BVerfG zur Meinungsfreiheit eines Strafgefangenen

BVerfG zur Meinungsfreiheit eines Strafgefangenen

Darf die JVA Interviews mit einem Strafgefangenen untersagen?

Die JVA Werl untersagte einem Strafgefangenen, ein Interview mit dem WDR zu führen. Der psychologische Dienst fürchtete nämlich, dass dies negative Auswirkung auf seine Resozialisierung haben könnte. Das BVerfG kritisiert die Entscheidung und verwies auf die Meinungsfreiheit.

Worum geht es?

Strafgefangene konnten sich in der Geschichte unseres Grundgesetzes nicht immer auf ihre Grundrechte berufen, beziehungsweise konnten diese ohne gesetzliche Grundlage eingeschränkt werden. Bis in die 70er-Jahre war die herrschende Auffassung in Lehre und Rechtsprechung, dass bei Personen, die sich in einem Sonderrechtsverhältnis zum Staat befanden, deutlich einfacher Rechte beschränkt werden konnten. 1972 kippte das BVerfG richtigerweise die veraltete Auffassung.

Was für Auswirkungen dies auf den „Alltag“ von Insassen von Justizvollzugsanstalten (JVA) hat, zeigt eine aktuelle Entscheidung des BVerfG. Einem Strafgefangenen der JVA Werl wurde untersagt, einem Journalisten ein Interview zu geben. Daran äußerten die Karlsruher Richter:innen Kritik – seine Meinungsfreiheit sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Psychologischer Dienst rät ab

Der Strafgefangene hatte in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde erhoben. Aktuell verbüßt er eine mehrjährige Freiheitsstrafe wegen schwerer räuberischen Erpressung, für das Ende seiner Haft ist Sicherungsverwahrung notiert. Ein Journalist des WDR wollte mit dem Beschwerdeführer ein Interview zum Thema „Alternativen zur Strafhaft“ führen, doch dies scheiterte. Der psychologische Dienst der JVA Werl riet davon nämlich mit der Begründung ab, dass aus psychologischer Sicht das Interview nicht zu empfehlen sei. Es sei zu befürchten, dass es die narzisstische und dissoziale Persönlichkeit des Beschwerdeführers bestärken und ihn weiter vom Behandlungssetting entfernen würde. Die Anstaltsleitung lehnte die Anfrage des Journalisten daher ab.

Gegen die Ablehnung versuchte sich der Strafgefangene gerichtlich zu wehren, doch sowohl das LG Arnsberg und auch das OLG Hamm sahen die Voraussetzungen des § 25 Nr. 2 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) NRW wie die JVA als erfüllt an. Wie in anderen Strafvollzugsgesetzen der Länder ist hier eine Regelung zum Besuchsverbot zu finden. Nach § 25 Nr. 2 StVollzG NRW können unter anderem Besuche untersagt werden…

wenn […] zu befürchten ist, dass der Kontakt mit Personen, die nicht Angehörige […] sind, einen schädlichen Einfluss auf die Gefangenen hat oder ihre Eingliederung behindert […].

Nach Auffassung der Gerichte sei die Besuchsuntersagung rechtmäßig gewesen. Dafür lägen objektive Anhaltspunkte in Form der Empfehlung des psychologischen Dienstes vor. In Karlsruhe sah man das aber anscheinend anders.

BVerfG: Meinungsfreiheit des Strafgefangenen verletzt

Im Beschluss des Karlsruher Gerichts heißt es nun, dass die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers offensichtlich begründet sei. Er sei durch die Entscheidung des LG Arnsberg in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG verletzt.

Zwar könne das Grundrecht durch die allgemeinen Gesetze gemäß Art. 5 II GG beschränkt werden, wozu auch § 25 Nr. 2 StVollzG NRW gehöre. Diese müssten aber durch die Fachgerichte ausgelegt und angewendet werden, wobei stets die wertsetzende Bedeutung der Meinungsfreiheit im freiheitlichen demokratischen Staat berücksichtigt werden müsse (Stichwort: Wechselwirkungslehre).

Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügten die Erwägungen des LG Arnsberg jedoch nicht. Ihnen könne nicht entnommen werden, so das BVerfG in seinem Beschluss, dass die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers hinreichend berücksichtigt und gewichtet wurde. Vielmehr habe das Gericht es „versäumt“, § 25 Nr. 2 StVollzG NRW im Lichte der Meinungsfreiheit auszulegen.

Es könne nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass ein Interview mit einem Strafgefangenen regelmäßig dessen Eingliederung erschwere. Vielmehr müssten konkrete, objektiv fassbare Anhaltspunkte für die Befürchtung einer Behinderung der Eingliederung des Strafgefangenen dargelegt werden. Dies sei hier nicht geschehen, denn das Gericht habe sich nicht mit dem konkreten Interview befasst. Stattdessen habe es nur auf die Stellungnahme des psychologischen Dienstes verwiesen, dass bereits ein Interview als solches als negativ eingestuft habe.

Selbst wenn eine Behinderung der Eingliederung im Sinne des § 25 Nr. 2 StVollzG NRW vorliegen würde, so das BVerfG abschließend, hätte das Gericht auf der Rechtsfolgenseite sorgfältig überprüfen müssen, ob die Abwägung der JVA zwischen der Meinungsfreiheit des Strafgefangenen und der befürchteten Auswirkung auf dessen Resozialisierung ermessensfehlerhaft war. Aber auch eine solche Abwägung würde fehlen, entschieden die Karlsruher Richter:innen.

Das LG Arnsberg muss daher erneut über den Fall entscheiden. Das BVerfG hob die Entscheidung des LG und des OLG auf und verwies die Sache zurück.