Die Streitgenossenschaft im Zivilurteil (Teil 1)

Die Streitgenossenschaft im Zivilurteil (Teil 1)

Die Streitgenossenschaft im Zivilurteil (Teil 1)

A. Einleitung

Die ZPO geht vom Prinzip des „Zwei-Parteien-Prozesses“ aus: Ein Kläger verklagt einen Beklagten. Das bedeutet aber nicht, dass nicht auf Kläger- und / oder Beklagtenseite mehrere Personen stehen können. Dies ermöglicht die sogenannte Streitgenossenschaft, die in §§ 59 ff. ZPO geregelt ist und sowohl Praxis als auch Klausur eine große Relevanz hat.

Für das Grundverständnis ist wichtig, dass die Streitgenossenschaft eine Verbindung mehrerer Prozesse in einem Verfahren ermöglicht. Dadurch kann – ganz im Sinne der Prozessökonomie – in einem Prozess über mehrere Rechtsverhältnisse entschieden werden, die eine sachliche Nähe zueinander aufweisen und ansonsten in mehreren Verfahren geklärt werden müssten. In Abgrenzung etwa zur Nebenintervention oder Streithilfe (§§ 66 ff. ZPO) sind die Streitgenossen Parteien des Rechtsstreits. Die jeweiligen Prozessrechtsverhältnisse der Streitgenossen zum Gegner bestehen nämlich unabhängig voneinander und folgen ihren eigenen Regeln. Man spricht von dem sogenannten Trennungsprinzip, das in §§ 61, 63 ZPO zum Ausdruck kommt. Handlungen des einen Streitgenossen berühren den anderen nämlich nicht, weswegen jeder Streitgenosse etwa in Tatsachenvortrag und Beweisantritt selbstständig agiert. Daraus folgt, dass sich der Tatsachenvortrag der Streitgenossen widersprechen kann, weswegen sich das Verfahren grundsätzlich bei jedem Streitgenossen unterschiedlich entwickeln kann. Auch die Entscheidung des Gerichts kann (bei einfachen Streitgenossen) unterschiedlich ausfallen (zur Ausnahme bei der notwenigen Streitgenossenschaft sogleich). Man spricht von einer subjektiven Klagehäufung (in Abgrenzung zur objektiven Klagehäufung im Sinne von § 260 ZPO).

Das Gesetz unterscheidet zwischen der einfachen und der notwendigen Streitgenossenschaft:

Die einfache Streitgenossenschaft ist in §§ 59, 60 ZPO geregelt und kommt danach in drei Fällen vor. Eine Rechtsgemeinschaft im Sinne von § 59 Alt. 1 ZPO bilden beispielsweise mehrere Beklagte, die als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden. Nach § 59 Alt. 2 ZPO liegt zudem eine Streitgenossenschaft vor, wenn eine Identität des Anspruchs- oder Verpflichtungsgrundes besteht (Beispiel: Ansprüche aufgrund derselben deliktischen Handlung, etwa bei einem Verkehrsunfall). Schließlich erweitert § 60 ZPO diese Regelung auf Fälle, in denen zwar keine Identität, wohl aber Gleichartigkeit des Anspruchs- oder Verpflichtungsgrundes besteht. Letzteres hat der BGH etwa angenommen für Haftungsklagen gegen Hersteller und Verkäufer von Dieselfahrzeugen wegen des sog. Abgasskandals (BGH, Beschl. v. 6.6.2018 – X ARZ 303/18).

Die notwendige Streitgenossenschaft im Sinne von § 62 ZPO hingegen kommt seltener vor. Das Gesetz unterscheidet zwischen der notwenigen Streitgenossenschaft aus prozessrechtlichen Gründen (§ 62 I Alt. 1 ZPO) und solchen aus materiell-rechtlichen Gründen (§ 62 I Alt. 2 ZPO). Wesen der notwendigen Streitgenossenschaft (in beiden Fällen) ist, dass gegenüber den notwendigen Streitgenossen nur eine einheitliche Entscheidung des Gerichts in der Sache ergehen kann. Um das sicherzustellen, wird das Trennungsprinzip hier entsprechend eingeschränkt. Gesetzlich zum Ausdruck kommt das etwa darin, dass ein Versäumnisurteil gegen die notwendigen Streitgenossen nur ergehen darf, wenn alle notwendigen Streitgenossen säumig sind (Vertretungsfiktion § 62 I ZPO).

B. Die einfache Streitgenossenschaft im Zivilurteil

Bei der Streitgenossenschaft ist im Rubrum darauf zu achten, dass alle Streitgenossen aufzuführen sind; ob es sich um eine einfache oder notwendige Streitgenossenschaft handelt, kommt im Rubrum nicht zum Ausdruck. Dazu werden sie auf Klägerseite (sogenannte aktive Streitgenossenschaft) und / oder auf Beklagtenseite (sogenannte passive Streitgenossenschaft) durchnummeriert. Ein typisches Rubrum bei einer Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite (mit derselben Anschrift und einem gemeinsamen Prozessbevollmächtigten) könnte wie folgt aussehen:

2 O 18/19

Landgericht Hamburg

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

des Herrn Peter Petersen, Musterstraße 7, 20095 Hamburg,

Kläger,

- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin Theresa Hansen, Dorfstraße 19, 20095 Hamburg -

gegen

1.) Frau Petra Mustermann, Hauptstraße 23, 20095 Hamburg,

Beklagte zu 1),

2.) Herrn Klaus Mustermann, ebenda,

Beklagten zu 2),

- Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Max Power, Nebenstraße 7, 20095 Hamburg -

hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg

durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Müller als Einzelrichter

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 2020

für Recht erkannt:

Im Tenor ist darauf zu achten, dass in der Hauptsacheentscheidung alle Prozessrechtsverhältnisse erschöpfend zu behandeln sind. Bei der einfachen Streitgenossenschaft kann es auch vorkommen, dass zwischen den einzelnen Streitgenossen, die als Kläger zu 1) bzw. Beklagter zu 1), zu 2) und so weiter zu bezeichnen sind, zu differenzieren ist (Beispiel: „Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 10.000 Euro zu zahlen. Im Übrigen [= hinsichtlich des Beklagten zu 2)] wird die Klage abgewiesen.“).

Es kann auch erforderlich sein, einen materiell-rechtlichen Haftungszusatz auszusprechen (Beispiel: „Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.000 Euro zu zahlen.“). Im Rahmen der Kostengrundentscheidung ist zunächst der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostengrundentscheidung zu beachten. Daher ist eine Differenzierung zwischen den einzelnen Streitgenossen grundsätzlich unzulässig; vielmehr ist ergeht eine einheitliche Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits. Für die Bemessung des Gebührenstreitwertes sind die Werte der verschiedenen Streitgegenstände grundsätzlich zu addieren (§ 39 GKG). Häufig werden die Streitgegenstände aber wirtschaftlich identisch sein, weswegen es nicht zu einer Addition kommt. Zu beachten ist die für Streitgenossen geltende Sondervorschrift in § 100 ZPO. Wurden die Streitgenossen im Hauptsachetenor als Gesamtschuldner verurteilt, ist dies gemäß § 100 IV ZPO auch für die Kostengrundentscheidung auszusprechen („Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.“). Ist das Verhältnis der Streitgenossen bei Obsiegen und Unterliegen unterschiedlich (Beispiel: Der Klage gegen den Beklagte zu 1) wird vollumfänglich stattgegeben, die Klage gegen den Beklagten zu 2) wird abgewiesen.), bestimmt sich die Kostengrundentscheidung nach der sogenannten Baumbach’schen Kostenformel. Bei der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit (§§ 708 ff. ZPO) gibt es keine Besonderheiten. Es ist aber besonders darauf zu achten, dass alle Vollstreckungsverhältnisse identifiziert und „abgearbeitet“ werden.

Bei der Abfassung des Tatbestandes, bei dem die Streitgenossen ebenfalls als Kläger zu 1) bzw. Beklagter zu 1), zu 2) und so weiter zu bezeichnen sind, kommt ebenfalls das Trennungsprinzip (§§ 61, 63 ZPO) zum Ausdruck. Weil Tatsachenvortrag, (Nicht-)Bestreiten und Geständnis nur für und gegen den jeweiligen Streitgenossen wirken, ist gegebenenfalls im unstreitigen Sachverhalt (Sachstand) oder streitigem Parteivorbringen zwischen den Streitgenossen gegebenenfalls zu differenzieren. Zu beachten ist aber auch, dass sich die Streitgenossen günstige Behauptungen und günstiges Bestreiten des jeweils anderen Streitgenossen zu eigen machen können (auch konkludent).

In den Entscheidungsgründen werden Zulässigkeit und Begründetheit der Klage bei jedem Streitgenossenschaft grundsätzlich selbständig geprüft (Trennungsprinzip). Das bedeutet, dass die Zulässigkeit zunächst für den Streitgenossen I und im Anschluss jeweils für die weiteren Streitgenossen geprüft wird. Auch im Rahmen der Begründetheit ist entsprechend zu differenzieren. Gibt es indes keine Besonderheiten oder Gründe für eine Differenzierung, kann diese Prüfung natürlich auch gemeinsam erfolgen. Am Ende der Zulässigkeitsprüfung („zwischen Zulässigkeit und Begründetheit“) ist auszuführen, warum (ausnahmsweise) die Möglichkeit besteht, dass über alle Prozessrechtsverhältnisse gemeinsam entschieden werden kann. Hier sind also zunächst die Voraussetzungen der Streitgenossenschaft (§§ 59, 60 ZPO: Rechtsgemeinschaft oder Identität bzw. Gleichartigkeit des Anspruchs- oder Verpflichtungsgrundes) darzustellen. Weil jede subjektive Klagehäufung zugleich zu einer Mehrheit von Streitgegenständen und damit zu einer objektiven Klagehäufung führt, müssen zugleich deren Voraussetzungen (§ 260 ZPO) vorliegen, wobei es naturgemäß auf die in § 260 ZPO niedergelegte Voraussetzung der Parteiidentität nicht ankommen kann. Dabei (§§ 59, 60 ZPO und § 260 ZPO) handelt es sich grundsätzlich nicht um eine „echte Zulässigkeitsvoraussetzung“.

Liegen die Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO und / oder § 260 ZPO nämlich nicht vor und wird dies gerügt (Möglichkeit der Heilung nach § 295 ZPO), wird die Klage nicht als unzulässig abgewiesen. Vielmehr sind die Verfahren zu trennen (§ 145 ZPO), sofern das Gericht keine Verbindung nach § 147 ZPO anordnet. Ausnahmsweise kann die Möglichkeit der gemeinsamen Klage (§§ 59, 60 ZPO und § 260 ZPO) aber auch zu einer „echten“ Zulässigkeitsvoraussetzung werden. Das ist vor allem der Fall, wenn die sachliche Zuständigkeit des Gerichts (§§ 23, 71 GVG) nur durch Zusammenrechnung der einzelnen Streitgegenstände (§ 5 Hs. 1 ZPO) erreicht wird. Denn eine Addition der Einzelwerte im Hinblick auf die einzelnen Streitgenossen für den Zuständigkeitsstreitwert erfolgt nur, wenn die Streitgenossenschaft zulässig ist. In diesen Fällen sind daher die sachliche Zuständigkeit des Gerichts und die Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO und § 260 ZPO verzahnt zu prüfen.

C. Ausblick

In den nächsten Wochen werden wir uns in Teil 2 des Beitrags den Besonderheiten der notwendigen Streitgenossenschaft widmen.