BGH zu Selbsthilfe mittels geladener Schusswaffe - Teil 2

BGH zu Selbsthilfe mittels geladener Schusswaffe - Teil 2

Fortsetzung: ​​Forderungsbeitreibung mit Schrotflinte: Mord?

Nachdem wir uns im ersten Teil die Strafbarkeit des P im Rahmen der §§ 212, 211 StGB angeschaut und klausurorientiert besprochen haben, widmen wir uns nunmehr im zweiten Teil den in Frage kommenden Vermögensdelikten gemäß den §§ 249 ff., 253 ff. StGB. Zur Erinnerung nochmal der Sachverhalt:

Sachverhalt

Der P und der L stehen in einer geschäftlichen und nahezu freundschaftlichen Beziehung, wenngleich der L den sich unterlegen fühlenden P bei diversen Fahrzeuggeschäften übervorteilt, in einem Fall auch demütigt. L hat aus einem durch Eigentumsumschreibung im Grundbuch bereits vollzogenen Grundstückskauf den nicht notariell beurkundeten Kaufpreisteil von 30.000 Euro noch nicht an P gezahlt und diesen deswegen immer wieder vertröstet. P plant deshalb, den Kaufpreis von 22.500 Euro für ein weiteres Fahrzeug anlässlich der Übergabe nicht an L zu bezahlen, sondern insoweit mit der ihm aus dem Grundstücksverkauf noch zustehenden Restkaufpreisforderung aufzurechnen.

Da P damit rechnet, dass der ihm als profitorientiert, unnachgiebig, aggressiv und aufbrausend bekannte L das nicht akzeptieren werde, legt er eine mit sechs Schrotpatronen geladene Vorderschaftrepetierflinte in einem auf seinem Grundstück befindlichen Überseecontainer bereit, um den L nach der Überführung des Fahrzeugs – ggfs. unter Abgabe eines Warnschusses – einzuschüchtern und dazu zu veranlassen, ihm Fahrzeugschlüssel und -papiere herauszugeben.

Unter dem Vorwand, den Kaufpreis dort entrichten zu wollen, lockt P den L in den Container und schließt die Tür. Nach einer verbalen Auseinandersetzung ergreift er die geladene Waffe, richtet sie auf L und erklärt, gegen den Kaufpreisanspruch mit seiner Restforderung aus dem Grundstücksgeschäft aufzurechnen. Er verlangt von L mit vorgehaltener Waffe die Herausgabe des Fahrzeugschlüssels und der Fahrzeugpapiere.

Da dieser sich weigert, gibt P, auch um seiner Ernsthaftigkeit Nachdruck zu verleihen, einen Warnschuss in Richtung Containerwand ab, richtet die Waffe wieder auf L und lädt die Waffe nach. L ist weiterhin nicht bereit, dem P ohne Kaufpreiszahlung Fahrzeugschlüssel und -papiere zu übergeben. Er tritt wütend, mit lauter Stimme protestierend auf den P zu und will nach der Waffe greifen. P erkennt, dass sein Einschüchterungsversuch gescheitert ist, und fürchtet eine gewaltsame Auseinandersetzung. Ohne dies geplant oder zuvor auch nur in Erwägung gezogen zu haben, schießt der P aus einer Entfernung von etwa 50 cm auf den L. Die abgefeuerte Schrotladung trifft diesen tödlich. Den Tod des L nimmt der P billigend in Kauf.

Wie hat sich P nach dem StGB strafbar gemacht?

Hinweis: Hier geht’s zu Teil I.

III. Versuchter Raub, §§ 249 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB

P könnte sich wegen versuchten Raubes gemäß den §§ 249 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er dem P die geladene Waffe vorhielt und von ihm die Herausgabe der Fahrzeugpapiere und –schlüssel forderte. Die Tat ist nicht vollendet; eine Wegnahme fand hier nicht statt.

Hinweis: An dieser Stelle wäre an sich auf den „vielleicht prominentesten Streit im materiellen Strafrecht“, also die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung, einzugehen. In der hier besprochenen Entscheidung des BGH liest sich dazu allerdings nichts. Nach Auffassung der Rechtsprechung stellt der Raub (§ 249 Abs. 1 StGB) im Verhältnis zu den §§ 253, 255 StGB das speziellere Delikt dar, weil der Tatbestand der räuberischen Erpressung den engeren Tatbestand des Raubes mitumfasst (vgl. BGH, NStZ 2014, 640; NStZ-RR 2018, 140, 141; anders die hL – etwa Sander, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, § 253, Rn. 16; Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 253, Rn. 8 f. –, wonach sich beide Tatbestände in einem Exklusivitätsverhältnis gegenüber stehen). Für die Abgrenzung beider Tatbestände ist nach der Rechtsprechung auf das äußere Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten abzustellen.
Soweit ersichtlich wollte der P sich die Fahrzeugpapiere und -schlüssel unter Vorhalt der Waffe von L – wenn auch erzwungen und alternativlos – geben lassen, weswegen eine Wegnahme ausscheidet. Daher kommt auch ein versuchter Raub nach den §§ 249 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB nicht in Betracht.
Hinweis: zu einer ähnlichen Konstellation vgl. Besprechung von BGH, Urt. v. 15.04.2021 (5 StR 371/20): BGH zu räuberischer Erpressung bei BtM-Wechselgeld.
P hat sich nicht wegen versuchten Raubes strafbar gemacht.
Hinweis: Im Hinblick auf den Vorhalt der geladenen Waffe wären anderenfalls noch die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu prüfen gewesen, wegen dem Tod des L zudem noch § 251 StGB.

VI. Versuchte räuberische Erpressung, §§ 255, 253 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB

P könnte sich wegen versuchter räuberischer Erpressung gemäß den §§ 255, 253 Abs. 1 StGB, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er von L die Herausgabe der Gegenstände eingefordert hat.
Die Tat ist nicht vollendet. Der Nötigungserfolg der Erpressung ist nicht eingetreten. L hat dem P die herausverlangten Fahrzeugpapiere und -schlüssel nicht übergeben. Der Versuch ist angesichts der Strafandrohung des § 255 StGB (mit Verweis auf § 249 StGB) strafbar, §§ 22 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB.
P müsste zur Begehung der Tat entschlossen gewesen sein, also Vorsatz hinsichtlich aller Voraussetzungen einer räuberischen Erpressung im Sinne des §§ 255, 253 StGB gehabt haben. Er müsste also zumindest billigend in Kauf genommen haben (dolus eventualis), einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen und die Absicht (dolus directus ersten Grades) gehabt haben, dadurch dem Vermögen des Genötigten einen Nachteil zuzufügen, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern. Die für den Tatbestand der (räuberischen) Erpressung erforderliche Absicht des Täters, sich oder einen Dritten aus dem Vermögen des Genötigten zu Unrecht zu bereichern, deckt sich inhaltlich mit der beim Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) vorausgesetzten Absicht, sich oder einem Dritten aus dem Vermögen des Getäuschten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, weswegen die erstrebte Vermögensverschiebung zu Unrecht geschieht, wenn dem Täter kein materiell-rechtlicher Anspruch auf die geforderte Leistung zusteht; ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach zivil- oder gegebenenfalls auch öffentlich-rechtlichen Maßstäben. Die Rechtswidrigkeit der angestrebten Bereicherung ist objektives und normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der (bedingte) Vorsatz beziehen muss. Vorliegend ist fraglich, ob der F auch insoweit Vorsatz gehabt hat. Dazu hier der BGH:

„II.2.a) Der Täter will sich dann zu Unrecht bereichern, wenn er einen Vermögensvorteil erstrebt, auf den er keinen rechtlich begründeten Anspruch hat; allein der Umstand, dass ein fälliger Anspruch mit Nötigungsmitteln durchgesetzt werden soll, macht den begehrten Vorteil nicht rechtswidrig (…). Entsprechendes gilt für das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit der Zueignung beim Tatbestand des Raubes im Sinne des § 249 StGB (…).
(…) [P hatte] aus dem nach § 311b Abs. 1 S. 2 BGB infolge Eigentumsumschreibung im Grundbuch wirksamen Grundstückskaufvertrag einen Anspruch auf Zahlung des Restkaufpreises von 30.000 Euro gegen den [L] (…), mit dem er gegen den Kaufpreisanspruch für das Fahrzeug die Aufrechnung erklärt hat (§§ 387, 388 BGB). Die Forderung war einredefrei und fällig. Denn der [P] hatte dem [L] den Kaufpreisteil von 30.000 Euro nicht im Sinne eines befristeten Einforderungsverzichts gestundet, sondern bei verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) aus Nachsicht mit Blick auf die noch ausstehende Baugenehmigung lediglich einen Zahlungsaufschub gewährt (…). Da der Anspruch des [L] auf Zahlung des Kaufpreises für das Fahrzeug infolge der Aufrechnung nach § 389 BGB erloschen ist, war er nach § 433 Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet, dem [P] das Fahrzeug nebst Schlüssel zu übereignen (§ 433 Abs. 1 S. 1 i.V.m. §§ 311c, 97 Abs. 1 Satz 1 BGB) und die Fahrzeugpapiere zu übergeben (§ 985 i.V.m. § 952 Abs. 2 BGB entsprechend …)“

P hat sich auch nicht wegen versuchter räuberischer Erpressung strafbar gemacht.
Hinweis: Im Hinblick auf den Vorhalt der geladenen Waffe wären anderenfalls noch die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu prüfen gewesen, wegen dem Tod des L zudem noch § 251 StGB.

V. Versuchte Nötigung, §§ 240, 22, 23 Abs. 1 StGB

P könnte sich aber wegen versuchter Nötigung nach den §§ 240, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Die versuchte Nötigung ist strafbar (§ 240 Abs. 3 StGB), der Nötigungserfolg ist nicht eingetreten. P müsste zur Begehung der Tat entschlossen gewesen sein, also zumindest bedingten Vorsatz gehabt haben, einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen. P wollte L durch Drohung mit einem empfindlichen Übel – Abgabe eines Schusses aus der geladenen Waffe – dazu bringen, ihm Papiere und Schlüssel auszuhändigen. Das erfüllt die objektiven Voraussetzungen des § 240 Abs. 1 StGB.
P hat darüber hinaus in seine subjektiven Vorstellungen von der Tat auch deren Rechtswidrigkeit bzw. die Verwerflichkeit der Tat i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB mit aufgenommen. Da es bei einer Nötigung – anders als bei Vermögensdelikten wie §§ 249, 253, 263 StGB – nicht auf den erstrebten Vermögensvorteil bzw. dessen strafrechtlichen Schutz ankommt, sondern auf eine Gesamtabwägung der tatsächlichen Umstände zur Bestimmung der Zweck-Mittel-Relation, ist festzustellen, dass es P bewusst war, dass die Drohung gegen L zur Erreichung der Herausgabe der Gegenstände „verwerflich“ gewesen ist.

„II.1.b. (…) Das Drohen mit der geladenen Schusswaffe, um von dem [L] im Wege der Selbsthilfe ohne Zahlung des Kaufpreises den Fahrzeugschlüssel und die Fahrzeugpapiere zu erlangen, erweist sich auch vor dem Hintergrund eines entsprechenden Anspruchs des [P] (…) als verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB.“
P müsste auch unmittelbar zur Tatbegehung angesetzt haben. Dafür müsste er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Handlung angesetzt haben, sodass sein Tun ohne wesentliche Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht. Das Tun des P muss also so eng mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft sein, dass es bei ungestörten Fortgang unmittelbar zur Verwirklichung des gesamten Straftatbestandes führen soll oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr steht. Diese Voraussetzungen sind hier sämtlichst erfüllt. P hat bereits den L mit der Waffe bedroht, um ihn zur Herausgabe zu bewegen.
P hat sich damit wegen versuchter Nötigung nach den §§ 240, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

VI. Ergebnis

P hat sich wegen Totschlags nach § 212 Abs. 1 StGB sowie wegen versuchter Nötigung nach §§ 240, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Die Delikte stehen zueinander in Idealkonkurrenz (§ 52 StGB).
Hinweis: P hat sich zudem auch noch wegen eines Verstoßes gegen das WaffG („Besitz einer verbotenen Vorderschaftrepetierflinte“) strafbar gemacht. Der 6. Strafsenat hat unter Abänderung des Schuldspruchs der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts – das unter Verstoß gegen die sog. Kognitionspflicht (Prüfung der in der Anklage bezeichneten Tat unter allen rechtlichen Gesichtspunkten nach Maßgabe § 264 Abs. 1 StPO) die versuchte Nötigung nicht mit ausgeurteilt hatte – die Verurteilung des P zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bestätigt und die (weitergehenden) Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie der Nebenkläger (vgl. dazu §§ 400 Abs. 1, 401 Abs. 1 und 2 StPO) verworfen. Der Senat war vorliegend befugt, eine eigene Strafzumessungsentscheidung zu treffen. Dazu der BGH:

„II.1.b. (…) Da der Sachverhalt abschließend festgestellt ist, kann der Senat den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der [P] auf die Möglichkeit einer Verurteilung nach § 240 Abs. 1 und 3, § 23 Abs. 1 StGB hingewiesen worden ist.
c) (…) Der Senat kann ausschließen, dass sich ein rechtsfehlerfreier Schuldspruch auf die Strafhöhe ausgewirkt hätte. Hieran ändert auch das Nachtatverhalten des [P] nichts, da es sich jedenfalls angesichts dessen Bedrohung durch die Angehörigen des Opfers nicht um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund handelte.“

Prüfungsrelevanz

Die Entscheidung lenkt den Blick auf zwei prüfungsrelevante Themenbereiche, die sich – praxisnah – gut miteinander kombinieren lassen: Die durch Drohung mit einer (später abgefeuerten und tödlich wirkenden) Schusswaffe gewollte Herausgabe von Gegenständen, auf die ein zivilrechtlicher Anspruch besteht, berührt sowohl die Vorschriften über die Tötungsdelikte nach den §§ 212, 211 StGB als auch die der Vermögensdelikte gemäß den §§ 249 ff., 253 ff. StGB. Die gesamten Umstände des Einzelfalls sind unter Einbeziehung des Zivilrechts sowohl bei den Voraussetzungen der Mordmerkmale zu berücksichtigen als auch beim (versuchten) Raub bzw. bei der (versuchten) räuberischen Erpressung.
Der 6. Strafsenat hat sich in der hiesigen Konstellation zunächst vertiefend mit dem sog. Ausnutzungsbewusstsein beim Heimtückemord befasst und die BGH-Rechtsprechung insoweit gefestigt. Darüber hatte in anderer Sache (vgl. Urt. v. 11.05.2022 – 2 StR 445/21) jüngst auch der 2. Senat zu entscheiden: Der spätere Täter lauert seiner Lebensgefährtin, mit der er eine „toxische“ – von Gewalt, Drogenkonsum und häufigen Trennungsabsichten bestimmte – Beziehung führt, auf und täuscht ihr vor, sich selbst töten zu wollen, weil er nicht von ihr verlassen werden will. Beide kaufen gemeinsam ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 21 cm. Unmittelbar nach Verlassen des Geschäfts droht der Täter mit dem Messer in der Hand seiner Gefährtin noch einmal damit, sich umzubringen, sollte die spätere Geschädigte nicht zu ihm zurückkehren. Dies lässt die Geschädigte unbeeindruckt, wobei sich beide frontal gegenüberstanden. Aus Enttäuschung und Wut über die von ihm empfundene Kälte fasst der Täter spontan den Entschluss, nicht sich selbst, sondern seine Lebensgefährtin zu töten. Für diese überraschend beginnt er, auf sie einzustechen, wodurch sie mehr als 30 Stiche in ihren Oberkörper erleidet. Der Täter lässt erst von der Geschädigten ab, als diese tödlich verletzt auf dem Boden liegt.
Das Landgericht, dessen Urteil mit der Revision von den Nebenklägern angefochten worden ist, hatte die Tat (nur) als Totschlag gewertet; Mordmerkmale seien nicht feststellbar, weder Heimtücke noch „niedrige Beweggründe“. Dem ist der BGH nicht gefolgt. Zu erörtern gewesen sei das erforderliche heimtückespezifische Ausnutzungsbewusstsein. Dagegen spreche nicht, dass der Täter die Geschädigte nicht in einen Hinterhalt gesteuert und sie bis dahin in Sicherheit gewogen habe, weil ausreichend sei, dass der Täter sich bewusst sei, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Auch spreche gegen die Annahme des Ausnutzungsbewusstsein nicht, dass der Täter seine getötete Lebensgefährtin nach Verlassen des Geschäfts nicht sofort von hinten attackiert habe; so habe er zunächst die Reaktion der Geschädigten auf seinen angedrohten Suizid abwarten wollen und erst als diese es wider Erwarten abgelehnt habe, die Beziehung fortzusetzen, habe er sich dazu entschlossen, diese zu töten. Und soweit die Spontanität des Tatentschlusses und die subjektiv emotional sehr verletzende Situation für den Täter gegen das Ausnutzungsbewusst sein sprechen solle, komme es – so der 2. Strafsenat – maßgeblich darauf an, weshalb trotz erhaltener Unrechtseinsicht ausnahmsweise die Fähigkeit des Täter beeinträchtigt war, die übersichtliche Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für sein Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen.
Des Weiteren von Bedeutung – auch im Prüfungsaufbau – sind die Erwägungen des Senats zur Rechtswidrigkeit der Zueignung beim Raub bzw. der Absicht rechtswidriger Bereicherung bei der Erpressung. Insoweit ist jeweils das Zivilrecht heranzuziehen, das zu einer genauen Prüfung zwingt, ob dem Täter ein fälliger und einredefreier Anspruch, dessen Durchsetzung er „erzwingen“ will, gegen das Tatopfer zusteht oder nicht. Im hiesigen Fall hat der Täter dem Geschädigten die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nach § 320 BGB dadurch genommen, dass er mit seinem ausstehenden Anspruch auf Zahlung des restlichen Kaufpreises aus einem Grundstücksgeschäft gegen die Kaufpreisforderung des Geschädigten aus einem Fahrzeugkaufvertrag aufgerechnet hat, wodurch die einredefreie Pflicht des Geschädigten entstanden ist, dem Täter die Fahrzeugpapiere sowie den Schlüssel auszuhändigen, und dadurch gleichzeitig die „Rechtswidrigkeit“ der erstrebten Zueignung bzw. Bereicherung entfallen ist. Diese Überlegungen sind auch eingeflossen in die Wertung der „niedrigen Beweggründe“ (§ 211 StGB).
Insgesamt handelt es sich um eine lesenswerte, mit reichlich Prüfungsstoff versehene Entscheidung!