Sind Studierende im Härtefall von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien? Liegt andernfalls ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor?
Das BVerfG hat in seiner dargestellten Entscheidung seine frühere Rechtsprechung bestätigt und sich gegen eine restriktive Anwendung der Härtefallregelung in § 4 Abs. 6 RBStV für einkommensschwache Personen gewandt, die nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Beitragspflicht nach § 4 Abs. 1 RBStV erfüllen.
A. Sachverhalt
Dem Beschwerdeführer (Bf) wurde vom WDR die Befreiung von der Rundfunkbeitrags- pflicht als Härtefall verweigert. Der Bf zog in der Abschlussphase seines Studiums im März 2013 in die elterliche Wohnung zurück. Für diese Wohnung wurde kein Rundfunkbeitrag erhoben, da die Eltern Arbeitslosengeld II bezogen. Der Bf stellte einen Antrag auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht als besonderer Härtefall; er erhalte wegen Überschreitung der Förderungshöchstdauer keine Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und bestreite seinen Lebensunterhalt vorübergehend aus einem Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Diesen Antrag lehnte der WDR ab, weil die Voraussetzungen für eine Härtefallbefreiung nicht vorlägen. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde vom WDR als unbegründet zurückgewiesen. Dem Bf stehe nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Rundfunkstaatsvertrag (RBStV) kein Befreiungsanspruch zu. § 4 Abs. 6 Satz 1 stelle keinen pauschalen Auffangstatbestand dar; eine Befreiung könne nur bei einem atypischen Sachverhalt gewährt werden. Dieser liege nicht vor; der Gesetzgeber habe bei der Verabschiedung des § 4 Abs. 1 RBStV den Personenkreis der Studenten, die auf BAföG-Leistungen keinen Anspruch mehr hätten, gekannt. Der Beschwerdeführer habe auch deswegen keinen Anspruch nach § 4 Abs. 1 Nr. 5a, weil er bei seinen Eltern wohne. Der Beschwerdeführer könne sich exmatrikulieren lassen, um einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu haben. Wenn er zur Unterbrechung seiner Ausbildung nicht bereit sei, liege auch kein besonderer Härtefall vor. Es sei dem Bf zuzumuten, sich entweder selbst zu helfen oder von der Ausbildung vorübergehend Abstand zu nehmen.
Die vom Bf erhobene Klage wies das VG Münster mit Urteil vom 20. Juli 2015 zurück. Die Ablehnung der Befreiung sei rechtmäßig und verletze den Kläger (Bf) nicht in seinen Rechten. Die Befreiung der Eltern für ihr Wohnung erstrecke sich nicht auf ihn, da er volljährig sei (§§ 4 Abs. 3, 2 Abs. 2 Satz 1 i.V. m. 2 Abs. 1 RBStV). Der Bf sei auch kein besonderer Härtefall, eine bloße Einkommensschwäche führe nicht zu einer Befreiung. Fälle, die vom Normbereich des § 4 Abs. 1 RBStV erfasst würden, seien nicht als Härtefall zu bewerten. Für einen Härtefall sei es grundsätzlich erforderlich, dass ein Antragsteller zunächst einen Antrag auf Gewährung sozialrechtlicher Leistungen stelle, dessen Ablehnung der Rundfunkanstalt vorgelegt werden müsse.
Das OVG für das Land Nordrhein-Westfalen lehnte den Antrag des Bf, die Berufung gegen das verwaltungsrechtliche Urteil zuzulassen und ihm hierfür Prozesskostenhilfe zu bewilligen, mit Beschluss vom 9. Oktober 2018 ab.
Der Berufungszulassungsantrag nach § 124 Abs. 2 Nr. 1-3 VwGO habe keinen Erfolg. Es fehle bereits an einer Auseinandersetzung mit der (damals) einschlägigen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung. Das BVerwG habe in seinem Urteil vom 12. Oktober 2012 (AZ 6C34.10) geklärt, dass es Studenten, die aus persönlichen Gründen keinen Anspruch auf BAföG Leistungen hätten, zuzumuten sei, ihren Lebensunterhalt außerhalb des Sozialsystems zu sichern. Das System der bescheidgebundenen Befreiung begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das VG habe den Bf zu Recht darauf verwiesen, zunächst einen Härtefallantrag bei der zuständigen Sozialbehörde nach § 27 Abs. 4 SGB II bzw. nach § 22 Abs. 1 SGB XII zu stellen.
Das BVerwG hat nach Abschluss des Verfahrens des Bf seine Rechtsprechung zur Anwendung der rundfunkbeitragsrechtlichen Härtefallklausel geändert (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019, 6C 10.18); die bisherige Rechtsprechung zur Härtefall- klausel (vgl. Urteil vom 12. Oktober 2011 aaO) wurde teilweise aufgegeben.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Bf eine Verletzung seines Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG und von Art. 3 Abs.1 GG. Den angegriffenen Entscheidungen läge eine falsche Rechtsauffassung von der Anwendbarkeit der Härtefallklausel des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV zu Grunde. Die von den Verwaltungsgerichten bestätigte Verpflichtung zur Zahlung des Rundfunkbeitrags aus einem Einkommen in Höhe bzw. unterhalb der sozialrechtlichen Regelsätze verletze ihn in seinem Existenzminimum und im Vergleich zu anderen von der Beitragspflicht befreiten Personen in Art. 3 Abs. 1 GG.
B. Gründe
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2b, § 93b Satz 1, §93c Abs.1 Satz 1 BVerfGG zur Entscheidung angenommen und ihr auch stattgegeben, um dem Bf zur Durchsetzung seines Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG zu verhelfen.
I. Entscheidungen des BVerfG zu den verfassungsrechtlich maßgebenden Fragen
Das BVerfG weist darauf hin, dass es die für die Bewertung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits vor 10 Jahren in zwei Beschlüssen zum Schutz des Existenzminimums (Art 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG) entschieden (Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. November 2011, 1 BvR 3269/08, BVerfGK 19 181,184) und festgestellt hat, dass ein Einkommen in Höhe der sozialrechtlichen Regelleistungen nicht zur Begleichung der Rundfunkbeiträge eingesetzt werden muss. Die insoweit versagte Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
II. Zulässigkeit und Erfolg der Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde für zulässig erachtet, soweit der Bf eine Verletzung von Art. 3 Abs.1 GG rügte.
Insoweit hat die Verfassungsbeschwerde auch Erfolg. Der WDR, das VG und das OVG haben ihre Entscheidungen auf ein Verständnis der rundfunkbeitragsrechtlichen Härtefallklausel gestützt, dass der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 1 GG und dem Schutz des Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG widerspricht und daher den Bf in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs.1 verletzt. Die nachfolgenden Punkte sind für die Entscheidung des BVerfG maßgebend:
1. Schutz des Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG
Aus der Gewährleistung des Existenzminimums folgt, dass ein den sozialrechtlichen Regelleistungen entsprechendes oder dieses noch unterschreitendes Einkommen nicht zur Begleichung von Rundfunkbeiträgen eingesetzt werden muss. Die Regelleistungen gewährleisten nicht nur die physische Existenz, sondern auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (BVerfGE 125, 175, 228; 152, 68, 113).
2. Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gelte auch für ungleiche Begünstigungen. Einen gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem einem Personenkreis eine Begünstigung gewährt, einem anderen Personenkreis die Begünstigung vorenthalten werde, sei daher verboten (vgl. BVerfGE 110, 412, 431; 121, 108, 119).
Dies sei beim Bf geschehen; durch die versagte Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht werde er gegenüber solchen Personen benachteiligt, die gemäß § 4 Abs. 1 RBStV von der Beitragspflicht befreit sind, weil sie einen Anspruch auf Sozialleistungen haben und diese Sozialleistungen nicht zur Begleichung des Rundfunkbeitrags aufwenden müssen. Beide Personengruppen seien hinsichtlich ihrer finanziellen Bedürftigkeit vergleichbar, da das ihnen zur Verfügung stehende Einkommen der Höhe nach gleich ist. Nach dem Vortrag des Bf sei davon auszugehen, dass sein Einkommen in dem streitgegenständlichen Zeitraum unterhalb der sozialrechtlichen Regelsätze lag.
Der Schlechterstellung des Bf beruhe auf keinem sachlichen Grund nach Art. § 3 Abs.1 GG. Die im RBStV, insbesondere in § 4 Abs. 1 vorgesehene Möglichkeit, aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität zu generalisieren und zu typisieren, stellt nach Auffassung des BVerfG keinen sachlichen Grund dar. Ein solcher wäre allenfalls gegeben, wenn die mit der Typisierung verbundene Härte nur unter Schwierigkeiten vermeidbar und der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht intensiv wäre.
Beides sei hier nicht der Fall; der Rundfunkbeitrag stelle für Personen mit einem Einkommen in Höhe der sozialrechtlichen Regelsätze eine intensive Belastung dar.
Die Rundfunkanstalten seien deshalb verpflichtet, bei der Anwendung der Härtefallklausel bei einem einkommensschwachen Beitragsschuldner eine Bedürftigkeitsprüfung durchzuführen, auch wenn § 4 Abs. 1 RBStV diese gerade vermeiden wollte (BVerwG, Urteil v. 30. Oktober 2019 6C 10.18, Rn 26f ).
Nach der maßgeblichen Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG und der Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht als Härtefall reiche es für eine Befreiung, wenn ein Betroffener nur über ein Einkommen in Höhe der sozialrechtlichen Regelsätze (oder darunter) verfüge und er auch nicht auf sonstiges Vermögen zurückgreifen könne. Der Betroffene müsse nicht die Tatbestandsvoraussetzungen der in § 4 Abs. 1 RBStV katalogisierten Bedürftigkeitsgruppen erfüllen. Ob dies der Fall ist, muss die Rundfunkanstalt im Rahmen der Härtefallprüfung feststellen. Das BVerfG hat die Sache zur Prüfung an das VG zurückverwiesen.
Anmerkungen
Das BVerfG hat in seiner dargestellten Entscheidung seine frühere Rechtsprechung (s. Beschluss vom 30. November 2011, 1 BvR 3269/08; 1 BvR 656/10) bestätigt und sich gegen eine restriktive Anwendung der Härtefallregelung in § 4 Abs. 6 RBStV für einkommensschwache Personen gewandt, die nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Beitragspflicht nach § 4 Abs. 1 RBStV erfüllen.
Zwei Punkte sind hier wesentlich:
1.) Der Schutz des Existenzminimums gemäß Art. 1 Abs. 1 GG, der durch die sozialrechtlichen Leistungen (Sozialhilfe) gewährt wird, gebietet es, dieses geringe Einkommen nicht zur Begleichung von Rundfunkbeiträgen verwenden zu müssen.
2.) Es verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn ein Personenkreis von einer Begünstigung ausgeschlossen wird, die einem anderen Personenkreis mit gleich niedrigem Einkommen gewährt wird, ohne dass es hierfür einen sachlichen Grund gibt. Eine aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität vorgenommene Typisierung stellt allein keinen sachlichen Grund dar. Entscheidend ist allein die finanzielle Bedürftigkeit der Personengruppen.
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