Unter welchen Voraussetzungen verwirklicht sich noch eine spezifische oder typische Tiergefahr?
Wohl kaum ein Haustier ist so beliebt wie der Hund. Kein Wunder, dass die Gerichte sich regelmäßig mit Streitigkeiten rund um die Vierbeiner auseinandersetzen müssen. In dem aktuellen Fall des BGH ging es um die Frage, wie weit die spezifische Tiergefahr reicht, wenn ein Mensch involviert ist und das Tier leitet.
Was war geschehen?
Die Tochter des Beklagten ging im Jahr 2020 mit dessen Hund spazieren. Dort traf sie auf die Geschädigte, die ebenfalls mit ihrem Hund unterwegs war. Beide Hunde spielten miteinander. Auf einem hoch mit Gras bewachsenen Feld liefen sie im Verlauf dessen zu einem Mäuseloch. Der Hund des Beklagten zog dabei seine Schleppleine hinter sich her. Als der Hund des Beklagten auf ein Kommando der Tochter zurücklief, zog sich die Leine um das Bein der Geschädigten fest, weil diese unbemerkt in eine Schlinge geraten war. Der Hund riss sie um, sodass sie einen Schienbeinbruch erlitt.
Geklagt hatte die Krankenkasse der Geschädigten.
Die Klage auf Ersatz der Behandlungskosten in Höhe von knapp 12.000 Euro, die durch den Unfall mit dem Hund entstanden sind, blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos. Nun musste der BGH entscheiden.
Rechtliche Einordnung
Thematisch befinden wir uns im Deliktsrecht, also den §§ 823 ff. BGB. Das Besondere an der Tierhalterhaftung nach § 833 S.1 BGB ist, dass es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung handelt. Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch gegen den Tierhalter ist eine Verletzung eines in § 833 S.1 BGB geschützten Rechtsgutes durch ein Tier, das nicht nach S. 2 ausgeschlossen ist.
Entscheidung des Gerichts
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sah der BGH eine spezifische Tiergefahr als verwirklicht an.
Die Haftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB setze voraus, dass sich eine spezifische oder typische Gefahr des Tieres verwirklicht habe. Diese Gefahr bestehe darin, dass der Halter seine Umwelt mit einem lebenden Organismus konfrontiere, dessen Eigenschaften und Verhalten er wegen der tierischen Eigenwilligkeit nicht in vollem Umfang kontrollieren könne. Hieran fehle es aber, wenn keine eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist.
Er führt weiter aus, es könne zwar im Einzelfall die Haftung ausgeschlossen sein, nämlich dann, wenn das Tier der Leitung eines Menschen folge. Dieser Ausnahmetatbestand greife aber nicht, wenn das durch menschliche Leitung ausgelöste Verhalten seinerseits nicht vollständig kontrollierbar sei. Hier sei der Hund des Beklagten zwar einem Kommando der Tochter gefolgt, die dadurch ausgelöste Bewegung habe aber nicht unter der Leitung eines Menschen gestanden.
Prüfungsrelevanz
Die Tierhalterhaftung ist ein sehr beliebtes Thema im Studium, aber auch im Examen. Über die Frage, wie weit diese Haftung reicht, berichteten wir bereits in einem Fall, bei dem ein Möbellieferant einem Hund zur Hilfe eilte und versuchte, die im Fahrstuhl eingeklemmte Leine durch die Tür zu lenken, um den vermeintlich am anderen Ende der Leine befindlichen Hund zu retten. Er verlor dabei mehrere Fingerglieder. Eine spezifische Tiergefahr hatte das LG damals abgelehnt.
Der hier zugrunde liegende Sachverhalt bietet sich neben der Darstellung einer guten juristischen Argumentation an, Grundsätze aus dem Schuldrecht AT abzuprüfen, schließlich klagte die Versicherung der Geschädigten aus abgetretenem Recht gegen den Tierhalter. Auch ließe sich der Sachverhalt erweitern, indem der Hund der Geschädigten den Schaden mitverursacht hätte. Dann nämlich muss sich die Geschädigte die von dem eigenen Tier verursachte Gefahr anspruchsmindernd mit anrechnen lassen. Du siehst, der Fall bietet eine tolle Inspirationsquelle für Klausurersteller:innen allerorts.
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