Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2022, die Du kennen solltest
Wie eh und je waren die Karlsruher Richterinnen und Richter fleißig: Nicht nur am BGH, sondern auch am BVerfG wurden eine Vielzahl an spannenden Entscheidungen getroffen. Dazu haben wir eine gute und eine schlechte Nachricht, die schlechte vorweg: Die meisten davon dürften auch den Prüfer:innen bekannt sein und ihr Interesse daran geweckt haben, sie in (Examens-) Klausuren abzuprüfen. Doch nun die gute Nachricht: Wir haben uns nochmal durch die ganzen BVerfG-Fälle gewühlt und Dir die spannendsten und lehrreichsten Entscheidungen hier aufbereitet!
Wie sieht es mit der Meinungsfreiheit eines Strafgefangenen aus? Müssen Politiker:innen Beleidigungen auf Facebook hinnehmen, wo ist die Grenze? Könnte man Bundesländer zum Klimaschutz verpflichten und gilt der Schutz des Existenzminimums auch für Studierende?
BVerfG zu Facebook-Beleidigungen: Politiker:innen müssen nicht alles hinnehmen
Bereits das Frühjahr war für das BVerfG brisant, schließlich traf es im vergangenen Frühjahr eine Entscheidung, die deutschlandweit stark diskutiert wurde. Die Beschwerdeführerin der Verfassungsbeschwerde: Grünen-Politikerin Renate Künast.
Es ging um heftige Kommentare bei Facebook, die sich gegen die Politikerin Renate Künast richteten. Von „Drecksau“ war in dem sozialen Netzwerk zu lesen, „Schlampe“, Künast sei „Gehirn amputiert“ und es wurde noch schlimmer. Die Politikerin suchte Rechtsschutz vor den Berliner Zivilgerichten, sie wehrte sich insgesamt gegen 22 solcher Kommentare. Doch nur in sechs Fällen verpflichtete das LG Berlin Facebook dahingehend, Auskunft über die Nutzer:innen zu geben.
Künast kämpfte weiter und legte Verfassungsbeschwerde ein, die im Februar 2022 in Karlsruhe entschieden wurde. Mit ungewöhnlich deutlichen Worten rügten die Richter:innen dort die Entscheidung aus Berlin. Pflichtlektüre in puncto Grenze zwischen Beleidigung und Meinungsfreiheit!
BVerfG lehnt Verfassungsbeschwerde von Böhmermann ab
Eine andere Verfassungsbeschwerde einer prominenten Person wurde hingegen nicht zur Entscheidung angenommen. Dabei war auch ihr Inhalt so brisant, dass sie zu einer Staatsaffäre führte. Genauer gesagt: 24 Verse.
Vor knapp sechs Jahren trug der Satiriker Böhmermann sein „Schmähgedicht“ vor, in dem er dem türkischen Präsidenten die Grenzen der Meinungsfreiheit darstellen wollte. Das BVerfG hat 2022 einen Schlussstrich unter den Rechtsstreit gezogen – doch ohne Begründung. Wie kann das sein?
BVerfG: Können Bundesländer zum Klimaschutz verpflichtet werden?
Mit mehreren Verfassungsbeschwerden wollten Aktivist:innen die Landesregierungen zu mehr Klimaschutz bewegen. Doch anders als bei der aufsehenerregenden „Klimaklage“ aus 2021 gegen den Bund nahm das BVerfG die Beschwerden nicht zur Entscheidung an. Warum nicht?
Die Entscheidung eignet sich hervorragend für staatsorganisationsrechtliche Klausuren. Wenn es um Klimaschutz geht – wo ist der Unterschied zwischen Bund und Land? In diesem Beitrag haben wir über die Entscheidung geschrieben.
BVerfG rügt LG Berlin wegen Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit
Wenn man danach fragt, was das OLG Hamburg, das LG Köln und das LG Berlin gemeinsam haben, lautet die Antwort nun seit 2022: Eine Rüge des BVerfG. Die Karlsruher Richter:innen haben nun auch beim LG Berlin einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit festgestellt. Worum es genau geht, haben wir in diesem Beitrag für Dich aufbereitet.
BVerfG verhandelte über die Vergütung von Gefangenen
Gilt der Mindestlohn auch im Gefängnis? Strafgefangene verdienen für ihre Arbeit zwischen 1,37 Euro und 2,30 Euro die Stunde. Im Vergleich zu dem Leben „außerhalb der Gefängnismauern“ ist dies ein erheblicher Unterschied. Aber ist das verfassungsrechtlich zu rechtfertigen?
Vor dem BVerfG ging es um das Zusammenspiel zwischen dem Ziel der Resozialisierung und der Arbeit in Justizvollzugsanstalten, beziehungsweise die entsprechende Vergütung. Das BVerfG stellte dabei klar: Gefangene sind keine Arbeitnehmer:innen. Wieso dies der Fall sei, haben wir hier für Dich zusammengefasst.
BVerfG: Gilt der Schutz des Existenzminimums auch für Studierende?
Bleiben wir thematisch bei finanziellen Verhältnissen. 2022 musste das BVerfG außerdem entscheiden, ob Studierende im Härtefall von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien sind – oder nicht. Dabei hat das BVerfG seine frühere Rechtsprechung bestätigt und sich gegen eine restriktive Anwendung der Härtefallregelung in § 4 VI RBStV für einkommensschwache Personen gewandt, die nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Beitragspflicht nach § 4 I RBStV erfüllen. Was darunter genau zu verstehen ist, findest Du hier – klausurorientiert für Dich aufbereitet.
Organstreitverfahren: BVerfG zu Merkels Äußerungen bei der Wahl in Thüringen 2020
Die nächste Entscheidung war ebenfalls das Finale eines Ereignisses, das in ganz Deutschland nicht nur für Diskussionen sorgte, sondern auch zu einem politischen Beben. Das BVerfG erklärte im Sommer 2022 die Äußerungen Merkels zur Thüringer Ministerpräsidentenwahl 2020 („Causa Kemmerich“) für verfassungswidrig. Doppelt spannend: Die Entscheidung war knapp, eine Richterin gab ein Sondervotum ab. Im Ergebnis blieb Karlsruhe aber bei seiner ständigen Rechtsprechung.
Die Entscheidung wird möglicherweise beliebter Prüfungsstoff: Organstreitverfahren, Chancengleichheit, staatliches Neutralitätsgebot, Parteienprivileg, der Fall vereint die beliebten Prüfungsprobleme. Und wer gerne in der Klausur argumentieren möchte, kann sich hier außerdem unseren Beitrag zum Sondervotum der Richterin anschauen. Denn sie schrieb: „Äußerungen von Regierungspolitikern zu politischen Fragen dürften […] nicht einem Neutralitätsgebot unterliegen.“
BVerfG zur Meinungsfreiheit eines Strafgefangenen
Im Jahr 2022 traf das BVerfG gleich eine weitere Entscheidung zu Strafgefangenen: Durfte die JVA Interviews mit einem Strafgefangenen untersagen? In Rede stand nämlich ein Interview eines Insassen mit dem WDR. Der psychologische Dienst der JVA fürchtete aber, dass dies negative Auswirkungen auf die Resozialisierung haben könnte. Das BVerfG kritisierte die Entscheidung und verwies auf die Meinungsfreiheit – ebenfalls Pflichtlektüre!
BVerfG zur Masern-Impfpflicht
Unseren Karlsruher Jahresrückblick wollen wir mit der Entscheidung des BVerfG zur Masern-Impfpflicht abschließen. Wenn in den letzten Monaten und beinahe schon Jahren über das Impfen diskutiert wurde, ging es dabei überwiegend um eine Schutzimpfung gegen Covid-19. Eine Corona-Impfpflicht wurde dabei jedoch nie beschlossen. Dennoch hat das BVerfG im Jahr 2022 eine Entscheidung zur Impfpflicht getroffen – allerdings nicht gegen das Coronavirus, sondern gegen Masern. Bereits vor Ausbruch der Pandemie hatten mehrere Eltern, auch im Namen ihrer Kinder, Verfassungsbeschwerde erhoben.
In Karlsruhe wurde die Impfpflicht für Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen im vergangenen Jahr für verfassungskonform erklärt. Zwar handele es sich um mehrere Eingriffe von „wenigen“ – in seiner Abwägung fuhr das Gericht aber eine klare Linie in puncto Gesundheitsschutz für die „Vielen“. Alles weitere kannst Du genauer in unserem Beitrag zu der Entscheidung nachlesen.
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen