Schuften bis ins hohe Alter?

Schuften bis ins hohe Alter?

Das OLG Saarbrücken zum Erwerbsschaden nach einem Verkehrsunfall

Ob aus purer Leidenschaft zum Job, zur Erhaltung des Lebensstandards oder um sich körperlich und geistig fit zu halten (frei nach dem Motto: „wer rastet, der rostet“) – Gründe für das Weiterarbeiten nach dem Erreichen der Renteneintrittsgrenze gibt es viele. Welche Motivation bei dem späteren Kläger ursächlich dafür ist, dass er auch mit 79 Jahren weiter an den Zähnen seiner Patienten werkelt, bleibt sicherlich sein Geheimnis. Klar ist allerdings, dass der Fall, mit dem sich zuletzt das OLG Saarbrücken in seinem Urteil vom 17.01.2025 (Az.: 3 U 6/24) befassen durfte, ohne die Begeisterung des Zahnarztes für seine Arbeit niemals eine so bemerkenswerte Wendung genommen hätte.

Sachverhalt

Vor mittlerweile mehr als 10 Jahren ereignete sich der folgenreiche Verkehrsunfall in Frankreich: Der damals 68-jährige, selbstständige Zahnarzt verletzte sich bei der Kollision im Bereich beider Handgelenke.

Zu diesem Zeitpunkt führte der spätere Kläger seine Zahnarztpraxis noch eigenständig mit mehreren Mitarbeiter:innen, obwohl er bereits seit seinem 65. Lebensjahr im Rentenbezug stand. Auch nach der Verletzung lief die Praxis weiter, wobei er 2018 vergeblich versuchte, einen Verkauf zu finalisieren. Seit 2019 senkte er den Umfang seiner Tätigkeit sukzessive und bemühte sich auch seit 2020 um keine Vertretungen durch andere Zahnärzte mehr, wodurch Einkommensverluste bei beispielsweise eigenen Urlaubszeiten hätten abgefedert werden können. Im Sommer 2021 entließ der Zahnarzt schließlich alle Mitarbeiter:innen. Man könnte meinen, dass auch er im zarten Alter von 75 Jahren schließlich genug von zahnschmerzgeplagten Patienten gehabt hätte. Doch weit gefehlt: Seitdem führt der Zahnarzt seine Praxis noch in kleinem Umfang mit seiner Ehefrau weiter.

So kam es, dass der ältere Herr nicht, wie man in dem Alter hätte erwarten können, ausschließlich Schmerzensgeld bzw. Haushaltsführungsschaden gegenüber dem Fahrer, der Halterin und ihrer Haftpflichtversicherung geltend machte, sondern auch einen beträchtlichen Verdienstausfallschaden für den Zeitraum vom November 2016 bis Mai 2021 und einen Ersatz für eine unfallbedingte Minderung des Praxiswertes vor dem Landgericht Saarbrücken geltend machte.

Um die Haftungsquote musste zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gestritten werden, denn die alleinige Haftung der Beklagten dem Grunde nach wurde durch ein bereits rechtskräftiges Urteil schon 2020 festgestellt.

Das Landgericht sprach dem selbstständigen Zahnarzt von dem klageweisen geforderten Verdienstausfall in Höhe von knapp 240.000 Euro lediglich rund 160.000 Euro zu. Einen Vermögensschaden in Form des behaupteten Wertverlusts der Zahnarztpraxis vermochte das Gericht nicht zu erkennen.

Sein Teilobsiegen vor dem LG schmeckte dem Zahnarzt nicht wirklich. Er legte Berufung ein, verlangte weiterhin Verdienstausfall (diesmal konkret für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis zum 31.05.2021) und blieb bei dem behaupteten Wertverlust der Zahnarztpraxis.

Entscheidung des OLG Saarbrücken

Nun war der 3. Senat gefragt. Auch wenn die Berufung keinen Erfolg hatte, so stellte das Gericht dennoch einige wesentliche Punkte heraus, die man sich für die Ermittlung des Verdienstausfallschadens merken darf:

Zunächst sei bei einer selbstständig tätigen Person anhand der Geschäftsergebnisse der letzten Jahre im Rahmen einer Prognose zu ermitteln, wie sich das Unternehmen ohne den Unfall in der Zukunft voraussichtlich entwickelt hätte, § 252 S. 2 BGB. In Bezug auf den maßgeblichen Zeitpunkt gelte zu beachten, dass bei der Prognose über den gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht auf den Zeitpunkt des Schadensereignisses (in 2014), sondern auf den Termin der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei.

Weiter galt es zu beleuchten, wie sich das Alter des Klägers grundsätzlich auswirkt. Hier kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass das Alter des Zahnarztes von 74,5 Jahren in dem Zeitpunkt, für den er den Verdienstausfall geltend macht, einem Verdienstausfall per se nicht entgegenstünde, da für selbstständig Tätige keine festen Altersgrenzen existierten. Weil es sich hier offensichtlich nicht um einen „normalen“ Verlauf der Erwerbstätigkeit handele, konnte sich das Gericht auch bei der Herleitung, wie lang im Normalfall bei Selbstständigen mit einer Erwerbstätigkeit zu rechnen sei, einen schlanken Fuß machen. So blieb die Frage offen, ob „für die Prognose der voraussichtlichen Dauer der Erwerbstätigkeit ein Anknüpfen an das Rentenalter möglich ist, wenn – wie hier- die Tätigkeit gleichermaßen auch von Nichtselbstständigen ausgeübt werden können bzw. eine berufsständische Versorgung besteht, die eine Altersrente ab einem bestimmten Lebensalter gewährt“.

Dass der Zahn der Zeit auch an dem Zahnarzt selber nagt, wollte das Gericht aber dennoch nicht außer Betracht lassen: Es könne jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass der Kläger ohne den Unfall mit 74,5 Jahren noch voll erwerbstätig gewesen wäre. Zum einen nehme die körperliche und geistige Beweglichkeit bei Menschen über 70 Jahren erfahrungsgemäß ab, sodass diese nur selten noch vollständig fähig und bereit seien, die erforderlichen Anstrengungen der Vollzeitarbeit auf sich zu nehmen. Dies läge auch für den Kläger aufgrund der selbst vorgenommenen Reduzierung nahe. Zum anderen sei auch ohne das Unfallereignis für den Zeitraum von Januar bis Mai 2021 lediglich von einer Teilerwerbstätigkeit des Klägers auszugehen, da er wegen seines Rentenbezuges seinen Lebensstandard auch ohne dauerhafte Vollerwerbstätigkeit habe erhalten können.

In Bezug auf den behaupteten Minderwert der Praxis machte es der Kläger dem Gericht dann doch sehr leicht. Da der behauptete Praxisminderwert fiktiv geblieben sei, könne der Geschädigte den vermeintlichen Schaden nicht verlangen. Denn nur eine Veräußerung der Praxis hätte dazu führen können, dass sich ein möglicher unfallbedingter Minderwert konkretisiert und damit sichtbar ausgewirkt hätte. „Die lediglich vorgestellte Minderung des Vermögens vor dem tatsächlichen Eintritt der im Einzelnen noch unbestimmten Belastung biete für sich aber keine rechtliche Grundlage für einen Anspruch des Klägers“. (Zur Wiederholung zur Abgrenzung von konkreter und fiktiver Schadensberechnung nach einem Verkehrsunfall wird dieser Artikel empfohlen).

Damit ist für den Kläger bei der Berufung „außer Spesen nichts gewesen“, jedoch dürfte der bereits erstinstanzlich zugesprochene Verdienstausfallschaden nicht für den hohlen Zahn gewesen sein.

(Angehenden) Referendarinnen und Referendaren wird an dieser Stelle zur Lektüre des Urteils geraten. Wegen der Berechnung und Tenorierung der Verzugszinsen, (die aus didaktischen Gründen hier ausgespart wurden), findet sich hierin ein besonderes Praxisbeispiel, das zu den Exemplaren gehört, denen man ungern im Examen zum ersten Mal begegnet.

Fazit

Die Ermittlung des ersatzfähigen Schadens beschäftigt Studierende bereits seit der Vorlesung zum Schuldrecht AT und wird bis zum Ende der juristischen Ausbildung (insbesondere in Kombination mit Verkehrsunfällen) eine zentrale Rolle in der Prüfungsvorbereitung beibehalten. Um sich an solchen Problemen nicht die Zähne auszubeißen, bedarf es neben den notwendigen Normkenntnissen auch die Kompetenz, nachvollziehbar und klar zu argumentieren, wie dies der 3. Zivilsenat des OLG Saarbrücken getan hat.

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