BGH zu den Voraussetzungen eines Raubes mithilfe einer Luftpumpe

BGH zu den Voraussetzungen eines Raubes mithilfe einer Luftpumpe

Finalzusammenhang als Voraussetzung der Strafbarkeit gemäß § 249 I StGB

Der sogenannte Finalzusammenhang beim Raub nach § 249 I StGB spielt nicht nur in der Klausurvorbereitung eine wichtige Rolle, sondern beschäftigt auch regelmäßig den BGH. So geschehen in den beiden Beschlüssen aus Ende letzten und Anfang diesen Jahres, um die es hier gehen soll. Der Übersichtlichkeit wegen haben wir die Sachverhalte vereinfacht und zusammengefasst.

A. Sachverhalt

Der X begibt sich zur Wohnung von seiner Mutter G. Dort kommt es zu einem Streit zwischen X und G über den Verbleib eines vermeintlichen Sparbuches von X, in dessen Verlauf X seiner Mutter mehrfach mit der Hand ins Gesicht schlägt. X fordert die G auf, das Sparbuch herauszugeben. Er fasst den Entschluss, die G zu bedrohen, indem er ihr eine mitgebrachte Luftpumpe nach Art eines Gewehres (Langwaffe) vorhalten und dadurch erreichen will, dass sie in der Annahme, es handele sich um eine Schusswaffe, aus Angst um ihre Gesundheit keinen Widerstand leisten und seiner Forderung nachkommen wird. In Umsetzung seines Tatplans schaltet er im Wohnzimmer das Licht aus und hält in schummrigem Licht die Luftpumpe mit ausgezogenem Kolben und mit auf Brusthöhe angehobenen Armen vor sich und tritt so auf die G zu. Er hält ihr die Luftpumpe im Abstand von 20 bis 30 cm vor das Gesicht und fordert sie mit drohendem Ton auf, endlich das Sparbuch herauszugeben. Wie von X beabsichtigt, erkennt die G die Luftpumpe als eine solche nicht; vielmehr besorgt sie der Einsatz einer Schusswaffe und beteuert, nichts über ein Sparbuch von X zu wissen. Sodann schlägt X der G mit der Luftpumpe auf den Kopf, um sie dadurch zur Preisgabe des Sparbuchs zu bewegen, das er entwenden will, und weil er annimmt, dass G das in ihrer Hand befindliche teure Smartphone „aus der Hand gibt“. Die G fällt daraufhin zu Boden, wodurch ihr – wie von X erwartet – das Telefon aus der Hand fällt. X nimmt es an sich, um es für sich zu verwenden, und tritt mit dem Fuß gegen den Hüftbereich seiner auf dem Boden liegenden Mutter. Anschließend reißt er das Kabel des Festnetztelefons heraus, um zu verhindern, dass G Hilfe verständigen kann. Als diese weiterhin die Existenz des Sparbuchs verneint, durchsucht X die Wohnzimmerschränke. Dabei entschließt er sich, neben dem Sparbuch sämtliche stehlenswerte Gegenstände zu entwenden, die er finden wird. Er packt ein Zinngeschirr und sowie eine Geldkassette mit 7.000 Euro in bar in eine dort herumliegende Tasche, um diese Gegenstände für sich zu behalten. Das verlangte Sparbuch findet X nicht. Er verlässt sodann die Wohnung seiner Mutter. G ruft die Polizei.
Wie hat sich X strafbar gemacht?

B. Entscheidung

I. Besonders schwerer Raub, §§ 249 I, 250 I Nr. 1 StGB

X könnte sich wegen besonders schweren Raubes nach den §§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er seiner Mutter unter Einsatz der Luftpumpe Gegenstände entwendet hat.

1. Objektiver Tatbestand

a) Grundtatbestand, § 249 I StGB

Dazu müsste X zunächst mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen haben, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen (§ 249 I StGB).

aa) Wegnahme einer fremden beweglichen Sache

Eine „Wegnahme“ ist bei einem Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams gegeben, also wenn der Gewahrsam gegen oder ohne den Willen des Inhabers aufgehoben wird. Das am Boden liegende Mobiltelefon der G ist eine für X fremde bewegliche Sache. Fraglich ist, ob G zu dem Zeitpunkt, als XZ dieses an sich genommen hat, noch Gewahrsam an dem Gerät hätte. Gewahrsam ist die tatsächliche Herrschaft über eine Sache einer natürlichen Person, die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragen wird, was nach den Umständen des Einzelfalls und nach der Verkehrsauffassung – Anschauung des täglichen Lebens – zu beurteilen ist (faktischer Gewahrsamsbegriff). Die tatsächliche Sachherrschaft geht oft mit körperlicher Nähe zu der Sache einher, diese ist jedoch für ihr Vorliegen und ihren Fortbestand nicht in erster Linie maßgeblich. Der Gewahrsam kann auch gelockert sein, etwa bei einer räumliche Entfernung zwischen dem Gewahrsamsinhaber und der Sache; anderes gilt jedoch etwa, wenn der Gegenstand in einem öffentlichen, mithin für jede Person zugänglichen Bereich liegt und der ortsabwesende Geschädigte nicht in der Lage ist, auf die Sache einzuwirken und so die Sachherrschaft gemäß seinem Willen auszuüben (s. BGH, Beschl. v. 14.4.2020 − 5 StR 10/20, Rn. 7).

Der G war ihr Telefon – unbewusst – aus der Hand gefallen. Gleichwohl hatte sie nach der Anschauung des täglichen Lebens aufgrund des jederzeitigen Zugriffs darauf und der räumlichen Nähe in ihrer Wohnung noch (gelockerten) Gewahrsam an dem Gerät. Diese, von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene Sachherrschaft hat X durch Bruch aufgehoben, indem er das Telefon an sich genommen hat.

X hat ferner (wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt) das Zinngeschirr und Bargeld „weggenommen“. X hat damit eine fremde bewegliche Sache weggenommen.

bb) Qualifiziertes Nötigungsmittel

X hat auch „mit Gewalt“ gehandelt. Er hat seiner Mutter erst mehrfach mit der Hand ins Gesicht geschlagen, später mit der Luftpumpe auf den Kopf. Zudem hat er die G noch auf Hüfthöhe getreten.

cc) Zusammenhang zwischen Wegnahme und Nötigungsmittel (Finalzusammenhang)

Fraglich ist, ob aus der Sicht des X (BGH, Urteil vom 20.1.2016 – 1 StR 398/15, Tz. 17) der spezifische Zusammenhang zwischen der Wegnahme und dem Nötigungsmittel bestanden hat (finale Verknüpfung). Dazu der BGH:

„II.1.a) Nach ständiger Rechtsprechung muss zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein. An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn eine Nötigungshandlung nicht zum Zwecke der Wegnahme vorgenommen wird, sondern der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss dieser Handlung fasst (…). Ein vollendeter Raub liegt daher nicht vor, wenn der Täter einen bestimmten Gegenstand erbeuten will und es im weiteren Verlauf zur Wegnahme einer ganz anderen Sache kommt (…). Ob der Wegnahmevorsatz derselbe bleibt, wenn er sich im Rahmen einer einheitlichen Tat hinsichtlich des Tatgegenstands verengt, erweitert oder sonst ändert, ist danach zu beurteilen, ob es sich um eine unwesentliche Abweichung vom Tatplan handelt, die sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung und aus Tätersicht Voraussehbaren hält (…).“

Bei der entsprechenden Beurteilung ist wegen der unterschiedlichen (Tat-) Zeitpunkte zwischen der Wegnahme des Telefons einerseits sowie des Zinngeschirrs und des Bargeldes andererseits zu unterscheiden. Zu dem Zeitpunkt des Schlages mit der Luftpumpe, mit dem X an sich seiner Forderung auf Herausgabe des Sparbuches gegenüber G Nachdruck verleihen wollte, hatte er zwischenzeitlich auch in seinen Vorsatz mit aufgenommen, dass er das Mobiltelefon der G an sich bringen will, seinen Vorsatz also „erweiternd aktualisiert“. Eine finale Verknüpfung zwischen Wegnahme und Nötigungsmittel ist daher gegeben. Anders zu bewerten ist aber die Wegnahme der übrigen Gegenstände. Dazu der BGH:

„b) Daran gemessen fehlt es an dem erforderlichen finalen Zusammenhang zwischen den der [G] versetzten Schlägen und der späteren Wegnahme von Zinngegenständen und Bargeld. Nach den Feststellungen fasste der [X] den Entschluss, auch andere Gegenstände als das Sparbuch zu entwenden, erst, als er bereits aufgehört hatte, auf die [G] mit der [Luftpumpe] einzuschlagen. Die Wegnahmeabsicht des [X] während der Gewaltanwendung bezog sich noch allein auf das Sparbuch [sowie das Telefon]. Eine bereits zum Zeitpunkt der Gewaltanwendung bestehende umfassende Wegnahmeabsicht, die auch die später tatsächlich entwendeten Gegenstände einschloss, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Bei der späteren Erweiterung der Wegnahmeabsicht auf andere Gegenstände als das Sparbuch handelte es sich vielmehr um eine erhebliche Abweichung vom ursprünglichen Tatplan, denn bei einer beabsichtigten Wegnahme eines bestimmten Sparbuchs gehört das Entwenden von Hausrat und Bargeld nicht mehr zu dem erwartbaren Geschehensverlauf.“

Fraglich könnte aber sein, ob die zuvor ausgeübte Gewalt im Zeitpunkt der Wegnahme von Geschirr und Geld als aktuelle Drohung des X mit erneuter Gewaltanwendung gegenüber G fortgewirkt hat:

„II.2.a) Als Raubmittel kommt auch die konkludente Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben, nämlich der Fortführung der Gewalt, in Betracht. Dafür genügt jedoch weder allein der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmevorsatz eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt (…), noch das bloße Ausnutzen der durch die vorangegangene Gewaltanwendung entstandenen Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers (…). Vielmehr muss sich den Gesamtumständen einschließlich der zuvor verübten Gewalt die aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung entnehmen lassen, der Täter also in irgendeiner Form schlüssig erklärt haben, er werde einen eventuell geleisteten Widerstand mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen (…).
b) Eine solche konkludente Drohung durch den [X] ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Unter den hier gegebenen Umständen versteht es sich auch nicht von selbst, dass die bereits widerstandsunfähig am Boden liegende und von Hilfe durch Dritte abgeschnittene [G] gleichwohl erneute Gewalt befürchtete, der [X] dies erkannte und bewusst zum Zweck der Wegnahme ausnutzte.“

Daher fehlt es betreffend Geschirr und Bargeld an dem erforderlichen finalen Zusammenhang zwischen Wegnahme und Nötigungsmittel. Eine unerhebliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Finalverlauf würde die Strafbarkeit des Täters indes nicht beseitigen (s. etwa BGH, Urteil vom 20.1.2016 – 1 StR 398/15, Tz. 20 ff. zu der irrigen Annahme des Täters, der Geschädigte werde keinen Widerstand leisten, weil er ihn betäubt oder erschlagen habe, währenddessen der Täter bei der Tatausführung nur deswegen unbehelligt blieb, weil sein Gewalteinsatz dazu geführt hatte, dass das Opfer schwer verletzt war, kaum noch etwas sah, sich vom Blut reinigte, anzog und dann den Rettungsdienst verständigte).

cc) Zwischenergebnis

X hat den objektiven Tatbestand von §§ 249, 250 II Nr. 1 StGB erfüllt.

b) Qualifikation, § 250 II Nr. 1 StGB

Fraglich ist, ob X bei der Tat auch eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug i.S. von § 250 II Nr. 1 StGB verwendet hat. „Waffen“ in diesem Sinne sind alle Waffe im technischen Sinn, also solche Geräte, die nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Zustand zur Zeit der Tat bei bestimmungsgemäßer Verwendung geeignet sind bzw. dazu dienen können, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Ein Werkzeug ist dann „gefährlich“, wenn es auf Grund seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Verwendung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.

X trug eine Luftpumpe (die für sich genommen nicht als Angriffs- und/oder Verteidigungsmittel konzipiert war) bei sich, bei der es sich um ein „gefährliches Werkzeug“ handeln könnte. Dazu der BGH:

„1.b)aa) Die Vorschrift erfasst grundsätzlich alle bewusst gebrauchsbereit mitgeführten Gegenstände, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, also auch sogenannte Scheinwaffen, d. h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird (…). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind allerdings vom Anwendungsbereich des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB aufgrund einer einschränkenden Auslegung solche Gegenstände auszunehmen, die für einen objektiven Beobachter schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, mit ihnen – etwa durch Schlagen, Stoßen, Stechen oder in ähnlicher Weise – auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken (…).

bb) Ein derartiger Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die [von X] verwendete Luftpumpe war auch für einen objektiven Beobachter nicht offenkundig ungefährlich. Insbesondere durch ihren Einsatz als Schlagwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen hätte mit ihr erheblich auf den Körper eines anderen eingewirkt werden können (…). Der Gegenstand war „seiner Art nach“ (…) dazu geeignet, von dem Opfer als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Damit steht die vom Täter zugleich beabsichtigte Täuschung des Tatopfers hinsichtlich der von dem mitgeführten Gegenstand ausgehenden Drohwirkung – hier: als vermeintliche Schusswaffe – nicht derart im Vordergrund, dass die Anwendung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB den (Wort-)Sinn des Gesetzes verfehlen würde (…). Denn eine Täuschung des Opfers wird bei dem Gebrauch jeder „Scheinwaffe“ im Hinblick auf deren objektive Ungefährlichkeit angestrebt.“

X hat die Luftpumpe als gefährliches Werkzeug auch „verwendet“. Ein „Verwenden“ i.S.v. § 250 II, Nr. 1 Var. 2 StGB umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatmittels; es liegt demgemäß also vor, wenn der Täter eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gerade als Mittel entweder der Ausübung von Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gebraucht, um die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache zu ermöglichen.
X damit die objektiven Voraussetzungen von § 250 II Nr. 1 Alt. 2 StGB erfüllt.

c) Zwischenergebnis

X hat den objektiven und subjektiven Tatbestand von §§ 249, 250 II Nr. 1 StGB erfüllt.

2. Subjektiver Tatbestand

X handelte hinsichtlich der Merkmale des gesamten objektiven Tatbestandes vorsätzlich sowie in der Absicht, die Sache – das Mobiltelefon – der G dauerhaft zu entziehen (Enteignungsvorsatz) und anschließend für sich selbst oder für Dritte nutzen zu können (Aneignungsabsicht).

3. Ergebnis

X, der rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, hat sich wegen besonders schweren Raubes nach den §§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB strafbar gemacht. Die Kennzeichnung der Qualifikation „besonders schwer“ ist als rechtliche Bezeichnung der Straftat im Sinne des § 260 IV, Satz 1 StPO in die Urteilsformel aufzunehmen, damit der gesteigerte Unrechtsgehalt im Verhältnis zu § 250 I StGB zum Ausdruck kommt (vgl. dazu etwa BGH, Beschl. v. 17.6.2021 – 3 StR 83/21).

II. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB

Darüber hinaus hat sich X wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB strafbar gemacht. X hat eine Körperverletzung i.S.v. § 223 I StGB begangen, also eine andere Person körperlich misshandelt (jede üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt), indem er der G mehrfach mit der Hand ins Gesicht und mit der Luftpumpe auf den Kopf geschlagen und seine Mutter mit dem Fuß im Hüftbereich getreten hat. Dabei hat er – bezogen auf den Schlag mit der Luftpumpe – ein „gefährliches Werkzeug“ bei sich geführt (s.o. zur rechtlichen Qualifikation). Die Voraussetzungen eines „hinterlistigen Überfalls“ i.S.v. § 224 I Nr. 3 StGB sind indes nicht erfüllt. Dies setzt die Ausnutzung eines Überraschungsmoments durch planmäßiges Verbergen der Verletzungsabsicht voraus, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen; die bloße Ausnutzung eines Überraschungsmoments genügt nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 18.9.2019 – 2 StR 156/19). X führte seinen Angriff gegen G hier von Beginn an offen, nachdem diese arglos die Tür geöffnet hatte. X hatte seine Absicht, die G anzugreifen, nicht verborgen, sondern nur unvermittelt die Arglosigkeit seiner Mutter ausgenutzt.

X hat vorliegend vorsätzlich hinsichtlich der objektiven Merkmale des Grundtatbestandes als auch der objektiven Voraussetzungen des Qualifikationstatbestandes (§ 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB) gehandelt.

X, der rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, hat sich nach den §§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht.

III. Ergebnis

X hat sich wegen besonders schweren Raubes (§§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 I Nr. 2 StGB) strafbar gemacht. Die beiden Delikte stehen im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB) zueinander, da die Verletzungen der G von der Verwirklichung des § 250 II Nr. 1 StGB nicht erfasst werden (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. 10. 2010 - 2 StR 434/1).

Hinweis: Das Landgericht hatte den X wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, (nur) gestützt auf das Geschehen betreffend die Wegnahme von Zinngeschirr und Bargeld. Die dagegen von X gerichtete Revision, gestützt auf die Verletzung materiellen Rechts (Sachrüge), hatte beim 4. Strafsenat Erfolg, weswegen die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen wurde.

C. Prüfungsrelevanz

Bei Sachverhalten, die die Prüfung des § 249 I StGB nahe legen, kommt es häufig zu Abgrenzungsfragen im Zusammenhang mit dem sogenannten finalen Zusammenhang zwischen Wegnahme und Nötigungsmittel. Siehe dazu etwa hier oder auch hier. Der sogenannte „Finalzusammenhang“ beim Raub nach § 249 I StGB gehört zum strafrechtlichen Standardwissen für die Examensvorbereitung, dazu also auch Folgendes: „Notwendige Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Raubes ist eine finale Verknüpfung zwischen dem Einsatz der qualifizierten Nötigungsmittel und der Wegnahme sowie eines räumlich-zeitlichen Zusammenhangs dergestalt, dass es zu einer nötigungsbedingten Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Gewahrsamsinhabers über das Tatobjekt gekommen ist.“ (vgl. BGH, Urteil vom 20.1.2016 – 1 StR 398/15, Rn. 14).

Insgesamt zwei lesenswerte und für die Vorbereitung auf die Prüfung sehr gut geeignete Judikate!

(BGH, Beschluss vom 09.11.2022 – 4 StR 351/22 und Beschluss vom 28.03.2023 – 4 StR 61/23)