BGH zur Kombination von fiktiver und konkreter Schadensberechnung nach einem Verkehrsunfall

BGH zur Kombination von fiktiver und konkreter Schadensberechnung nach einem Verkehrsunfall

Abgrenzung zwischen konkreter und fiktiver Schadensberechnung

Die Entscheidung des BGH befasst sich mit der Frage, ob es dem Geschädigten nach einem Verkehrsunfall möglich ist, seinen Anspruch auf Grundlage einer Kombination von fiktiver und konkreter Schadensberechnung zu ermitteln.

A. Sachverhalt

Die Klägerin macht Ansprüche nach einem Verkehrsunfall gegen den beklagten Haftpflichtversicherer auf Ersatz der von ihr für eine Teilreparatur gezahlten Umsatzsteuer geltend.

Bei einem Verkehrsunfall wurde das Fahrzeug der Klägerin beschädigt. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde ist dabei unstreitig gegeben.

Die Klägerin holte zunächst vorprozessual ein Gutachten zu der Schadenshöhe ein. Der beauftragte Sachverständige ermittelte Nettoreparaturkosten in Höhe von 5.521,64 €, wobei die Betriebs- und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs ausweislich des Sachverständigengutachtens durch den Unfall nicht beeinflusst war. Die Beklagte erstattete auf dieser Grundlage die Nettoreparaturkosten in Höhe von 5.521,64 €.

Die Klägerin ließ sodann eine Teilreparatur durchführen, für die Kosten in Höhe von 4.454,63 € netto zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 846,38 € anfielen.

Mit der Klage begehrt die Klägerin den Ersatz der für die Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer in Höhe von 846,38 €.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Zahlungsansprüche weiter.

B. Überblick

I. Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB

Ausgangspunkt der Schadensberechnung ist § 249 Abs. 1 BGB. Danach hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Die Schadensberechnung geht also von dem Grundsatz der Naturalrestitution aus. Ziel ist die Herstellung des hypothetischen Zustandes ohne das schädigende Ereignis. Das BGB geht damit vom Grundsatz her nicht von einer Entschädigung in Geld aus, sondern davon, dass der Schädiger Handlungen vornimmt um die hypothetische Lage ohne das schädigende Ereignis herzustellen. Nur wenn dies nicht möglich oder dem Schädiger nicht zumutbar ist, kann der Schädiger nach § 251 BGB Schadensersatz in Form einer Geldleistung erbringen.

Dieser Grundsatz bildet jedoch die tatsächliche Handhabung von Schadensfällen keineswegs ab. Die ganz überwiegende Zahl der Schadensersatzansprüche wird in Geld entschädigt. Dennoch ist es wichtig, sich diesen Grundsatz zu vergegenwärtigen, da die Struktur des Schadensrechts darauf aufbaut. Das Interesse des Geschädigten an der Herstellung des Zustandes, der ohne haftungsbegründendes Ereignis bestanden hätte, heißt Erhaltungs- oder Integritätsinteresse.

II. Ersatz der Herstellungskosten nach § 249 Abs. 2 BGB

a) Ersetzungsbefugnis

Bei Verletzung einer Person oder Beschädigung einer Sache kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 S. 2 BGB statt der Naturalrestitution einen Geldersatz verlangen. Der Zweck der Vorschrift besteht darin, dem Geschädigte die Regie über die Naturalrestitution zu überlassen. Der Geschädigte soll davor bewahrt werden, seine Güter bzw. sich selbst in die Hände des Schädigers (zu dem im Regelfall kein Vertrauen mehr bestehen wird) begeben zu müssen. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB begründet damit zugunsten des Geschädigten eine Ersetzungsbefugnis, setzt also denknotwendig voraus, dass der Geschädigte nach § 249 Abs. 1 BGB Naturalrestitution beanspruchen kann.

Die Verpflichtung des Schädigers beschränkt sich in diesem Fall auf die Zahlung des für die Herstellung des hypothetischen Zustands (Naturalrestitution) erforderlichen Geldbetrags.

Aus § 249 Abs. 2 S. 2 BGB wird der Schluss gezogen, dass der Geschädigte den vom Schädiger gezahlten Betrag nicht zur Durchführung einer tatsächlichen Wiederherstellung des hypothetischen Zustands verwenden muss, sondern das Gesetz gibt ihm die Freiheit die Herstellungskosten „fiktiv“ abzurechnen. Das heißt, es wird z.B. nicht eine tatsächlich durchgeführte Reparatur ersetzt, sondern die Reparaturkosten werden auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens abgerechnet. Die jeweilige Umsatzsteuer kann der Geschädigte im Falle der fiktiven Abrechnung nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB dann nicht ersetzt verlangen.

b) Erforderlichkeit

Aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB, insbesondere dem Wort „erforderlich“ leitet der BGH ein allgemeines Wirtschaftlichkeitsgebot ab. Danach hat der Geschädigte unter mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten diejenige zu wählen hat, die den geringsten Aufwand erfordert.

Bei fiktiver Abrechnung nach einem Verkehrsunfall führt dies dazu, dass stets zwei mögliche Wiederherstellungen miteinander zu vergleichen sind. Auf der einen Seite die Reparatur der Sache und auf der anderen Seite die Anschaffung einer Ersatzsache. Ist eine von diesen günstiger, beschränkt sich der Anspruch des Geschädigten grundsätzlich auf die Höhe der Kosten dieser Alternative.

c) Sogenannter Integritätszuschlag

Bei der Abrechnung eines Schadens nach einem KFZ-Unfall hat der BGH die folgenden Grundsätze aufgestellt:

Der Geschädigte kann die Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts (Kosten für die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs) abrechnen, wenn er die Sache eine gewisse Zeit nach der Beschädigung weiter benutzt. Andernfalls ist die fiktive Abrechnung auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Kosten für die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs abzüglich des Restwerts) begrenzt.

Das bei diesem Vergleich zwischen Reparatur und Ersatzbeschaffung der Wiederbeschaffungswert als Vergleichsmaßstab herangezogen wird, ist nicht aus sich selbst heraus verständlich. Denn bei einem rein wirtschaftlichen Vergleich ist die Reparatur schon dann für den Schädiger teurer, wenn die Kosten der Reparatur den Wiederbeschaffungsaufwand überschreiten. Dass dennoch der Wiederbeschaffungswert zugrunde gelegt wird, wird damit begründet, dass der Geschädigte ein gesteigertes Interesse an der Wiederherstellung seines ihm bekannten Fahrzeugs haben kann („Integritätszuschlag“).

Darüber hinaus billigt der BGH dem Geschädigten einen weiteren Integritätszuschlag zu. Übersteigen die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert bis zu einer Grenze von 130%, kann der Geschädigte sich gleichwohl für eine fachgerechte Reparatur entscheiden soweit die Reparatur tatsächlich durchgeführt wird und er den Wagen mindestens sechs Monate nicht veräußert oder verschrottet.

C. Entscheidung

Der BGH hat die Revision abgewiesen und damit die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Ersatz der für die Teilreparatur aufgewandten Umsatzsteuer zu.

Da die Haftung dem Grunde nach unstreitig ist, prüft der BGH die im vorliegenden Fall anzuwendende Schadensnorm nicht und der zugrundeliegende Sachverhalt wird auch nicht im Tatbestand geschildert. Da es ich um einen Verkehrsunfall handelt, dürfte die Schadensersatzpflicht entweder aus § 7 StVG oder § 823 BGB folgen. In einer Klausur könnte hier der Sachverhalt dergestalt ausgeschmückt werden, dass die Haftung dem Grunde nach im Streit steht. Die in der Entscheidung relevanten Fragestellungen wären dann unter dem Prüfungspunkt des haftungsausfüllenden Tatbestands unter dem Punkt Schadenshöhe zu prüfen.

Grundlage des Anspruchs auf Ersatz der angefallenen Umsatzsteuer ist § 249 Abs. 2 S. 2 BGB. Danach schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer ist hingegen nicht zu ersetzen, wenn und soweit sie fiktiv bleibt.

Nach der Entscheidung des BGH kann die Klägerin, da sie den Weg der fiktiven Schadensabrechnung gewählt habe, nicht den Ersatz der im Rahmen der Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer verlangen. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung sei insoweit nicht zulässig.

Zur Begründung führt der BGH aus, dass ein Geschädigter grundsätzlich entweder fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnen könne. Eine Kombination beider Abrechnungsarten sei nicht zulässig, da eine solche Möglichkeit dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot zuwiderlaufen könne. Der Geschädigte könne sich aus der jeweiligen Berechnungsart die für ihn günstigen Elemente heraussuchen (“Rosinenpicken”). Darüber hinaus beruhten beide Berechnungsarten (fiktiv oder konkret) auf einer unterschiedlichen Grundlage und müssten daher unabhängig voneinander betrachtet werden um die jeweilige innere Kohärenz sicherzustellen.

Während die konkrete Schadensabrechnung an eine tatsächlich durchgeführte Reparatur oder Ersatzbeschaffung anknüpfe und auf Ersatz der hierfür konkret angefallenen Kosten abziele liege der fiktiven Abrechnung die Dispositionsfreiheit des Geschädigten zugrunde, dass er sich mit einer Schadensberechnung auf einer abstrahierten Grundlage zufriedengebe.

Rechne der Geschädigte im Wege der fiktiven Schadensberechnung ab, könne daher auch dann keine Umsatzsteuer beansprucht werden, wenn tatsächlich im Rahmen einer durchgeführten Reparatur Umsatzsteuer anfalle.

Nach der Entscheidung des BGH bleibt die Umsatzsteuer damit nicht nur dann fiktiv, wenn der Geschädigte den Wagen überhaupt nicht repariert, sondern auch dann, wenn der Geschädigte zwar tatsächlich eine Reparatur durchführt, diese aber nicht zur Grundlage seiner Abrechnung macht. Dies begründet der BGH damit, dass der Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB darin bestehe, dem Geschädigten die Möglichkeit zu geben, insoweit Ersatz zu verlangen, wie zur Herstellung des ursprünglichen Zustandes tatsächlich angefallen ist. Diese Möglichkeit stehe dem Beklagten offen, sofern er seinen Schaden konkret abrechne. Damit sei dem Zweck des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB nicht zu entnehmen, dass auch eine Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung möglich sein müsse. Der Geschädigte sei grundsätzlich auch nicht an eine einmal gewählte Abrechnungsart gebunden. Im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung könne der Geschädigte zu einer konkreten Berechnung auf der Grundlage der tatsächlich veranlassten Restitutionsmaßnahme übergehen

Zusammenfassend führt der BGH aus, dass die in der von der Klägerin gewählten fiktiven Schadensabrechnung enthaltene Umsatzsteuer auf die Reparaturkosten fiktiv bleibe, weil sie nicht angefallen sei, während die mit der Klageforderung geltend gemachte Umsatzsteuer zwar tatsächlich angefallen sei, jedoch auf eine Reparatur, die von der Klägerin nicht abgerechnet worden sei.

D. Prüfungsrelevanz

Die vom Umfang her recht überschaubare Entscheidung des BGH zieht ihre Prüfungsrelevanz aus dem Umstand, dass die Schadensberechnung bei Verkehrsunfällen bei Praktikern zum täglichen Arbeitspensum gehört und sich die Entscheidung ohne viel Aufwand in jede Verkehrsunfallklausur einbauen lässt. Zudem erfordert die Entscheidung ein systematisches Verständnis der Schadensberechnung, insbesondere eine klare Abgrenzung zwischen konkreter und fiktiver Schadensberechnung.

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