
Ein tierisches Playdate mit schmerzhaften Folgen
Wohl kaum ein Haustier ist so beliebt wie der Hund. Kein Wunder, dass die Gerichte sich regelmäßig mit Streitigkeiten rund um die Vierbeiner auseinandersetzen müssen. Dann solltest Du sofort an die Tierhalterhaftung aus § 833 S. 1 BGB denken. Genau darum geht es auch im aktuellen Fall des OLG Dresden. Muss sich ein geschädigter Hundehalter die Tiergefahr des eigenen Hundes anrechnen lassen? Die Entscheidung eignet sich also sehr gut, noch einmal die sehr klausurträchtige Tierhalterhaftung zu wiederholen.
Was war geschehen? Der Fall im Überblick
Zwei befreundete Hundehalterinnen trafen sich zum gemeinsamen Spielen ihrer beiden Lieblinge auf einer Wiese. A besitzt eine Labradorhündin und B eine Berner Sennenhündin. Sie leinten ihre Vierbeiner ab, damit sie ungestört miteinander spielen konnten. Anschließend machten sie sich auf den Rückweg, ohne diese wieder anzuleinen. Die Berner Sennenhündin drehte dabei in einiger Entfernung ihre Runden und stürmte dann plötzlich auf die Hundehalterin A zu und stieß mit ihr zusammen. A bemerkte den Hund so spät, dass sie nicht mehr ausweichen konnte.
Sie erlitt einen Knochenbruch und verlangte Schadensersatz in Höhe von ca. 2.500 Euro von ihrer Freundin. Diese hält dem entgegen, dass sich A die Tiergefahr ihrer eigenen Hündin zurechnen lassen müsse.
Daher sei der Anspruch um 50 % zu kürzen. Der Unfall sei auf die Tiergefahr beider Hunde zurückzuführen. Außerdem habe sich A bewusst der Gefahr tobender Hunde ausgesetzt. Deshalb sei ein stillschweigender Haftungsausschluss anzunehmen.
Entscheidung der Gerichte zur Tierhalterhaftung
Vor dem Landgericht erkannte die beklagte Hundehalterin B eine 50-prozentige Haftung an. Das genügte der geschädigten A aber nicht und sie verfolgte die vollständige Zahlung des Schadensersatzes weiter. Das Landgericht sah schließlich ebenfalls eine volle Haftung der Hundehalterin und verurteilte sie zur vollständigen Zahlung des Schadensersatzanspruchs.
Das wiederum wollte die B nicht akzeptieren. Nun musste das OLG Dresden über die Berufung der B entscheiden. Es beschäftigte sich mit der Tierhalterhaftung und mit der Frage der Anrechnung eines Mitverschuldensanteils aufgrund des eigenen Tieres. Um die Spannung vorwegzunehmen: Nach Ansicht des Gerichts muss die Beklagte in voller Höhe für den Schaden haften und die bloße Anwesenheit ihres eigenen Tieres reicht für eine Minderung nicht aus. Ausschlaggebend ist hier die Frage nach der “tierspezifischen Gefahr”, die sich verwirklichen muss.
Die Tierhalterhaftung
Zunächst prüfte das Gericht die Haftung der B nach § 833 S. 1 BGB und bejahte diese.
Zur Erinnerung:
Die in § 833 S. 1 BGB geregelte Tierhalterhaftung ist eine Gefährdungshaftung, wie auch § 7 I StVG. Anders als im typischen Deliktsrecht ist für eine Haftung kein Verschulden des Halters erforderlich. Neben der Kausalität zwischen dem tierischen Verhalten und der eingetretenen Rechtsgutsverletzung liegt der Prüfungsschwerpunkt regelmäßig auf der Verwirklichung der „spezifischen Tiergefahr“. Dieser Zusammenhang wird auch als Zurechnungszusammenhang bezeichnet und wird in das Tatbestandsmerkmal „durch ein Tier“ hineingelesen. Ohne diese Einschränkung wäre der Wortlaut von § 833 S. 1 BGB zu weit gefasst.
Die spezifische Tiergefahr beschreibt das Risiko, das sich aus der Unberechenbarkeit eines Tieres ergibt. Es entspricht z.B. der typischen Gefahr, dass ein Hund – wie hier – unkontrolliert losstürmt und dabei jemanden verletzt. Ein Biss ist dafür nicht erforderlich.
Anschließend prüfte das Gericht mögliche Haftungsausschlüsse oder Kürzungen der Haftung.
Denn die A habe sich unfallursächlich nicht solchen Risiken ausgesetzt, welche über die normale Tiergefahr hinausgehen würden.
Handeln auf eigene Gefahr
Das Handeln auf eigene Gefahr liegt vor, wenn sich eine Person bewusst in eine Situation begibt, in der eine konkrete Eigengefährdung droht, obwohl sie die besondere Gefahrenlage kennt. In der Folge kann ein vollständiger Haftungsausschluss eintreten. Bei der Tierhalterhaftung kommt dieser Ausschluss aber nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Voraussetzung ist, dass sich der Geschädigte bewusst einer Gefahr aussetzt, die über das übliche Risiko im Umgang mit Tieren hinausgeht.
Kein Mitverschulden der Geschädigten
Auch ein Mitverschulden der A nach § 254 I BGB verneinte das Gericht. A bemerkte die heranstürmende Berner Sennenhündin so spät, dass sie ihr nicht mehr ausweichen konnte. Zudem war nicht vorhersehbar, dass A von dem Tier umgerannt werden könnte. Daher musste sie nicht ständig den Aufenthaltsort des Tieres im Blick behalten.
Schließlich musste sich A auch nicht die Tiergefahr ihrer eigenen Labradorhündin zurechnen lassen.
Das ist ein typischer Klausuraufhänger, den Du kennen solltest. Nach § 254 I BGB setzt eine Anspruchskürzung eigentlich ein „Verschulden“ des Geschädigten voraus. Über den Wortlaut von § 254 I BGB hinaus berücksichtigt die Rechtsprechung auch verschuldensunabhängige Einstandspflichten des Geschädigten, etwa aus einer eigenen Betriebs- oder Sachgefahr. Das kann z. B. die Sachgefahr für ein Auto sein, wie sich aus § 7 I StVG ergibt oder auch ein anderes Tier gem. § 833 S. 1 BGB. Voraussetzung für die Anspruchskürzung §§ 254 I, 833 S. 1 BGB ist aber, dass die typische Tiergefahr des Tieres der Geschädigten bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden ist.
Nach Auffassung des Gerichts hat vorliegend keine konkrete Tiergefahr der Labradordame bei der Schadensentstehung mitgewirkt. An der Verwirklichung der spezifischen Tiergefahr fehle es insbesondere dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist oder wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folgt
Hieran fehle es, weil die Labradorhündin der A das Heranstürmen der Berner Sennen Dame, welches zum Zusammenstoß mit der A führte, weder durch ein aktives Handeln herausgefordert oder begünstigt habe. Die bloße Anwesenheit eines Tieres am Ort des Geschehens reiche dafür grundsätzlich nicht.
Prüfungsrelevanz für Deine Klausur
Das Deliktsrecht gehört zum Kernbereich des juristischen Pflichtstoffs und begleitet Dich von den ersten Semestern bis ins Referendariat. Es zählt zum juristischen Grundwissen und ist ein Dauerbrenner in Klausuren und Prüfungen. Besonders beliebt ist die Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB, da sie einen der wenigen Fälle der Gefährdungshaftung darstellt.
Wichtig ist, dass Du das Merkmal der „tierspezifischen Gefahr“ kennst und über das Mitverschulden im engeren Sinne beim Zusammenwirken mehrerer Gefahrenquellen die wechselseitigen Verursachungsbeiträge gemäß § 254 I BGB analog berücksichtigst. Voraussetzung dafür ist jedoch – wie die Entscheidung eindrücklich zeigt – dass sich die eigene Sachgefahr tatsächlich verwirklicht hat. Die bloße Kausalität reicht hier nicht aus.
Weitere Fälle zur Tierhalterhaftung
Du willst noch tiefer in die Thematik eintauchen? Ob Hund oder Pferd - die Rechtsprechung rund um Tierhalterhaftung bietet immer wieder spannende Klausurkonstellationen. Hier findest Du weitere Fälle, die nicht nur prüfungsrelevant sind, sondern Dein juristisches Verständnis für typische Tiergefahr und Haftungsfragen schärfen.
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