Wie weit reicht das Ermessen einer Kommune bei der Umbenennung einer Straße?
Kommunen sind selbstständige und rechtsfähige Verwaltungseinheiten. Dabei kommt ihnen bei der Entscheidung über die Umbenennung einer Straße ein weiter Ermessensspielraum zu, welcher dadurch begrenzt wird, dass die Umbenennung einer Straße nicht willkürlich erfolgen darf, das heißt, ihr müssen sachliche, die Belange der Anlieger berücksichtigende Erwägungen zugrunde liegen, die Ordnungsfunktion muss auch mit dem neuen Namen gewahrt bleiben und die Anwohner dürfen nicht unzumutbar und verhältnismäßig belastet werden.
A. Sachverhalt
Die Kläger wenden sich gegen die Umbenennung der in der A-Stadt gelegenen Hindenburgstraße in Loebensteinstraße.
Die Kläger sind zum Teil Eigentümer von Grundstücken in der Hindenburgstraße, andere sind dort geschäftlich ansässig.
Der Stadtbezirksrat entschied im August 2018 ein Verfahren zur Umbenennung der Hindenburgstraße einzuleiten. Anlass hierfür war der Abschlussbericht des Beirats der Beklagten zum Projekt“ Wissenschaftliche Betrachtung von namensgebenden Persönlichkeiten“, in dem die Verstrickung Paul von Hindenburgs mit dem nationalsozialistischen Regime dargestellt wurde. Nach Anhörung der betroffenen Anwohner und Eigentümer votierte der Stadtbezirksrat Mitte im März 2021 mehrheitlich für die Umbenennung der Hindenburgstraße in Loebensteinstraße, mit einer Übergangsfrist von einem Jahr, in dem beide Namen nebeneinander bestehen bleiben sollten.
Die neue Namensgeberin wurde am 25. Juli 1932 in der A-Stadt geboren und lebte zuletzt, bis vor ihrer Flucht, in der Hindenburgstraße 34. Ihre Familie floh nach Amsterdam und wurde dort 1943 nach Sobibor deportiert und dort ermordet.
Die Beklagte teilte den Klägern im Schreiben vom 20. Mai 2021 die beabsichtigte Umbenennung der Straße mit.
Die Kläger haben am 4. Juni 2021 Klage erhoben und beantragt, die Bescheide vom 10. Mai 2021 aufzuheben und den bisherigen Straßennamen beizubehalten.
Das Verwaltungsgericht (VG) Hannover hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die vom Stadtbezirksrat Mitte vorgenommene Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe die Belastungen der Kläger durch die Umbenennung mit einbezogen und diese als hinnehmbar bewertet. Dies gelte auch für die meisten der gewerblichen Anlieger. Die Kläger seien bisher (seit 1916) nicht mit Umstellungskosten belastet worden.
B. Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg; es gäbe keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils des VG (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). (Rn 6)
1. Keine ernsthaften Zweifel
Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils sind nur dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren (aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Gerichts) gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten (Rn7). Dies ist nur dann der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 8.7.21, 1 BvR 2237/14 und vom 6.6.2018 BvR 350/18). Es müsse mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führe (Senatsbeschluss vom 28.6. 2022 - 10LA234/20, Juris Rn 2). Hierzu bedürfe es qualifizierter, ins Einzelne gehender Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Durchdringung des Pressstoffes auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 aaO). Dies ist den Klägern nicht gelungen, sie hätten keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des OVG aufgezeigt (Rn 8).
a) Zuständigkeit des Stadtbezirksrats Mitte
Dem Vorbringen, dass nach § 93 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz vom 17. September 2010, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 20.6.2018 (NKomVG) nicht der Stadtbezirksrat Mitte zuständig gewesen sei, folgt das OVG nicht.
Das VG habe zutreffend ausgeführt, dass die Vorschrift allein auf die Lage der Straße abstelle; dem Stadtbezirksrat komme deshalb die Entscheidungszuständigkeit für die Nennung und Umbenennung der Straße zu. Dies gelte auch für den Fall, dass die Kläger als Anwohner in „grundrechtsgleichen Belangen“ betroffen wären. Die gerügte, allenfalls geringfügige Betroffenheit durch eine andere Bezeichnung der Wohn- oder Arbeitsanschrift sei regelmäßig mit einer Umbenennung einer Straße verbunden. Dies ändere nichts an der vom Landesgesetzgeber in § 93 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NKomVG verfügten Zuständigkeit des Stadtbezirksrates. (Rn 11)
Die Kläger hätten nicht dargelegt, dass die Umbenennung einer Straße zu einem Eingriff in das Recht, einen Wohnsitz zu begründen oder einen Arbeitsplatz wählen zu können, führen würde. Der Straßenname gewähre den Grundeigentümern keine Rechtsstellung, die sie ohne die Bezeichnung nicht hätten (BVerwG, Beschluss vom 25.2.1966, IV B 243.65).
b) Auswirkungen auf die gesamte Gemeinde
Der Zuständigkeit des Stadtbezirksrates stehe schließlich nicht entgegen, dass die Umbenennung der Hindenburgstraße unter politischen Gesichtspunkten Auswirkungen auf die gesamte Gemeine haben könnte; der Stadtbezirksrat müsse bei seiner Entscheidung die Belange der gesamten Gemeinde beachten (§ 93 Abs. 1 Satz 2 NKomVG). Bei Nichtbeachtung könne die Entscheidung durch den Hauptverwaltungsbeamten oder die Kommunalaufsicht beanstandet werden. (Rn 12)
Soweit die Kläger rügen, dass eine Benennung oder Umbenennung einer Straße nur den Zweck der Ordnungsfunktion verfolgen dürfe, gehe diese Beanstandung fehl. Die Ordnungsfunktion sei nur ein Aspekt, es dürften auch weitere Umstände berücksichtigt werden. Die Beweggründe für eine Benennung / Umbenennung einer Straße sei eine Frage der Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung.
c) Gemeindliches Selbstverwaltungsrecht
Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht umfasse grundsätzlich auch die Bestimmung des Namens von Straßen, ohne dass es hierfür spezieller gesetzlicher Regelungen bedürfe. (Rn 14)
2. Ermessensentscheidungen
Das VG habe zu Recht keinen Ermessensfehler bei der Umbenennung der Hindenburgstraße festgestellt. Die diesbezügliche Rüge der Kläger gehe fehl und lasse die Ausführungen des VG außer Acht. (Rn 17,18) Dies betreffe insbesondere die von den Klägern gerügten Umstellungskosten, die üblicherweise mit der Umbenennung einer Straße einhergehen und zu den laufenden Kosten eines Geschäftsbetriebes zähle. Die Beklagte habe dies berücksichtigt und eine entsprechende Übergangsfrist eingeräumt, so dass die Verbrauchsmaterialien wie Briefköpfe und Werbeartikel aufgebraucht werden könnten. Die Kläger hätten darüber hinaus keine weiteren Kosten spezifiziert. (Rn 19)
Der vom Kläger zu 1. genannte Reputationsverlust im Rahmen seiner Publikationstätigkeit sei nicht ersichtlich und auch nicht nachvollziehbar, zumal er nicht dargelegt habe, dass er unter seiner Privatadresse publiziere. (Rn 21)
Das VG sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Stadtbezirksrat bei der Umbenennung nicht durch die „Grundsätze und Verfahren für die Benennung von Straßen, Wegen und Plätzen“ beschränkt gewesen sei. Das VG habe zutreffend ausgeführt, dass diese Grundsätze nur für den Rat der Beklagten gelten würden, nicht aber für die Stadtbezirksräte. Der Stadtbezirksrat Mitte habe dies Grundsätze auch nicht für anwendbar erklärt bzw. sie sich zu eigen gemacht. (Rn 23) Die Kläger hätten mit ihrem Vorbringen die Richtigkeit dieser Ausführungen nicht in Zweifel gezogen. Es bleibe bei der dem Stadtbezirksrat gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NKomVG eingeräumten Entscheidungszuständigkeit, die einen weiten Ermessenspielraum umfasse. (Rn 24)
a) Begrenzung des Ermessens
Das dem Stadtbezirksrat eingeräumte Ermessen werde nur dadurch begrenzt, dass die Umbenennung einer Straße nicht willkürlich erfolgen dürfe; es müssen ihr sachliche Erwägungen zugrunde liegen, die auch die Belange der Anlieger berücksichtigen. Die Ordnungsfunktion müsse mit dem neuen Namen gewahrt bleiben, die Anwohner dürften dabei nicht unzumutbar belastet werden.
Diese Kriterien wurden bei der Ermessensausübung beachtet. (Rn 24)
Das VG musste kein eigenes Gutachten über die Person Paul Hindenburgs erstellen lassen und es musste sich auch nicht mit den Umbenennungsvoraussetzungen nach den oben genannten „Grundsätze…“ auseinandersetzen. Ein Gericht muss sich nicht mit einem Vortrag auseinandersetzen, der nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich ist. (Rn 24) Letztlich habe sich das VG nicht mit der Frage einer Entschädigung für die Anlieger befassen müssen. (Rn 26) Die Kläger hätten nicht hinreichend dargelegt, dass ihnen durch die Umbenennung ein erheblicher finanzieller Schaden drohen würde und dass eine Umbenennung ohne eine Entschädigungszahlung unverhältnismäßig wäre. (Rn 27)
b) Anspruch auf rechtliches Gehör
Das VG habe auch keinen Verfahrensfehler in Form der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör begangen. Das diesbezügliche Vorbringen der Kläger genüge hier ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen.
Das Recht auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Abs. 1 GG verpflichte das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Beteiligten müssen Gelegenheit erhalten, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen erklären zu können (Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.9.2022, 2 BvR 2222/21). Das Gericht müsse jedoch nicht solche Anträge und Ausführungen der Beteiligten in Erwägung ziehen, die aus Gründen des formellen und materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben können oder müssen (s. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.1.2022, 2 BvR 2467/17). Das VG war deshalb auch nicht veranlasst, sich mit einem drohenden, unverhältnismäßig hohen Schaden auseinanderzusetzen, da ein solcher nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden war. (Rn 30)
C. Anmerkungen
Das OVG Lüneburg hat in seinem Beschluss - in Übereinstimmung mit anderen Gerichten - herausgestellt, dass die Kommunen bei der Benennung / Umbenennung von Straßen einen weiten Ermessensspielraum haben, soweit sie die Gebote der Sachlichkeit und Verhältnismäßigkeit beachten. Anlieger können kaum mit Aussicht auf Erfolg dagegen vorgehen, zumal der Aufwand für die Namensänderung der Adresse als üblich anzusehen und als zumutbar hinzunehmen ist.
Wichtig sind - über den konkreten Fall hinaus - die strengen Voraussetzungen, die das OVG bei der Frage der Zulassung einer Berufung aufstellt bzw. betont. Es genügt nicht, wenn die unterlegene Prozesspartei nur die Rechtsansicht des Gerichtes anzweifelt und dieser seine eigene Rechtsauffassung gegenüberstellt. Das OVG verlangt eine eingehende und substantiierte Darlegung, weshalb an der Richtigkeit der Entscheidung des Gerichts ernstliche Zweifel bestehen sollen. Hierzu bedarf es qualifizierter Ausführungen und einer eigenständigen Durchdringung des Prozessstoffes.
(Beschluss des OVG Lüneburg vom 25.01.2023 – 10 LA90/22)
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