
Ist eine Fristsetzung zur Räumung erforderlich, um Schadensersatz verlangen zu können?
In Mietrechtsklausuren geht es oftmals um die Ersatzfähigkeit von Mietmängeln, die Überprüfung von mietvertraglichen Klauseln oder die Kündigung des Mietverhältnisses. Aber auch die Verletzung der Räumungs- und Rückgabepflicht durch den Mieter zählt zu einem beliebten Klausurthema. Nicht immer ist direkt erkennbar, dass der Schwerpunkt des Falles auf die Verletzung dieser Pflicht hinaus will. So auch im aktuellen Fall des Landgerichts Darmstadt vom 16.12.2024 (Az. 18 O 6/23). Verletzt der Mieter diese Pflicht schon dann, wenn nach Beendigung des Mietverhältnisses dort ein Brand ausbricht und er anschließend seine Zustimmung in die Entrümpelung seiner Gegenstände aus dem Mietobjekt erklärt, die der Vermieter in die Wege leitet und dadurch nicht selbst die Gegenstände aus dem Mietobjekt schafft? Gleichzeitig musste das LG prüfen, ob in dem Verhalten des Mieters eine Beauftragung zur Entrümpelung erblickt werden konnte, mit der Folge, dass der Vermieter hierfür Aufwendungsersatz verlangen kann.
Was ist passiert?
A ist Eigentümerin eines Lagerhallenkomplexes mit 6 Lagerhallen. Mit Mietvertrag vom 14.04.2021 vermietete A die Lagerhallen 4 und 5 an B, die in der Besorgung von Lagergeschäften tätig ist. B lagerte dort für verschiedene Kunden diverse Produkte ein wie z.B. Lebensmittel, einen Traktor, ein Motorrad, einen Gabelstapler und Hubwagen. In der Nacht vom 02.10. auf den 03.10.2020 brach in der Lagerhalle 6 ein Brand aus, wodurch das gesamte Gebäude schwer beschädigt wurde. Zudem waren die Lagerhalle 4 und 5 anschließend einsturzgefährdet. Aufgrund dessen erarbeitete A zusammen mit der Firma D ein Abbruchs- und Entsorgungskonzept und teilt der B mit, dass diese sich an den Kosten beteiligen sollte.
A informierte B schriftlich am 16.11.2020 darüber, dass die Firma D ab dem 17.11.2020 mit den Abbruchs- und Entsorgungsarbeiten beginnen werde. Mit Schreiben vom 20.11.2020 kündigte B sodann das Mietverhältnis außerordentlich zum 02.10.2020.
B wendete sich im Januar 2021 (20.01.) an die Firma D und erklärte sich mit der Entsorgung bzw. mit dem Beginn der Entsorgungsarbeiten einverstanden und wies nochmals auf die sorgfältige Trennung der Gegenstände hin. A teilte B im Februar 2021 (15.02.) sodann mit, dass sie die Firma D mit den Aufräumarbeiten beauftragt habe und die Kosten alsbald hierfür der B mitteilen werde. Hierzu äußerte sich B nicht.
Die Aufräumarbeiten waren Ende April 2021 abgeschlossen.
Im Dezember 2021 (15.12.) stellt A der B für die Entsorgungsarbeiten 160.000 Euro in Rechnung. Im Mai 2022 wies B die Rechnung zurück und verweigerte die Zahlung und berief sich auf die Verjährung des Anspruchs. Daraufhin erhob A Klage vor dem Landgericht Darmstadt.
Rechtlicher Hintergrund
Das Landgericht wies die Klage ab. A stehe aus keiner denkbaren Anspruchsgrundlage ein Anspruch auf Zahlung der Entsorgungsarbeiten i.H.v. 160.000 Euro zu.
Im Mittelpunkt dieser Entscheidung steht die Räumungs- und Rückgabepflicht des Mieters nach erfolgter Kündigung sowie die mietrechtliche Verjährungsvorschrift § 548 BGB.
Zunächst hat das Landgericht einen Aufwendungsersatzanspruch gemäß §§ 662, 670 BGB geprüft. Diesen Anspruch lehnten die Richter mit der Begründung ab, dass die B der A keinen Auftrag erteilt habe. Maßgeblich für diese Beurteilung waren die Schreiben aus Januar 2021 und Februar 2021. Die E-Mail vom 20.01.2021 sei laut Gericht lediglich als Zustimmung in die Entsorgung durch die Firma D auszulegen. Mit dieser E-Mail habe B sich an die Firma D gewendet, um ihr Einverständnis zur Entsorgung der Gegenstände in ihren ehemals angemieteten Lagerhallen zu erteilen. Aufgrund dessen, dass B Eigentümerin der Gegenstände in Lagerhalle 4 und 5 ist, war die Einverständniserteilung für die Entsorgung auch erforderlich. Der Aufforderung zur sachgemäßen Mülltrennung der Gegenstände komme darüber hinaus kein Erklärungsinhalt zu.
Auch in der E-Mail vom 15.02.2021 sei keine Beauftragung seitens der B an A zur Entsorgung erfolgt. Mit diesem Schreiben habe A die B lediglich darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Entsorgungsarbeiten in den beiden Lagerhallen demnächst durchgeführt werden und A die B über die Kostenhöhe informieren werde. Dem Umstand, dass B sich zu dieser E-Mail nicht geäußert habe, komme kein Erklärungswert zu. Auch hätte B nicht ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass sie sich an den Kosten für die Entsorgung nicht beteiligen werde.
Anschließend hat sich das Landgericht mit dem mietrechtlichen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 535 I, 280 I, 281 I, III BGB auseinandergesetzt, da es sich bei der Räumungs- und Rückgabepflicht um eine Hauptleistungspflicht aus dem Mietvertrag handele und eben nicht um eine „nicht leistungsbezogene Nebenpflicht“ gemäß § 280 I BGB. Für Verletzungen dieser Pflichten seien die mietrechtlichen Vorschriften abschließende lex specialis. Dies resultiere aus dem Schutzbedürfnis des Schuldners, die vertragliche Leistung selbst erbringen zu können. Dementsprechend könne die Nichterfüllung der Räumungs- und Rückgabepflicht nur unter der besonderen Voraussetzung der Fristsetzung gemäß § 281 I BGB geltend gemacht werden. Da A der B im vorliegenden Fall aber keine Frist zur Räumung gesetzt habe, liegen die Voraussetzungen für diesen Anspruch nicht vor. Laut den Richtern und Richterinnen war die Fristsetzung auch nicht entbehrlich. Eine Fristsetzung wäre nur dann entbehrlich gewesen, wenn B die Erfüllung der Räumungs- und Rückgabepflicht endgültig verweigert hätte. Auch die Zustimmung der B in die Entrümpelung- und Entsorgung durch die Firma D mache die Fristsetzung nicht entbehrlich, so das Landgericht. Durch die Fristsetzung wäre in diesem Fall viel mehr deutlich geworden, dass die Räumung des Mietobjekts zu der „ureigenen Aufgabe“ des Mieters gehöre. Im vorliegenden Fall gebe es gerade keine Anhaltspunkte, dass B die Räumung und Rückgabe nicht selbst durchgeführt hätte.
Etwaige Ansprüche aus GoA gemäß §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB oder §§ 677, 684 S. 1, 812 BGB und Bereicherungsrecht scheitern bereits aufgrund der Sperrwirkung der mietrechtlichen Vorschriften. Ansonsten würde das Prinzip der Fristsetzung gemäß § 281 I S. 1 a.E. BGB unterlaufen werden.
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Schlussendlich greife laut dem Landgericht der Verjährungseinwand der B gemäß § 548 I BGB durch. Demnach verjähren Ersatzansprüche des Vermieters 6 Monate nach Rückgabe der Mietsache. Da die Räumung der Mietsache Ende April 2021 mit dem Abschluss der Entrümpelungsarbeiten erfolgte, habe A die Lagerhallen spätestens am 01.05.2021 zurückerhalten. Gemäß §§ 187, 188 BGB endete die Verjährungsfrist demnach am 01.11.2021. A habe ihren Ersatzanspruch jedoch erst mit der Rechnungsstellung im Dezember 2021 geltend gemacht. In diesem Zeitpunkt sei der Anspruch also bereits verjährt.
Prüfungsrelevanz
Der Klausureinstieg über die besonderen Vertragsarten des Schuldrechts ist nicht ungewöhnlich. Die Schwierigkeit solcher Klausuren liegt dann in der Abgrenzung u.a. zu den Ansprüchen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, cic, dem Bereicherungsrecht, dem Deliktsrecht, der Geschäftsführung ohne Auftrag sowie weiteren Anspruchsgrundlagen des allgemeinen Schuldrechts. Wichtig ist, dass Du zum einen weißt, wann und für welche Ansprüche die Vorschriften des besonderen Teils eine Sperrwirkung auslösen. Zum anderen musst Du Dir stets bewusst machen, ob die Regelungssystematik des speziellen Vertragsverhältnisses überhaupt Anwendung findet. Hierfür muss nämlich die Verletzung der Hauptleistungspflichten gerügt werden. Für nicht leistungsbezogene Nebenpflichtverletzungen besteht in der Regel keine Sperrwirkung durch die mietrechtlichen Vorschriften.
Klausuren aus dem Mietrecht können Dir in jeder Phase Deines Studiums begegnen, weil sie sich besonders gut dazu eignen, je nach Schwierigkeitsgrad verschiedene Problematiken einzubauen. So kann z.B. die Geltendmachung verschiedener Schäden, die sich zum einen auf Hauptleistungspflichten und zum anderen auf nicht leistungsbezogene Nebenpflichten beziehen, kombiniert werden. In diesen Fällen musst Du die Abgrenzung zwischen Schuldrecht AT und Schuldrecht BT sorgfältig vornehmen. Zusätzlich kann der Sachverhalt so gestrickt sein, dass der Mieter diese Schäden eigenmächtig selbst behebt und hierfür dann Ersatz verlangt. Zudem könnte der Mieter dann auch die Rückzahlung zu viel entrichteter Miete einfordern.
Außerdem kann Dein Klausursteller zusätzlich noch einbauen, dass der Vermieter die Reparatur von sogenannten Schönheitsreparaturen vom Mieter nach Beendigung des Mietverhältnisses einfordert, die mietvertraglich geregelt wurden. Hier musst Du dann die einschlägigen mietvertraglichen Klauseln auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen. Da es sich hierbei in der Regel um allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, erfolgt dies über eine Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 BGB ff.
Denkbar wäre auch ein Schwenk in das wohl bei vielen Prüflingen gefürchtete Sachenrecht, indem der Vermieter sein Vermieterpfandrecht gemäß § 562 BGB geltend macht und es um die Herausgabe von Gegenständen geht, die sich in der Mietwohnung befinden. Diese Thematik bietet sich auch gut für Deine Zwangsvollstreckungsrechstklausur im 2. Examen an und bringt einige Standardprobleme mit sich. Denke in diesem Zusammenhang bei mietrechtlichen Klagen auch immer an die ausschließliche örtliche (§ 29a ZPO) und sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte gemäß § 23 Nr. 2a GVG. Beachte aber, dass eine abweichende Zuständigkeit des Gerichts auch gemäß § 39 ZPO durch rügeloses Einlassen in der mündlichen Hauptverhandlung begründet werden kann.
Resümee
Das Landgericht Darmstadt hat in seiner Entscheidung noch mal auf den Sinn und Zweck der mietrechtlichen Verjährungsvorschrift abgestellt: die beschleunigte Abwicklung des Mietverhältnisses. Mach Dir bewusst, dass § 548 I BGB daher weit auszulegen ist. Aufgrund dessen werden von dem Verjährungsanspruch des § 548 I BGB nicht nur unmittelbare Ansprüche aus dem Mietverhältnis erfasst. Auch konkurrierende Ansprüche aus diesem Mietverhältnis unterliegen dem kurzen Verjährungsanspruch. Die Anwendbarkeit des § 548 I BGB setzt laut LG nur voraus, dass eine Rückgabe der Mietsache erfolgt sei. Es kommt nicht darauf an, dass die Rückgabe durch den Mieter vollzogen wurde.
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- Pflichten im Mietvertrag, § 535 BGB
- Kündigung, §§ 542 ff. BGB
- Die Systematik der Pflichtverletzung
- Die Schlechtleistung (Überblick)
- Arten der GoA, §§ 677 ff. BGB
- Bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlagen
- AGB – Inhaltskontrolle und Rechtsfolgen
- Entstehung eines Pfandrechts
- Klage auf vorzugsweise Befriedigung, § 805 ZPO