BGH zu Nötigung bei Bürgerversammlung und Brandstiftung – Teil 2

BGH zu Nötigung bei Bürgerversammlung und Brandstiftung – Teil 2

In der letzten Woche hatten wir in Teil 1 des Falles den I. Tatkomplex (die Bürgerversammlung) und die Prüfung der (versuchten) Nötigung gem. §§ 240 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB dargestellt. Nunmehr geht es um den II. und III. Tatkomplex und die Frage, ob sich L möglicherweise auch wegen Sachbeschädigung gem. § 303 StGB, der Beihilfe zur Brandstiftung nach §§ 306 I Nr. 4, 27 StGB oder der vorsätzlichen Brandstiftung gem. § 306 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben könnte. Zudem besprechen wir die Mittäterschaft, die Konkurrenzen und die besondere Prüfungsrelevanz des Falles.

Zur Erinnerung hier noch einmal der Sachverhalt:

A. Sachverhalt

L, der seit Jahren aktives Mitglied der N-Partei und für diese Partei Stadtverordneter ist, zählt zu den führenden Köpfen der rechten Szene in seiner Heimatstadt F. Er wendet sich mit einer Reihe von Aktivitäten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Dabei kommt es u.a. zu den folgenden Begebenheiten:

Die Stadt F erhält Anfang des Jahres vom Landkreis die Aufforderung, ein Grundstück für die Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung zu stellen. In der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung Anfang Februar soll über den Standort des künftigen Wohnheims entschieden werden. Es ist geplant, diese Versammlung wegen des großen allgemeinen Interesses mit einer Bürgerfragestunde zu verbinden, in der die in Frage kommenden Grundstücke vorgestellt und auf Anliegen der Bürger eingegangen werden soll. Um möglichst vielen Interessierten eine Teilhabe zu ermöglichen, findet die Versammlung im größten Saal der Stadt, einem rund 200 Personen fassenden Raum des Gemeindehauses, statt. Tatsächlich ist der Andrang aber so groß, dass eine Vielzahl interessierter Bürger in dem Saal keinen Platz mehr findet. L hatte bereits zuvor – insbesondere über einen elektronischen Nachrichtendienst –zur Teilnahme an der Veranstaltung und zu Protesten aus ihrem Anlass aufgerufen, um „massiven Druck“ auf die Stadtverordneten auszuüben. Obgleich er weiß, dass der Bau einer Flüchtlingsunterkunft bereits beschlossen ist und nur noch der Standort in Frage steht, hofft er, den Abbruch der Stadtverordnetenversammlung insbesondere durch lautstarken Protest Gleichgesinnter zu erreichen und damit letztlich den Bau einer Flüchtlingsunterkunft insgesamt zu verhindern. Rund eine halbe Stunde nach Beginn der Sitzung haben sich an der Rückseite des Gebäudes, wo sich eine bis zum Boden reichende etwa drei Meter hohe Fensterfront befindet, mindestens 50 Personen versammelt. Der L stimmt u.a. ausländerfeindliche Parolen an, welche die um ihn Stehenden lautstark skandieren. Die die vorderste Reihe bildenden Personen schlagen und treten zudem gegen die Fensterscheiben, die darauf zu vibrieren beginnen. L, der ebenfalls in der ersten Reihe steht, schlägt seinerseits gegen die Scheiben und fordert die anderen mit Gesten zum Mit- und Weitermachen auf. Durch das laute Gebrüll sowie die Schläge und Tritte gegen die Fenster ist der Lärm schließlich so groß, dass im Raum keine Kommunikation mehr möglich ist. Die Stadtverordneten und viele anwesende Bürger sind zudem durch das Geschehen verängstigt und fürchten, dass die Scheiben bersten könnten. Auf Anregung der Polizei, die die Sicherheit vor Ort nicht mehr zu gewährleisten vermag, bricht der Versammlungsleiter die Veranstaltung ab und bittet die Besucher, den Saal zu verlassen. Ob die Sitzung an diesem Tag noch ordnungsgemäß zu Ende hätte geführt werden können, vermag er zu diesem Zeitpunkt nicht abzuschätzen. Erst als Polizeiverstärkung eintrifft, wird das Gelände geräumt. Einzelne Zuschauer, die sich im Gebäude befunden haben, müssen unter Polizeischutz den Weg nach Hause antreten. Nach einer einstündigen Unterbrechung wird die Stadtverordnetenversammlung in Abwesenheit von Bürgern mit dem Ergebnis eines Beschlusses über den Standort des zu errichtenden Gebäudes weitergeführt.

Im Mai des Jahres hat sich das Gerücht verbreitet, dass der polnische Bürger P, der in der Nähe einer Bekannten des L wohnt, Kinder missbrauche. Auf eine Strafanzeige leitet die Polizei Ermittlungen ein, die keinerlei Hinweise auf pädophile Straftaten ergeben. Dennoch halten sich in der Nachbarschaft entsprechende Gerüchte. Der L und einige Gleichgesinnte beschließen daraufhin, selbst zu Strafmaßnahmen zu greifen. Zu diesem Zweck maskiert sich L und begibt sich zum Fahrzeug des P, an dem er mit einer Axt sämtliche Scheiben zertrümmert. Später gießt ein Bekannter des L in dessen Beisein durch eine der zertrümmerten Scheiben Spiritus in das Auto, wobei ihm L rät, er solle nicht alles auf einmal verwenden, weil der Spiritus sonst verfliege und nicht mehr so brenne. Der Bekannte steckt ein dann Taschentuch in die Spiritusflasche, zündet diese an und wirft sie durch eine der zertrümmerten Fensterscheiben in das Auto, woraufhin das Fahrzeug in Flammen aufgeht und komplett ausbrennt.

Da das geplante Flüchtlingswohnheim im Sommer noch nicht fertiggestellt ist, sollen etwa 150 erwartete Flüchtlinge übergangsweise in einer Turnhalle untergebracht werden. Dies lehnt L ab, muss aber feststellen, dass politische Bemühungen bei der Stadtverordnetenversammlung keinen Erfolg zeigen. Deshalb beschließt er, die Sporthalle in Brand zu setzen und damit zumindest so zu beschädigen, dass eine Unterbringung von Flüchtlingen dort nicht möglich ist. Gemeinsam mit vier weiteren Personen macht er sich an die Umsetzung des Vorhabens. Zunächst entwendet er zusammen mit zwei anderen vom Hof eines Autohauses mehrere Autoreifen, zwei Holzpaletten und eine Mülltonne, die er bei einem der Mittäter lagert. Am Tatabend holt er diese Gegenstände dort ab, bittet zwei Bekannte, Spähdienste zu übernehmen, und begibt sich mit zwei Mittätern zur Halle. Dort laden sie die Materialien ab und verbringen sie über den Zaun vor den Eingang des Gebäudes, wo sie L auf einem als Fußabtreter fungierenden Gitterrost unterhalb des Dachüberstandes aufschichtet. In die offene Mülltonne platziert er eine Propangasflasche, deren Ventil geschlossen ist, übergießt alles mit Benzin und Öl und zündet es an. Binnen weniger Minuten entflammt das Brandgut. Aufgrund der großen Hitzeentwicklung öffnet sich das Sicherheitsventil der Gasflasche, so dass durch das austretende Gas pulsierende Flammenballen zum Dach hochschießen, das dadurch in Brand gerät. Die große Hitze lässt die Fassade schmelzen. Auch wird das Fenster der Stahltür zerstört. Dadurch können die Flammen ins Halleninnere eindringen. Binnen kurzer Zeit brennt die Halle komplett aus. Ihr Wiederaufbau kostet 3,9 Millionen Euro.

Wie hat sich L strafbar gemacht?

B. Entscheidung

II. Tatkomplex „Zerstörung PKW“

1.) Sachbeschädigung, § 303 Abs. 1 StGB

L könnte sich wegen Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er mit einer Axt die Scheiben des Fahrzeugs des P zertrümmerte. Dazu müsste L vorsätzlich eine fremde Sache beschädigt oder zerstört haben. „Beschädigen“ i.S.d. § 303 StGB bedeutet eine nicht unerhebliche körperliche Einwirkung auf die Sache, durch die ihre stoffliche Zusammensetzung verändert oder ihre Unversehrtheit derart beeinträchtigt wird, dass die bestimmungsgemäße Gebrauchsfähigkeit gemindert ist; „Zerstören“ meint hingegen – als stärkere Form des Beschädigens – eine solche Einwirkung auf die Sache, dass deren Gebrauchsfähigkeit völlig aufgehoben ist. Durch das Einschlagen der Fensterscheiben hat L die Gebrauchsfähigkeit des Fahrzeugs des P nicht gänzlich aufgehoben, aber immerhin dessen bestimmungsgemäße Gebrauchsfähigkeit (erheblich) gemindert. Dabei handelte L auch wissentlich und willentlich, da es ihm gerade darauf ankam, mit der Axt die Fenster des PKW zu zerstören.

L hat sich damit wegen Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Bei der Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB handelt es sich nach Maßgabe von § 303c StGB um ein sog. relatives Antragsdelikt. Die Tat ist also nur verfolgbar, wenn der Verletzte der Straftat – fristgemäß (§ 77b StGB) und in gehöriger Form (§ 158 Abs. 2 StPO) – einen entsprechenden Antrag i.S. des § 77 StGB stellt oder – wie im konkreten Fall – die Strafverfolgungsbehörde das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Anderenfalls besteht ein sog. Verfahrenshindernis.

Prüfungsaufbau: Sachbeschädigung, § 303 StGB
Relevante Lerneinheit

2.) Beihilfe zur Brandstiftung, §§ 306 Abs. 1 Nr. 4, 27 StGB

L könnte sich auch wegen Beihilfe zur Brandstiftung gemäß den §§ 306 Abs. 1 Nr. 4, 27 StGB strafbar gemacht haben, indem er seinen Bekannten beim Inbrandsetzen des PKW des P verbal unterstütze.

Zunächst müsste eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat gegeben sein, zu der L Hilfe geleistet haben könnte. In Betracht kommt hier eine Brandstiftung i.S.v. § 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB, indem der Bekannte des L in das Fahrzeug des P Spiritus gegossen bzw. verbracht und es willentlich und wissentlich angezündet hat, wodurch es vollständig ausbrannte bzw. vollständig („ganz“) zerstört wurde.

Fraglich ist, ob L dazu – objektiv – Hilfe geleistet hat. Insoweit kommt eine Förderung oder Erleichterung der Haupttat durch eine sog. psychische Beihilfe in Frage, wobei nicht erforderlich ist, dass die Hilfeleistung für den Eintritt des Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird. Voraussetzung ist allerdings ein konkreter Tatbeitrag des Gehilfen, durch den der Haupttäter in seinem Tatentschluss bestärkt wird. Die Annahme allein psychischer Beihilfe bedarf genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion sowie zur entsprechenden Willensrichtung des Gehilfen sowie gegebenenfalls zu einer konkludenten Verständigung zwischen Haupttäter und diesem (vgl. BGH, NStZ 2012, 316 f.). Beihilfe zu einer Tat kann auch dadurch geleistet werden, dass der Gehilfe den Haupttäter in seinem schon gefassten Tatentschluss bestärkt und ihm ein erhöhtes Gefühl der Sicherheit vermittelt (BGH, NStZ 1999, 609, 610). Vorliegend erschöpft sich der Tatbetrag des L indes darin, seinem Bekannten den Tipp zu geben, von dem Spiritus nicht gleich alles zu verwenden, weil dieser sonst verfliege. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dieser Rat die Ausführung der Tat des Bekannten in irgendeiner Weise gefördert hat oder ihn in seinem Tatentschluss bestärkt hat. Es fehlen auch tatsächliche Anhaltspunkte dafür, ob sich der Haupttäter mit dem L konkludent verständigt hat.

L hat sich damit nicht wegen Beihilfe zur Brandstiftung strafbar gemacht.

Prüfungsaufbau: Beihilfe, § 27 StGB
Relevante Lerneinheit

III. Tatkomplex „Brandlegung Turnhalle“

L könnte sich aber wegen einer vorsätzlichen Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er die Turnhalle in N in Brand setzte und diese dadurch komplett ausbrannte.

L hat – in Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) – den objektiven Tatbestand erfüllt. Zusammen mit seinen beiden Mittätern und entsprechend des vorherig gefassten, gemeinsamen Tatplans häufte er alte Autoreifen und Holzpaletten aufeinander, stellte eine Mülltonne, in der sich eine Gasflasche befand, dazu, übergoss die Materialien mit Benzin als Brandbeschleuniger und zündete diese an, sodass das „Gebäude“ infolge der durch die benutzten Brandmittel verursachten hohen Hitzeentwicklung Feuer fing und niederbrannte. L hat damit die Turnhalle durch Brandlegung vollständig („ganz“) zerstört.

Dabei handelte L bei einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände auch zumindest mit bedingtem Vorsatz: Schon die Art, die Menge und die Platzierung der Brandmaterialien lassen den Schluss zu, dass L die Fassade der Sporthalle nicht lediglich „einrußen“, sondern dass er das Gebäude anzünden und niederbrennen wollte. Insbesondere die Platzierung der Brandmaterialien direkt an der Eingangstür des Gebäudes und die Verwendung der Gasflasche lassen keinen Zweifel daran, dass dem L daran gelegen war, dass der Brand wesentliche Gebäudeteile erfassen sollte und diese selbständig weiterbrennen sollten. Ob L mit der Brandlegung eine völlige Zerstörung der Halle durch Niederbrennen beabsichtigte, kann dahinstehen, eine solche hat er zumindest billigend in Kauf genommen. Bei lebensnaher Betrachtung musste er im Hinblick auf die verwendeten Brandmaterialien damit rechnen, dass das Gebäude binnen kurzer Zeit in Brand geraten und niederbrennen würde. Auch die Motivationslage des L belegt, dass er ein völliges Niederbrennen der Halle zumindest billigend in Kauf nahm. Ihm war daran gelegen, die Halle als Unterkunft für Flüchtlinge unbrauchbar zu machen. Ihm war bewusst, dass dies nur durch eine massive Beschädigung des Gebäudes möglich sein würde. Auch wenn es möglicherweise nicht sein erstrebtes Ziel war, die Halle durch die Brandlegung völlig zu zerstören, so hat er dies doch billigend in Kauf genommen, um sein Ziel, nämlich die Unterbringung von Flüchtlingen in der Halle zu verhindern, zu erreichen (vgl. nur LG Potsdam Urt. v. 2.10.2019 – 25 KLs 6/18).

Hinweis: Im Rahmen der Strafzumessung ist zu beachten, dass in § 306 Abs. 2 StGB ein sog. minder schwerer Fall geregelt ist, der im Vergleich zum Regelstrafrahmen nach Absatz 1 einen deutlich herabgesenkten Strafrahmen vorsieht (Höchstmaß nur 5 Jahre Freiheitsstrafe anstatt 10 Jahre). Im konkreten Fall hatte das Landgericht die Anwendung dieses Ausnahmestrafrahmens nicht für geboten erachtet. Fraglich ist allerdings, welche Gesichtspunkte und Umstände bei der konkreten Strafzumessung i.S.v. § 46 StGB für diese Tat in die erforderliche Abwägung eingestellt werden dürfen. Dazu der BGH:

„III.2.b.bb.(1) Soweit die Revision geltend macht, das Landgericht habe gegen das Verbot der Doppelverwertung nach § 46 Abs. 3 StGB verstoßen, indem es berücksichtigt hat, dass durch den Brand auch die Schüler und Vereine geschädigt worden seien, die die Sporthalle - nach der vorübergehenden Belegung als Flüchtlingsunterkunft - nicht mehr zu Sportzwecken hätten nutzen können, verkennt sie, dass es damit nicht etwa in die Strafzumessung eingestellt hat, dass durch den Brand die Nutzungsmöglichkeit aufgehoben war. Vielmehr hat es gewertet, dass die Halle gerade solchen Zwecken nicht mehr dienen konnte, an denen die Allgemeinheit ein Interesse hat.

(2) Auch dass die Strafkammer bei der Bemessung der Einzelfreiheitsstrafe für die Brandstiftung generalpräventive Überlegungen angestellt hat, begründet keinen Rechtsfehler.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Strafzweck der Abschreckung anderer berücksichtigt werden (…). Indes dürfen dabei der Bezug zur konkreten Tat und das Maß des Verschuldens des Angeklagten nicht aus dem Blick geraten (…). Die Berücksichtigung generalpräventiver Umstände ist deshalb nur zulässig, soweit dabei der Bereich schuldangemessenen Strafens nicht überschritten wird (…).

Dass das Landgericht diese Einschränkungen verkannt hätte, ist auszuschließen. Den Urteilsausführungen lässt sich nicht einmal eindeutig entnehmen, dass es tatsächlich aufgrund generalpräventiver Erwägungen auf eine höhere Strafe erkannt hat. Die Strafkammer hat nach sorgfältiger Abwägung rechtlich unbedenklicher Strafzumessungserwägungen zunächst einen minder schweren Fall nach § 306 Abs. 2 StGB verneint und nach den aufgeführten Kriterien sodann die Strafhöhe bestimmt. Dabei hat sie zu Lasten des [L] gewertet, dass sich in der Tat eine Missachtung demokratischer Entscheidungen gezeigt habe. Dass persönliche Auffassungen und Interessen gegenüber „widerstrebenden demokratisch legitimierten“ Mehrheitsentscheidungen mit erheblichen Straftaten durchgesetzt würden, sei „inakzeptabel und daher auch aus generalpräventiven Gründen nicht hinnehmbar“. Damit hat das Landgericht - was nach § 46 Abs. 2 StGB ausdrücklich vorgesehen ist - die Motivation des [L] in die Strafzumessung eingestellt und lediglich verstärkend (auch) auf „generalpräventive Gründe“ verwiesen. Soweit in dem die Strafzumessung abschließenden Satz ausgeführt ist, bei der Bemessung sei ferner zu berücksichtigen gewesen, dass „Generalprävention ein wesentlicher Gesichtspunkt der Strafe“ sei und Strafe danach auch die Aufgabe habe, „die Geltung der durch die Tat verletzten Rechtsordnung zu bestätigen und künftigen Verletzungen durch den Täter selbst oder durch andere vorzubeugen“, ist diesen allgemeinen Erwägungen nicht zu entnehmen, dass das Landgericht eine Strafe über das der abgeurteilten Tat immanente Maß der Schuld verhängt hätte, um durch die Höhe der ausgesprochenen Sanktion andere von solchen Taten abzuhalten.

Im Übrigen unterliegt es keiner Beanstandung, dass das Landgericht generalpräventive Gesichtspunkte in die Strafzumessung eingestellt hat. Soweit das Urteil keine ausdrücklichen Feststellungen zu einer gemeinschaftsgefährlichen Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten wie der abgeurteilten Brandstiftung enthält (…), ergibt sich hieraus kein durchgreifender Rechtsfehler. Dass es im Tatzeitraum zu einer Häufung von Brandstiftungen an - möglichen - Flüchtlingsunterkünften kam, ist allgemeinkundig. Dabei ist unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe davon auszugehen, dass die Bedeutung, die das Landgericht diesem Umstand beigemessen hat, allen Verfahrensbeteiligten so offensichtlich war, dass es einer ausdrücklichen Erörterung in der Hauptverhandlung nicht bedurft hat (…).“

Demgemäß hat das Landgericht zur Ahndung der Zerstörung der als Flüchtlingsunterkunft geplanten Sporthalle eine Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 4 Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet. Für die versuchte Nötigung hat es – unter Nichtanwendung der Milderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB – auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, für die Sachbeschädigung von 8 Monaten erkannt.

IV. Konkurrenzen und Ergebnis

Die versuchte Nötigung (1. Tatkomplex), die Sachbeschädigung (2. Tatkomplex) sowie die Brandstiftung (3. Tatkomplex) stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB). L hat sich damit also nach den §§ 240 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1; 303 Abs. 1; 306 Abs. 1 Nr. 1; 53 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Die auf die mit einer sog. Sachrüge der Staatsanwaltschaft geltend gemachte Anfechtung der Gesamtstrafenbildung durch das Landgericht aufgrund einer mangelhaften Anwendung des § 55 StGB (nachträgliche Gesamtstrafenbildung) hatte hier Erfolg und führte zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, wobei der BGH aber die Feststellungen zur Sache sämtlichst aufrecht erhalten hat.

Die vom Angeklagten L erhobene Sachrüge hatte auch nur in diesem Umfang Erfolg, im Übrigen hat der BGH die materiell-rechtlichen Erwägungen des Landgerichts bestätigt. Eine zudem erhobene Verfahrensrüge (vgl. § 344 Abs. 2 S. 1 und 2 StPO), mit der L geltend gemacht hatte, dass das Landgericht zu Unrecht einem Beweisantrag nicht nachgegangen sei und auch nicht auf eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verzögerungen des Verfahrens erkannt habe, hatte ebenfalls keinen Erfolg.

C. Prüfungsrelevanz

Der vorliegende Sachverhalt, der sich im Jahr 2015 zugetragen hat, war nicht das erste Mal Gegenstand einer Überprüfung durch den BGH. Bereits in der Sache 3 StR 559/17 hatte sich das Gericht mit einer Revision gegen eine Entscheidung des Landgerichts Potsdam betreffend L zu befassen. Mit Beschluss vom 06.03.2018 – veröffentlicht in NJW 2018, 2578 – hob der BGH dessen Urteil sodann wegen einer erfolgreichen Verfahrensrüge des L auf, weil ein Schöffe zu Recht wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war. Dieser hatte während der Verlesung einer schriftlichen Erklärung den L gefragt, ob dieser tatsächlich den „Quatsch“ glaube, den er „hier erzähle“. Der BGH hatte dazu bemerkt, dass „solchen Unmutsäußerungen von Mitgliedern des erkennenden Gerichts als Reaktion auf das Verhalten anderer Verfahrensbeteiligter Grenzen gesetzt [sind], die – je nach den Umständen des Einzelfalls – dann überschritten sind, wenn sie in der Form überzogen sind oder in der Sache auch bei einem vernünftigen Angeklagten die Befürchtung von Voreingenommenheit aufkommen lassen können (…). Danach kann von einer bloßen „Unmutsaufwallung“ nicht mehr die Rede sein, wenn ein Schöffe wie hier in grob unsachlicher Weise die Einlassung des Angeklagten als unsinnig bewertet.“

In materiell-rechtlicher Hinsicht ist vor allem die im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB anzustellende Gesamtwürdigung der Zweck-Mittel-Relation bei dem (ver-)störenden Aufmarsch anlässlich der Bürgerversammlung von examensträchtiger Bedeutung, soll nach BGH (NJW 1962, 1923, 1924) heißen: Die Verquickung des Mittels der Gewalt oder der Drohung mit dem durch die Nötigung angestrebten Zweck muss nach allgemeinem Urteil sittlich zu missbilligen sein. Die Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB ist Ausdruck der Erkenntnis, dass sich im Einzelfall die Grenzen des vom Gesetz geschützten Freiheitsraums erst ergeben können, wenn Nötigungsmittel und Nötigungszweck zueinander in Beziehung gesetzt werden, wozu in Erfassung aller für die Mittel-Zweck-Relation wesentlichen Umstände und Beziehungen eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden Situation erforderlich ist (vgl. etwa BVerfG, NJW 1987, 43, 48). Obwohl die Normen des Strafrechts unter Einschluss des § 240 StGB unter Beachtung der Wertentscheidungen der Grundrechte – auch der Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG – auszulegen und anzuwenden sind und die öffentliche bzw. politische Meinungsbildung von erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung ist (vgl. BVerfG, NJW 2002, 1031, 1032), kommt der BGH im hiesigen Fall zu dem zutreffenden Ergebnis, dass dem L eine Straffreiheit durch eine Berufung auf die vorgenannten Grundrechte wegen der „Massivität“ seines Vorgehens (und der seiner angestachelten Begleitpersonen) versagt bleibt. Die Verquickung von eingesetztem Mittel – Drohgebärden und Gewaltausübung im Rahmen einer Bürgerversammlung – und angestrebtem Zweck – Verhinderung einer Standortentscheidung betreffend eine geplante Flüchtlingsunterkunft – ist im hiesigen Fall mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar bzw. als „sozial unerträglich“ (BGH, NJW 2017, 1487, 1488, Rn. 51) anzusehen.

In Kombination mit einer Bedrohung (§ 241 StGB) wäre auf Konkurrenzebene zu bedenken, dass die Nötigung als Erfolgsdelikt auch im Falle des Versuchs das abstrakte Gefährdungsdelikt der Bedrohung verdrängt (vgl. BGH, NStZ-RR 2021, 13 [Ls.]; Beschl. v. 29.9.2020 – 5 StR 304/20, BeckRS 2020, 27106).

Und das in § 46 Abs. 3 StGB geregelte Doppelverwertungsverbot wäre im Rahmen des § 240 StGB auch verletzt, wenn dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung zur Last gelegt wird, dass er „meinte, ohne Zuhilfenahme staatlicher Mittel seinen Willen durchsetzen zu können“ (s. BGH, NStZ 2020, 542).

Insgesamt eignen sich der Sachverhalt und die daraus abzuleitenden Rechtsprobleme betreffend mehrere Tatbestände hervorragend für eine (Über-)Prüfung der strafrechtlichen Fähigkeiten im Examen.

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