BGH zur Kündigung nach unerlaubter Untervermietung

BGH zur Kündigung nach unerlaubter Untervermietung

Darf der Vermieter heimliche Videoaufnahmen im Wohnungsflur anfertigen?

Friedrich Nietzsche wird das Zitat „Die Glücklichen sind die Neugierigen.“, zugeschrieben. Ob sich das auch vor Gericht so verallgemeinern lässt, wenn es um die Videoüberwachung von Eingangsbereichen in Mietshäusern durch den Vermieter geht? Die Neugier kann man der Vermieterin jedenfalls nicht absprechen, denn sie tat dies, um zu ermitteln, ob ihre Mieter einzelne Zimmer unerlaubt untervermieten. Der BGH befasste sich jüngst mit der Angelegenheit (Urteil v. 12.03.2024, Az. VI ZR 1370/20) und berührte auf dem Weg zur Entscheidung sogar den ein oder anderen interessanten Punkt des Unionsrechts.

Sachverhalt

Die Vermieterin in Gestalt eines landeseigenen Wohnungsunternehmens hegte den Verdacht, dass einige ihrer Mieter die ihnen überlassenen 4- bzw. 5-Zimmer-Wohnungen ohne Erlaubnis i.S.d. § 549 I BGB i.V.m. § 540 BGB und § 553 BGB an Dritte untervermieten. Im Laufe des Jahres 2017 wurden die betroffenen Mieter (teilweise wiederholt) i.S.d. § 541 BGB wegen unberechtigter Untervermietung abgemahnt. Um handfeste Beweise zu erlangen, beauftragte das Wohnungsunternehmen im November 2017 eine Detektei, die das Treppenhaus aus dem Eingangsbereich der Wohnungen mit versteckten Videokameras einen Monat lang überwachte, die Aufnahmen speicherte und Protokoll über die ein- und ausgehenden Personen führte. Der gefilmte Bereich erfasste auch den Eingangsbereich innerhalb der Wohnungen, sobald jemand die Wohnungstür öffnete. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse erklärte die Vermieterin zunächst am 18.01.2018 die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zweier Mietverhältnisse wegen der ungenehmigten Untervermietung und erhob schließlich Räumungsklage gegen die betroffenen Mieter. Mindestens eine der Beklagten fühlte sich aufgrund der Ereignisse wie im falschen Film und konterte im Sommer 2018 schriftsätzlich: „Überhaupt erinnern mich die Methoden der Klägerin an Stasi Praktiken, wo die Nachbarn sich gegenseitig ausspionieren und gegeneinander aussagen mussten, wie die Klägerin es möglicherweise zu DDR Zeiten praktizierte, als sie im Dienste des Staates gewesen sei und diese Praktiken bis heute nicht ablegen kann.“ Daraufhin reagierte die Vermieterin prompt mit einer weiteren außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung am 17.09.2018.

Während das in erster Instanz wegen § 29a ZPO ausschließlich zuständige Amtsgericht Berlin-Mitte die erste außerordentliche Kündigung vom 15.01.2018 als wirksam ansah und die Beklagten entsprechend zur Räumung und Herausgabe der Wohnungen verurteilte, wies das Landgericht Berlin die Räumungsklage auf die Berufung der Beklagten schließlich ab. Hiergegen wendete sich die Klägerin mit der Revision.

Entscheidung des BGH

Der sechste Zivilsenat sah die Dinge im Ergebnis wie das Landgericht Berlin und stufte die klägerische Revision als unbegründet ein. Ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnungen nach § 546 I BGB bzw. § 985 BGB stünden der Vermieterin nicht zu, da die jeweiligen Mietverhältnisse durch keine der ausgesprochenen Kündigungen wirksam beendet worden seien.

Die auf die unbefugte Gebrauchsüberlassung gestützte außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung sei unwirksam. Es habe im Januar 2018 weder ein wichtiger Grund i.S.d. § 543 II 1 Nr. 2 2. Alt BGB bestanden, noch habe ein berechtigtes Interesse der Vermieterin an der Beendigung des Mietverhältnisses nach § 573 II Nr. 1 BGB vorgelegen. Die unerlaubte Untervermietung könnte hier nicht als Pflichtverletzung herangezogen werden, da sich die Klägerin hierbei allein auf die Erkenntnisse gestützt habe, die sie durch die verdeckte Videoüberwachung im Wohnungseingangsbereich anhand ihrer Privatdetektivin gewonnen habe.

Gerade diese Maßnahme verstieße jedoch gegen das Datenschutzrecht, wie das Gericht in einem ersten Prüfungsschritt feststellte. Hier prüfte sich das Gericht schulmäßig durch die relevanten Paragrafen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Da offensichtlich keine Einwilligungen der von der Videoaufzeichnung Betroffenen vorlägen und auch keine der geprüften Erlaubnistatbestände griffen, kam es schlussendlich zu einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Interessen. Eingangs stellten die Richter klar, dass die Unionsgrundrechte wegen des unionsweit abschließend vereinheitlichten Datenschutzrechts heranzuziehen seien. Darauf aufbauend wurde die Wirkung der Grundrechte aus der Charta im privatrechtlichen Kontext erläutert, wobei eine Konstruktion über die Lehre der „mittelbaren Drittwirkung“ bei der Auslegung des Unionsrechts nicht von Nöten sei, um deren einzelfallbezogenes Hineinwirken im Privatrecht anzunehmen.

Seitens der Vermieterin sei ihr Interesse an der leichteren Durchsetzbarkeit der zivilrechtlichen Ansprüche zu berücksichtigen. Auch das Interesse der Privatdetektivin als Tätigkeit im Rahmen ihrer gewerblichen Dienstleistung nach Art. 16 GRCh sei zu berücksichtigen.

Demgegenüber sei zugunsten der von der Videoüberwachung betroffenen Personen deren Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 7 GRCh und ihr Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 GRCh zentral. Weil über einen Monat lang lückenlos und heimlich dokumentiert worden sei, wer wann, wie oft und in welcher Begleitung, mit welcher Stimmung, Gesichtsausdruck und Bekleidung die jeweiligen Wohnungen verlassen habe, handele es sich um besonders gewichtige Eingriffe.

Auch stellte das Gericht heraus, dass der Klägerin mit einer gezielten Scheinanmietung oder der Befragung von Nachbarn, Hausbediensteten und sonstigen Dritten ohne weiteres erfolgversprechende grundrechtsschonendere Maßnahmen zum Beweis der unerlaubten Untervermietung zur Seite gestanden hätte. Diesen habe sie sich trotz erwiesener Kenntnis von den Möglichkeiten nicht bedient. Folglich sei die Überwachung zur Überführung der Mieter auch gar nicht erforderlich gewesen, weswegen das Interesse der Vermieterin als Daten verarbeitende Seite hinter den schutzwürdigen Interessen der gefilmten Personen zurückzutreten habe.

Im zweiten Schritt untersuchte das Gericht, wie sich der ermittelte Verstoß gegen das Datenschutzrecht beweisrechtlich auswirkt. Weil die Datenerhebung und -verarbeitung erfolgt, ohne nach dem BDSG gerechtfertigt zu sein, ergäbe sich bei verfassungskonformer Auslegung des § 286 ZPO wegen der Bindung der Gerichte nach Art. 1 III GG an das Rechtsstaatsprinzip aus Art 20 III GG ein Beweisverwertungsverbot. Grundsätzlich seien die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Streben nach einer materiell richtigen Entscheidung wichtige Belange des Gemeinwohls und auch das Recht auf rechtliches Gehör nach Art 103 I GG verpflichte die Gerichte grundsätzlich die angebotenen Beweise zu berücksichtigen. Jedoch müsse im Einzelfall im Rahmen einer umfassenden Interessen- und Güterabwägung ermittelt werden, ob eine Unverwertbarkeit anzunehmen sei. Das Interesse der gefilmten Personen unter Gewichtung der Bedeutung der Zielsetzung und der Schwere des Eingriffs überwiege gegenüber dem Interesse der Vermieterin an der Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche und ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG in Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege und der Erzielung einer materiell richtigen Entscheidung. Schließlich stünden den Betroffenen ein Verstoß gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 I GG sowie ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht in Gestalt der informationellen Selbstbestimmung nach Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG zur Seite. Hieraus ergebe sich entsprechend das Beweisverwertungsverbot.

Ferner läge auch in Bezug auf den Vergleich mit Stasi-Methoden kein Kündigungsgrund nach § 543 II 1 Nr. 2 2. Alt BGB bzw. § 573 II 1 BGB vor, weswegen die Mietverhältnisse auch nicht durch die Kündigungserklärung aus September 2018 wirksam beendet worden seien. Hier stellte das Gericht heraus, dass es sich gerade um keine Beleidigung der Klägerin handele, sondern darin eine von Art. 5 I GG umfasste Meinungsäußerung zu sehen sei. Das landeseigene Wohnungsunternehmen (in Form einer GmbH) genieße zwar strafrechtlichen Ehrschutz in Bezug auf seinen sozialen Geltungsanspruch innerhalb seines Aufgabenbereichs und die getätigte Äußerung sei auch geeignet, das Ansehen der Klägerin zu mildern, jedoch sei diese in Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. Art 5 I GG bzw. § 193 StGB getätigt worden. Folglich habe die Klägerin die wenn auch scharfe und zugespitzt formulierte Kritik hinzunehmen, weil die Äußerung im Rahmen der Verteidigung gegen die Räumungsklage gefallen sei.

Im Ergebnis bleibt somit alles, wie es ist: Das Urteil der Berufungsinstanz hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand, die Mieter müssen nicht ausziehen. Damit dürfte die Klägerin nicht glücklich sein. Das Zitat von Nietzsche findet daher bezogen auf ihre endgültige Niederlage wohl keine Anwendung.

Ausblick

Der etwas andere Fall einer Unverwertbarkeit von Beweismitteln im Zivilrecht ist für diejenigen in Vorbereitung auf das zweite Examen interessant. Wer sich hier angesprochen fühlt, dem sei die Lektüre des Urteils empfohlen, denn die Thematik wird im Original um eine Widerklage ergänzt, wie sie häufig zur Andickung der Assessorexamensklausuren Verwendung findet.

Eine nicht weniger lehrreiche und für das erste Staatsexamen relevante Komponente lässt sich dem Fall hinsichtlich des DDR-Vergleichs als Kündigungsgrund des Mietverhältnisses entnehmen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Mietrechts für die Prüfungen steht einer Verwertung der Erkenntnisse durch die Prüfungsämter folglich wenig entgegen. Wer mit soliden mietrechtlichen Kenntnissen ausgestattet ist und sich systematisch an die Lösung herantastet, wird auch diese Aufgabe bewältigen und zu den „Glücklichen“ gehören.

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