BGH zur heimtückischen Tötung als Unfall im Straßenverkehr

BGH zur heimtückischen Tötung als Unfall im Straßenverkehr

Fährt ein Täter auf einen ahnungslosen Fußgänger zu, um diesen zu töten, dann könnte er eine heimtückische Tötung verwirklichen wollen. Entfernt er sich dann ohne anzuhalten, könnte er sich von einem Unfallort entfernt haben. Der BGH hat sich mit einer entsprechenden Entscheidung des LG Aachen befasst und diese vollständig „auseinandergenommen“.

A. Sachverhalt

Nachdem A von einem außerehelichen, die familiären Verhältnisse zunehmend belastenden Verhältnis seiner Mutter zum Geschädigten I erfahren hatte, bedrohte er diesen und forderte ihn auf, dass er seine Mutter nicht mehr belästigen solle. Am Tattag entdeckte er den Geschädigten I zusammen mit der Geschädigten H auf der D-Straße auf dem dortigen linken Bürgersteig in seine Fahrtrichtung laufend. Aus einem spontanen Entschluss heraus lenkte er seinen Fiat auf den dort 4,1 bis 4,7 Meter breiten Gehweg und fuhr mit heulendem Motor und herunter gedrücktem Gaspedal von hinten auf die Geschädigten zu, die trotz des Geräuschs den Vorgang nicht wahrnahmen. Schließlich kollidierte A bei einer Geschwindigkeit von 38 km/h ca. 6 Sekunden (=21 Meter) später ungebremst mit den Geschädigten. Das linke Drittel seiner Stoßstange stieß gegen die rechte Wade der Geschädigten H, die sich infolgedessen ein Hämatom zuzog. Gleichzeitig kollidierte A mit den am Fahrbahnrand geparkten Pkw und verursachte einen Schaden an 5 Fahrzeugen in Höhe von ca. 12.000 Euro. Den Geschädigten I erfasste er so, dass dieser über das Fahrzeug geschleudert wurde und schließlich über die Motorhaube eines am Fahrbahnrand abgestellten Pkw auf dem Gehweg landete. Der Geschädigte I erlitt Hautabschürfungen und Unterblutungen, einen Teilabriss des linken Ohrs und eine Verletzung am linken Zeh.

Die Jugendkammer hat A wegen zweifachem versuchtem Totschlag in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls, zweifacher gefährlicher Körperverletzung und fünffacher Sachbeschädigung bestraft. Die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe hat die Jugendkammer verneint. Bezüglich der Heimtücke hat sie ausgeführt, dass A nicht mit dem nötigen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt habe, weil er damit rechnen musste, dass die Geschädigten sein Fahrzeug wahrnehmen würden. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen hat sie verworfen, da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass A die Tat auch aus Angst und Verzweiflung über das Auseinanderbrechen seiner Familie begangen habe. Ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort verneinte die Jugendkammer, da sie das Kollisionsgeschehen nicht als Unfall ansah.

B. Entscheidung

Der BGH (Urt. v. 20.06.2024 – 4 StR 15/24) war zum einen der Auffassung, dass die Verneinung des Mordmerkmals der Heimtücke revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhalte. Darüber hinaus sah er den Tötungsvorsatz im Hinblick auf die Geschädigte H als nicht tragfähig begründet an. Schließlich bejahte er eine Strafbarkeit gem. § 142 I StGB.

Starten wir zunächst mit dem versuchten Heimtückemord an den Geschädigten I und H. Der Tatentschluss des A müsste dann auf das bewusste Ausnutzen der Arg- und darauf beruhenden Wehrlosigkeit der Geschädigten gerichtet gewesen sein. Der BGH hat zunächst schulbuchmäßig die Voraussetzungen definiert und Folgendes ausgeführt:

„Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt … Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen“.

Alsdann hat er deutlich gemacht, was unter einem bewussten Ausnutzen dieser Situation zu verstehen ist:

„Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen … Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt.“

An diesen Maßstäben gemessen hat der BGH alsdann ausgeführt, warum die Begründung des Landgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält.

„Zur Begründung der Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins hat die Jugendkammer angeführt, dass der Angeklagte wegen der Fahrt „mit aufheulendem Motor und durchgehend angeschaltetem Licht“ damit rechnen „musste“, dass die Geschädigten das sich nähernde Fahrzeug wahrnehmen würden. Damit hat das Landgericht auf Umstände abgestellt, die lediglich die Wahrnehmungssituation der Tatopfer betreffen, und zwar, obwohl es ebenfalls angenommen hat, dass diese das Fahrzeug als ihnen drohende Gefahr für Leib und Leben vor der Kollision nicht erkannt haben. Denn nach den Urteilsgründen ging der Geschädigte I. von einem Fahrzeug auf Parkplatzsuche aus. Ebenso sah die Geschädigte H. in dem wahrgenommenen Motorengeräusch keinen Anlass, sich nach hinten umzudrehen. Aber auch im Falle eines dahingehenden Vorstellungsbildes des Angeklagten ließen die vorgenannten Umstände die Arglosigkeit dann nicht entfallen, wenn die verbleibende Zeitspanne zu kurz gewesen wäre, um der erkannten Gefahr zu begegnen. Insoweit geht die Jugendkammer im Rahmen der Ausführungen zum bedingten Tötungsvorsatz selbst davon aus, dass die Wahrnehmbarkeit des vom Angeklagten durchgeführten Fahrmanövers aufgrund der sehr kurzen Phase vom Anfahren bis zur Kollision von nur knapp sechs Sekunden für die Geschädigten stark eingeschränkt war. Stattdessen legen die festgestellten äußeren Umstände ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten nahe. Danach fuhr er mit einem Pkw plötzlich und überfallartig von hinten auf einem Gehweg auf sein anvisiertes Tatopfer zu, welches in der kurzen Phase der Annäherung hierauf keinerlei Reaktion zeigte, die auf ein Erkennen des Angriffs hindeutete. Anhaltspunkte, weshalb der Angeklagte, der sich selbst dahin eingelassen hat, der Geschädigte habe sich bei der Zufahrt von hinten nicht umgedreht, diese Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt nicht erfasst haben könnte, benennt die Jugendkammer nicht. Eine hierfür in Betracht kommende psychische Ausnahmesituation mit Auswirkungen auf die Erkenntnisfähigkeit hat sie nicht festgestellt.“

Die Ausführungen des BGH machen einmal mehr deutlich, dass Ausnutzungsbewusstsein nicht Ausnutzungsabsicht bedeutet. Dem Täter muss lediglich klar sein, dass er mit seinem Handeln einen Ahnungslosen überrascht und ihn dadurch in seiner Verteidigung einschränkt.

Der BGH hat sich alsdann mit der Bejahung des bedingten Tötungsvorsatz im Hinblick auf die Geschädigte H auseinandergesetzt. Zwar darf der BGH keine eigene Beweiswürdigung vornehmen, er darf aber die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts auf Lücken, Wertungswidersprüche und sonstige Fehler hin überprüfen.

In Betracht kommt vorliegend allenfalls dolus eventualis. Dann müsste A mit der Möglichkeit gerechnet haben, den Tod bei der Geschädigten H herbeizuführen und sich mit dieser Möglichkeit zumindest abgefunden haben. Bei Tötungsdelikten ist eine psychische Hemmschwelle zu beachten. Dies führt dazu, dass das Gericht sich mit sämtlichen Aspekten in besonderem Maße auch mit den vorsatzkritischen Aspekten auseinandersetzen muss.

Nach Auffassung des BGH hat das Landgericht sich hier zu wenig mit den örtlichen Gegebenheiten und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Vorsatz befasst. Er führt Folgendes dazu aus:

„Zwar hat die Jugendkammer in zutreffender Weise die anschauliche Gefährlichkeit des Fahrverhaltens des Angeklagten als ein auch auf die Billigung einer als möglich erkannten Todesfolge hindeutendes Indiz gewertet. … Jedoch setzt sie sich im Weiteren nicht mit der – in Bezug auf die beiden Geschädigten – durchaus verschieden ausfallenden konkreten Angriffsweise des Angeklagten und den damit einhergehenden unterschiedlichen Auswirkungen seines Fahrmanövers auf die Tatopfer auseinander. Nach den festgestellten örtlichen Verhältnissen war der Gehweg an der Kollisionsstelle mit über vier Metern deutlich breiter als der vom Angeklagten gesteuerte Pkw Fiat Stilo. Danach wäre ein frontales Erfassen der beiden Geschädigten theoretisch möglich gewesen, ohne dabei den am Fahrbahnrand geparkten Pkw zu streifen. Die sich aus dieser Touchierung beim zeitgleichen Zusammenstoß mit den Geschädigten ergebende Fahrzeugposition am rechten Rand des Bürgersteiges, während die Geschädigte auf der linken, der Hauswand zugewandten Seite ging, stellt einen für das Willenselement kritischen und daher erörterungsbedürftigen Umstand dar. Denn er könnte darauf hindeuten, dass der Angeklagte das Fahrzeug an den rechten Gehwegrand steuerte, um einen Anstoß mit der auf der linken Seite laufenden Geschädigten zu vermeiden oder zumindest so gering wie möglich zu halten.“

Kommen wir nun zu einer Strafbarkeit gem. § 142 I StGB.

Dann müsste zunächst ein Unfall im Straßenverkehr vorliegen. Einen solchen Unfall hatte das Landgericht verneint, da das Zufahren auf die Geschädigten ausschließlich deliktischen Zwecken diente. Dieser Argumentation ist der BGH im Hinblick auf die Geschädigten I und H zunächst gefolgt. Er hat Folgendes ausgeführt:

„Unter dem Begriff des Unfalls im Straßenverkehr ist jedes mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängendes Ereignis zu verstehen, durch das ein Mensch zu Schaden kommt oder ein nicht ganz belangloser Sachschaden verursacht wird. Der Kennzeichnung eines solchen Geschehens als Verkehrsunfall steht nicht entgegen, dass ein daran Beteiligter es vorsätzlich herbeigeführt hat, wenn nur einem anderen ein von ihm ungewollter Schaden entstanden ist. Dann handelt es sich mindestens für diesen anderen um ein ungewolltes, ihn plötzlich von außen her treffendes Ereignis…. Zudem setzt die Annahme eines „Verkehrsunfalls“ einen verkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang in der Weise voraus, dass sich in dem „Verkehrsunfall“ gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben müssen. Eine solche Verknüpfung des Schadensereignisses mit einem Verkehrsgeschehen ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn sich das Verhalten schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild als Auswirkung einer deliktischen Planung, wie sie an beliebigen anderen Orten mit beliebigen anderen Mitteln auch durchführbar wäre, darstellt.“

Stellt man also allein auf das Zufahren auf I und H ab, müsste man einen Unfall verneinen, da es hier ausschließlich um eine deliktische Handlung ging. Der BGH hat aber zutreffend auf etwas hingewiesen, was aller Wahrscheinlichkeit nach Du in Deiner Klausur genauso übersehen hättest wie das Landgericht:

„Danach liegt es nahe, dass sich jedenfalls in den Kollisionen mit den geparkten Fahrzeugen verkehrstypische Gefahren realisiert haben. Denn der Angeklagte hat den Pkw insoweit nicht mehr (ausschließlich) als Tatwaffe benutzt. Der in der Folge entstandene Sachschaden könnte als Auswirkung des allgemeinen Verkehrsrisikos verstanden werden und damit zum Begriff des Verkehrsunfalls gehören.“

A wäre diesbezüglich auch Unfallbeteiligter gewesen. Da nicht ersichtlich ist, inwieweit feststellungsbereite Personen vor Ort anwesend waren, hätte er aber jedenfalls seine Wartepflicht gem. § 142 I Nr. 2 StGB verletzt, indem er sich unverzüglich vom Unfallort entfernte.

C. Prüfungsrelevanz

Das Urteil des BGH ist ein Paradebeispiel für eine juristisch präzise und überzeugende Argumentation. Wir haben es besprochen um bei Dir ein Bewusstsein für die erforderliche Differenzierung bei der Lösung einer Klausur zu schaffen.

Zudem eignet sich dieser Sachverhalt, um eine Vielzahl verschiedener Delikte zu prüfen, weswegen wir glauben, dass er in der einen oder anderen Form in Klausuren auftauchen wird.

(BGH Urt. v. 20.06.2024 – 4 StR 15/24)

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