BVerfG verhandelt über Vergütung von Gefangenen

BVerfG verhandelt über Vergütung von Gefangenen

Gilt Mindestlohn auch im Gefängnis?

Strafgefangene verdienen für ihre Arbeit zwischen 1,37 Euro und 2,30 Euro die Stunde. Im Vergleich zu dem Leben „außerhalb der Gefängnismauern“ ist dies ein erheblicher Unterschied. Aber ist das verfassungsrechtlich zu rechtfertigen? Das BVerfG muss entscheiden.

Worum geht es?

Jüngst wurde die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro ab Oktober 2022 beschlossen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnete diesen als „eine Frage der Leistungsgerechtigkeit und des Respekts vor ehrlicher Arbeit“. Von einer Vergütung in dieser Höhe sind die arbeitenden Strafgefangenen in deutschen Justizvollzugsanstalten jedoch weit entfernt. Ob sich dies ändern muss, wird nun vom BVerfG entschieden.

Verfassungsbeschwerden aus Bayern und Nordrhein-Westfalen

In Karlsruhe wurde in dieser Woche über die Höhe der Gefangenenvergütung verhandelt. Dass dies zeitlich mit der Erhöhung des Mindestlohns zusammenfällt, ist Zufall. Es verdeutlicht aber den Unterschied zur durchschnittlichen Vergütung eines Gefangenen, die – je nach Bundesland – zwischen 1,37 Euro und 2,30 Euro beträgt.

Grundlage für die Entscheidung des BVerfG bilden zwei Verfassungsbeschwerden zweier Strafgefangener aus Bayern und Nordrhein-Westfalen, die sich gegen die Höhe der Gefangenenvergütung wenden. Sie waren zu mehreren Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden und entsprechend ihrer Vollzugspläne in Eigen- oder Unternehmerbetrieben zur Arbeit eingesetzt.

Ob die Höhe für ihre geleistete Arbeit verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, muss nun in Karlsruhe entschieden werden. Dass dies keine einfache Entscheidung sein wird, verdeutlichen bereits die stattgefundenen Verhandlungen: Ganze zwei Tage nahm sich das Gericht Zeit, um mehrere Sachverständige aus unterschiedlichen Bereichen anzuhören. Nicht nur Anstaltsleiter:innen waren geladen, auch Kriminolog:innen und Gefangenenorganisationen wurden gehört. Zudem kamen die Auffassungen der jeweiligen Rechtsbeistände und Vertreter aus den betroffenen Bundesländern.

Dabei wird es grundlegend um das Zusammenspiel zwischen dem Ziel der Resozialisierung und der Arbeit in Justizvollzugsanstalten, beziehungsweise die entsprechende Vergütung, gehen. Muss die Vergütung angehoben werden?

Gefangene sind keine Arbeitnehmer:innen

Ausgangspunkt für diese verfassungsrechtliche Frage bildet – wie sonst auch – unser Grundgesetz. Zunächst bestimmt Art. 12 III GG, dass Zwangsarbeit (nur) bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig ist. Hinzu kommt das aus Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG resultierende Resozialisierungsgebot, dem im Strafvollzugsrecht eine tragende Rolle zukommt. Vereinfacht lässt sich sagen, dass der Faktor „Arbeit“ in Justizvollzugsanstalten eine wichtige Säule für die Resozialisierung eines Strafgefangenen sein kann. Der Staat steht nämlich verfassungsrechtlich in der Pflicht, jedem Gefangenen die Chance auf eine Resozialisierung zu bieten. Nicht bei allen, aber bei den meisten Strafgefangenen wird dies neben anderen Maßnahmen wie Therapien mit Arbeit probiert. Zu einer solchen Arbeit sind Strafgefangene über § 41 (Bundes-) Strafvollzugsgesetz (StVollzG) als Konkretisierung des Art. 12 III GG verpflichtet, wenn der jeweilige Vollzugsplan Arbeit zur Resozialisierung vorsieht.

Nach § 37 StVollzG soll die Arbeit insbesondere dem Ziel dienen, die Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern. Hinzukommen aber auch weiteren Resozialisierungsaspekte abseits der beruflichen Fähigkeiten: Die Leistungsbereitschaft soll gefördert werden, Strafgefangene sollen durch Arbeit ihre Konfliktfähigkeiten kennenlernen. Zudem soll das Bewusstsein hervorgerufen oder gestärkt werden, durch eigene Leistung eine soziale Integration erfahren zu können.

Auch in Justizvollzugsanstalten muss Arbeit vergütet werden (§ 43 StVollzG). Strafgefangene gelten jedoch nicht als Arbeitnehmer:innen, sodass sie nicht unter den Anwendungsbereich des Mindestlohns fallen – es handelt sich ja um eine Maßnahme der Resozialisierung und um keine Arbeit auf Grundlage eines Arbeitsvertrags im Sinne von § 611a BGB. Nur eine der Folgen ist es, dass die Strafgefangenenvergütung daher erheblich geringer ausfällt. Seit 2011 beträgt die Berechnungsgrundlage neun Prozent des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller gesetzlich Rentenversicherten (§ 18 II SGB IV).

Arbeit wertvoller als Lohn?

Diese Rechtslage über die Vergütung existiert nun seit 20 Jahren, als sich das BVerfG zuletzt mit der Thematik auseinandersetzen musste. In welche Richtung die Karlsruher Richter:innen diesmal tendieren, ist unklar. Die Ländervertreter wiesen in der Verhandlung zumindest daraufhin, dass nach ihrer Einschätzung für die Gefangenen der Lohn eher eine untergeordnete Rolle spiele. Vielmehr stelle das Arbeiten als solches bereits einen Mehrwert dar, etwas, weil sie dadurch ihre Zellen für einen längeren Zeitraum verlassen und mit Mitgefangenen in Kontakt kommen können.

Anders sahen dass die Prozessvertreter:innen der Beschwerdeführer, die auf bekannte Problematiken der geringen Vergütung aufmerksam machten: Durch die niedrige Vergütung könnten hohe Gerichtskosten nicht beglichen werden. Außerdem sei eine Opfer-Wiedergutmachung mit einer solchen geringen Vergütung nicht zu leisten, weshalb auch die Opfer der bestraften Tat unter der Rechtslage leiden würden. Auch andere Schulden oder Unterhalt an Partner:innen könnten so nicht geleistet werden.

170 Euro Haftkosten pro Tag

Unabhängig davon dürften auch die Kosten für den Staat eine Rolle spielen. Die Vertreter aus Bayern und Nordrhein-Westfalen argumentierten, dass einer Erhöhung der Vergütung auch insbesondere Kostengründe entgegenstehen würden. Caroline Ströttchen aus dem nordrhein-westfälischen Justizministerium sagte, dass ein Haftplatz pro Tag knapp 170 Euro kosten würde. Dies müsse bei der Höhe der Vergütung berücksichtigt werden, denn an diesen Kosten seien die Gefangenen nicht beteiligt.

Hinzu komme, dass das Produktivitätsniveau zwischen Gefangenen und Arbeitnehmer:innen nicht vergleichbar und eine Anhebung der Gefangenenvergütung daher auch nicht gerechtfertigt sei, sagte Dr. Marc Meyer aus dem bayerischen Justizministerium. Gefangenenarbeit würde sich rein wirtschaftlich nicht rechnen – in Bayern stünden Ausgaben in Höhe von rund 500 Millionen Euro nur 34 Millionen Einnahmen aus der Gefängnisarbeit gegenüber.

BVerfG entscheidet in ein paar Monaten

Wie das BVerfG voraussichtlich in ein paar Monaten entscheiden wird, ist unklar. Experten schätzen aber, dass keine beziehungsweise keine deutliche Anhebung der Gefangenenvergütung zu erwarten sei. Denkbar könnte aber eine verfassungsrechtliche Anforderung des BVerfG sein, dass die Vergütung zukünftig transparenter gestaltet werden müsse. Bislang seien auf den Gehaltszetteln der Gefangenen etwa keine Angaben zu Kosten genannt, die die jeweilige Anstalt für den Betroffenen aufbringt.

Außerdem sei an den beiden Verhandlungstagen viel über den Kostenfaktor der Maßnahme gesprochen worden. Dieser müsse auch weiterhin berücksichtigt werden, wenn es nach den Vertretern der Länder geht, um die Resozialisierung als Hauptziel der Maßnahme nicht zu gefährden. Wenn das BVerfG eine Entscheidung getroffen hat, werden wir Dir davon berichten.

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