Prozessrechtliches Gutachten

Überblick - Prozessrechtliches Gutachten

Dieser Exkurs behandelt das prozessrechtliche Gutachten in der Anklageklausur. Die folgend dargestellten Punkte kommen regelmäßig im prozessrechtlichen Gutachten vor. Diese Liste ist jedoch nicht abschließend.

I. Einstellungen

Gegebenenfalls muss sich der Verfasser im Rahmen der Anklageklausur mit Einstellungen auseinandersetzen. Eingestellt werden kann immer nur eine Tat im prozessrechtlichen Sinne, also i.S.d. §§ 155, 264 StPO. Die Tat im Sinne des Prozessrechts wird als einheitlicher geschichtlicher Lebensvorgang, dessen Aufspaltung künstlich erschiene, definiert. Der Tatbegriff ist weitgehend mit dem des materiellen Rechts identisch, hat jedoch eine anhand der Definition erkennbare weitere Fassung.

1. § 170 II 1 StPO

Die wichtigste Einstellungsvorschrift ist die des § 170 II 1 StPO. Nach dieser Vorschrift kann die gesamte prozessuale Tat eingestellt werden. In der Klausur ist der Fall ausgeschlossen, in welchem alle Taten eingestellt werden, da in der Regel eine Anklageschrift verfasst werden soll. Jedoch besteht die Möglichkeit, dass bezüglich eines Beschuldigten oder eine Tat von mehreren prozessualen Taten eingestellt wird. Hinsichtlich des § 170 II 1 StPO sind zwei Dinge zu beachten.

a) Einstellungsnachricht an Beschuldigten, § 170 II 2 StPO

Zum einen ergeht an den Beschuldigten eine sogenannte Einstellungsnachricht, wenn die Voraussetzungen des § 170 II 2 StPO vorliegen.

b) Einstellungsbescheid an Anzeigenden (gegebenenfalls mit Rechtsbehelfsbelehrung wenn Verletzter), §§ 171, 172 I StPO

Zum anderen ergeht ein Einstellungsbescheid an den Anzeigenden (Antragsteller) gegebenenfalls mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, wenn der Anzeigende Verletzter ist, vgl. §§ 171, 172 I StPO. Der Verletztenbegriff wird relativ weit verstanden. Verletzter ist jeder, der ein Genugtuungsinteresse hat. Dies könnte beispielsweise auch der Vater des zusammengeschlagenen Kindes sein.

(2. §§ 153 ff. StPO)

Als weitere Einstellungsvorschriften sind die § 153 ff. StPO zu nennen. Diese sind jedoch nicht klausurrelevant, da diese laut Bearbeitervermerk meist ausgeschlossen sind.

3. § 154 StPO

Darüber hinaus ist auch § 154 StPO zu nennen. Dies betrifft den Fall, dass hinreichender Tatverdacht bezüglich zwei oder mehr prozessualen Taten vorliegt, von denen jedoch eine prozessuale Tat im Verhältnis zu den anderen nicht ins Gewicht fällt. Beispiel: A begeht am Montag einen Betrug und am Donnerstag einen Mord. In diesem Fall würde der Betrug eingestellt werden. Beachte: Der § 154 StPO ist streng von dem § 154a StPO zu trennen. Letzterer betrifft die Beschränkung innerhalb einer prozessualen Tat. Beispiel: A sticht mit einem Messer auf B ein und nimmt dabei billigend in Kauf, dass im Rahmen dieses Vorgangs auch das Hemd des B zerreißt. B verstirbt. Die Sachbeschädigung würde insofern wegbeschränkt werden.

4. § 154f StPO

Zu den Exoten gehört § 154f StPO. Diese Norm greift dann, wenn der Aufenthalt des Beschuldigten nicht ermittelt werden kann oder der Aufenthalt zwar bekannt ist, der Beschuldigte sich jedoch in einem Land aufhält, welches nicht ausliefert.

5. § 206a StPO analog beziehungsweise § 170 II 1 StPO analog

Weiterer Exot ist die Einstellung bei Tod oder die dauernder Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten, vgl. § 206a StPO analog bzw. § 170 II 1 StPO analog.

6. § 45 JGG

Letzte mögliche Einstellungsvorschrift ist § 45 JGG, eine Sondervorschrift zu § 153 StPO, die mitunter im Bearbeitervermerk nicht ausgeschlossen ist.

II. Zuständigkeit

Zudem muss im prozessrechtlichen Gutachten die Zuständigkeit erörtert werden. Diese unterteilt sich in die sachliche und die Zuständigkeit.

1. Sachliche Zuständigkeit

In Strafsachen gibt es vier klausurrelevante sachliche Zuständigkeiten:

den Strafrichter am Amtsgericht, § 24, 25 GVG, das Schöffengericht am Amtsgericht, vgl. §§ 24, 28, 29 GVG, die große Strafkammer am Landgericht, vgl. § 74 I GVG oder das Schwurgericht am Landgericht, vgl. § 74 II GVG. In der Klausur nicht relevant ist die sachliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts gemäß § 120 GVG. Dies betreffen nicht prüfungsrelevante Staatsschutzdelikte.

2. Örtliche Zuständigkeit, §§ 7-9 StPO

Die örtliche Zuständigkeit findet sich in den §§ 7-9 StPO wider.

3. Verbindung, §§ 2, 3 StPO

Zudem kann es vorkommen, dass die Verbindung von Strafsachen zu erwähnen ist, vgl. §§ 2, 3 StPO.

III. Untersuchungshaft, §§ 112 ff. StPO

Gegebenenfalls ist die Untersuchungshaft gemäß den §§ 112 ff. StPO zu behandeln.

1. Erlass, § 112 StPO

Zum einen kann darüber zu befinden sein, ob ein Haftbefehl zu erlassen ist, vgl. § 112 StPO.

2. Fortdauer, § 207 IV StPO

Ist der Haftbefehl bereits erlassen worden und sitzt der Beschuldigte bereits in Haft, ist über die Fortdauer der Haft zu entscheiden und beim Gericht ein entsprechender Antrag zu stellen, vgl. § 207 IV StPO.

3. Aufhebung, § 120 StPO

Eventuell ist die Aufhebung des Haftbefehls zu beantragen, weil beispielsweise die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, vgl. § 120 StPO.

4. Außervollzugsetzung, §§ 113, 116 StPO

Zuletzt kann darüber zu befinden sein, ob der Haftbefehl außer Vollzug zu setzen ist. Dies geschieht immer dann, wenn es sich um kleinere Straftaten i.S.d. § 113 StPO handelt oder § 116 StPO einschlägig ist.

IV. Notwendige Verteidigung, §§ 140 I, II, 141 III 2, 3 StPO

Gibt der Fall dazu Veranlassung ist ferner über eine notwendige Verteidigung nachzudenken. Diese ist in den §§ 140 ff. StPO geregelt. Relevant sind vor allem die Vorschriften der §§ 140 I, II, 141 III 2, 3 StPO.

V. Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, § 111a StPO i.V.m. § 69 StGB

Im Rahmen des prozessrechtlichen Gutachtens kann zudem eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu erörtern sein, vgl. § 111a StPO i.V.m. § 69 StGB.

VI. Vorläufige Sicherstellung, § 111b StPO i.V.m. § 73, 74 StGB

Darüber hinaus ist gegebenenfalls auch eine vorläufige Sicherstellung zu beachten, vgl. 111b StPO i.V.m. §§ 73, 74 StGB. Beispiele: Aus dem Verkehr Ziehen der Tatwaffe, Verbrennung der angebauten Betäubungsmittel.

VII. Beschlagnahme, Sicherstellung, §§ 94 ff. StPO

Seltener kommt die Beschlagnahme bzw. Sicherstellung von Beweismitteln vor, vgl. §§ 94 ff. StPO.

VIII. Zulassung/Ablehnung einer NEbenklage, § 396 II StPO

Gegebenenfalls ist über die Zulassung oder Ablehnung der Nebenklage zu befinden, vgl. § 396 II StPO.

IX. Entschädigung, §§ 1 ff. StrEG

Saß der Beschuldigte zu Unrecht in Haft, ist zudem an eine Entschädigung nach den §§ 1 ff. StrEG zu denken.

X. Mitteilungen: Mistra und § 114c StPO

Des Weiteren sind gegebenenfalls an bestimmte Stellen Mitteilungen von der Anklage zu versenden. Diese Mitteilungen stehen in der Mistra. Sie können im Kommentar zur StPO am Ende gefunden werden. Zudem erhält der der Leiter der Untersuchungshaftanstalt gemäß § 114c StPO eine Mitteilung von der Anklage.

 

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