BGH zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe

BGH zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe

Komplexe Beteiligungsformen im Strafrecht

In dieser Entscheidung widmete sich der BGH einem Fall, in dem verschiedene Formen der Beteiligung an einer Straftat sowie mehrere strafrechtliche Delikte ineinandergreifen sowie zur konkreten strafrechtlichen Bewertung der durch die Gruppe begangenen Handlungen. Dabei ging es insbesondere um die Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe. Diese wichtige Abgrenzung spielt im Strafrecht eine äußerst prüfungsrelevante Rolle. Die Voraussetzungen sowohl für die Mittäterschaft als auch die der Beihilfe werden in unserem Urteilsticker klar definiert und fallgemäß angewandt.

A. Sachverhalt

Während einer Autofahrt nimmt der K – im Beisein des S – über die Freisprechanlage einen Telefonanruf seiner Lebensgefährtin entgegen. Sie berichtet ihm, dass eine Bekannte, die G, ihr Wohnhaus verkauft habe und in eine Wohnung umgezogen sei. Nach dem Telefonat erteilt der K seinem Beifahrer S auf dessen Nachfrage weitere Informationen zu diesem Geschehen; so nennt er den Vor- und Nachnamen der G. S schlägt dem K vor, das Geld aus dem Hausverkauf an sich zu bringen. Hiermit erklärt sich K einverstanden, weil er aufgrund seiner immensen Schuldenlast unter hohem Druck seitens der Gläubiger steht. Am nächsten Tag fährt K zusammen mit vier Komplizen – darunter dem S – mit dem PKW zur neuen Adresse der G. K kennt und billigt den von den anderen Beteiligten zuvor gefassten konkreten Tatplan. Am Fahrtziel angekommen, geht einer der drei Komplizen zur auf vorheriges Klingeln geöffneten Wohnungstür der G und gibt sich ihr gegenüber als Postbote aus. K hatte ihm zuvor eine Dienstjacke der Deutschen Post gegeben. Als die G auf die Bitte des vermeintlichen Postboten ihren Personalausweis holen will, drängt dieser sie in die Wohnung, hält ihr den Mund zu und drückt ihren Kopf herunter. Während er sie anschließend in seiner Gewalt hält und ihr droht, um die Preisgabe des Aufbewahrungsorts des Geldes aus dem Hausverkauf zu erreichen, betreten die beiden weiteren Komplizen die Wohnung und durchsuchen sie. Sie finden Schmuck und Goldmünzen im Wert von 340 Euro. Zudem gibt die G aus Angst um ihr Leben 560 Euro Bargeld heraus. Einige Zeit später, nach der Durchsuchung, verlangen die drei Männer von ihr unter Vorhalt eines Messers und einer Schere erneut, ihnen den Immobilienkaufpreis zu überlassen. Da in der Wohnung jedoch kein weiteres Geld vorhanden ist, verlassen sie den Tatort mit der bis dahin erzielten Beute und begeben sich zurück zum lediglich ein Stück weit entfernt haltenden PKW. K, der jederzeit fluchtbereit am Steuer des Fahrzeugs gewartet hat, fährt mit S und den anderen davon. Für seine Beteiligung erhält er einen Beuteanteil i.H.v. 50 Euro.

Wie hat sich K strafbar gemacht?

B. Entscheidung

I. Besonders schwerer Raub, §§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB

K könnte sich wegen besonders schweren Raubes in Mittäterschaft nach den §§ 249 I, 250 II, 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem er – unter Mitwirkung von S und den übrigen drei Komplizen, die entsprechend des gefassten Tatplans ein Messer und eine Schere bei sich führten – Schmuck und Goldmünzen im Gesamtwert von 340 Euro aus der neuen Wohnung der G entwendet hat.

Hinweis: An dieser Stelle wäre an sich auf den „vielleicht prominentesten Streit im materiellen Strafrecht“, also die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung, einzugehen. In der hier besprochenen Entscheidung des BGH liest sich dazu allerdings nichts. Nach Auffassung der Rechtsprechung stellt der Raub (§ 249 I StGB) im Verhältnis zu den §§ 253, 255 StGB das speziellere Delikt dar, weil der Tatbestand der räuberischen Erpressung den engeren Tatbestand des Raubes mitumfasst (vgl. BGH, Beschl. v. 15.4.2014 − 3 StR 92/14; BGH , Beschl. v. 20.2.2018 – 3 StR 612/17 , 141; anders die hL. – wonach sich beide Tatbestände in einem Exklusivitätsverhältnis gegenüberstehen). Für die Abgrenzung beider Tatbestände ist nach der gefestigten Rechtsprechung auf das äußere Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten abzustellen. Hier haben die Beteiligten Schmuck und Münzen an sich genommen, weswegen eine „Wegnahme“ gegeben ist.

1. Objektiver Tatbestand

Dazu müsste K mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen haben, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen (§ 249 I StGB). Ferner müsste K – oder ein anderer Beteiligter am Raub – bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet haben (§ 250 II Nr. 1 StGB). K, der draußen im Fahrzeug fluchtbereit gewartet hat, hat insoweit nicht selbst gehandelt. Fraglich ist, ob ihm die Handlungen des S und der Komplizen als eigene zugerechnet werden können. Deren Handlungen erfüllen den objektiven Tatbestand des §§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB: Schmuck und Münzen (fremde bewegliche Sachen) sind G weggenommen worden (Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams), und zwar unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (Vorhalt von Messer und Schere). S und die Komplizen haben diese „gefährlichen Werkzeuge“ (§ 250 II Nr. 1 StGB) auch verwendet.

Dem K könnten diese Tathandlungen (objektiv) nach § 25 II StGB zugerechnet werden, wenn K als Mittäter von S und den weiteren drei Komplizen anzusehen wäre. Alternativ kommt vorliegend aber auch in Betracht, dass K lediglich Beihilfe zur Tatbegehung der drei anderen Beteiligten i.S.v. § 27 StGB geleistet hat. Für seine Stellung des K als bloßer Gehilfe könnte etwa sprechen, dass er an der eigentlichen Tatplanung, insbesondere an der Ermittlung der neuen Adresse der G und der Festlegung des Begehungszeitpunkts, sowie der Akquise der die Tat Ausführenden nicht beteiligt gewesen ist, ebenso wenig, dass er hier einen maßgeblichen Anteil der bei G erzielten Beute erhalten hat. Dazu der BGH:

„II.1.a)aa) Im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB gemeinschaftlich handelt, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst, ebenso wenig eine Anwesenheit am Tatort; ausreichen kann vielmehr ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich die objektiv aus einem wesentlichen Tatbeitrag bestehende Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach fremde Tatbeiträge gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen sind, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Dabei sind die maßgeblichen Kriterien der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (…).

Hinweis: Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen für die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe – die auch im Betäubungsmittelstrafrecht (§§ 29 ff. BtMG) gelten – stellt sich etwa das Verhalten eines Täters äußerlich nur als untergeordnete Unterstützung einer fremden Tat dar (und nicht als Tatbeitrag, der im Rahmen eines gleichrangigen, arbeitsteiligen Vorgehens von einem Mittäter erbracht wird), wenn sich dieses darauf beschränkt, einen Drogenhändler aus einem Nachbarland abzuholen, ohne aber am eigentlichen Betäubungsmittelhandel beteiligt zu sein (also keine Einbindung in die Einkaufsverhandlungen mit den Lieferanten, keine Entgegennahme und Bezahlung des Rauschgifts oder dessen Weiterveräußerung), vgl. BGH, Beschl. v. 20.09.2022 – 3 StR 231/22. Ebenso ist nur Gehilfe eines Betäubungsmitteldelikts, wer nur Aufgaben beim Düngen und Bewässern von Cannabispflanzen wahrnimmt und dabei den Instruktionen eines anderen Tatbeteiligten, der über Fachkenntnisse und Erfahrungen beim Cannabisanbau verfügt, folgt (und wiederum nicht in den beabsichtigten Verkauf eingebunden ist oder anteilig am Erlös der Umsatzgeschäfte partizipieren soll), s. BGH, Beschl. v. 01.06.2022 − 3 StR 118/22. Eine Bewertung von Transporttätigkeit als mittäterschaftliches Handeltreiben kommt aber in Betracht, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, also am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten soll (BGH, Urteil vom 28. 2. 2007 - 2 StR 516/06).

„bb) Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme (…), der [K] sei lediglich Gehilfe gewesen, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dies gilt selbst dann, wenn dem Tatgericht bei der Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird, der nur einer begrenzten revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt (…). Denn ein solcher Spielraum wäre hier überschritten. Die gebotene Gesamtbetrachtung lässt allein die Wertung zu, dass der [K] nach den Urteilsfeststellungen die Tat gemeinschaftlich mit [S] und den drei Komplizen beging:

(1) Unter dem Gesichtspunkt der Tatherrschaft ist zunächst der wesentliche Einfluss des [K] darauf zu berücksichtigen, dass die Tat überhaupt und an welchem Ort sie begangen wurde. Er war nicht nur Tippgeber (…), der dem [S] für ihre Begehung „essentielle“ Informationen erteilte (…), sondern wirkte auch maßgebend an der Entstehung des gemeinsamen Tatentschlusses mit. Die grundlegende Übereinkunft, das Geld der [G] aus dem Hausverkauf an sich zu bringen, traf [S] allein mit dem [K], indem jener ihm den Vorschlag unterbreitete und dieser sein Einverständnis hiermit erklärte. Daraufhin stand dem Grunde nach der Entschluss zu einer solchen Straftat fest. Der Tatort sollte hiernach die neue Wohnung der [G] sein, wenngleich die Ermittlung der Anschrift noch ausstand. Denn wie der [K] wusste, nahm der [S] an, das Geld befinde sich dort (…). Die dem [K] bereits zuvor bekannten (…) die Tat ausführenden Männer akquirierte [S] erst in der Folgezeit.

Zwar war der [K] zunächst nicht an der weiteren Tatplanung beteiligt. Die Organisation der Tatbegehung im Einzelnen übernahm der [S]; insbesondere instruierte er die drei Komplizen (…). Der [K] wurde jedoch in die näheren Einzelheiten des Plans eingeweiht. Er kannte und billigte ihn. Das konkrete Vorhaben fußte dabei namentlich auf seiner Bereitschaft, die Dienstjacke der Deutschen Post zur Verfügung zu stellen.

Darüber hinaus erbrachte der [K], auch wenn er keine der tatbestandlichen Ausführungshandlungen eigenhändig vornahm, zuvor und währenddessen für den Taterfolg bedeutsame Beiträge. Zum einen stellte er für die Tatbegehung tatsächlich die Dienstjacke zur Verfügung. Sie ermöglichte es dem an der Wohnungstür handelnden Komplizen, gegenüber der [G] als Postbote aufzutreten. Zum anderen leistete der [K] Fahrdienste mit dem von ihm angemieteten Kraftfahrzeug. Vor der Tat holte er den [S] und die drei die Tat ausführenden Männer an unterschiedlichen Orten ab und brachte sie zum Tatort; danach fuhr er sie zurück (…). Schließlich saß er während des Kerngeschehens jederzeit fluchtbereit am Steuer des PKW und erwartete gemeinsam mit [S] die Rückkehr der Komplizen (…). Durch seine Beiträge erlangte er Einfluss ebenso über den Zeitpunkt wie über die Art und Weise der Tatbegehung.

Dass vornehmlich [S] bestimmte, wann und wie die Tat ausgeführt wurde, steht der Strafbarkeit des [K] als Mittäter nicht entgegen. Denn ein Beteiligter kann auch dann Tatherrschaft innehaben, wenn ein anderer im Rahmen der Tatplanung oder des -geschehens eine Rolle mit einem höheren Gewicht einnimmt (…).

(2) Unter dem Gesichtspunkt des Tatinteresses ist in den Blick zu nehmen, dass der hochverschuldete [K] beabsichtigte, mit seinem Anteil der Tatbeute einen nennenswerten Teil seiner Verbindlichkeiten zurückzuführen. Das Tatinteresse des [K] ist deshalb als groß zu bewerten. Er stand wegen seiner immensen Schuldenlast unter einem hohen Druck der Gläubiger (…) und erwartete eine beträchtliche Tatbeute, die nach der Vorstellung der Tatgenossen dazu dienen sollte, seine Schulden – zumindest zum Teil – zu tilgen (…). Allein im Hinblick darauf erklärte er sich mit dem Vorschlag des [S] einverstanden, das in der Wohnung der [G] erwartete Geld aus dem Hausverkauf an sich zu bringen (…).

Dieses Tatinteresse hat die Strafkammer unberücksichtigt gelassen. Soweit sie für die Beurteilung der Beteiligung des [K] als Beihilfe auf dessen nur geringen Taterlös in Höhe von 50 € abgestellt hat (…), greift dies zu kurz. Denn zum einen entsprach die erzielte Beute bei Weitem nicht dem Tatplan. Auch [S], der die Tatbegehung im Einzelnen organisierte, erhielt dementsprechend bloß „ein wenig Gold“ (…). Zum anderen hatte der [S] aufgrund des Tipps des [K] veranlasst, dass sich an der Tat Personen beteiligten, die dessen Gläubigern zuzuordnen waren, um auf diese Weise ebenfalls eine Tilgung der Schulden zu erreichen (…). Für das Tatinteresse ist dies unabhängig davon bedeutsam, dass die Strafkammer nicht hat feststellen können, ob dem [K] dadurch tatsächlich ein weiterer Beuteanteil zugutekam (…).“

K hat damit „gemeinschaftlich“ i.S.v. § 25 II StGB gehandelt.

Subjektiv ist für die Mittäterschaft ein gemeinschaftlicher Tatentschluss erforderlich, also ein ausdrückliches oder auch stillschweigendes Einvernehmen, gemeinsam ein deliktisches Ziel zu verfolgen. K kannte und billigte vorliegend den von den anderen Beteiligten zuvor gefassten konkreten Tatplan.

Die Voraussetzungen für eine Zurechnung der Tathandlungen nach § 25 II StGB sind also erfüllt.

Der raubspezifische (Kausal-)Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme ist gegeben.

K hat den objektiven Tatbestand der §§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB erfüllt.

2. Subjektiver Tatbestand

K hatte auch Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale – im Sinne eines Wissens und Wollens – sowie die Absicht, die Tatbeute sich (und einem Dritten) rechtswidrig zuzueignen. Letzteres ist gegeben, wenn der Täter hinsichtlich der Aneignung mit zielgerichtetem Willen (sog. dolus directus 1. Grades) handelt und die Enteignung zumindest billigend in Kauf nimmt (sog. dolus eventualis). Dem K ging es hier gerade darum, die Tatbeute bzw. einen Teil davon für sich zu behalten, weil er damit die Schulden bei seinen Gläubigern abtragen wollte. Auf das Geld der G hatte er auch keinen Anspruch.

3. Zwischenergebnis

K, der rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, hat sich wegen mittäterschaftlich begangenen besonders schweren Raubes nach den §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 25 II StGB strafbar gemacht.

II. Besonders schwerer räuberische Erpressung, §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 StGB

K hat sich zudem wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung gemäß den §§ 253, 255, 250 II Nr. 1, 25 II StGB strafbar gemacht, indem die G den Komplizen des K in der Wohnung unter Vorhalt eines Messers und einer Schere aus Angst um ihr Leben Bargeld (560 Euro) ausgehändigt hat.

Hinweis: siehe Besprechung von BGH, Urt. v. 15.04.2021 – 5 StR 371/20 zur räuberischen Erpressung bei BtM-Wechselgeld Teil 1 und Teil 2.

III. Erpresserischer Menschenraub, §§ 239a I Alt. 1, 25 II StGB

Letztlich hat sich K auch wegen erpresserischen Menschenraubs in Mittäterschaft nach den §§ 239a I Alt. 1, 25 II StGB strafbar gemacht, indem einer seiner Komplizen – dem gemeinsamen Tatplan entsprechend – die G in die Wohnung gedrängt, ihr den Mund zugehalten und ihren Kopf heruntergedrückt hat und die G (nach der Durchsuchung ihrer Wohnung) aus Angst um ihr Leben Bargeld an seine Komplizen herausgegeben hat. Wegen erpresserischen Menschenraubes macht sich strafbar, wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl (oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers) zu einer Erpressung gemäß § 253 StGB auszunutzen, oder wer die durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt. K und seine Mittäter haben die G nicht „entführt“; sie haben sich aber der G bemächtigt, um die Sorge der G um ihr Wohl zu einer Erpressung auszunutzen. Dazu der BGH (Beschl. v. 29.06.2022 – 3 StR 501/21, Rz. 6): „Im Hinblick auf den Anwendungsbereich klassischer Delikte mit Nötigungselementen wie § 177, §§ 249 ff., §§ 253 ff. StGB ist der Tatbestand des § 239a I StGB im Zwei-Personen-Verhältnis allerdings, insbesondere für Fälle des Sichbemächtigens, einschränkend auszulegen. Der Täter muss durch eine Entführung oder in sonstiger Weise die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewinnen, dadurch eine stabile Bemächtigungslage schaffen und entweder von vornherein beabsichtigen, diese Lage zu einer Erpressung auszunutzen, oder die zu anderen Zwecken hergestellte Verfügungsgewalt über das Opfer zu einer Erpressung ausnutzen. Dabei muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen. Damit ist - insbesondere in Abgrenzung zu den Raubdelikten - indes lediglich gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weiter gehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben muss.“ So lag der Fall hier: die Komplizen des K haben nach dem Eindringen in die Wohnung der G – mit Gewalt – eine stabile (zeitlich von der nachfolgenden Begehung der Raubtat abzugrenzende) Lage geschaffen, in der sie die Erpressung gegenüber G begehen konnten.

Hinweis: vgl. auch Besprechung von BGH, Beschl. v. 29.06.2022 – 3 StR 501/21 zum erpresserischen Menschenraub im Zwei-Personen-Verhältnis.

IV. Ergebnis

K hat sich – jeweils in Mittäterschaft i.S.v. § 25 II StGB begangen – wegen besonders schweren Raubes (§§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB), wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung (§§ 253, 255, 250 II Nr. 1 StGB) und wegen erpresserischen Menschenraubs (§ 239a I Alt. 1 StGB) strafbar gemacht. Die verwirklichten Delikte stehen zueinander in Tateinheit gemäß § 52 StGB.

Hinweis: Das Landgericht hatte den K (lediglich) wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen hat sich die Staatsanwaltschaft mit einer zu Ungunsten des K eingelegten und mit der Sachbeschwerde (Rüge der Verletzung materiellen Rechts) begründeten Revision gewendet, der K selbst mit einer auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Der 3. Strafsenat des BGH hat das Urteil der Großen Strafkammer geändert, und zwar – auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin – im Schuldspruch dahin, dass der K wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit besonders schwerer räuberischer Erpressung schuldig ist (s.o.), sowie – auf beide Revisionen hin – im Strafausspruch unter Aufrechterhaltung der dazugehörigen Feststellungen aufgehoben. In diesem Umfang ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen worden. Dazu der BGH: „II.1.b) Die Schuldspruchänderung hat die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge. Denn es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer im Fall der Verurteilung des [K] als Mittäter der drei abgeurteilten Delikte auf eine höhere Freiheitsstrafe erkannt hätte, insbesondere indem sie den Regelstrafrahmen des § 239a Abs. 1 StGB oder des § 250 Abs. 2 StGB jeweils mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitstrafe angewandt hätte.“

C. Prüfungsrelevanz

Die Abgrenzung von Mittäterschaft (§ 25 II StGB) und Beihilfe (§ 27 StGB) erfordert – gleich in welchem „Deliktsumfeld“ – eine saubere Subsumtion unter die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen, die der 3. Strafsenat des BGH mit der hier besprochenen Entscheidung im Einklang mit der bisherigen Linie Rechtsprechung in bekanntem Fahrwasser fortführt. Wesentlicher Anhaltspunkt kann dabei – und bei wertender Betrachtung der gesamten Umstände (die von der Vorstellung des Täters umfasst sind) – der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein.

Dementsprechend können die Beteiligung des Täters an der Planung der Tat, sein Interesse am Erhalt der Tatbeute und seine Handlungen zur Tatvorbereitung bei einer Gesamtschau gewichtige Indizien für eine Mittäterschaft sein, insbesondere wenn den weiteren Beteiligten lediglich eine „unterstützende Funktion“ bei der Tatausführung zugekommen ist (s. BGH, Beschl. v. 03.11.2021 – 3 StR 231/21).

Ähnliche (Abgrenzungs-) Fragen stellen sich etwa auch im Bereich der Körperverletzungsdelikte, beispielsweise bei der gemeinschaftlichen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 I StGB. Dort setzt die Strafbarkeit eines Mittäters nicht zwingend voraus, dass er selbst eine unmittelbar zum Tod des Opfers führende Verletzungshandlung ausführt; vielmehr reicht es für die wechselseitige Zurechnung aus, dass der Mittäter aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft einen Beitrag zum Verletzungsgeschehen geleistet hat und dass die Handlung des anderen im Rahmen des gegenseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses liegt und dem Täter hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit zur Last fällt (vgl. BGH, Beschl. v. 07.07.2021 – 4 StR 141/21).

Insgesamt handelt es sich um eine für die Vorbereitung auf die Prüfung lesenswerte Entscheidung!

(BGH, Urteil vom 23.03.2023 – 3 StR 363/22)

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