Amtshaftung und Verkehrssicherungspflicht: Staub, Gemüse und § 839 BGB

Amtshaftung und Verkehrssicherungspflicht: Staub, Gemüse und § 839 BGB

Haftet die Stadt für die Staubbelastung durch die Umleitung auf einen Feldweg?

Die Antwort auf diese Frage liefert Dir der Amtshaftungsanspruch. Eng verknüpft mit dem Amtshaftungsanspruch sind die beliebten Verkehrssicherungspflichten, die Dir aus dem Deliktsrecht zu genüge bekannt sein dürften. Aber inwieweit gelten diese Pflichten auch für öffentliche Amtsträger und inwieweit kann sich hieraus sogar eine öffentlich-rechtliche Zuständigkeit ergeben? Das OLG Bamberg gibt Dir in seinem aktuellen Fall vom 13.01.2025 (Az. 4 U 80/24) eine Antwort auf diese prüfungsrelevanten Fragen.

Amtshaftung in der Klausur: Zwischen Zivilrecht und Öffentlichem Recht

Der Amtshaftungsanspruch gehört nicht unbedingt zu den bevorzugten Klausurthemen. Grund dafür dürfte wiederum der große Bezug zum öffentlichen Recht sein, denn schon der erste Prüfungspunkt dieses Anspruchs kann Dich in eine umfassende öffentlich-rechtliche Zuständigkeitsprüfung schicken. Ist dies der Fall, liegt zumindest einer der Schwerpunkte in der kleinschrittigen Prüfung, aus welchen Vorschriften des öffentlichen Rechts sich die Zuständigkeit des Amtsträgers ergeben kann. Damit kann Dir das Prüfungsamt in Deiner Zivilrechtsklausur zumindest in Teilen eine verkappte öffentlich-rechtliche Klausur aufbürden.

Staubbelastung durch Abkürzungsverkehr

A betreibt in der Stadt G einen landwirtschaftlichen Betrieb und baut in diesem Rahmen Gemüse an. Das Gemüsebeet grenzt unmittelbar an einen geschotterten Feldweg.

In der Stadt G wurde von Juli 2020 bis Mai 2021 die Ortsdurchfahrt teilweise aufgrund von Bauarbeiten gesperrt. Die hierfür eingerichtete Umleitung vom Landrat K war allerdings erheblich länger. Daher nutzten die meisten Verkehrsteilnehmer eine Abkürzung über einen geschotterten Feldweg, wodurch es zu einer vermehrten Staubbelastung kam. Nach Beschwerde der dortigen Anwohner stellte die Stadt G auf Anweisung des Landrats K für die Benutzung dieses Feldwegs Verbotsschilder auf. Daraufhin suchten sich die Verkehrsteilnehmer eine andere inoffizielle Abkürzungsstrecke, die über den Feldweg führte, der an das Grundstück des A grenzte. Auch hier kam es durch die Benutzung des fließenden Verkehrs zu einer vermehrten Staubbildung. Als A dies merkte, meldete er sich bei der Stadt G und beschwerte sich. Die Stadt unternahm allerdings keine Maßnahmen, um den Verkehr auf dem Feldweg zu unterbinden oder die Staubentwicklung zu minimieren. Durch diese Staubentwicklung wurde das Gemüse des A derart verschmutzt, dass ein Schaden i.H.v. knapp 15.000,00 Euro entstand.

A verlangte von der Stadt die Erstattung seines Schadens. Diesem Verlangen kam die Stadt jedoch nicht nach, weil sie der Überzeugung ist, dass sie schon gar nicht straßenverkehrsrechtlich zuständig sei und daher keine öffentlich-rechtliche Pflicht verletzt habe. Vielmehr treffe den A ein Mitverschulden, weil ihn als Pächter eine generelle Bewässerungspflicht von unbefestigten Wegen treffe, der er selbst nicht nachkam.

Daher legte A Klage vor dem Landgericht Schweinfurt ein. Das Landgericht rechnete A daraufhin ein Mitverschulden in Höhe von 50 % an und sprach dem A im Übrigen einen Schadensersatzanspruch gemäß § 839 I BGB iVm Art. 34 GG zu. Gegen dieses Urteil legt die Stadt Berufung vor dem OLG Bamberg ein.

Entscheidung des OLG Bamberg

Das OLG Bamberg hat die Berufung mit Hinweisbeschluss vom 13.01.2025 (Az. 4 U 80/24) zurückgewiesen, denn auch die Berufungsrichter:innen sahen alle Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs als erfüllt an. Zur Erinnerung für Dich: Im haftungsbegründenden Tatbestand solltest Du den Punkt “Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes”, die Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht und das Verschulden prüfen. Im haftungsausfüllenden Tatbestand prüfst Du dann wie üblich den Schaden, die Schadenszurechnung sowie eine etwaige Schadensminderung.

Zuständigkeit der Stadt als Amtsträgerin

In diesem Fall lag der Schwerpunkt auf der Frage, ob die verklagte Stadt überhaupt die richtige Klagegegnerin war, also ob die Ursache für die Schadensentstehung in den Zuständigkeitsbereich der Stadt gefallen ist. Hier war also nicht problematisch, ob die handelnde Person in Ausübung ihres öffentlichen Amtes gehandelt hat. Hintergrund hierfür ist nämlich, dass zunächst der streitgegenständliche Feldweg nur deswegen benutzt wurde, weil in der Stadt eine Baustelle errichtet wurde. In diesem Zuge wurde die Stadt vom Landrat angewiesen, eine Umleitung zu errichten.

Verkehrssicherungspflicht der Stadt: Zuständigkeit und unterlassene Gefahrenabwehr

Auch die Berufungsrichter:innen sahen die Stadt G als zuständige Straßenverkehrsbehörde an. Die straßenverkehrsrechtliche Zuständigkeit ergebe sich aus der öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Gefahrenabwehr und folge aus dem Grundsatz der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Daher sei unerheblich, ob die Stadt G die Beaufsichtigung und Durchführung der konkreten Baumaßnahmen, die sie vom Landrat übertragen bekam, ordnungsgemäß durchgeführt habe. Teil der öffentlich-rechtlichen Straßenverkehrssicherungspflicht sei laut OLG Bamberg nämlich auch die Straßenunterhaltungspflicht. Diese habe die Stadt vorliegend verletzt, weil sie keine konkreten Maßnahmen zur Staubminimierung unternommen habe. Das Gericht führte somit den Schwerpunkt der Staubentwicklung auf den Zustand der Straße zurück, der für den fließenden Verkehr nicht geeignet war. Die Stadt G sei für den Zustand des Feldwegs als Trägerin der Straßenbaulast verantwortlich.

Darüber hinaus sei die Stadt auch die örtliche Straßenverkehrsbehörde und für die Erfüllung der Aufgaben nach der StVO im Gemeindegebiet zuständig. Gemäß § 45 StVO konnte die Stadt also die Benutzung bestimmter Straßen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung beschränken, verbieten oder umleiten. Somit sei die Stadt dementsprechend auch für den fließenden Verkehr auf dem Feldweg zuständig gewesen.

Die Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht ergab sich daraus, dass die Stadt keine Maßnahmen zur Minimierung der Staubentwicklung unternommen habe. Dadurch habe sie ihre allgemeinen Verkehrssicherungspflichten vorwerfbar unterlassen. Als zuständige Behörde sei sie dazu verpflichtet gewesen, Gefahren, die dem Eigentum der Anlieger drohen, zu verhindern. Diese Gefahren hätte sie z.B. durch eine Bewässerung des Feldwegs im vorliegenden Fall vermeiden können. Das Problem der Staubentwicklung war der Stadt auch hinreichend bekannt, weil sich im Vorfeld nicht nur A, sondern auch bereits andere Anlieger an gleich gelagerten Feldwegen bereits über eine übermäßige Staubentwicklung, die Folge der Benutzung durch den fließenden Verkehr war, beschwerten.

Mitverschulden gemäß § 254 BGB

Im haftungsausfüllenden Tatbestand hat dann auch das OLG Bamberg dem A ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB zugerechnet. Sein Mitverschulden ergebe sich daraus, dass er als Pächter des Grundstücks ebenfalls zur Bewässerung von unbefestigten Wegen verpflichtet gewesen sei. Aufgrund der übermäßigen Staubentwicklung hätte sich A nämlich aufdrängen müssen, dass er sowohl sein Gemüsebeet als auch den Feldweg über das übliche Maß hinaus hätte bewässern müssen. Da er dieser Pflicht nicht nachgekommen sei, war ihm daher ein Mitverschulden i.H.v. 50 % zur Last zu legen.

Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes

In diesem Fall kannst Du einmal mehr sehen, wie eng das öffentliche Recht mit dem Zivilrecht verknüpft sein kann. Auch wenn es sich bei dem Amtshaftungsanspruch vordergründig um einen zivilrechtlichen Anspruch handelt, musst Du bei dem Prüfungspunkt “Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes” inzident prüfen, ob hier ein Amtsträger in seiner Eigenschaft handelte und vor allem aus welchen Normen sich die Zuständigkeit des Amtsträgers ergibt. Damit steckst Du also schnell in einer öffentlich-rechtlichen Zuständigkeitsprüfung und kannst Dein gelerntes Wissen zum Verwaltungs- und Ordnungsrecht hier anbringen. Wichtig ist, dass Du die Normen so konkret wie möglich benennst.

Amtshaftung auch für allgemeine Verkehrssicherungspflicht

Dieser Fall zeigt Dir außerdem, dass Du eine Amtspflichtverletzung auch aus den Grundsätzen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht ableiten kannst. Im Rahmen dieser Prüfung solltest Du zunächst darstellen, woraus sich die Verkehrssicherungspflicht ergibt und diese dann anschließend definieren. Vorteil ist, dass Du Deinem/r Korrektor:in Deinen Prüfungsmaßstab darlegst und Du Dich selbst bei Deiner Subsumtion hieran orientieren kannst. Sobald Deine Korrektor:innen in diesem Zusammenhang die typischen Stichworte wie z.B. “Schaffung einer Gefahrenquelle” und “zumutbare Vorkehrungen” sowie “Abwendung der Gefahr” hören, schlägt ihr Herz höher und sie können diese Punkte auf ihrem Erwartungshorizont abhaken.

Auch wenn der Fokus zu Beginn dieser Prüfung im öffentlichen Recht liegt, darfst Du nicht aus dem Blick verlieren, dass Du gerade einen Anspruch nach einem zivilrechtlichen Prüfungsschema prüfst. Daher solltest Du den haftungsausfüllenden Tatbestand auf keinen Fall vernachlässigen. Denn auch in solchen Klausuren werden gerne Probleme zum Mitverschulden oder zum ersatzfähigen Schaden eingebaut, sodass auch am Ende Deiner Klausur noch Schwerpunkte liegen können, die Du nicht übersehen solltest.

Klausurtipp bei Amtshaftungsklausuren

In solchen Fällen, in denen sich die Amtspflichtverletzung aus einer Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht ergibt, die jedermann trifft, solltest Du daran denken, dass der Haftungsausschluss gemäß § 839 I 2 BGB nicht anwendbar ist. Das OLG Bamberg hat hierzu ausdrücklich festgehalten, dass dieses Verweisungsprivileg nur für Amtspflichten gilt, die ausschließlich aus dem hoheitlichen Pflichtenkreis entlehnt sind und alle Merkmale eines hoheitlichen Handelns aufweisen.

Weiterführende Fälle zur Verkehrssicherungspflicht:

Wenn Du Dein Gespür für Verkehrssicherungspflichten und Amtshaftung noch weiter schärfen willst, lohnt sich ein Blick in diese beiden Fälle - jeweils mit ganz eigenen rechtlichen Fallstricken:

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