruck mitgeteilt wird und die potenziellen Kunden sich einen Eindruck von der Gesamtheit der abgegebenen Bewertungen vermachen. Grundsätzlich sind auch kritische und unfaire Bewertungen zu dulden (…).
Die Aussage des Klägers ist nicht wesentlich durch die Tatsachenbehauptung geprägt, sondern durch seinen subjektiven Eindruck von Service und Sauberkeit. Es gilt also nicht der Grundsatz, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Schutzinteressen des von der Äußerung Betroffenen zurücktritt, wenn die Meinungsäußerung einen erwiesen falschen oder bewusst unwahren Tatsachenkern enthält.
Auf Seiten des K (…) ist aber auch zu berücksichtigen, dass dieser seine Bewertungen ein Jahr nach seinem letzten Besuch beim Fitnessstudio abgab. Damit liegt nicht der Fall vor, dass es keinen Kundenkontakt gegeben hat (…). Das Interesse, den Service und die Sauberkeit online trotz einem Jahr Abwesenheit zu bewerten, ist so allerdings geschmälert.

b) Beeinträchtigung des Studios durch die Äußerung

Hinsichtlich der Interessen des B (…) ist zu berücksichtigen, dass der Kommentar auf F. erstellt wurde und eine Bewertung der F.-Seite des B (…) enthält. Damit hat der B (…) selbst den Raum geschaffen, bewertet zu werden, indem er auf F. sein Fitnessstudio bewirbt und dort die Möglichkeit zur Bewertung ermöglicht. Damit hat er auch mit kritischen und negativen Bewertungen zu rechnen.
Weiter ist die Bewertung des K (…) im Zusammenhang mit den übrigen Bewertungen zu sehen. In einem ähnlichen Zeitraum (vor 3-4 Jahren) gab es 4 ähnliche Bewertungen, die ähnlich negativ Sauberkeit und/oder Service bewerteten. Außerdem gibt es noch einen weiter zurückliegenden Kommentar (vor 6 Jahren) mit einer ähnlich negativen Bewertung. Auf einen Kommentar antwortete ein Mitarbeiter des B (…), dass sie sich des Problems der Sauberkeit annehmen wollen. In diesem Zusammenhang erscheint die Bewertung des K (…) nur als einer von vielen anderen ähnlichen Bewertungen. Dies senkt die Eingriffstiefe beim B (…).

c) Abwägungsergebnis

Unter Abwägung der Umstände im Einzelfall unter Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze stellt sich die Bewertung des K (…) als zulässig dar. Er macht von seinem Recht seine kritische und negative Meinung zu äußern Gebrauch. Die Umstände auf F. (selbst eröffneter Raum und weitere ähnliche Kommentare) lassen kein Überwiegen der Interessen des B (…) erkennen.

3. Zwischenergebnis

Die Äußerung des K war rechtmäßig.

III. Ergebnis Frage 1

Mangels Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung des Eigentumsrechts besteht kein Anspruch nach § 1004 I 1 BGB. B hat gegen K keinen Anspruch auf Löschung der Bewertung.

Frage 2:

I. §§ 280 I, 241 II BGB

K könnte gegen B ein Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlichen Anwaltskosten nach §§ 280 I, 241 II BGB zustehen. Zwischen K und B müsste ein Schuldverhältnis bestehen, B müsste eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt und dies zu vertreten haben.

1. Schuldverhältnis

Zwischen den K und B bestand ein Vertragsverhältnis zur Nutzung und Bereitstellung des Fitnessstudios und damit ein Schuldverhältnis.

2. Pflichtverletzung

B müsste eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben.

Die Geltendmachung von nicht bestehenden Ansprüchen innerhalb eines Vertragsverhältnisses ist eine Pflichtverletzung nach § 241 II BGB.

B hat – wie oben dargestellt – nicht bestehende Ansprüche geltend gemacht und damit eine Pflicht verletzt.

3. Vertretenmüssen

B müsste die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben, vgl. § 280 I 2 BGB. B müsste daher gemäß § 276 I 1 BGB zumindest fahrlässig gehandelt haben. Fahrlässig handelt nach § 276 II BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.

Nicht jede Anspruchsberühmung erfolgt schon fahrlässig, wenn der Anspruch gar nicht besteht. Ob der Anspruch wirklich besteht, kann erst in einem Gerichtsprozess herausgefunden werden. Vom B (…) kann also nur verlangt werden, dass er sich nicht fahrlässig eines Anspruchs berühmt. Der BGH hat entschieden, dass eine Plausibilitätskontrolle durchgeführt werden muss. Bleibt dabei ungewiss, ob tatsächlich eine Pflichtverletzung der anderen Vertragspartei vorliegt, darf der Gläubiger die sich aus einer Pflichtverletzung ergebenden Rechte geltend machen, ohne Schadensersatzpflichten wegen einer schuldhaften Vertragsverletzung befürchten zu müssen, auch wenn sich sein Verlangen im Ergebnis als unberechtigt herausstellt. (…) Vorliegend sah sich der B (…) einer negativen Kundenbewertung ausgesetzt. Die Maßstäbe der Rechtsprechung für die Zulässigkeit solcher Bewertungen sind spätestens seit dem zitierten Urteil des BGH (…) eindeutig. Allerdings verweist auch der BGH auf eine Abwägung im Einzelfall. Rechtsprechung zu einzelnen Fällen sind dagegen nicht häufig. Zu der vorliegenden Konstellation konnten keine einschlägigen Entscheidungen gefunden werden. Es kann deshalb nicht verneint werden, dass der Beklagte sich Erfolgschancen ausmalen durfte und somit seiner Plausibilätskontrolle nachkam. Immerhin hatte der B (…) auch Argumente zu Lasten des K (…).

B handelte daher nicht fahrlässig.

4. Ergebnis

Es besteht kein Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB

II. §§ 677 ff. BGB

K könnte gegen B ein Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlichen Anwaltskosten aus dem Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677, 678 BGB zustehen. Dafür müsste B ein Geschäft des K geführt haben und dabei mit Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt haben. Dies müsste ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung geschehen sein.

Es kann zwar angenommen werden, dass der B (…) mit der Anspruchsverfolgung ein Geschäft des K (…) verfolgte, da dieser die Pflicht gehabt hätte, die Bewertung zu löschen. Nach § 678 BGB kann bei einem Übernahmeverschulden Schadensersatz verlangt werden (…). Hinsichtlich des Übernahmeverschuldens gelten aber dieselben Grundsätze wie für den Anspruch aus §§ 280 Abs. 1; 241 Abs. 2 BGB. Der B (…) durfte davon ausgehen, dass die Löschung dem Willen des K (…) entspricht, wenn er vorab eine Plausibilitätskontrolle durchgeführt hat hinsichtlich des Bestehens des Anspruchs. Dies ist vorliegend wie ausgeführt anzunehmen, weshalb kein Übernahmeverschulden vorliegt.

In einfachen Worten meint das Gericht wohl, dass die Löschung der Bewertung zwar an sich in den Pflichtenkreis des K fallen würde. Wenn also gelöscht werden müsste, dann wäre das ein Geschäft des K. Indem B auf die Löschung hinwirkt, hat er daher ohne Auftrag ein Geschäft des K verfolgt. Und in § 678 BGB ist geregelt, dass schon die Übernahme eines Geschäfts unter Umständen einen Schadensersatzanspruch auslösen kann. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Geschäftsführer (hier also B) erkennen musste, dass die Übernahme der Geschäftsführung nicht dem Willen des Geschäftsherrn (hier K) entspricht. Und für diese Frage kommt es dann wieder darauf an, ob B erkennen konnte, dass er gar keinen Anspruch auf die Löschung hat. Das haben wir schon oben geprüft.

Es besteht auch kein Anspruch des K gegen B aus §§ 677, 678 BGB.

III. Ergebnis Frage 2

K hat keinen Anspruch gegen B auf Erstattung seiner außergerichtlichen Anwaltskosten.

C. Prozessuale Themen

Auch für Prozessrechts Liebhaberinnen und Referendarinnen hat der Fall einiges zu bieten. Ursprünglich hatte K nämlich als Klageantrag zu 1) auf die Feststellung geklagt, dass B im Hinblick auf die Bewertung kein Anspruch auf Löschung zusteht. In der mündlichen Verhandlung hat B dann widerklagend u.a. beantragt, K zu verurteilen, es zu unterlassen, seine Bewertung aufrechtzuerhalten. K hat daraufhin seinen ursprünglichen Klageantrag zu 1) für erledigt erklärt.

Was hat das Gericht bezüglich des für erledigt erklärten Antrags noch geprüft und wie hat es seine Entscheidung dazu aufgebaut?

Die zulässige Klage ist hinsichtlich des für erledigt erklärten Hauptantrags begründet.
Der ursprüngliche Klageantrag Nr. 1 war ursprünglich zulässig und begründet und hat sich während der mündlichen Verhandlung erledigt. Der Klageantrag wurde in der mündlichen Verhandlung einseitig für erledigt erklärt. Nach der Klageänderungstheorie ist dies als Umstellung des Klageantrags auf Feststellung, dass sich die Sache erledigt hat, auszulegen. Dies ist nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässig.
Der ursprüngliche Antrag war zulässig.
(…)
Der ursprüngliche Antrag war begründet.
(…)
Der ursprüngliche Antrag hat sich erledigt. Nachdem der B(…) in der mündlichen Verhandlung den Leistungsantrag gestellt hat, konnte dieser nicht mehr einseitig zurückgenommen werden und das Feststellungsinteresse für die negative Feststellungsklage ist entfallen, weil der Leistungsantrag vorrangig ist (…).

D. Prüfungsrelevanz

§ 1004 BGB ist eine Anspruchsgrundlage von nicht zu unterschätzender Praxisrelevanz. Und da das Prüfungsamt seine Vorlagen in der Praxis sucht, ist auch die Prüfungs-„gefahr“ höher, als man angesichts der unscheinbaren Norm denken sollte. Für Referendar*innen gehört außerdem die einseitige Teilerledigung zu den Klausur Standards, die beherrscht werden sollten. So tief ins Prozessrecht müssen Studierende eher nicht einsteigen, aber vor einer Zusatzfrage zur Widerklage sind auch sie nicht sicher…

(AG Lörrach, Urteil vom 25.09.2023 – Az. 3 C 560/23)