BGH zum kollusiven Zusammenwirken im Sinne von § 138 I BGB

BGH zum kollusiven Zusammenwirken im Sinne von § 138 I BGB

Führt die Vereinbarung einer Miete deutlich unterhalb der ortsüblichen Miete zwischen dem Vertreter der Vermieterin und der Mieterin zum Nachteil der Vermieterin nach § 138 I BGB zur Nichtigkeit des Mietvertrages?

A. Sachverhalt

Die Beklagte zu 1 (B1) mietete von der Klägerin (K) -einer GmbH- vertreten durch ihren damaligen Geschäftsführer, eine Fünfzimmerwohnung von 177 qm in Berlin für sich, ihren Lebensgefährten den Beklagten zu 2 (B2) und ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder. Die Familie zog im Dezember 2017 in die Wohnung ein. Der Geschäftsführer wusste, dass die Gesellschaft die Wohnung nicht mehr vermieten, sondern verkaufen wollte.

Die Nettokaltmiete sollte monatlich 600 € betragen, die Bruttomiete monatlich 1.010 €. Die Mietzahlungspflicht der Mieterin sollte erst zum 1. September 2018 beginnen und die Mieterin bis dahin - “als Gegenleistung” für die im Vertrag enthaltene Verpflichtung, die Wohnung mit Ausnahme der vom Vermieter durchzuführenden Maßnahmen fachgerecht renovieren zu lassen - eine Bruttomietbefreiung erhalten.

K verlangt von B1

die Räumung und Herausgabe der Wohnung mit der Begründung, der Mietvertrag sei durch kollusives Verhalten zustande gekommen und zudem wegen der niedrigen Miete sittenwidrig.

B. Entscheidung

K macht insofern einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung geltend.

I. § 546 I, II BGB

K könnte gegen B1 Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung haben gem. § 546 I, II BGB.

Gem. § 546 I BGB ist der Mieter verpflichtet, die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses zurückzugeben und gem. § 546 II BGB erstreckt sich die Rückgabepflicht auch auf Dritte (B2 und die gemeinsamen Kinder), denen der Mieter den Gebrauch an der Mietsache überlassen hat.

1. Mietvertrag gem. § 535 BGB

B1 hat mit K, vertreten durch deren Geschäftsführer nach § 164 I, III BGB, 35 I 1 GmbHG einen Mietvertrag nach § 535 BGB geschlossen über eine Fünfzimmerwohnung von 177 qm in Berlin zu einem Nettomietpreis von 600 Euro monatlich und einer Bruttomiete von 1.010 Euro monatlich, wobei die Wohnung ab Dezember 2017 bezogen werden konnte und die Miete als Gegenleistung für durchzuführende Renovierungsarbeiten erst ab September 2018 gezahlt werden sollte. Damit sind die wesentlichen Vertragsbestandteile, die essentialia negotii, gegeben.

2. Keine Nichtigkeit nach § 138 I BGB aufgrund kollusiven Zusammenwirkens

Der Mietvertrag könnte jedoch gem. § 138 I BGB aufgrund eines kollusiven Zusammenwirkens nichtig sein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verstößt ein Rechtsgeschäft, welches ein Vertreter im bewussten Zusammenwirken mit dem anderen Vertragsteil zum Nachteil des Vertretenen (kollusiv) abschließt, gegen die guten Sitten und ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig.

Ein bewusstes Zusammenwirken von B1 mit dem damaligen Geschäftsführer der K zum Nachteil der K lässt sich nicht feststellen.

Der angefochtenen Entscheidung lässt sich bereits nichts zum Kenntnisstand der Beklagten zu 1 hinsichtlich der den Abschluss des schriftlichen Mietvertrags begleitenden Umstände und erst recht nichts zu einer Billigung etwaiger Absprachen zwischen dem damaligen Geschäftsführer der Klägerin und dem Beklagten zu 2 oder zu einer Einbindung der Beklagten zu 1 in solche Absprachen entnehmen.

Eine bloße etwaige Kenntnis bzw. grobfahrlässige Unkenntnis des B2, der weder Partei des Mietvertrages noch Stellvertreter der B1, von einem Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer von K, reicht für ein kollusives Zusammenwirken nach § 138 I BGB nicht aus.

Zwischenergebnis

Der Mietvertrag ist nicht nichtig nach § 138 I BGB

3. Keine unzulässige Rechtsausübung nach § 242 BGB

Allerdings könnte B1 gegebenenfalls nach § 242 BGB aufgrund einer unzulässigen Rechtsausübung daran gehindert sein, sich auf die Wirksamkeit des Mietvertrages zu berufen.

Auch wenn ein Fall der Kollusion nicht vorliegt, muss der Vertretene ein von seinem Vertreter abgeschlossenes Rechtsgeschäft dann nicht gegen sich gelten lassen, wenn der andere Vertragsteil den Missbrauch der Vertretungsmacht erkannt hat oder er diesen zwar nicht erkannt hat, aber nach den Umständen hätte erkennen müssen … In einem solchen Fall ist der andere Vertragsteil wegen einer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unzulässigen Rechtsausübung gehindert, sich auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts zu berufen.

a) Missbrauch der Vertretungsmacht

Zwar hat der damalige Geschäftsführer von K seine Vertretungsmacht dadurch missbraucht, dass er die Wohnung weitervermietet hat, obwohl er wusste, dass die Gesellschaft die Wohnung nicht mehr vermieten, sondern verkaufen wollte. Insofern kommt es auch nicht weiter auf die vereinbarten Mietzahlungsmodalitäten an.

b) Keine Kenntnis

B1 hatte jedoch von dem Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer von K keine Kenntnis. Eine Kenntnis des B2 kann ihr nicht nach § 166 I BGB zugerechnet werden. B2 war nicht der Stellvertreter von B1. Ferner kann B1 die Kenntnis des B2 auch nicht gem. § 166 I BGB analog zugerechnet werden. Eine Analogie setzt einen vergleichbaren Sachverhalt und eine planwidrige Regelungslücke voraus.

Zwar muss sich eine Person das Wissen eines Dritten entsprechend § 166 Abs. 1 BGB und mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) dann als eigenes Wissen zurechnen lassen, wenn sie den Dritten mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut hat; in diesen Fällen ist der Dritte als ihr “Wissensvertreter” zu behandeln… Die hierauf gegründete Zurechnung umfasst nicht nur das positive Wissen des Wissensvertreters, sondern auch seine leichtfertige oder grob fahrlässige Unkenntnis.

Jedoch hat B1 den B2 nicht mit der Erledigung bestimmter Aufgaben hinsichtlich der Anmietung der Wohnung beauftragt. Sie hat sich im Vorfeld des Vertragsschlusses nicht der Hilfe des B2 bedient.

Sollte der Beklagte zu 2 hingegen ohne Vertretungsmacht oder ohne Auftrag der Beklagten zu 1 gehandelt haben, bedürfte es für eine Wissenszurechnung des Bestehens konkreter Anhaltspunkte dafür, dass sein Tätigwerden der Beklagten zu 1 bekannt war und von ihr wenigstens gebilligt wurde.

Auch dies ist nicht der Fall. Allein die Tatsache, dass es sich bei B2 um den Lebensgefährten der B1 handelt, rechtfertigt keine Ausnahme.

Die hiernach erforderliche willentliche und bewusste Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter darf nicht schlicht vermutet, sondern muss vom Tatrichter auf der Grundlage hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte festgestellt werden.

c) Keine fahrlässige Unkenntnis

Ferner hatte B1 auch keine fahrlässige Unkenntnis von dem Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer.

Da grundsätzlich der Vertretene das Risiko eines Vollmachtsmissbrauchs zu tragen hat, setzt der Einwand einer unzulässigen Rechtsausübung gegenüber dem Geschäftsgegner eine auf massiven Verdachtsmomenten beruhende objektive Evidenz des Missbrauchs der Vertretungsmacht voraus … Diese objektive Evidenz ist insbesondere dann gegeben, wenn sich nach den gegebenen Umständen die Notwendigkeit einer Rückfrage des Geschäftsgegners bei dem Vertretenen geradezu aufdrängt.

Dies lässt sich nicht feststellen. Immerhin betrug die Nettomiete noch 600 Euro monatlich und die Bruttomiete 1.010 Euro monatlich. Zwar wurde eine Mietbefreiung für die Zeit von Dezember 2017 bis Ende August 2018 vereinbart, aber nur mit der Verpflichtung von B1, als Gegenleistung die Wohnung fachgerecht renovieren zu lassen.

Zwischenergebnis

B1 ist nicht aufgrund einer unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB daran gehindert, sich auf die Wirksamkeit des Mietvertrages zu berufen.

Ergebnis

K hat gegen B1 keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gem. § 546 I, II BGB.

II. § 985 BGB

K könnte gegen B1 Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung haben gem. § 985 BGB.

K ist als Inhaberin der rechtlichen Herrschaftsmacht (vgl. § 903 S. 1 BGB) die Eigentümerin der Wohnung. B ist als Inhaberin der tatsächlichen Sachherrschaft gem. § 854 I BGB die Besitzerin. Ferner dürfte sie kein Recht zum Besitz haben nach § 986 I 1, 1. Alt. BGB. Ein solches Besitzrecht steht ihr jedoch aufgrund des Mietvertrages gem. § 535 BGB zu (s.o.)

Ergebnis

K hat gegen B1 keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gem. § 985 BGB.

III. § 812 I 1, 1. Alt. BGB

K könnte gegen B1 Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung haben gem. § 812 I 1, 1. Alt. BGB.

B1 hat durch den Besitz an der Wohnung etwas erlangt, einen irgendwie gearteten Vermögensvorteil. Dies ist durch Leistung der K erfolgt und somit durch bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens, wobei K das Verhalten ihres Geschäftsführers zugerechnet wird nach § 166 I BGB. Dies ist jedoch aufgrund des wirksamen Mietvertrages (s.o.) nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt.

Ergebnis

K hat gegen B1 keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gem. § 812 I 1, 1. Alt. BGB.

C. Prüfungsrelevanz

Die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften ist häufig Gegenstand von Prüfungsklausuren. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um die Frage, ein Mietvertrag aufgrund eines kollusiven Zusammenwirkens nach § 138 I BGB nichtig ist oder ob es der Mieterin verwehrt ist wegen einer unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB, sich auf die Wirksamkeit des Mietvertrages zu berufen.

Die Prüfungsrelevanz der Entscheidung ergibt sich daraus, dass Unwirksamkeitsgründe eines Mietvertrages zu prüfen sind im Zusammenhang mit einer Wissenszurechnung nach § 166 I BGB.

(BGH Urt. v. 26.03.2025 – VIII ZR 152/23)

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