Ein Drogendeal mit Folgen
In der letzten Woche haben wir uns in Teil 1 mit dem I. Tatkomplex befasst und die Strafbarkeit wegen versuchter räuberischer Erpressung, versuchter Nötigung, gefährlicher Körperverletzung und der Sachbeschädigung besprochen. In diesem Beitrag widmen wir uns dem II. Tatkomplex – also dem Geschehen an der S-Bahn-Überführung – und besprechen die Konkurrenzen sowie die besondere Prüfungsrelevanz des Falles. Zur Erinnerung aber zunächst der Sachverhalt:
A. Sachverhalt
Der F hält sich in Begleitung eines Bekannten spätabends in einem Park auf. Beide beabsichtigten, Marihuana zu konsumieren und fragen deshalb den späteren Geschädigten Z, ob dieser ihnen „Gras“ verkaufen könne. Der Z bietet ihnen ein Gramm zum Preis von zehn Euro an, womit sie einverstanden sind und ihm einen 20-Euro-Schein übergeben. Z gibt dem Bekannten des F daraufhin in der geschlossenen Hand ein Tütchen mit den Drogen und einen Geldschein. Weil dieser beides ungeprüft in seine Hosentasche steckt und alle Beteiligten ihrer Wege gehen, fällt dem F und seinem Bekannten erst später auf, dass es sich nur um einen 5-Euro-Schein handelt, nicht aber um zehn Euro „Wechselgeld“.
Etwa anderthalb Stunden nach dem Drogenkauf sehen sie den Z in dem Park auf einem Treppenabsatz sitzen. Sie fordern ihn lautstark zur Herausgabe von fünf Euro auf; der F war zu diesem Zeitpunkt durch den vorangegangenen Konsum von Alkohol nicht ausschließbar erheblich in seiner Steuerungsfähigkeit vermindert. Nachdem Z mit dem Bemerken, er wisse nicht, was sie von ihm wollten, Zahlungsansprüche zurückgewiesen hat und auch die Wiederholung der Forderung keinen Erfolg gezeitigt hat, kommen der F und sein Bekannter stillschweigend überein, den Z nunmehr mittels Gewalt zur Herausgabe von fünf Euro zu bewegen.
F packt ihn unter erneuter Geltendmachung der Forderung am Kragen, schubst ihn und schlägt ihm sodann mit der Faust mehrfach ins Gesicht; auch der Bekannte des F schlägt dem Z ins Gesicht. Dieser umklammert im Zuge der Auseinandersetzung den F, woraufhin beide zu Boden gehen. Der F, der sich erst aus der Umklammerung befreien kann, als sein Bekannter den Z mit einer leeren Glasflasche gegen die Stirn schlägt, baut sich wiederum vor dem Z auf und fordert in aggressivem Tonfall die Zahlung von fünf Euro. Die Begleiter des Z versuchten mehrfach, die Situation unter Hinweis darauf zu beruhigen, dass es doch nur um fünf Euro gehe. Einer von ihnen wirft sogar einen 5-Euro-Schein in Richtung des F und seines Bekannten; sie stecken das Geld weder ein noch bemerken sie dieses auch nur. Auch der Bekannte des F versucht aber nunmehr, den F zu beschwichtigen, der weiterhin lauthals die Zahlung der fünf Euro fordert. Der Z hat sich inzwischen mit dem abgebrochenen Hals einer Bierflasche bewaffnet und geht auf den F zu, der sich bei einer reflexartigen Bewegung seines linken Arms eine Schnittwunde zwischen Handgelenk und Unterarm zuzieht. Nunmehr ziehen die Begleiter des Z diesen vom Geschehen weg und gehen mit ihm in Richtung einer S-Bahn-Unterführung.
F und sein Bekannter folgen ihnen und bewerfen sie mit kleinen Steinen, weshalb die Begleiter zwei Passanten um Hilfe bitten. Als der F und sein Bekannter kurze Zeit später an der Unterführung ankommen, stehen alle Beteiligten im Kreis zusammen. F hält nunmehr seinen Plan, dem Z mit Gewalt fünf Euro abzunötigen, für gescheitert und wirft ihm vor, dass dieser ihn mit dem abgebrochenen Flaschenhals getroffen habe. Unvermittelt schlägt er daraufhin dem Z erneut mit der Faust kraftvoll ins Gesicht. Diesen letzten Schlag sehen mehrere Polizeibeamte, die durch Passanten alarmiert worden sind, und nehmen F vorläufig fest. Durch die dem Z zugefügten Schläge bricht u.a. eine von ihm getragene Zahnprothese. Später kann nicht festgestellt werden, durch welchen der Schläge dies geschah; es ist möglich, dass der Bruch der Prothese durch den letzten Schlag verursacht wurde.
Wie hat sich F nach dem StGB strafbar gemacht?
B. Entscheidung
II. Tatkomplex „Geschehen an der S-Bahn-Überführung“
F hat sich durch den erneuten Schlag mit der Faust ins Gesicht des Z wegen einer Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Dem steht der Umstand, dass die von F ausgeführten Schläge allesamt im Zusammenhang mit dem „Wechselgeldverlangen“ stehen, nicht entgegen. Dazu der BGH:
„II.5 (…) Der Senat folgt auch nicht der Auffassung des Generalbundesanwalts, aufgrund der Lückenhaftigkeit der Feststellungen zum Rücktrittshorizont (vgl. oben unter 2) bleibe offen, ob es sich bei dem Schlag um eine im Verhältnis zu dem Geschehen im Park selbständige Tat handelte und diese Handlung deshalb überhaupt einer gesonderten Verurteilung zugänglich sei. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen entschloss sich der [F] zu dem letzten Schlag, nachdem er seine vorangegangenen Bemühungen, den [Z] mit Gewalt zur Herausgabe von fünf Euro zu nötigen, für gescheitert hielt; der Schlag stand mithin im Zusammenhang mit dem unmittelbar zuvor erhobenen Vorwurf, ihn mit dem Flaschenhals an der Hand getroffen zu haben. Danach ist die Annahme der Strafkammer, der letzte Schlag sei aufgrund eines Zäsurwirkung entfaltenden und damit Tatmehrheit begründenden neuen Tatentschlusses geführt worden, rechtlich nicht zu beanstanden. Dass die Feststellungen des Landgerichts zum Rücktrittshorizont der im ersten Tatkomplex begangenen Tat - wie dargelegt - lückenhaft sind, ändert daran nichts.“
In Betracht kommt auch eine Strafbarkeit des F wegen Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB), weil die Möglichkeit besteht, dass (erst) der letzte Schlag gegen den Kopf des Z zum Bruch von dessen Zahnprothese geführt hat. Dafür erforderlich wäre ohnehin ein entsprechender – bedingter – Vorsatz des F (s.o.). Indes ist darüber hinaus fraglich, wie F in einem solchen Fall zu betrafen wäre. Dazu der BGH:
„Die Verurteilung im zweiten Tatkomplex kann aber deshalb keinen Bestand haben, weil nach den Feststellungen des Landgerichts nicht ausgeschlossen ist, dass der [F] durch den letzten Schlag die (…)Sachbeschädigung an der Zahnprothese des [Z] herbeiführte. Die Strafkammer hat ausdrücklich auch den letzten Schlag als mögliche Ursache für den Bruch der Prothese genannt; angesichts dessen bleibt offen, warum sie die Verwirklichung dieses Straftatbestands lediglich im ersten Tatkomplex als gegeben angesehen hat und nicht - gegebenenfalls im Wege der unechten Wahlfeststellung (…) - tateinheitlich zu der Körperverletzung im zweiten Tatkomplex. Da die Tatbestandsvoraussetzungen der Sachbeschädigung - wie dargelegt - bislang nicht belegt sind, kann der Senat den Schuldspruch nicht selbst ergänzen; weil die Sachbeschädigung zur Körperverletzung tateinheitlich hinzuträte, nötigt dies zur Aufhebung des Urteils auch insoweit.“
F hat sich im Ergebnis (nur) wegen einer Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
II. Konkurrenzen und Endergebnis
F hat sich wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) und wegen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Beide Taten stehen in Tatmehrheit, § 53 StGB.
Hinweis: Das Landgericht hat F wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die zu seinen Ungunsten eingelegte und auf die (begründete) Sachrüge – Verletzung materiellen Rechts – gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat zur Aufhebung des Urteils geführt.
Prüfungsaufbau: Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB
Relevante Lerneinheit
C. Prüfungsrelevanz
Abseits der bekannten Problematik, die Tatbestände des § 249 StGB und des §§ 253, 255 StGB voneinander abzugrenzen, kommt im hiesigen Fall der Vermengung von straf- und zivilrechtlicher Beurteilung der Vornahme von Betäubungsmittelgeschäften im Drogenmilieu maßgebliche Bedeutung zu. Die Frage, ob der Käufer des Rauschgifts von dem Verkäufer die gewaltsame Herausgabe des Wechselgeldes einfordern kann, beantwortet der BGH dahingehend, dass sich der Käufer bei einem entsprechenden Vorsatz und mangels eines durchsetzbaren Anspruchs gegen den Verkäufer strafbar machen kann. Das folgt aus der Überlegung, dass die (Zivil-)Rechtsordnung dem Käufer einen Rückzahlungsanspruch versagt, weil die §§ 134, 817 BGB i.V.m. § 3 BtMG Ausfluss der Wertentscheidung des Gesetzgebers sind, Betäubungsmittelgeschäfte insgesamt unterbinden zu wollen. Gedanken dazu, den Besitz von Betäubungsmitteln jedenfalls aus dem durch die §§ 253, 255 StGB geschützten Vermögen herauszunehmen, sind zwar entwickelt (vgl. nur BGH [2. Strafsenat], NStZ 2016, 596), aber schlussendlich wieder verworfen worden (BGH, [2. Strafsenat], Urt. v. 16.08.2017 – 2 StR 335/15, BeckRS 2017, 123966).
Für die Bewältigung der hier dargestellten Rechts- und Wertungsprobleme bleibt aber der noch zu klärende (Wertungs-)Widerspruch, wie es sich verhält, dass nach Ansicht des BGH zwar das „Wechselgeld“ nicht straflos zurückerlangt werden kann, der Käufer aber gleichwohl nach zivilrechtlichem Verständnis ein Anspruch aus § 985 BGB auf Rückzahlung des (noch nicht mit dem übrigen Bargeld des Verkäufers vermengten) Kaufpreises haben soll. Konsequent im Sinne der „Einheit der Rechtsordnung“ wäre es an dieser Stelle daher sicherlich, die Regelung des § 817 S. 2 BGB auch insoweit anzuwenden.
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Kritisch zu prüfen – und zu hinterfragen – ist darüber hinaus, ob es für den Vorsatz des Täters darauf ankommen kann, ob er sich vorstellt, dass sein Anspruch auf Rückzahlung des Wechselgeldes von der Rechtsordnung gedeckt ist und er seine Forderung mit gerichtlicher Hilfe in einem Zivilprozess durchsetzen kann. Näher liegt insoweit eher die Annahme, dass sich der Käufer von Betäubungsmitteln darüber überhaupt keine Gedanken macht bzw. weiß oder damit rechnet, dass sein Geld „bemakelt“ und ohnehin verloren ist. In einem solchen Fall würde es an einem Tatentschluss und damit auch an einer Strafbarkeit nach den §§ 253, 255 StGB fehlen; es bliebe nur eine Strafbarkeit wegen einer Nötigung.
In einem ähnlichen Kontext ist die Frage zu verorten, ob sich der Rauschgiftkäufer wegen Erpressung strafbar macht, wenn der Verkäufer den Kaufpreis für die Drogen zwar von ihm erhalten hat, dem Käufer aber – wie von vornherein beabsichtigt – die Drogen nicht übergibt. Insoweit steht ein Betrug zu Lasten des Käufers in Rede, der dessen Absicht, sich unrechtmäßig zu bereichern, entgegensteht, wenn er seinen Rückzahlungsanspruch mit Nötigungsmitteln durchsetzt (siehe BGH, NStZ 2003, 151).
In jedem Fall handelt es sich um eine lesenswerte und für das Examen gut geeignete Entscheidung!
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