Sachverhalt beruht auf einem Gedächtnisprotokoll
In dieser anspruchsvollen Examensklausur aus dem Zivilrecht geht es unter anderem um die folgenden Lerninhalte:
- Kaufvertrag
- Einigung
- Schuldnerverzug
- Widerrufsfrist
- Aufwendungsersatz
- Störung der Geschäftsgrundlage
- Rücktritt vom Kaufvertrag
- Schadensersatz statt der Leistung
- Stellvertretung
- Anfechtung
- Widerruf bei Verbraucherverträgen
Teil I:
Karla (K) hat anlässlich eines Besuchs im Möbelhaus der MeinMöbel-GmbH (M- GmbH) nach Beratung durch einen Mitarbeiter der MeinMöbel-GmbH ein Sessel- Ensemble, bestehend aus drei zusammengehörenden und aufeinander abgestimmten Sesseln der Marke „RichHouse“ aus der Design-Reihe „Ibiza-10“, zum Gesamtpreis von 15.000 € gekauft. Die Sessel werden bei der MeinMöbel-GmbH und auch ansonsten im Einzelhandel nur als Ensemble verkauft, ein Einzelerwerb ist nicht möglich; aus marketingtechnischen Gründen werden die Sessel ausschließlich als „Gesamtkunstwerk zum Sitzen“ vermarktet. Karla kam es bei diesem Geschäft vor allem darauf an, ihr vorhandenes Wohnzimmermobiliar optimal zu ergänzen. In ihrem Wohnzimmer steht bereits ein zu den bestellten Sesseln passendes großes Sofa. Bei der Vertragsunterzeichnung im Möbelhaus hat Carla bereits den Kaufpreis in Höhe von 15.000 € in bar bezahlt.
Wenige Tage später erscheinen zum vereinbarten Lieferzeitpunkt die von der MeinMöbel-GmbH beauftragten Transportpersonen bei Karla und teilen dieser mit, dass sie wegen Lieferschwierigkeiten vorerst nur zwei Sessel aus dem bestellten Ensemble übergeben könnten; Karla ist empört und ruft umgehend bei der MeinMöbel-GmbH an. Der zuständige Mitarbeiter der MeinMöbel-GmbH bittet Karla, doch zunächst die zwei verfügbaren Sessel anzunehmen, der dritte Sessel würde ihr - sobald wieder verfügbar - umgehend geliefert werden. Karla erklärt sich mit der Annahme der beiden Sessel einverstanden, verlangt aber, dass der fehlende Sessel „unverzüglich, spätestens aber in zwei Wochen“ geliefert werden müsse.
Einstweilen verbringt K die gelieferten Sessel schon einmal in ihr Wohnzimmer. Darüber hinaus lässt sie nach der Lieferung der beiden Sessel drei Kissen zum Preis von insgesamt 300 € (Einzelpreis: jeweils 100 €) anfertigen, die farblich und größenmäßig genau auf die Sessel abgestimmt sind.
Drei Wochen nach der Lieferung der beiden Sessel ruft Karla erneut bei der MeinMöbel-GmbH an. Derselbe Mitarbeiter, mit dem sie am Tag der Lieferung gesprochen hat, erklärt ihr, dass es doch in diesen Zeiten normal sei, dass es zu Lieferschwierigkeiten komme. Karla solle sich daher hinsichtlich des ausstehenden
Sessels weiter gedulden. Seitens der MeinMöbel-GmbH stünde aber auch nichts entgegen, wenn man sich darauf verständigen würde, das Geschäft auf die gelieferten Sessel zu beschränken.
Verärgert erklärt Karla, sie wolle „vom Geschäft insgesamt nichts mehr wissen“. Die MeinMöbel-GmbH solle den gezahlten Kaufpreis zurückerstatten und dürfe gerne die gelieferten Sessel wieder abholen. Angesichts der Größe ihres Wohnzimmers und der geplanten Zusammengehörigkeit von Sofa und Sessel-Ensemble könne sie mit den gelieferten zwei Sesseln auf Dauer nichts anfangen. Sie habe bereits nach einem in jeder Hinsicht vergleichbaren Sessel-Ensemble Ausschau gehalten. Dieses sei aber aufgrund der dynamischen Preisentwicklung nur noch für einen Gesamtpreis von 20.000 € zu haben; die Mehrkosten müsse ihr die MeinMöbel-GmbH ersetzen. Schließlich verlangt Karla auch Erstattung der Anschaffungskosten der Kissen, da diese für sie allein im designmäßig abgestimmten Ensemble mit den Sesseln der Designreihe „Ibiza-10“ interessant seien; sie wäre im Gegenzug auch bereit, die Kissen an die MeinMöbel GmbH herauszugeben.
Teil II
Karlas Sohn Sigmund (S), ein 19 Jahre alter Student, der mit ihr gemeinsam in einer Wohnung lebt, kauft regelmäßig Bekleidung zum persönlichen Gebrauch im Internet. Aufgrund chronischer Zahlungsschwierigkeiten möchte er hierfür den Account verwenden, den seine Mutter bei dem von der Vielkauf-AG (V-AG) betriebenen „Online Warenhaus“ für private Einkäufe unterhält. Sigmund ist zwar von Karla weder die Benutzung ihres Computers noch Ihres Accounts gestattet. Er weiß aber aus Gesprächen mit seiner Mutter, dass diese häufig den Benutzernamen „Karla“ und das Passwort „S2003“ verwendet. Die Kennungen waren für Sigmund deswegen leicht einzuprägen, weil nicht nur der Benutzername mit dem Vornamen seiner Mutter identisch ist, sondern auch das Passwort am Initial seines eigenen Vornamens und am Jahr seiner Geburt orientiert ist. In Abwesenheit seiner Mutter und ohne deren Wissen loggt sich Sigmund am 18. Juli 2022 zunächst erfolgreich auf deren Computer unter Verwendung des genannten Benutzernamens und Passwortes ein. Sodann begibt er sich auf die Internetseite der Vielkauf-AG. Beim Log-in wird hier der Benutzername automatisch eingesetzt. Die Verwendung des Passworts „S2003“ ist erneut erfolgreich.
In dem Account, zu dem sich Sigmund auf diese Weise Zugang verschafft, sind Karlas Name und verschiedene andere persönliche Daten rechtmäßig gespeichert. Sigmund wählt aus dem online Angebot der Vielkauf-AG eine Lederjacke aus, die dort näher spezifiziert und zum Preis von 500 € angeboten wird und fügt diese zum digitalen Warenkorb hinzu. Als Zahlungsmodalitäten wählt er „Zahlung per Rechnung nach Erhalt der Ware“.
Im Rahmen des Bestellvorgangs werden alle erforderlichen Hinweise und auch eine Belehrung über das Widerrufsrecht ordnungsgemäß erteilt. Schließlich klickt Sigmund auf den Button „zahlungspflichtig bestellen“. Unmittelbar darauf geht auf Karlas E-Mail-Account eine seitens der Vielkauf-AG automatisiert abgesandte E-Mail mit folgendem Inhalt ein: „Vielen Dank für deine Bestellung, die wir so schnell wie möglich bearbeiten werden“.
Ohne eine weitere Benachrichtigung wird am 20. Juli 2022 das Paket mit der Lederjacke bei Karla angeliefert. Karla stellt Sigmund zur Rede, der den Vorgang aufklärt. Daraufhin teilt Karla der Vielkauf-AG unter Offenlegung der Geschehnisse noch am selben Tag mit, dass sie mit dem Geschäft nicht einverstanden und daher nicht bereit sei, die Rechnung zu bezahlen. Die Vielkauf-AG ist der Meinung, dass interne Verhältnis zwischen Karla und Sigmund gehe sie nichts an und verlangt von Karla die Zahlung des Kaufpreises. Vorsorglich verlangt die Vielkauf-AG aber zusätzlich auch von Sigmund Zahlung. Sigmund weist darauf hin, dass seine Person noch ganz außerhalb des Vertragsschlussvorgangs geblieben sei und lehnt ebenfalls die Zahlung ab.
Nach Rücksprache mit rechtskundigen Bekannten gelangen Sigmund und Karla zu der Überzeugung, dass sie, sofern tatsächlich ein Vertrag geschlossen worden sein sollte, diesen widerrufen könnten. In gesonderten E-Mails erklären daher sowohl Sigmund als auch Karla gegenüber der Vielkauf-AG am 25. Juli 2022 „höchst vorsorglich für den Fall, dass tatsächlich ein Kaufvertrag geschlossen worden sein sollte,“ den Widerruf des Vertrags.
Vermerk für die Bearbeitung:
Beide Teile der Aufgabe sind zu bearbeiten. In einem Gutachten, das - gegebenenfalls hilfsgutachterlich - auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, sind in der vorgegebenen Reihenfolge folgende Fragen zu beantworten:
Zu Teil I:
Welche Ansprüche hat Karla gegen die MeinMöbel-GmbH?
Vorschriften des Geldwäschegesetzes bleiben bei der Bearbeitung außer Betracht.
Zu Teil II:
Kann die Vielkauf-AG von Karla oder Sigmund Zahlung von 500 € verlangen?
Schaue Dir hier die prüfungsrelevanten Lerninhalte zu dieser Klausur an:
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- Primärpflichten im Kaufrecht, § 433 BGB
- Einigung, §§ 145 ff. BGB
- Schuldnerverzug, § 286 BGB (Voraussetzungen)
- Widerrufsfrist
- Aufwendungsersatz, § 284 BGB
- Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB
- Rücktritt, §§ 437 Nr. 2, 1. Fall, 440, 323, 326 V, 346 ff. BGB
- Schadensersatzanprüche im Schuldrecht AT
- Stellvertretung, §§ 164 ff. BGB
- Anfechtung, §§ 142 I, 119 ff. BGB
- Widerruf, §§ 355 ff. BGB