
OLG Zweibrücken zur Aufklärungspflicht über Veränderung der Statik beim Hauskauf
In dieser Entscheidung vom 27.09.2024 (Az. 7 U 45/23) befasst sich das OLG Zweibrücken mit der Anfechtung eines Grundstückskaufvertrags wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB. Im Zentrum steht die Frage, ob bauliche Veränderungen an der Statik eines Hauses auch ohne Kenntnis der konkreten Mängel aufklärungspflichtig sind – und welche rechtlichen Konsequenzen sich bei vorsätzlichem Verschweigen ergeben. Dieser Fall ist wie gemacht für Deine nächste Zivilrechtsklausur. Wir haben Dir die Entscheidung daher klausurrelevant aufbereitet und geben Dir wertvolle Tipps rund um die Arglist in Deiner Klausur.
Hauskauf mit böser Überraschung - Der Fall im Überblick
M verkaufte mit notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 31.07.2015 sein Hausgrundstück in Hanglage zu einem Kaufpreis von 440.000,00 Euro an G. Aufgrund dieses Kaufvertrages entstanden dem G Nebenkosten für Notar-, Grundbuch-, und Maklergebühren in Höhe von 48.400,00 Euro.
M selbst lebte ca. 10 Jahre in dem Haus und nahm seinerseits verschiedene bauliche Änderungen an diesem Haus vor. Insbesondere ließ er die tragenden Trennwände im 1. OG entfernen. Die Decke wurde dann stattdessen durch Einbringung zweier Eisenträger abgestützt. Diese Deckenkonstruktion war nicht dauerhaft tragfähig. Zur vorübergehenden Stützung der Stahlträger baute die Baufirma deshalb Stahlsprieße ein. Anschließend verdeckten sie diese Stahlträger mit einer Verblendung.
Die Bauarbeiten ließ M durch eine polnische Baufirma durchführen. Im Anschluss an die Arbeiten erhielt M allerdings keinen Nachweis über die statische Tragfähigkeit der eingebauten Stahlträgerkonstruktion. Er holte sich einen solchen Nachweis auch nicht eigenständig ein. Über diese Umbauarbeiten informierte M den G während der Kaufvertragsverhandlungen nicht.
Vor Abschluss des Kaufvertrages besichtigte G, der selbst Immobilienmakler und Sachverständiger für Immobilienbewertung ist, das Anwesen mehrfach. Zusätzlich holte sich G Hilfe von einer Architektin und Sachverständige für Bauschäden. Das Gebäude war vollständig zugänglich. Insbesondere hatte G auch Gelegenheit, die Leitungen im Haus zu begutachten.
Nach Abschluss des Kaufvertrages nahm G umfangreiche Umbaumaßnahmen in dem Haus vor. Erst in diesem Zug bemerkte er, dass die vorhandene Trägerkonstruktion im Bereich des Daches und des 1. OG unzulässig und nicht dauerhaft tragfähig war.
Außerdem kamen mehrere Feuchtigkeits- und Leitungsschäden zum Vorschein. Zudem entdeckte G, dass das Garagendach undicht war und die Außenfassade an einigen Stellen rissig war. Daraufhin holte G ein Gutachten ein, welches die festgestellten Mängel auf knapp 162.000,00 Euro schätzte.
G ist der Überzeugung, dass M zwingend hätte auffallen müssen, dass die eingebaute Trägerkonstruktion unzulässig sei und ihn zumindest über die eigenen Umbaumaßnahmen hätte aufklären müssen. Außerdem habe er die anderen Mängel arglistig verschwiegen.
Daher hat G seine auf den Kaufvertrag gerichtete Willenserklärung angefochten und forderte die Erstattung der Kosten für die Mängelbeseitigung von M. M ging hierauf allerdings nicht ein. Daher hat G Klage vor dem LG Zweibrücken erhoben und u.a. beantragt, M zur Erstattung der Kosten für die Mängelbeseitigung zu verurteilen. Hilfsweise hat er beantragt,
“den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 498.600,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Rückübertragung des Hausanwesens … eingetragen im Grundbuchamt des Amtsgerichts … Blatt … mit dem Flurstücken …(laufende Nummer 1).”
Das Landgericht Zweibrücken gab der Klage im Hilfsantrag statt, woraufhin M Berufung vor dem OLG Zweibrücken einlegte.
Klausurtipp
Bei der Rückabwicklung eines gegenseitigen Vertrages musst Du darauf achten, dass die Rückgewährung der jeweiligen Vertragsleistungen der Parteien Zug um Zug beantragt wird gemäß § 322 I BGB. Dies ist aus zwei Gründen relevant:
1. Der Klagegegner kann ansonsten ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 320 BGB an seiner Gegenleistung geltend machen.
2. Eine Vollstreckung eines gegenseitigen Vertrages kann gemäß § 756 I ZPO nur dann erfolgen, wenn eine Zug um Zug-Verurteilung erfolgt ist. Beachte, dass eine Zug um Zug-Verurteilung nicht von Amts wegen ausgesprochen wird, sondern nur auf Antrag.
Täuschung durch Schweigen - Warum das OLG die Anfechtung bestätigte
Das OLG bestätigte das Urteil des LG. Da G den Kaufvertrag wirksam wegen einer arglistigen Täuschung gemäß § 123 I BGB angefochten habe, stehe ihm ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gemäß §§ 142, 812 I 1 Var. 1 BGB zu. Das heißt, dass er einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübertragung und Herausgabe des Hausanwesens hat. Dies ergebe sich daraus, dass M den Kaufpreis gemäß § 812 BGB ohne Rechtsgrund erhalten habe.
Im Mittelpunkt des Falls steht die Frage, ob M eine arglistige Täuschung dadurch begangen hat, dass er verschwiegen hat, dass er im Rahmen von Umbauarbeiten die tragenden Wände im 1.OG und die Decke hat entfernen lassen. Positive Kenntnis von der Unzulässigkeit der Stahlträgerkonstruktion hatte er selbst nämlich auch nicht. Im Raum steht also eine arglistige Täuschung durch Unterlassen.
Pflicht zur Offenlegung - Was gilt bei Eingriffen in die Statik eines Hauses?
M kann eine arglistige Täuschung durch Unterlassen nur dann begangen haben, wenn ihn eine Aufklärungspflicht bzgl. der Umbauarbeiten trifft. Das OLG bejahte eine solche Aufklärungspflicht. Eine solche Aufklärungspflicht bestehe laut Gericht immer dann, “*wenn der andere Vertragsteil eine entsprechende Aufklärung nach Treue und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise erwarten durfte.*”
Bei den streitgegenständlichen Umbaumaßnahmen (Entfernung der Wände und Ersetzung durch eine Stahlträgerkonstruktion) handele es sich um einen offenbarungspflichtigen Umstand, den M ungefragt hätte offenlegen müssen. Das Gericht stützt seine Begründung im Wesentlichen auf folgende Aspekte:
Es handele sich um “einen Eingriff in die ursprüngliche, ordnungsgemäße Statik eines Gebäudes, [der] angesichts der möglichen Folgen (…) einen ganz wesentlichen Vorgang” darstelle.
Zudem müsse berücksichtigt werden, dass es sich hierbei um einen Eingriff handele, “bei dem nicht ersichtlich sei, ob diese Neukonstruktion von Anfang an so vorhanden und damit Gegenstand der ursprünglichen Statikberechnung war oder nachträglich eingebracht worden sei.”
Die Veränderung der Konstruktion stelle zu dem eine Gefahr für Leib und Leben dar.
Außerdem seien die nachträglichen Umbauarbeiten aufgrund der Verkleidung der Stahlträger auch nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen.
M handelte auch vorsätzlich. Ihm sei bewusst gewesen, dass Umbauarbeiten an der Konstruktion in seinem Haus stattgefunden hätten und er diese nicht offengelegt habe. Das Gericht ist davon überzeugt, dass M zudem bewusst gewesen sei, dass dieser Eingriff so relevant sei, dass dieser Umstand bei der Offenlegung Auswirkungen auf den Kaufentschluss von G gehabt hätte und er gerade deswegen die Umbaumaßnahme nicht erwähnt habe. Hiermit rechnete M und nahm dies billigend in Kauf.
Zur Wiederholung
Der erforderliche Vorsatz bei einer Täuschung durch Verschweigen liegt laut Rechtsprechung bereits vor, wenn der Täuschende “die offenlegungspflichtige Tatsache zumindest für möglich hält, gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragsgegner diesen Umstand nicht kennt und bei Offenlegung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte.” Das OLG hat noch einmal ausdrücklich festgehalten, dass keine Schädigungsabsicht auf Seiten des Täuschenden erforderlich sei und bedingter Vorsatz ausreiche.
Kaufnebenkosten als Vertrauensschaden - Was ist ersatzfähig?
Außerdem sprach das OLG dem G einen Anspruch auf Ersatz seines Vertrauensschadens in Höhe von knapp 28.000,00 Euro zu. Anspruchsgrundlage hierfür ist §§ 280 I, 311 II, 241 II, 249 I BGB. Aufgrund der Pflichtverletzung bei den Vertragsverhandlungen seitens des M sei G demnach so zu stellen, wie er bei Offenbarung der Baumaßnahmen stünde. Alle Aufwendungen, die er in Vertrauen auf das Zustandekommen des Vertrages getätigt habe, kann er demnach ersetzt verlangen. Hierbei handelt es sich um die Kaufnebenkosten wie z.B. Notar-, Grundbuch- und Maklerkosten.
Klausurtipp
Bei dem Vertrauensschaden handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch neben der Leistung. In Abgrenzung zu einem sogenannten Anspruch aus “culpa in contrahendo” kommt es auf den Zeitpunkt der Pflichtverletzung an. Bei einem Anspruch aus “cic” liegt diese vor Vertragsschluss.
Keine Anfechtbarkeit der sichtbaren Mängel
Auch wenn das Vorliegen der weiteren Mängel unerheblich sei, lehnte das OLG die Anfechtbarkeit des Kaufvertrages wegen der weiteren Mängel (Feuchtigkeits- und Leitungsschäden, undichtes Garagendach usw.) noch einmal ausdrücklich ab. Denn diese waren auch aus Sicht des Berufungsgerichts für G bei der umfassenden Besichtigung des Hauses vor Kaufvertragsabschluss erkennbar gewesen.
Die Anfechtung in Deiner Klausur
Diese Entscheidung zeigt Dir einmal mehr, dass Du eine Aufklärungspflichtverletzung ebenso wie eine Verkehrssicherungspflichtverletzung immer als sogenanntes “Backup” im Kopf haben solltest. Gerade weil Dir diese Pflichten nicht immer sofort ins Augen springen.
Da der Kläger sowohl einen Zahlungsanspruch aus dem Kaufvertrag als auch die Rückabwicklung wegen Anfechtung des Kaufvertrages geltend gemacht hat, war es in diesem Fall besonders wichtig herauszuarbeiten, dass die Klage nur im Hilfsantrag erfolgreich sein kann. Die wirksame Anfechtung macht den Kaufvertrag gemäß § 142 I BGB von Anfang an nichtig. Ein Zahlungsanspruch aus dem Kaufvertrag besteht dann aufgrund der Nichtigkeit nicht mehr.
Die Arglist in Deiner Klausur - Was musst Du wissen?
Das Vorliegen von Arglist kann in Deiner Klausur verschiedene Auswirkungen haben. Daher ist es wichtig, dass Du hier sensibilisiert bist. In diesem Fall waren folgende Punkte wichtig:
1. Keine Anwendung des § 323 V 2 BGB bei Arglist
Im vorliegenden Fall hat der Verkäufer den Unerheblichkeitseinwand aus § 323 V 2 BGB vorgetragen, wonach ein Rücktritt ausgeschlossen ist, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Hintergrund hierfür ist, dass die Kosten für die Erneuerung der Statik unter 5 % des Kaufpreises liegen und somit die Erheblichkeitsschwelle nicht überschritten wird. Das OLG hat ausdrücklich festgehalten, dass dieser Einwand nicht auf das Anfechtungsrecht übertragbar sei, weil die Rückabwicklung des Vertrages im Fall einer Anfechtung über das Bereicherungsrecht abgewickelt werde. Im Übrigen finde § 323 V 2 BGB aber auch nicht im Rücktrittsrecht Anwendung, wenn der Verkäufer arglistig gehandelt habe.
2. Keine Anwendung der Saldotheorie bei Arglist
Der Wertersatzanspruch im Bereicherungsrecht richtet sich nach der sogenannten “Saldotheorie“. Vorteil der Saldotheorie ist, dass diese automatisch eine Verrechnung gleichartiger, wechselseitiger Ansprüche vornimmt, ohne dass es hierzu einer Aufrechnungserklärung bedarf. Bei einem arglistig Täuschenden kommt diese Theorie allerdings nicht zum Einsatz. Rechtsfolge ist dann, dass der Täuschende die Aufrechnung mit eigenen Ansprüchen ausdrücklich erklären muss gemäß §§ 387, 389 BGB. Vorliegend hatte M eine solche ausdrückliche Erklärung nicht abgegeben, sodass er seine eigenen Ansprüche in dieses Verfahren nicht einbringen konnte.
Weiterführende Beiträge für Deine Klausurvorbereitung
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- Arglistige Täuschung, § 123 I 1. Fall BGB
- Haupt- und Hilfsantrag (Behandlung im Urteil)
- Anfechtung, §§ 142 I, 119 ff. BGB
- Bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlagen
- Schadensersatzansprüche im Schuldrecht AT
- Vertragspflichten, § 241 BGB
- Culpa in contrahendo (cic), §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB
- Rücktritt, §§ 437 Nr. 2, 1. Fall, 440, 323, 326 V, 346 ff. BGB
- Ausschluss des § 812 I 1 1. Fall BGB
- Aufrechnung, §§ 387 ff. BGB