BVerfG rügt LG Berlin wegen Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit

BVerfG rügt LG Berlin wegen Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit

Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung

Wenn man danach fragt, was das OLG Hamburg, das LG Köln und das LG Berlin gemeinsam haben, lautet die Antwort nun: Eine Rüge des BVerfG. Die Karlsruher Richter haben auch beim LG Berlin einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit festgestellt.

Worum geht es?

Wenn es zu einer Auseinandersetzung kommt, sollen die Kontrahent:innen dieselben Chancen haben. So etwa weiß man, dass in Westernfilmen sowohl der Sheriff als auch der Revolverheld beim Duell vor dem Saloon einen Colt im Halfter haben – wer schneller zieht, gewinnt. Dieses Bild lässt sich tatsächlich auf eine aktuelle Entscheidung des BVerfG übertragen. Denn in Karlsruhe mussten sich die Richter erneut mit der prozessualen Waffengleichheit befassen. Mit deutlichen Worten rügte das Gericht das Vorgehen des LG Berlin und nahm „den wiederholten Verstoß der Fachgerichte gegen das Gebot der Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen“ ausdrücklich „erneut zum Anlass“, auf die rechtliche Bindungswirkung seiner Entscheidungen hinzuweisen.

Presseverlag vs. prominente Antragstellerin

Der dem Verfahren zugrundeliegende Fall ist folgender: Ein Presseverlag, der nun Beschwerdeführerin ist, berichtete in Wort und Bild über eine Feier während der Corona-Pandemie im September 2020. Diese fand für das im Bau befindliche Anwesen der prominenten Antragstellerin statt. Auf mehreren Fotografien waren die Antragstellerin und ihr Lebensgefährte zu sehen, in dem Bericht wurde wegen der Pandemie kritisch über die Feier berichtet.

Die prominente Antragstellerin mahne den Verlag hinsichtlich bestimmter Teile des Artikels und der gesamten Bildberichterstattung ab. Sie forderte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, doch die Beschwerdeführerin kam der Aufforderung nicht nach. Daher stellte die Frau im Oktober 2020 beim LG Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Die Pressekammer des LG Berlin erteilte daraufhin nur der Antragstellerin einen gerichtlichen Hinweis. Außerdem gewährte sie auch nur ihr eine Gelegenheit zur Stellungnahme. Nach ihrer Erwiderung erging erneut ein gerichtlicher Hinweis – doch erneut auch wieder nur an sie. Infolgedessen nahm die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung teilweise zurück. Anschließend wurde vom Gericht „wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung“ die einstweilige Verfügung gegen den Verlag erlassen.

Der Verlag erhob Verfassungsbeschwerde. Er rügte, dass das Berliner Gericht seinen Anspruch auf prozessuale Waffengleichheit verletzt habe, indem er erst nach Erlass der Verfügung von dem Verfahren erfuhr.

Prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 I iVm Art. 20 III GG

Das Recht auf prozessuale Waffengleichheit ist ein grundrechtsgleiches Recht und resultiert aus Art. 3 I in Verbindung mit Art. 20 III GG. Und natürlich handelt es sich dabei nicht um eine Art „Recht des Stärkeren beziehungsweise Schnelleren“ wie in einem Westernfilm. Allerdings gewährleistet es eine Gleichberechtigung vor Gericht und ist eine besondere Ausprägung des Gehörsgrundsatz aus Art. 103 I GG. Durch die prozessuale Waffengleichheit bei einer einstweiligen Verfügung soll verhindert werden, dass eine der Parteien „überrascht“ wird und keine Chance zur Gegenwehr hatte.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG komme eine stattgebende Entscheidung über einen Verfügungsantrag daher grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite auch die Möglichkeit gehabt habe, auf das geltend gemachte Vorbringen zu antworten. In seinem aktuellen Beschluss weist das BVerfG ausdrücklich auf seine Rechtsprechung hin:

Ein einseitiges Geheimverfahren über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den Antragsgegner in irgendeiner Form einzubeziehen, ist mit den Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes unvereinbar.

BVerfG rügt LG Berlin

Nach diesen Ausführungen verwundert es nicht, dass das BVerfG die Verfassungsbeschwerde des Verlags als begründet ansieht. Der Beschluss des LG Berlin verletze die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem Recht auf prozessuale Waffengleichheit.

Dadurch, dass die einstweilige Verfügung ohne Einbeziehung der Beschwerdeführerin erlassen wurde, sei keine Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung gegeben. Die Hinweise des LG Berlin seien nur gegenüber der prominenten Antragstellerin geäußert worden, wodurch sie gegenüber dem Verlag einen Vorteil hatte. Eine Einbeziehung der Beschwerdeführerin durch das Gericht sei aber offensichtlich geboten gewesen.

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