BVerfG zur Masern-Impfpflicht

BVerfG zur Masern-Impfpflicht

Zielgerichtete Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, aber trotzdem verfassungskonform?

Das BVerfG hat die Impfpflicht für Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen für verfassungskonform erklärt. Zwar handele es sich um mehrere Grundrechtseingriffe von „wenigen“ – in seiner Abwägung fuhr das Karlsruher Gericht aber eine klare Linie in puncto Gesundheitsschutz für die „Vielen“.

Worum geht es?

Wenn in den letzten Monaten über das Impfen diskutiert wurde, ging es dabei um eine Schutzimpfung gegen Covid-19. Eine Corona-Impfpflicht wurde dabei jedoch nie beschlossen. Dennoch hat das BVerfG nun eine Entscheidung zur Impfpflicht getroffen – allerdings nicht gegen das Coronavirus, sondern gegen Masern. Bereits vor Ausbruch der Pandemie hatten mehrere Eltern, auch im Namen ihrer Kinder, Verfassungsbeschwerde erhoben.

Impfpflicht für Kinder seit 2020

Im März 2020 trat in Deutschland die Impfpflicht gegen Masern in Kraft. Nach § 20 VIII 1 Nr. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) müssen unter anderem Personen, die in einer Gemeinschaftseinrichtung wie einer Kita oder bei einer Tagesmutter betreut werden sollen, einen ausreichenden Impfschutz oder eine Immunität gegen Masern nachweisen oder belegen, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden können. Eine weitere Ausnahme gibt es nicht, sprich: Wird kein derartiger Nachweis vorgelegt, dürfen sie nicht in einer Gemeinschaftseinrichtung betreut werden.

Gegen diese Regelung wendeten sich einige Eltern und minderjährige Beschwerdeführende. Letztere konnten in den Fällen gerade keinen Nachweis im Sinne des IfSG erbringen und sind daher von der Betreuung in einer Gemeinschaftseinrichtung ausgeschlossen. Mit ihren Verfassungsbeschwerden greifen sie daher die gesetzlichen Vorschriften des IfSG an, da sie sich dadurch zum einen in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II 1 GG – dies betrifft die minderjährigen Beschwerdeführenden – verletzt sehen. Zum anderen würde in unverhältnismäßiger Weise in das Elternrecht aus Art. 6 II 1 GG eingegriffen.

BVerfG: Schutzbereiche berührt, aber…

In Karlsruhe wurde nun entschieden, dass die zulässigen Verfassungsbeschwerden keinen Erfolg haben. Beginnend in seinem Beschluss zur Masern-Impfpflicht stellte es fest, dass die beanstandeten Regelungen des IfSG in mehrfacher Hinsicht in Grundrechte eingreifen würden. Bei den Eltern beziehe sich dies auf ihr Elternrecht aus Art. 6 II 1 GG: Würden sie ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen, könnten sie nicht mehr dem Wunsch einer kindlichen Gemeinschaftsbetreuung nachgehen. Dabei sei dies verfassungsrechtlich durch ihre elterliche Entfaltungsfreiheit geschützt.

Außerdem werde durch die Regelungen des IfSG in den Schutzbereich von Art. 2 II 1 GG eingegriffen, soweit es um die beschwerdeführenden Kinder geht. Der Erste Senat führte aus, dass eine Masernschutzimpfung durch das Einbringen eines Stoffes und durch die damit verbundenen möglichen Nebenwirkungen auf die körperliche Integrität der Kinder einwirke. Das BVerfG sprach in diesem Zusammenhang auch von einem „intendierte[n] Druck“ des Gesetzgebers auf die Eltern: Zwar müssen diese ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen – das IfSG sieht nämlich keine Impfpflicht vor. Doch dann gehe den Eltern etwa ein Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (§ 24 SGB VIII) verloren. Wird eine frühkindliche Betreuung jedoch von den Eltern gewünscht, gehe von den Regelungen des IfSG ein starker Anreiz aus, die Impfung vornehmen zu lassen, so das BVerfG – und damit auf die körperliche Unversehrtheit der Kinder (durch die Impfung) einzuwirken.

Dieser vom Gesetzgeber intendierte Druck auf die Eltern, die Gesundheitssorge für ihre Kinder in bestimmter Weise auszuüben, kommt in seiner Wirkung dem unmittelbaren Eingriff in Art. 2 II 1 GG gleich.

…Eingriffe aufgrund Gesundheitsschutz zumutbar

Allerdings seien die Eingriffe in die genannten Grundrechte verfassungsrechtlich allein bei verfassungskonformer Auslegung von § 20 VIII 3 IfSG gerechtfertigt. Dann genügten sie den Anforderungen des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts und seien im verfassungsrechtlichen Sinn verhältnismäßig. Und dies sei hier der Fall – die Verfassungsbeschwerden haben damit keinen Erfolg.

In Karlsruhe wurde insbesondere auch auf die Art des Impfstoffes eingegangen. Es handele sich nämlich tatsächlich nicht um einen Mono-, sondern um einen Kombinationsimpfstoff. Wenn Kinder gegen Masern geimpft werden, werden sie über den Mehrfachimpfstoff tatsächlich zugleich auch gegen Mumps, Röteln und Windpocken geschützt. Nach dem IfSG sei dies zulässig. Und auch das BVerfG hält die weiteren Impfstoffkomponenten für zulässig, aber auch als Grenze. Eine verfassungsgemäße Auslegung würde ergeben, dass die Pflicht zum Nachweis einer Masernimpfung nur dann gelten könne, wenn keine weiteren Impfstoffkomponenten als die gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken enthalten seien.

Darüber hinaus seien die Regelungen aus dem IfSG zur Masernimpfung verhältnismäßig. Das BVerfG betonte hier insbesondere den verfassungsrechtlich legitimen Zweck, vulnerable Personen vor einer für sie gefährlichen Masernerkrankung zu schützen. Die Impfung vieler könne die wenigen schützen und so die Anzahl der Infektionen gering halten. Für die Beschwerdeführenden sei eine Impfung daher zumutbar. Das Gericht stellte eine Abwägung zwischen der körperlichen Unversehrtheit der Kinder und dem Elternrecht mit der Gesundheit und dem Leben einer Vielzahl von Menschen an und stellte fest, dass aus Art. 2 II 1 GG eine Schutzpflicht des Staates folgen kann, die auch eine Risikovorsorge gegen Gesundheitsgefährdungen umfasse. Bei Masern handele es sich um eine Erkrankung mit Risiken zu schweren Verläufen – dies sei eine beträchtliche Gefährdung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit Dritter. Zudem habe die Krankheit eine hohe Übertragungsfähigkeit und dadurch eine hohe Ansteckungsgefahr.

Demgegenüber habe die Masernimpfung in der Regel nur milde Symptome und Nebenwirkungen zur Folge. Außerdem können alle Eltern, die ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen wollen, auch eine Betreuung im privaten Bereich selbst organisieren. Dies bleibe auch ohne Impfung weiterhin möglich. Im Ergebnis heißt es daher:

Trotz der nicht unerheblichen Eingriffe in […] Art. 2 II 1 GG und […] Art. 6 II 1 GG konnte der Gesetzgeber der Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit durch eine Masernerkrankung gefährdeter Personen den Vorrang einräumen.

Die Impfpflicht für Kinder gegen die Masern ist damit verfassungskonform. Die Verfassungsbeschwerde wurden abgewiesen.