Tochter stolpert über Hundeleine – wer haftet?
Mit der Tierhalterhaftung müssen sich nicht nur deutsche Gerichte hin und wieder beschäftigen – sie wird auch regelmäßig in (Examens-) Klausuren geprüft. Die Tierhalterhaftung ist in § 833 BGB, also im Deliktsrecht, geregelt und stellt eine sogenannte Gefährdungshaftung dar. Doch wann ist die Gefährdungshaftung ausgeschlossen? Und wer haftet, wenn die eigene Tochter über die Hundeleine des väterlichen Hundes stolpert und sich dabei verletzt?
Worum geht es?
§ 833 BGB besagt:
1 Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. 2 Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.
Die Norm regelt die Gefährdungshaftung des Tierhalters für Schäden, die durch ein sogenanntes “Luxustier” verursacht werden. Bei der Gefährdungshaftung haftet der Halter unabhängig von seinem eigenen Verschulden. Wird der Schaden hingegen durch ein sog. “Nutztier” verursacht, normiert § 833 S. 2 BGB eine Verschuldenshaftung des Tierhalters, sodass er sich unter Umständen exkulpieren kann. Der BGH hat kürzlich eine neue Entscheidung zur Haftung des Tierhalters getroffen. Es ging um die Frage, ob die Tierhalterhaftpflicht eines Vaters sein eigenes Kind im Schadensfall entschädigen muss. Wie hat der BGH entschieden?
Deliktische Anspruchsgrundlagen
Prüfungsrelevante Lerneinheit
Tochter stolperte über Hundeleine
Die Tochter des Hundebesitzers nahm den Haftpflichtversicherer des Vaters aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz und Feststellung in Anspruch. Das Sorgerecht für die Klägerin steht ihren getrenntlebenden Eltern gemeinsam zu. Die Klägerin lebt mit ihrer Mutter in einem gemeinsamen Haushalt. Der Vater der Klägerin ging mit ihr und seinem angeleinten Hund spazieren. Als der Hund unvermittelt die Laufrichtung änderte, stolperte die zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alte Klägerin über die sich plötzlich straffende Hundeleine und stürzte auf ihr Gesicht. Der Vater der Klägerin unterhielt eine Tierhalterhaftpflichtversicherung bei der Beklagten. Die Mutter und der Vater der Klägerin unterzeichneten eine Vereinbarung, wonach der Vater der Klägerin sämtliche Ansprüche, die ihm gegen die Beklagte aus dem Versicherungsverhältnis aufgrund des Schadensereignisses zustehen, an die Klägerin abgetreten hat.
Das AG Coburg hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung beim LG Coburg hatte ebenso wenig Erfolg. Laut LG Coburg sei die Klage zwar zulässig, aber unbegründet. Die Abtretung gehe ins Leere, da der Vater wegen des Schadensereignisses keine Ansprüche gegen die Tierhalterhaftpflichtversicherung habe. Es bestehe kein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen ihren Vater aus § 833 Satz 1 BGB, da dessen Haftung gemäß § 1664 I BGB auf die Verletzung eigenüblicher Sorgfalt beschränkt sei. Der Unfall der Klägerin stehe in einem inneren Zusammenhang mit der elterlichen Sorge, da er sich bei einem gemeinsamen Spaziergang ereignet habe. Ein Fehlverhalten des Vaters der Klägerin werde nicht behauptet und sei auch nicht ersichtlich. Vielmehr beruhe der Sturz der Klägerin allein auf der Realisierung der spezifischen Tiergefahr, nämlich der unvorhersehbaren, plötzlichen Änderung der Laufrichtung des Hundes.
Beschränkung auf eigenübliche Sorgfalt
Auch der BGH hat die Revision nun zurückgewiesen und die Urteilsbegründung des LG damit bestätigt (Urteil v. 15.12.2020, VI ZR 224/20). Der geltend gemachte Anspruch bestehe jedenfalls deshalb nicht, weil die allein in Betracht kommende Gefährdungshaftung des Vaters aus § 833 S. 1 BGB gemäß § 1664 I BGB ausgeschlossen sei.
Überblick - Familienrecht
Prüfungsrelevante Lerneinheit
§ 1664 I BGB regelt, dass die Eltern bei der Ausübung ihrer elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen haben, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Diese Privilegierung der Eltern beruhe auf der familienrechtlichen Verbundenheit mit dem geschädigten Kind, welche der Ausübung der Personensorge ein besonderes Gepräge verleihe. Daher gelte sie auch für deliktische Verhaltenspflichten zum Schutz der Gesundheit eines Kindes jedenfalls dann, wenn diese Schutzpflichten ganz in der Sorge für die Person des Kindes aufgehen, da ein Ausschluss des § 1664 I BGB in diesen Fällen mit Wortlaut und Sinn der Vorschrift nicht vereinbar wäre. Darüber hinaus werde durch § 1664 I BGB ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 833 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Dies entspreche den Wirkungen einer gesetzlichen Beschränkung der Vertragshaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung durchschlage. Dies habe zur Folge, dass wegen solchen Verhaltens nach Deliktsrecht keine strengere Haftung stattfinde und nicht nur eine Haftung für leichte Fahrlässigkeit entfalle, sondern auch die Gefährdungshaftung nach § 833 Satz 1 BGB.
Auch der Umstand, dass die Eltern getrennt leben, führe laut BGH zu keinem anderen Ergebnis. Es handele sich trotzdem um familiären Umgang zwischen der Klägerin und ihrem Vater. Als der Vater der Klägerin mit ihr einen Spaziergang machte und sie über die Hundeleine stolperte, übte er die elterliche Sorge gem. §§ 1626 I, 1631 I BGB über sie aus.
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