
OLG Schleswig-Holstein: Beschaffenheitsvereinbarung als Reitpferd
Es kommt nicht von ungefähr, dass Pferde und Gebrauchtwagen bei Juristen:innen gefürchtet sind. Erfahrungsgemäß ziehen diese Kaufverträge oft unliebsame juristische Probleme mit sich und verlaufen in der Praxis selten reibungslos. Daher sind solche Sachverhalte bei vielen Prüfungsämtern ein Dauerbrenner. Der aktuelle Fall des OLG Schleswig-Holsteins vom 23.01.2025 (7 U 72/24) beschäftigt sich mit der Frage, was der Käufer eines “Reitpferdes” redlicherweise erwarten darf.
Was war geschehen?
A und B sind begeisterte Pferdeliebhaber. A suchte für ihre Tochter C ein Springpferd und hoffte, bei B fündig zu werden. Der 80-jährige B, ehemaliger Reitsport-Richter und erfahrener Züchter, war stolzer Eigentümer eines Holsteiner Wallachs.
Nach Probereiten und tierärztlicher Untersuchung – jedoch ohne Röntgenbilder – kaufte A das Pferd für 10.500,00 Euro. Der Kaufvertrag basierte auf einem Internet-Mustervertrag, den die Ehefrau des B besorgt hatte. Die Parteien verhandelten auf Grundlage des Vertrags und nahmen handschriftliche Anpassungen und Ergänzungen vor. § 5 enthielt einen Gewährleistungsausschluss mit Ausnahme grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Pflichtverletzungen.
Sechs Wochen nach dem Kauf zeigte das Pferd Lahmheit vorne rechts. Eine erneute Auswertung der Röntgenbilder sowie eine MRT-Untersuchung brachten die traurige Gewissheit: Das Pferd litt unter einer schweren Huf-Erkrankung. A ließ das Pferd einschläfern und fordert nun gerichtlich den Kaufpreis sowie 8.578,05 Euro an Aufwendungen zurück. Sie hält den Gewährleistungsausschluss für unwirksam, da es sich um einen Verbrauchsgüterkauf gehandelt habe.
Entscheidung des Gerichts
Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, legte A Berufung beim Oberlandesgericht Schleswig-Holstein ein. Doch das OLG signalisierte nun in einem Beschluss nach § 522 II ZPO, dass es die Berufung voraussichtlich zurückweisen wird. Der Grund: Die Erfolgsaussichten seien gering. A habe keinen Anspruch auf Rückgewähr des Kaufpreises und Ersatz vergeblicher Aufwendungen für den gekauften Holsteiner Wallach (§§ 433, 437 Nr. 2, Nr. 3 Alt. 2, 284, 323 I, 346 I BGB).
Der zentrale Punkt des Falls: Die Gewährleistungsansprüche wurden wirksam ausgeschlossen (§ 5 des Vertrags).
Für Dich zur Einordnung: Die Prüfung eines Gewährleistungsausschlusses lässt sich super systematisieren. Zunächst musst Du prüfen, ob die Vertragsparteien den Haftungsausschluss wirksam vereinbart haben und in einem zweiten Schritt, ob sich der Gewährleistungsausschluss auf den Mangel bezieht.
Das Gericht prüft dementsprechend zunächst die Wirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses. Hier musst Du insbesondere an § 444 BGB, die Regelungen aus dem Verbrauchsgüterkauf und die §§ 305 ff. BGB denken.
Das Gericht lehnte § 444 BGB schnell ab und widmete sich dann der Frage, ob § 476 I BGB gegen die Wirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses spricht. Das Gericht lehnte dies ab, da A nicht beweisen konnte, dass B zum Zeitpunkt des Kaufs Unternehmer i.S.v. § 14 BGB gewesen ist. Allein der Umstand, dass B Pferdezüchter ist, reichte dem Gericht nicht aus. Denn nicht jede Pferdezucht wird automatisch gewerblich bzw. unternehmerisch betrieben. Die Beweislast für die Unternehmereigenschaft des B trage A, da sie sich auf den Schutz des Verbrauchsgüterkaufs berufen möchte.
Keine Angst vor der Beweislast: Das ist ein Thema für das Referendariat und das 2. Examen. Im Studium und im 1. Examen wird das Prüfungsamt Dir im Sachverhalt rund um die Unternehmereigenschaft mehr Informationen geben. Wichtig ist dann, dass Du den Sachverhalt genau auswertest und alle Argumente – sowohl für als auch gegen eine Unternehmereigenschaft – darstellst und abwägst.
Anschließend wendet sich das Gericht der Frage zu, ob der Gewährleistungsausschluss an einer AGB-Kontrolle zu messen ist und verneint dies. Es fehle an den „Stellen“ vorformulierter Vertragsbedingungen i.S.v. § 305 I BGB. Denn die Einbeziehung der AGB erweist sich als Ergebnis einer freien Entscheidung der A, die mit dem Verwendungsvorschlag konfrontiert wurde. Dies ergebe sich daraus, dass die Parteien den Vertrag zwar auf der Grundlage des Vertragsmusters erstellt, ihn aber durchgegangen und handschriftliche Änderungen und Ergänzungen vorgenommen hätten.
Merke Dir: Bevor Du eine Inhaltskontrolle nach AGB-Recht prüfst, musst Du sicherstellen, dass es sich tatsächlich um AGB handelt (1.), die vom Verwender auch gestellt wurden (2.)!
Schließlich setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung als Reitpferd vorlag (§§ 433, 434 II Nr. 1 BGB). Konkret bestimmt das Gericht so die Reichweite des Gewährleistungsausschlusses: Denn die Rechtsprechung ist hier eindeutig: Ein Gewährleistungsausschluss kann nicht eine ausdrücklich vereinbarte Beschaffenheit aushebeln. Dies würde gegen den Grundsatz “venire contra factum proprium” verstoßen. Das ist ein absoluter Klausurklassiker!
Das Gericht stellte klar, dass selbst der Verkäufer eines hochpreisigen Dressurpferdes ohne eine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung lediglich dafür einstehen muss, dass das Pferd zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht krank ist und kein erhöhtes Krankheitsrisiko aufweist. In diesem Fall könne das Tier für die vertraglich vereinbarte oder übliche Nutzung ungeeignet werden.
Ein Käufer dürfe jedoch nicht erwarten, dass er ein Pferd mit „idealen“ Anlagen erhält, wenn keine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung getroffen wurde. Vielmehr müsse er damit rechnen, dass ein Pferd physiologische Abweichungen vom Idealzustand aufweist. Solche Abweichungen seien bei Lebewesen völlig normal und erwartbar.
Prüfungsrelevanz
Die Entscheidung spielt sich im Kernbereich des Kaufrechts ab und eignet sich hervorragend für eine Klausur. Wie eingangs erwähnt, lieben die Prüfungsämter Pferde. Rund um das Pferd ergeben sich viele mögliche Konstellationen, zum Beispiel Ansprüche aus Halterhaftung, Schadensersatz oder – wie hier - Mängelgewährleistungsrechte.
Auch für das Referendariat ist die Entscheidung sehr spannend. Denn das Gericht hat noch einmal deutlich gemacht, dass A als Klägerin die Beweislast dafür trägt, dass B als Unternehmer im Sinne von § 14 BGB agiert. Wer sich auf den Schutz einer Norm beruft, trägt die Beweislast dafür, dass dessen Voraussetzungen auch tatsächlich vorliegen. Zweifel gehen zulasten des Beweispflichtigen, weil bei natürlichen Personen grundsätzlich von Verbraucherhandeln auszugehen ist!
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