Die Unfallflucht nach § 142 StGB ist ein beliebter Baustein strafrechtlicher Klausuren und wird gern in Sachverhalte eingebaut, die einen Bezug zum Straßenverkehr aufweisen. Mit einer ungewöhnlichen Fallgestaltung hatte sich kürzlich das AG Hagen in seinem Beschluss vom 06.06.2025 (Az. 66 Gs 733/25) auseinanderzusetzen. Daher nehmen wir diese Entscheidung zum Anlass, uns diesem klausurrelevanten Paragrafen zu widmen.
Der Fall im Überblick: Beschuldigte überfährt Leiche und flüchtet
Der Sachverhalt ist übersichtlich: Die Beschuldigte überfuhr mit ihrem Pkw den Leichnam einer verstorbenen Person. Danach entfernte sie sich vom Ort des Geschehens, ohne Feststellungen zu ihrer Person oder zur Unfallart zu ermöglichen. Auch im Nachhinein meldete sie sich nicht. Die Staatsanwaltschaft beantragte deswegen beim örtlich zuständigen AG Hagen, der Beschuldigten vorläufig ihre Fahrerlaubnis zu entziehen. Das AG Hagen hatte nun zu prüfen, ob die Voraussetzungen hierfür vorlagen, die sich aus § 111a StPO und § 69 StGB ergaben.
Für Dich zum Verständnis
Das Gericht entzieht dem Täter die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der verurteilten Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist i.S.d. § 69 I StGB. Gemäß § 69 II Nr. 3 StGB ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn er sich gemäß § 142 StGB unerlaubt vom Unfallort entfernt. Das Gericht musste hier also inzident prüfen, ob im vorliegenden Fall eine Strafbarkeit nach § 142 StGB in Betracht kam. Du siehst also, wie eng das materielle Strafrecht mit dem Strafprozessrecht verknüpft ist und wie einfach strafprozessuale Themen Einzug in Deine Strafrechtsklausur finden können.
Prozessualer Hintergrund
Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist eine praxisrelevante Maßnahme der Besserung und Sicherung. Wird jemand wegen einer Straftat verurteilt, die mit einem Kraftfahrzeug in Verbindung steht, kann ihm das Gericht gemäß § 69 StGB die Fahrerlaubnis entziehen. In der Konsequenz darf er Kraftfahrzeuge erst wieder steuern, wenn ihm eine neue Erlaubnis erteilt wird. Dies dient der Verkehrssicherheit. Die Entziehung der Fahrerlaubnis wird dann im Urteil ausgesprochen, welches das Strafverfahren abschließt.
Merke Dir
§ 111a StPO gestattet es Gerichten indes, bereits während des Strafverfahrens die Fahrerlaubnis vorläufig einzuziehen, um weitere Gefährdungen des Straßenverkehrs vorerst zu unterbinden.
Zentrales Problem: Vorliegen eines Unfalls
§ 142 StGB setzt in seinem objektiven Tatbestand zunächst voraus, dass ein Unfall im Straßenverkehr vorliegt. Einen Unfall kannst Du als ein plötzliches Ereignis, das mit den typischen Gefahren des Straßenverkehrs in ursächlichem Zusammenhang steht und einen nicht nur unerheblichen Personen- oder Sachschaden verursacht, definieren. Den Schaden ermittelst Du anhand objektiver Kriterien.
Für Dich zum Verständnis
Gemäß § 34 StVO haben die Beteiligten eines Verkehrsunfalls unverzüglich anzuhalten, sich über die Unfallfolgen zu vergewissern sowie anderen Beteiligten und Geschädigten Feststellungen zur eigenen Person zu ermöglichen. Dies soll sicherstellen, dass der Geschädigte seine zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche gegen die Unfallbeteiligten durchsetzen kann. Vereitelt jemand die Durchsetzung von diesen Ansprüchen durch Flucht vom Tatort, kommt § 142 StGB ins Spiel.
Das Problem des Falls bestand also darin, zu bestimmen, welcher Schaden durch das Überfahren einer Leiche verursacht wurde.
Denkbar sei laut Gericht gewesen, hierin zunächst einen Sachsubstanzschaden zu sehen. Schließlich gelten Leichen im Zivilrecht als Sachen. Jedoch würden sie keinen wirtschaftlichen Wert aufweisen, der durch eine Geldzahlung ersetzt werden könne. Dementsprechend könne niemand für die Substanzbeeinträchtigung einer Leiche einen Schadensersatzanspruch geltend machen. Insoweit sei also der Schutzzweck § 142 StGB nicht berührt.
Im Anschluss prüfte das Gericht, ob sich ein Schadensersatzanspruch aus einer Verletzung des Totenfürsorgerechts ergeben könne. Bei der Totenfürsorge handele es sich um eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Berechtigung bzw. Verpflichtung, sich nach dem Tod eines Menschen um dessen Leichnam zu kümmern. Dieses Recht stehe – unabhängig von Erbenstellung – den Angehörigen des Verstorbenen zu. Der Inhaber des Totenfürsorgerechts sei insbesondere dazu berechtigt, über die Bestattung und die Pflege des Grabs zu bestimmen. Einen Vermögenswert würden diese Berechtigungen jedoch nicht aufweisen. Auch würden sie durch das Überfahren der Leiche nicht beeinträchtigt. Daher könne die Beschuldigte auch nicht für eine Verletzung des Totenfürsorgerechts auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden.
Folglich verursachte die Beschuldigte laut Amtsgericht keinen Schaden i.S.d. § 142 StGB, sodass kein Unfall vorliegt. Daher verneinte das AG Hagen das Vorliegen des objektiven Tatbestands.
Was Du bei Straßenverkehrsdelikten in Deiner Klausur beachten solltest
Besonders in Deinem Referendariat, aber auch als StPO-Zusatzfrage in Deiner Strafrechtsklausur ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ein beliebtes Prüfungsthema, weil es materiell-rechtliche Fragestellungen mit einer prozessualen Einkleidung verbindet. Denn damit die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden darf, muss sich der Täter als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben. Dies macht der Täter durch die Verwirklichung eines Straftatbestandes. In Absatz 2 hat der Gesetzgeber einen Katalog an Straftaten aufgenommen, die ein Indiz für die fehlende Eignung sind, insbesondere die Unfallflucht gemäß § 69 II Nr. 3 StGB. Um also über die Entziehung der Fahrerlaubnis entscheiden zu können, musst Du inzident die Strafbarkeit des Täters prüfen.
Leiche als bedeutender Schaden gemäß § 69 II Nr. 3 StGB?
Hilfsweise für den Fall, dass Du einen hinreichenden Schaden annehmen willst, prüfte das AG Hagen eine weitere Voraussetzung für die Entziehung der Fahrerlaubnis, die Du im Klausurstress leicht übersehen kannst: Gemäß § 69 II Nr. 3 StGB muss der Täter einer Tat nach § 142 StGB wissen oder wissen können, dass der von ihm verursachte Sachschaden „bedeutend“ ist. Dieses Kriterium ist eine Besonderheit des § 69 StGB und darf von Dir nicht mit der oben geprüften Voraussetzung des „nicht unerheblichen“ Schadens gleichgesetzt werden, die zur Verwirklichung des § 142 StGB erforderlich ist. Die überwiegende Rechtsprechung geht davon aus, dass ein bedeutender Schaden mindestens 1.500 Euro beträgt.
Doch auch wenn es sich beim bedeutenden Schaden um ein selbstständiges Kriterium des § 69 StGB handelt, führt seine Prüfung vorliegend zum Problem, dass bereits bei § 142 StGB bestand: Für das Überfahren einer Leiche lässt sich kein Schaden beziffern. Daher sah das AG Hagen keine Grundlage, um von einem bedeutenden Schaden auszugehen. Dementsprechend lehnte es die Entziehung der Fahrerlaubnis ab.
Verkehrsunfälle sollten zu Deiner juristischen Grundausstattung gehören und sind Dauerbrenner in Klausuren und Examen. Deswegen haben wir hier noch 3 weitere spannende Entscheidungen für Dich:
Radfahrer vs. Fußgänger
Ein Klassiker: Wenn Rad und Mensch aufeinandertreffen – wer haftet? Dieser Beitrag beleuchtet die zivilrechtlichen Implikationen, insbesondere bei Verletzungen und Schutzpflichtverletzungen.Alleinhaftung des Überholenden
Beim Überholen bringt man sich selbst in Gefahr – und tut es allein? Fällt das gesamte Risiko wirklich dem Überholenden zu? In diesem Beitrag spielt die typische Zurechnung eine große Rolle.“Möglichst weit rechts” – Bedeutung gem. § 2 II StVO
Wenn es um Abstände, Begegnungssituationen und Ausweichpflichten geht, fällt oft die Formulierung “Möglichst weit rechts”. Aber was heißt das eigentlich konkret?
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen