BGH zum erpresserischen Menschenraub im Zwei-Personen-Verhältnis

BGH zum erpresserischen Menschenraub im Zwei-Personen-Verhältnis

Zum unvollkommen zweiaktigen Delikt mit stabiler Bemächtigungslage

Sachverhalte, bei denen die rechtswidrige Erlangung von Vermögensgegenständen und die Ausübung oder Androhung von Gewalt bzw. die Drohung mit Gefahr für Leib und Leben zeitlich und örtlich zusammenfallen, sind praktisch häufig anzutreffen, bereiten aber in strafrechtlicher Hinsicht mitunter Probleme bei der zutreffenden juristischen Einordnung. In den Blick zu nehmen ist in solchen Fällen regelmäßig der erpresserische Menschenraub nach § 239a StGB.

A. Sachverhalt

A und B sowie zwei ihrer Freunde beabsichtigen, die beiden in ihrem abgelegenen Wohnhaus in verschiedenen Zimmern schlafenden X und Y zu überwältigen und unter Vorhalt von Waffen zu bedrohen, um so Informationen über etwaige Verstecke von Geld und Wertsachen zu erhalten. In Umsetzung dieses Planes zerren sie den X und die Y nebeneinander auf ein Bett und lassen die Jalousien herunter. Sodann befragen sie die unter Todesangst Leidenden unter Vorhalt einer scharf geladenen Pistole und eines Messers über einen Zeitraum von etwa zwanzig Minuten immer wieder nach etwaigen Geldverstecken. Schließlich bittet die Y ihren Lebensgefährten X, das Geldversteck preiszugeben, was dieser aus Angst um sich und seine Lebensgefährtin im Anschluss tut. A holt aus diesem Versteck Bargeld in Höhe von mehreren tausend Euro heraus und nimmt es an sich. A, B und ihre Freunde flüchten.

Wie haben sich A und B strafbar gemacht?

B. Entscheidung

I. Besonders schwerer Raub, §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2, 25 Abs. 2 StGB

A und B könnten sich wegen besonders schweren Raubes in Mittäterschaft gemäß den §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem sie X und Y unter Vorhalt einer scharf geladenen Pistole dazu gebracht haben, das Geldversteck zu verraten, und dann das Geld an sich nahmen.

1. Objektiver Tatbestand
a) Grundtatbestand, § 249 Abs. 1 StGB

A und B müssten mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen weggenommen haben.

Die „Wegnahme“ des Geldes – einer fremden beweglichen Sache – setzt den Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams voraus. Ein Bruch fremden Gewahrsams liegt vor, wenn der Gewahrsam gegen oder ohne den Willen des Inhabers aufgehoben wird. Vorliegend waren X und Y mit dem Wechsel des Gewahrsams an dem Bargeld, an dem sie die tatsächliche Sachherrschaft hatten, nicht einverstanden. A und B haben also den Gewahrsam gebrochen und neuen Gewahrsam begründet.

Hinweis: An dieser Stelle wäre an sich auf den „vielleicht prominentesten Streit im materiellen Strafrecht“, also die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung, einzugehen. In der hier besprochenen Entscheidung des BGH liest sich dazu allerdings nichts. Nach Auffassung der Rechtsprechung stellt der Raub (§ 249 Abs. 1 StGB) im Verhältnis zu den §§ 253, 255 StGB das speziellere Delikt dar, weil der Tatbestand der räuberischen Erpressung den engeren Tatbestand des Raubes mitumfasst (vgl. BGH, Beschl. v. 15.4.2014 − 3 StR 92/14; BGH , Beschl. v. 20.2.2018 – 3 StR 612/17). Für die Abgrenzung beider Tatbestände ist nach der gefestigten Rechtsprechung auf das äußere Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten abzustellen (etwa BGH, Urteil vom 22. 10. 2009 - 3 StR 372/09). Soweit ersichtlich haben A und B das versteckte Geld an sich genommen, weswegen eine „Wegnahme“ gegeben ist.

Soweit lediglich A das Geld aus dem Versteck geholt und an sich genommen hat, ist dem B diese Tathandlung im Rahmen des § 25 Abs. 2 StGB als eigene Handlung (objektiv) zuzurechnen. A und B haben vorab einen gemeinsamen Tatplan gefasst und hatten beide bei der Tatausführung auch Tatherrschaft.

Ferner haben A und B „unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ gehandelt. Sie haben X und Y mit einer (scharfen) Waffe bzw. mit Gefahr für deren Leben bedroht.

Der raubspezifische (Kausal-)Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme ist gegeben.

b) Qualifikation, § 250 Abs. 2 StGB

Ferner haben A und B bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug i.S. von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwendet. Sie haben X und Y eine scharfe Pistole sowie ein Messer vorgehalten.

2. Subjektiver Tatbestand

Hinsichtlich der Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale der §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 StGB haben A und B jeweils vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen gehandelt. Ferner hatten sie auch die Absicht, sich das erbeutete Geld – auf das sie keinen Anspruch hatten – rechtswidrig zuzueignen.

3. Zwischenergebnis

A und B haben sich – da Rechtfertigungs- und/oder Schuldausschließungsgründe für sie jeweils nicht ersichtlich sind – jeweils wegen besonders schweren Raubes (in Mittäterschaft) strafbar gemacht.

II. Erpresserischer Menschenraub, §§ 239a Abs. 1 Alt. 1, 25 Abs. 2 StGB

A und B könnten sich auch wegen gemeinschaftlichen erpresserischen Menschenraubes nach §§ 239a Abs. 1 Alt. 1, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem sie X und Y auf das Bett gezerrt und über einen Zeitraum von ca. 20 Minuten wiederholt nach Geldverstecken gefragt haben. Dazu der BGH:

„Wegen erpresserischen Menschenraubes macht sich strafbar, wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung gemäß § 253 StGB auszunutzen, oder wer die durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich klassischer Delikte mit Nötigungselementen wie § 177, §§ 249 ff., §§ 253 ff. StGB ist der Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB im Zwei-Personen-Verhältnis allerdings, insbesondere für Fälle des Sichbemächtigens, einschränkend auszulegen. Der Täter muss durch eine Entführung oder in sonstiger Weise die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewinnen, dadurch eine stabile Bemächtigungslage schaffen und entweder von vornherein beabsichtigen, diese Lage zu einer Erpressung auszunutzen, oder die zu anderen Zwecken hergestellte Verfügungsgewalt über das Opfer zu einer Erpressung ausnutzen. Dabei muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen. Damit ist - insbesondere in Abgrenzung zu den Raubdelikten - indes lediglich gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weiter gehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben muss. Der erforderliche funktionale Zusammenhang liegt insbesondere dann nicht vor, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und Nötigungsmittel zusammenfallen (…).

Nach diesen Maßstäben fallen hier Bemächtigungs- und Nötigungsmittel nicht zusammen. Die über den nicht unerheblichen Zeitraum von etwa zwanzig Minuten (vgl. zum Ausreichen einer Zeitspanne von lediglich sechseinhalb Minuten: BGH, …) mittels mehrerer Waffen fortwährend wiederholten Bedrohungen [von X und Y], die zuvor aus dem Schlaf gerissen und bei heruntergelassener Jalousie nebeneinander unter Bewachung durch mehrere Täter in ihrem abgelegenen Wohnhaus auf ein Bett gesetzt worden waren, begründeten eine stabilisierte Bemächtigungslage und erzeugten eine Drucksituation, die über dasjenige hinausreichte, was zur Durchführung der Erpressung erforderlich war. Ein Sichbemächtigen lag demnach auch unter Berücksichtigung der für das Zwei-Personen-Verhältnis geltenden Einschränkungen vor.“

In subjektiver Hinsicht müssten A und B neben – zumindest bedingtem – Vorsatz die Absicht gehabt haben, die Sorge der Opfer (hier: X und Y) um deren Wohl zu einer Erpressung i.S.v. § 253 StGB auszunutzen. Sie müssten also durch die geschaffene Bemächtigungslage die Nötigung von X und Y zu einer vermögensmindernden Handlung bezwecken und die Absicht haben, sich rechtswidrig zu bereichern. Beides ist hier der Fall: A und B wollten X und Y dazu bringen, ihnen das Geldversteck zu verraten. Eine entsprechende Forderung stand ihnen gegen X und Y nicht zu, was sie auch wussten und wollten. Die zur Schaffung der stabilen Bemächtigungslage nötige Drohung mit Gewalt übten sie vorsätzlich aus.

A und B haben sich demnach auch wegen gemeinschaftlichen erpresserischen Menschenraubes nach Maßgabe von §§ 239a Abs. 1 Alt. 1, 25 Abs. 2 StGB zum Nachteil von X und Y strafbar gemacht.

Hinweis: Vgl. zum funktionalen Zusammenhang auch https://jura-online.de/blog/2021/11/18/bgh-zur-abgrenzung-von-erpresserischem-menschenraub-und-geiselnahme/

III. Ergebnis

A und B haben sich jeweils wegen besonders schweren Raubes in Mittäterschaft (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2, 25 Abs. 2 StGB) und wegen gemeinschaftlichen erpresserischen Menschenraubes (§§ 239a Abs. 1 Alt. 1, 25 Abs. 2 StGB) strafbar gemacht. Die Taten stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit.

Hinweis: Das Landgericht, dessen Urteil A und B mit ihren – vom 3. Strafsenat des BGH verworfenen – Revisionen angegriffen haben, hat A und B mit entsprechendem Schuldspruch (unter Einbeziehung früherer Strafen) jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Jahren bzw. von 12 Jahren verurteilt. Bei der Strafzumessung bzw. der Bestimmung des gesetzlichen Strafrahmens war in den Blick zu nehmen, dass sich der Regelstrafrahmen von 5 bis 15 Jahren (vgl. § 250 Abs. 2 StGB bzw. § 239a Abs. 1 StGB) bei einem sog. minder schweren Fall i.S.v. § 250 Abs. 3 StGB bzw. § 239a Abs. 2 StGB absenkt. Der Umstand, dass A und B als Mittäter gehandelt haben, wirkt sich zwar nicht bei der Strafrahmenwahl aus, ist aber im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB strafschärfend zu berücksichtigen. Das gilt hingegen wegen § 46 Abs. 3 StGB nicht für die Verwendung von Pistole und Messer, weil diese Umstände bereits die Strafbarkeit nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB begründet haben. Berücksichtigungsfähig ist hingegen, dass A und B jeweils zwei Delikte in Tateinheit verwirklicht haben, nicht nur eines.

C. Prüfungsrelevanz

Sachverhalte, bei denen die rechtswidrige Erlangung von Vermögensgegenständen und die Ausübung oder Androhung von Gewalt bzw. die Drohung mit Gefahr für Leib und Leben zeitlich und örtlich zusammenfallen, sind praktisch häufig anzutreffen, bereiten aber in strafrechtlicher Hinsicht mitunter Probleme bei der zutreffenden juristischen Einordnung. In den Blick zu nehmen ist in solchen Fällen regelmäßig der erpresserische Menschenraub nach § 239a StGB, weil der Tatbestand – mit einer vergleichsweise hohen Mindeststrafandrohung von fünf Jahren Freiheitsstrafe – sowohl die persönliche Freiheit und körperliche sowie seelische Unversehrtheit des Opfers als auch die persönliche Freiheit eines Dritten, dessen Sorge um das Wohl des Opfers ausgenutzt wird, sowie das Vermögen schützt.

Die Entscheidung des 3. Strafsenats setzt die bisherige Linie der BGH-Rechtsprechung konsequent fort, wonach im sog. Zwei-Personen-Verhältnis, in dem der Täter die Sorge des Opfers um das eigene Wohl ausnutzt, eine restriktive Auslegung des § 239a Abs. 1 StGB vorzunehmen ist: es muss ein funktionaler Zusammenhang in dem Sinne bestehen, dass das durch den ersten Teilakt begründete Gewaltverhältnis für die Begehung des zweiten Teilakts ausgenutzt wird (sog. unvollkommen zweiaktiges Delikt), was wiederum voraussetzt, dass auch die Bemächtigungslage bereits eine gewisse Stabilisierung aufweist.

Über eine solche Konstellation hatte der Senat auch schon in folgender Sache zu entscheiden (vgl. Urt. v. 31.08.2006 – 3 StR 246/06): Die Täter G und H überfallen maskiert und mit einer funktionsfähigen, geladenen Schreckschusspistole bewaffnet nach Ladenschluss mehrere Angestellte eines Ladengeschäfts, um den Inhalt des dort im Büro befindlichen Tresors zu erbeuten. Zunächst schlägt der G den Angestellten Q kräftig gegen dessen Kopf und zu Boden, unmittelbar nachdem dieser den Markt verlassen hat. Anschließend zerschlägt er eine durchsichtige Glasscheibe der Eingangstür und dringt in das Gebäude ein. Im Aufenthaltsraum trifft er auf die Verkäuferin P, der er sofort einen heftigen Schlag gegen die Stirn versetzt und sie flüchtig nach dem Tresorschlüssel durchsucht. G und H fragen P und Q erfolglos nach dem Tresorschlüssel und sperren sie in den Vorraum der Toilette ein. Nachdem sie anschließend selbst einige Zeit im Büro vergeblich nach dem Schlüssel gesucht haben, bringt der G die Verkäuferin P unter Schlägen aus dem Toilettenvorraum in das Büro, wo G und H von ihr nochmals die Herausgabe des Tresorschlüssels verlangen. Als P angibt, dass sie nicht wisse, wo sich der Schlüssel befinde, droht der G ihr sie umzubringen, wenn sie nicht die Wahrheit sage. Als G und H erfahren, dass eine weitere Angestellte geflüchtet ist, verlassen sie aus Angst vor der Polizei den Markt ohne Beute.

Nach Ansicht des BGH sind die Voraussetzungen des § 239a Abs. 1 StGB bis zum Einsperren von P und Q in der Toilette nicht gegeben, weil G und H zwar durch die bis dahin erfolgten Gewaltanwendungen eine andauernde physische Herrschaft über ihre Opfer erlangt haben, sie jedoch bereits im unmittelbaren, engen Zusammenhang mit dem gewaltsamen Sichbemächtigen die Herausgabe des Tresorschlüssels forderten, so dass noch keine stabile Bemächtigungslage als Basis einer weiteren Erpressung bestand. Anderes gilt jedoch, soweit G und H die unter Schlägen in das Büro gebrachte Verkäuferin P - um in den Besitz des Tresorschlüssels zu gelangen - mit dem Tode bedrohten: zu diesem Zeitpunkt bestand bereits über einen längeren Zeitraum als Basis für eine Erpressung eine stabile Bemächtigungslage, in der die P dem ungehemmten Einfluss von G und H wegen deren physischen Übermacht und der fortwirkenden Einschüchterung als Folge der vorangegangenen Misshandlungen ausgesetzt war. G und H haben daher bei ihrer mit der Todesdrohung verbundenen Forderung nach Herausgabe des Tresorschlüssels auch die durch die Bemächtigungslage entstandene besondere Drucksituation der bedrohten P ausgenutzt, um diese zu veranlassen, aus Sorge um ihr Wohl ihrem Begehren nachkommen, zumal sie dabei die Gaspistole nicht als Drohmittel verwendeten. Entscheidend ist, dass G und H die von ihnen geschaffene Bemächtigungslage tatsächlich für die Fortsetzung ihres erpresserischen Vorhabens ausnutzten. Der Annahme einer stabilen Bemächtigungslage widerspricht auch nicht, dass die Tat insgesamt nur ca. sechseinhalb Minuten gedauert hat und die P nur eine kurze Zeit eingesperrt war. Von ausschlaggebender Bedeutung sind vielmehr die Gesamtumstände der Tat, vor allem die Intensität der Bemächtigungssituation, die hier wesentlich durch das Einsperren herbeigeführt wurde.

(BGH, Beschluss vom 29.06.2022 – 3 StR 501/21)