
Wer ein Pferd in einem Reitstall einstellt, erwartet nicht nur Fütterung und Versorgung, sondern auch einen sicheren Unterstellplatz. Doch was passiert, wenn sich ein Tier dennoch verletzt – und der Schaden schwerwiegende Folgen hat? Das OLG Frankfurt hatte über den tragischen Fall eines Pferdes zu entscheiden, das sich einen rostigen Hufnagel eintrat und später eingeschläfert werden musste. Die zentrale Frage: Haftet der Reitstall für die Verletzung?
Verletzung durch rostigen Hufnagel im Stall
Die A hatte ihr Pferd im Rahmen eines schriftlichen Einstellvertrags in einer Box auf dem Gelände eines Reitvereins B untergebracht. Der Vertrag sah neben der Unterstellung auch umfassende Versorgungs- und Kontrollpflichten seitens der B vor, darunter Fütterung, Misten und die Verpflichtung, gesundheitliche Auffälligkeiten unverzüglich zu melden.
Am Morgen des 6. Dezember 2021 wurde festgestellt, dass sich das Pferd einen Nagel in den Huf getreten hatte. Unklar ist, ob dies auf dem Weg in die Pferdebox oder in der Pferdebox selbst passiert ist. Die Verletzung musste operativ behandelt werden, führte jedoch zu einer Komplikation – einer schweren Kolik – in deren Folge das Tier eingeschläfert werden musste. Die A forderte Schadensersatz für die entstandenen Heilbehandlungskosten und argumentierte, dass der Reitverein B für die Sicherheit der Box verantwortlich gewesen sei. Diese sei mangelhaft gewesen, da der Nagel sich nur dort in den Huf des Pferdes habe bohren können.
Verwahrungsvertrag und Haftung beim Pferdeeinstellvertrag
Das OLG Frankfurt stellte im Ausgangspunkt fest, dass es sich beim Pferdeeinstellvertrag um einen typengemischten Vertrag handelt, der im Schwerpunkt als entgeltlicher Verwahrungsvertrag im Sinne von § 688 BGB zu qualifizieren sei. Der Reitverein schulde nicht nur die Zurverfügungstellung einer Box, sondern hätte auch ausdrücklich Obhutspflichten übernommen, insbesondere hinsichtlich der Versorgung des Pferdes mit Futter, Einstreu, Sauberkeit und gesundheitlicher Beobachtung. Dieser Pflichten Umfang spreche deutlich für eine Einordnung als Verwahrung mit betreuender Komponente.
Umfang der Obhuts- und Fürsorgepflichten des Reitstalls
Die zentrale Frage lautete daher: Hatte der Reitverein seine vertraglich geschuldeten Obhuts- und Fürsorgepflichten verletzt?
Das Gericht verneinte dies. Die Richter stellten klar, dass sich aus dem Vertrag keine Garantiehaftung für jeden Schaden ableiten lasse. Vielmehr schulde der Verwahrer nur ein Handeln mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Tierpflegers, nicht jedoch den Ausschluss jeder abstrakten Gefahr.
Beweislast für die Pflichtverletzung
Wichtig ist an dieser Stelle: Das Gericht wies darauf hin, dass die Beweislast grundsätzlich bei der Klägerin liege. Das bedeutet: Wer Schadensersatz will, muss beweisen, dass die Pflichtverletzung tatsächlich passiert ist. § 280 I 2 BGB gilt nur für das Vertretenmüssen und gerade nicht für die Pflichtverletzung. Die Rechtsprechung erkennt eine analoge Anwendung von § 280 I 2 BGB nach Gefahrenbereichen für sog. Obhutsfälle an. Damit diese greift, müsse die Klägerin allerdings nachweisen, dass die Pflichtverletzung ausschließlich im Verantwortungsbereich der Stallbetreiberin passiert sei. Dies habe die A nicht beweisen können, da sich das Pferd den Nagel auch auf dem Weg zur Box eingetreten haben könnte.
Etwas anderes folge auch nicht daraus, dass die Beklagte im Ausgangspunkt nicht nur für den ordnungsgemäßen Zustand der Box, sondern auch für den ordnungsgemäßen Zustand der Boxengasse, des Putzplatzes, des Hofs und der Reithalle hafte.
Vertragliche Obhutspflicht vs. allgemeines Lebensrisiko
Der Betreiber eines Reitstalls ist nicht verpflichtet, jede potenzielle Verletzungsquelle auf dem gesamten Gelände lückenlos auszuschließen, solange er durch geeignete Maßnahmen für die allgemeine Sicherheit sorge. Dazu gehöre etwa die regelmäßige Reinigung der Boxen, der Boxengasse und der gemeinschaftlich genutzten Flächen. Der Einstellvertrag verpflichte zu organisatorischer Vorsorge, aber nicht zur vollständigen Beherrschung jedes Restrisikos – etwa des zufälligen Herumliegens eines einzelnen, älteren Hufnagels.
Besonders deutlich wurde das Gericht im Hinblick auf das Verhältnis von vertraglicher Obhutspflicht und allgemeinem Lebensrisiko: Auch bei einem vertraglich eng gefassten Betreuungsverhältnis bleibe es bei der allgemeinen Regel, dass sich nicht jeder Schadensfall zwangsläufig in einer Pflichtverletzung des Verwahrers niederschlage. Wenn also – wie hier – keine Anhaltspunkte für systemische Versäumnisse bei der Stallführung vorlägen und die regelmäßigen Pflegemaßnahmen eingehalten würden, liege keine objektive Pflichtverletzung vor.
Prüfungsrelevanz der Entscheidung des OLG Frankfurts
Neben Autos spielen Tiere und vor allem Pferde eine überragende Rolle bei den Prüfungsämtern. Die Entscheidung eignet sich hervorragend für eine Klausur. Gerade die richtige Einordnung als typengemischten Vertrag und die Bestimmung des geschuldeten Pflichtenumfangs sind immer wiederkehrende Klausurprobleme, die Du mit dieser Entscheidung sehr gut wiederholen kannst. Aber auch für Referendare ist die Entscheidung interessant. Die analoge Anwendung von § 280 I 2 BGB nicht nur für das Verschulden, sondern bereits für die Pflichtverletzung ist im zweiten Examen sehr relevant und lässt sich problemlos mit der Würdigung eines Zeugenbeweises verknüpfen.
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Entscheidungen zu Hunden und Pferden waren schon immer die Prüfungsamtslieblinge und finden daher regelmäßig Einzug in Deine Klausuren. Neben der Tierhalterhaftung - insbesondere für Hunde - gibt es eine Vielzahl an Fällen zu Pferden, die sich mit nicht weniger prüfungsrelevanten Themen aus dem Gewährleistungsrecht und sogar dem Sachenrecht befassen.
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