Organstreitverfahren: BVerfG zu Merkels Äußerungen bei Wahl in Thüringen 2020

Organstreitverfahren: BVerfG zu Merkels Äußerungen bei Wahl in Thüringen 2020

BVerfG: Mer­kels Äuße­rungen zur Thüringen-Wahl 2020 waren ver­fas­sungs­widrig

Das BVerfG erklärte die Äußerungen Merkels zur Thüringer Ministerpräsidentenwahl 2020 für verfassungswidrig. Allerdings war die Entscheidung knapp, eine Richterin gab ein spannendes Sondervotum ab. Im Ergebnis bleibt Karlsruhe aber bei seiner ständigen Rechtsprechung.

Worum geht es?

Zweieinhalb Jahre ist es her, dass die Wahl in Thüringen für Furore sorgte. Als „Causa Kemmerich“ wurde sie bekannt, in der der FDP-Kandidat mit Stimmen der CDU und AfD überraschend zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Nicht nur in ganz Deutschland wurde über die Ereignisse diskutiert, auch in Südafrika wurde die Wahl während einer Pressekonferenz kritisch kommentiert – von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das BVerfG hat nun entschieden, dass ihre damaligen Äußerungen verfassungswidrig gewesen seien. Die AfD hatte in dem Organstreitverfahren Erfolg.

„Causa Kemmerich“

Bei der Thüringer Wahl zum Ministerpräsidenten im Februar 2020 wurde der FDP-Politiker Thomas Kemmerich überraschend im dritten Wahlgang gewählt. Dies war nur durch Stimmen der AfD möglich und Kemmerich war damit der erste Ministerpräsident, der mithilfe der AfD das Amt erlangen konnte. Um die Wahl des FDP-Politikers zu ermöglichen, hatte die AfD geschlossen gegen ihren eigenen Kandidaten und für Kemmerich gestimmt.

Während in Deutschland viele die Annahme der Wahl durch Kemmerich als „Dammbruch nach rechts“ bezeichneten, äußerte sich die damalige Bundeskanzlerin bei einem Treffen mit dem südafrikanischen Präsidenten. Bei einer Pressekonferenz bezeichnete sie den Wahlvorgang als „unverzeihlich“, der mit einer „Grundüberzeugung gebrochen“ habe, „dass keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Weiter verlangte sie, dass das Ergebnis „rückgängig gemacht werden muss“.

*Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. *

Gegen ihre Aussagen ging die AfD im Wege eines Organstreitverfahrens vor den Karlsruher Richter:innen vor. Die Partei brachte vor, Merkel habe ihre Amtsautorität für parteipolitische Äußerungen missbraucht und dabei die Chancengleichheit der AfD verletzt. Zudem habe sie in rechtswidriger Weise staatliche Ressourcen genutzt, da ihre Aussagen auf den Online-Auftritten der Kanzlerin und der Bundesregierung zu sehen waren.

BVerfG: „Die Anträge sind begründet“

Schon damals stellte sich die Frage, ob sich die Bundeskanzlerin mit ihren Äußerungen noch im rechtlichen Rahmen bewegte oder nicht. Schließlich hat das BVerfG bereits andere Entscheidungen zur Chancengleichheit und dem staatlichen Neutralitätsgebot getroffen, wie etwa in einem Verfahren der AfD gegen den damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer.

Nun haben die Karlsruher Richter:innen rund ein Jahr nach der mündlichen Verhandlung über die Äußerungen Merkels entschieden und den Anträgen der AfD stattgegeben. Durch ihre Äußerungen zur Wahl in Thüringen habe sie die AfD in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 I 1 GG verletzt. In dem Urteil heißt es, Merkel hat mit ihren Aussagen in amtlicher Funktion die Partei negativ qualifiziert und damit in einseitiger Weise auf den Wettbewerb der politischen Parteien eingewirkt. Sie habe sich gerade nicht als Parteipolitikerin geäußert, sondern als Bundeskanzlerin. Um verfassungsgemäß zu agieren, hätte sie konkret deutlich machen müssen, dass sie sich nicht amtlich, sondern als Parteipolitikerin beziehungsweise als Privatperson äußere. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, so das BVerfG.

Zudem sei der Eingriff in Art. 21 I 1 GG nicht durch den Auftrag der Bundeskanzlerin zur Wahrung der Stabilität der Bundesregierung sowie des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft gerechtfertigt, stellte das BVerfG fest. Weiter handele es sich auch nicht um eine zulässige Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung.

BVerfG bleibt bei seiner Rechtsprechung

Damit bleibt das BVerfG im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung. Aufgrund der verfassungsrechtlich gesicherten Chancengleichheit müssen alle Parteien im politischen Wettbewerb die gleichen Chancen haben. Ein Konfliktpunkt dabei ist die parteipolitische Neutralität von Regierungsmitgliedern und der Bundesregierung als solcher, einschließlich der Bundeskanzlerin beziehungsweise des Bundeskanzlers. Diese hätten – so die ständige Rechtsprechung des BVerfG – das Neutralitätsgebot so weit zu beachten, dass sie in ihrer Funktion nicht in den politischen Wettbewerb der Parteien eingreifen dürfen. Als Staatsorgan habe man sich neutral zu verhalten.

Knappe Entscheidung und Sondervotum

Dass man in Karlsruhe bei seiner ständigen Rechtsprechung in puncto Neutralitätsgebot geblieben ist, war nicht selbstverständlich. Im Gegenteil, es stand sogar fast „auf der Kippe“. Denn die Richter:innen des Zweiten Senats votierten in dem Organstreit mit 5:3 – bei Gleichstand wären die Anträge der AfD abgelehnt worden. Besonders spannend ist dabei ein Sondervotum der Richterin Prof. Dr. Astrid Wallrabenstein:

Die Bundeskanzlerin hat keinen Verfassungsverstoß begangen. Äußert sie sich zu politischen Fragen, unterliegt der Aussageinhalt keiner Neutralitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht.

Ihrer Auffassung nach sei die ständige Rechtsprechung des BVerfG – sie selbst ist seit zwei Jahren in ihrem Amt – zu den Maßstäben des Neutralitätsgebot von politischen Amtsträger:innen aufgrund ihrer Doppelrolle als Regierungspolitiker:innen und Parteipolitiker:innen verfehlt. Dies begründete sie damit, dass Bürger:innen von den Mitgliedern der Bundesregierung nur begrenzt eine Neutralität erwarten würden – nämlich insoweit, als sie Funktionen der Fachverwaltung ausüben. Aber:

Regierungsarbeit ist politisch und in einer Parteiendemokratie parteipolitisch geprägt.

Äußerungen von Regierungspolitikern zu politischen Fragen dürften daher nicht einem Neutralitätsgebot unterliegen. Eine Einschränkung dessen würde sogar nach Wallrabenstein der demokratischen Willensbildung und ihrer Realisierung im parlamentarischen Regierungssystem schaden.

Ihre Rechtsauffassung konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Es bleibt damit bei der ständigen Rechtsprechung des BVerfG, wodurch Politike:innen mit Regierungsverantwortung stets ihre Doppelrolle berücksichtigen müssen. Es müsse immer klar sein, ob sich die Person gerade als Amtsträger:in oder Parteipoltiker:in äußert – oder nicht.

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