Schmähkritik oder erlaubte Meinungsäußerung?

Schmähkritik oder erlaubte Meinungsäußerung?

Das OLG Stuttgart zu ehrverletzenden Äußerungen gegenüber einer Politikerin

Politiker und Politikerinnen müssen sich einiges an Kritik anhören, weil fast jeder eine Meinung zu ihrem Auftreten und ihren Inhalten hat. Das war früher so und wird wohl auch in Zukunft so bleiben. Im Unterschied zur analogen Vergangenheit werden allerdings Kommentare zu Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, heutzutage häufig auf Social Media für die Nachwelt nachlesbar fixiert. Die Kommentare überdauern meist den Groll oder die übrigen Emotionen, die die Urheber in dem Moment empfanden, als diese ihre Äußerungen in die digitale Welt entließen. Dass dies auch auf den Mann zutrifft, der eine SPD-Politikerin mit Beschimpfungen überzog, dürfte ungeklärt bleiben. Der mittlerweile gelöschte Kommentar beschäftigte nach dem LG Heilbronn nun mittlerweile auch das OLG Stuttgart, das sich in zweiter Instanz mit den Grenzen der Meinungsfreiheit auseinandersetzen durfte.

Sachverhalt

Zunächst war es eine SPD-Politikerin selbst, die 2020 auf Facebook einen kritischen Kommentar zum Sendebeitrag eines Kabarettisten hinterließ: Sie bezeichnete den Komiker in diesem Zusammenhang als „ignorant, dumm und uninformiert“. Hierauf reagierte ein User, der spätere Beklagte mit den Worten „Selten so ein dämliches Stück Hirn-Vakuum in der Politik gesehen wie C. Soll einfach abtauchen und die Sozialschulden ihrer Familie begleichen.“

Dies fasste die Politikerin als Beleidigung gem. § 185 StGB auf und klagte vor dem Landgericht Heilbronn auf Unterlassung und Zahlung von Schmerzensgeld.

Urteil des LG Heilbronn

Das LG hielt die streitgegenständliche Äußerung allerdings für von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 1. Fall GG gedeckt. Entsprechend wies es die Klage im Frühjahr 2023 vollumfänglich ab. Es begründete seine Auffassung damit, dass der Kommentar des Beklagten noch einen nachvollziehbaren Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung aufweise. Daher handele es sich dabei nicht um unerlaubte Schmähkritik, sondern um ein geschütztes Werturteil, das sich noch innerhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit bewege.

Das Urteil erfuhr beträchtliche mediale Aufmerksamkeit und wurde viel kritisiert. Verschiedene Stimmen sahen eine fatale Signalwirkung dahingehend, dass Hass und Hetze im Netz nicht effektiv mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnet würden. Die Klägerin legte sodann Berufung gegen das Urteil ein.

Entscheidung des OLG Stuttgart

Das OLG Stuttgart stufte die Äußerung des Beklagten anders ein als noch die Vorinstanz und kam auch hinsichtlich der beiden Anträge zu einem divergierenden Ergebnis: Das Gericht gab nur dem Unterlassungsanspruch nach § 1004 I 2 BGB analog i.V.m. § 823 I BGB wegen der Persönlichkeitsrechtsverletzung in Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG statt und änderte die Entscheidung des LG Heilbronn insofern ab. Einen Schmerzensgeldanspruch nach § 823 I BGB i.V.m. Art 2 I GG i.V.m. Art 1 I GG verneinte es jedoch.

Der Senat betonte zwar, dass bei der Annahme von Schmähkritik Zurückhaltung geboten sei, allerdings lägen mit der Bezeichnung „dämliches Stück Hirn-Vakuum“ die Voraussetzungen vor. Konkret werde dies, wenn man den Kommentar hinsichtlich der Begriffe „dämlich“ und „Hirn-Vakuum“ betrachte: Hiermit sei die Klägerin als besonders dumme und hirnlose Politikerin bezeichnet worden, die sich aus ihrem Betätigungsfeld zurückziehen solle („abtauchen“). Zudem wiege die diffamierende Komponente der Äußerung schwer, die sich daraus ergebe, dass die Politikerin als „Stück“ tituliert worden sei. Hierdurch werde ihr jede persönliche Würde abgesprochen.

Anders als die Vorinstanz vermochte das OLG Stuttgart keinen hinreichenden sachlichen Anknüpfungspunkt zum eigenen Facebook-Kommentar der Politikerin zu erkennen. Sieh habe zwar selbst persönlichkeitsverletzende Worte gewählt („ignorant, dumm und uninformiert“), allerdings handele es sich bei dem Verhalten des Beklagten gerade um keine angemessene Reaktion auf ihre Äußerung.

Zudem läge in den Worten „soll einfach abtauchen und die Sozialschulden ihrer Familie begleichen“ ein weiteres Werturteil, das allein bezwecke, die Politikerin in Bezug auf ihren Migrationshintergrund verächtlich zu machen und sie dazu anzuhalten, sich nicht mehr zu äußern. Ein Bezug zu der Kritik an dem Sendebeitrag fehle hier vollständig.

Die Voraussetzung eines diesbezüglichen Schmerzensgeldanspruchs sah das Gericht nicht für gegeben an. Es läge trotz der erheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzungen gerade kein unabwendbares Bedürfnis für die Zubilligung eines Entschädigungsanspruches vor. In diesem Rahmen sei zudem zu berücksichtigen, dass die Politikerin selbst starke Worte gewählt habe und die Auseinandersetzung so erst verursacht habe. Weil der streitgegenständliche Kommentar bei Facebook zudem zeitnah gelöscht wurde, reiche der bejahte Unterlassungsanspruch vorliegend aus.

Ausblick

Die Thematik um Hasskommentare im Netz wird wohl ein Dauerbrenner bleiben: Wer die Klagen von Politikern wegen potenziell ehrverletzender Meinungsäußerungen in den vergangenen Jahren aufmerksam verfolgt hat, dürfte sich an dieser Stelle an den Rechtsstreit der Grünen Politikerin Renate Künast erinnern. Sie wurde unter anderem als „Pädophile-Trulla“, „Gehirn amputiert“ und „Drecks Fotze“ beschimpft. Das Verfahren zog sich über mehrere Jahre durch die Instanzen, bis ihr schließlich das BVerfG Recht gab.

Da die Auslegung von streitgegenständlichen Äußerungen im Einzelfall am Wortlaut und im konkreten Sachzusammenhang erfolgen muss, gibt es auch in der Klausur nur sehr selten die „eine richtige Lösung“. Viel wichtiger ist, dass die Prüflinge ihre Argumentationsfähigkeiten zeigen und die Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung anbieten. Wer die entsprechenden Grundsätze beherrscht, muss sich jedenfalls nicht vor unbekannten Konstellationen fürchten.