Ist eine Klausel in AGB, die ein absolutes Fixgeschäft bestimmt und damit das Erfordernis einer Fristsetzung entfallen ließe, unwirksam?
Bei einem Lieferungsvertrag im Rahmen eines sog. Open-House-Verfahrens wurde in einer Klausel in den AGB ein absolutes Fixgeschäft bestimmt, welches den Klauselverwender von dem Erfordernis einer vorherigen Fristsetzung freistellte, vereinbart. Ist eine solche Klausel nach § 307 I, II Nr. 1 BGB unwirksam?
A. Sachverhalt
Die Klägerin K hat von der Beklagten B FFP2-Masken gekauft. Die vertragliche Bindung kam durch ein sog. Open-House-Vertrag im März 2020 zustande.
Ein Open-House-Verfahren ist dadurch geprägt, dass ein öffentlicher Auftraggeber zum Zwecke der Güterbeschaffung Rahmenvertragsvereinbarungen veröffentlicht, zu deren Bedingungen jeder interessierte Lieferant ein vorformuliertes Angebot abgeben kann, das dann per Zuschlag angenommen wird, ohne dass eine Auswahlentscheidung getroffen wird. Da in der Konsequenz sämtliche Angebote angenommen werden, findet kein Wettbewerb zwischen den Teilnehmern statt. Das Verfahren unterfällt daher keinen vergaberechtlichen Vorschriften. Weitere Konsequenz ist, dass das Auftragsvolumen nicht immer klar vorhersehbar ist.
Als spätester Liefertermin wurde von K der 30.04.2020 bestimmt. Später verkürzte K das Ende der Ablaufzeit auf den 08.04.2020. B reichte an diesem Tag ein Angebot über die Lieferung von 1.800.000 FFP2-Masken ein, welches K annahm. In dem Vertrag heißt es in den AGB unter anderem:
Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar (absolutes Fixgeschäft).
K bezahlte den Kaufpreis von 4.000.000 Euro an B. K rügte jedoch Mängel hinsichtlich der FFP2-Masken, erklärte schriftlich den Rücktritt und forderte den Kaufpreis zurück.
B. Entscheidung
K begehrt von B Rückzahlung von 4.000.000 Euro aufgrund des erklärten Rücktritts.
Vertraglicher Anspruch
K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 4.000.000 Euro nach § 346 I BGB haben.
(Vertragliche Primäransprüche, welche aus Sicht des Käufers auf Erfüllung nach § 433 I 1 BGB gerichtet sind, kommen nicht in Betracht. Bei dem geltend gemachten Anspruch aufgrund des erklärten Rücktritts im Rahmen des Gewährleistungsrechts handelt es sich um einen vertraglichen Sekundäranspruch.)
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rückzahlung des Kaufpreises bei einem erklärten Rücktritt nach § 346 I BGB sind:
I. Kaufvertrag
II. Rücktrittserklärung
III. Rücktrittsgrund
Gewährleistungsgrund bei Gefahrübergang
Kein Gewährleistungsausschluss
Rechtsfolge: Rückgewähr der empfangenen Leistungen
IV. Durchsetzbarkeit
V. Ergebnis
I. Kaufvertrag
Zwischen K und B ist ein entsprechender Kaufvertrag über 1.800.000 FFP2-Masken zu einem Preis von 4.000.000 Euro geschlossen worden, § 433 BGB.
II. Rücktrittserklärung
K hat gegenüber B den Rücktritt erklärt, § 349 BGB. Diese Erklärung ist B zugegangen, § 130 I 1 BGB.
III. Rücktrittsgrund
1. Gewährleistungsgrund bei Gefahrübergang
Ferner müsste ein Gewährleistungsgrund, also ein Sachmangel nach § 434 BGB, bei Gefahrübergang nach § 446 S. 1 BGB bestanden haben. Gem. § 434 I BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht. Damit besteht ein Gleichrang dieser Fehlerbegriffe. Um eine mangelfreie Sache handelt es sich nur, wenn alle Kriterien kumulativ erfüllt sind. Ein Sachmangel liegt vor bei einer negativen Abweichung der Ist-Anforderungen von den Soll-Anforderungen. Vorliegend könnte das undichte Terrassendach den objektiven Anforderungen nicht entsprechen. Vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung entspricht die Sache den objektiven Anforderungen nach § 434 III 1 Nr. 1 BGB, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet. Eine Eignung zur gewöhnlichen Verwendung ist objektiv zu beurteilen. (Das OLG hat dazu nichts weiter ausgeführt, da es den Anspruch von K wegen fehlender Fristsetzung verneint hat, dazu gleich ausführlicher unter 3.)
2. Kein Gewährleistungsausschluss
Es dürfte kein Gewährleistungsausschluss vorliegen. Es liegt weder ein gesetzlicher Gewährleistungsausschluss z.B. nach § 442 I 1 BGB vor noch ein vertraglicher.
3. Rechtsfolge: Rückgewähr der empfangenen Leistungen
Als Rechtsfolge kann nach § 346 I BGB grundsätzlich die Rückgewähr der empfangenen Leistungen verlangt werden. Gem. §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB ist der Käufer allerdings zunächst verpflichtet, Nacherfüllung zu verlangen. Dabei steht dem Käufer grundsätzlich das Wahlrecht zwischen Mangelbeseitigung oder Nachlieferung zu, es sei denn es liegt ein Fall von § 275 I, II, III BGB oder § 439 IV BGB vor. Nach erfolgloser Fristsetzung zur Nacherfüllung kann der Gläubiger nach § 323 BGB vom Vertrag zurücktreten gem. § 437 Nr. 3 BGB. Die Fristsetzung gem. § 323 I BGB ist nur ausnahmsweise nach §§ 440, 281 II, 323 II, 326 V BGB entbehrlich.
K hat gegenüber B keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt. Die Fristsetzung könnte entbehrlich gewesen sein.
a) Absolutes Fixgeschäft
Ein absolutes Fixgeschäft ergibt sich zwar aus der entsprechenden Vereinbarung in dem Vertrag in den AGB. Um ein absolutes Fixgeschäft handelt es sich, sofern
die Einhaltung der Leistungszeit nach dem Vertragszweck und der gegebenen Interessenlage für den Gläubiger derart wesentlich ist, dass … eine verspätete Leistung keine Erfüllung mehr darstellt …. Die Nichteinhaltung der Leistungszeit begründet demgemäß dauernde Unmöglichkeit. Der Wortlaut der Regelung ist insoweit eindeutig, da nicht nur das Fixgeschäft ausdrücklich als ein “absolutes Fixgeschäft” benannt, sondern darüber hinaus auch die Rechtsfolgen zutreffend ausgeführt werden.
Diese Vereinbarung eines absoluten Fixgeschäfts könnte jedoch unwirksam sein.
aa) AGB
Bei der Klausel handelt es sich um AGB. Dies sind nach § 305 I 1 BGB alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt. Dies setzt eine Erklärung des Verwenders voraus, welche eine Regelung des Vertragsinhalts betrifft.
bb) Unwirksamkeit nach § 307 I 1, II Nr. 1 BGB
Die Klausel könnte nach § 307 I 1, II 1 BGB unwirksam sein.
Nach § 307 I 1 BGB sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Gem. § 307 II Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Gem. § 307 III 1 BGB gilt dies nur, sofern in AGB von Rechtsvorschriften abweichende Regelungen getroffen werden. Die Regelung weicht von § 323 I BGB ab, welcher grundsätzlich eine Fristsetzung vorsieht.
Die Klausel hält … einer Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 II Nr. 1 BGB nicht stand, sondern benachteiligt die Lieferanten unangemessen, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar ist…. Die völlige Freistellung des Klauselverwenders von dem Erfordernis der Fristsetzung ist danach auch im kaufmännischen Verkehr nicht wirksam vereinbar….
b) Relatives Fixgeschäft, § 323 II Nr. 2 BGB
Möglicherweise ist jedoch die Fristsetzung nach § 323 II Nr. 2 BGB entbehrlich, wenn es sich um ein relatives Fixgeschäft handelt.
Zwar ist eine solche vertragliche Vereinbarung grundsätzlich denkbar. Ausreichend ist aber nicht eine genaue Bestimmung der Leistungszeit. Vielmehr muss …die Rechtzeitigkeit der Leistung für den Gläubiger wesentlich sein …. Dies kann sich außer aus einer ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung auch aus einer formlosen Mitteilung des Gläubigers vor Vertragsschluss oder aus den sonstigen Umständen ergeben, wie der Wortlaut der Vorschrift klarstellt. Erforderlich ist demnach die Einigkeit der Parteien darüber, dass der Vertrag mit der Einhaltung oder Nichteinhaltung der Lieferzeit stehen oder fallen solle. Ist dies im Vertrag nicht ausdrücklich ausgesprochen, muss durch Auslegung unter Berücksichtigung aller Umstände ermittelt werden, ob die Parteien der vereinbarten Lieferfrist eine so weitgehende Bedeutung beimessen wollten. Dabei wirkt sich jeder Zweifel gegen die Annahme eines Fixgeschäfts aus ….
Die Klausel, wonach die verspätete Lieferung keine Erfüllung darstellt (absolutes Fixgeschäft) ist unwirksam (s.o.).
Griffe man zur Begründung eines relativen Fixgeschäfts auf ein unwirksam vereinbartes absolutes Fixgeschäft zurück, verstieße das gegen das Verbot geltungserhaltender Reduktion….
Da es nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insoweit nicht auf einseitige Motive des Gläubigers, sondern vielmehr auf den Empfängerhorizont bzw. - nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB - auf eine nach allen Seiten interessengerechte Auslegung ankommt, ist es nicht zu beanstanden, …dass die Wesentlichkeit auch für die Beklagten erkennbar gewesen sein muss. An einer solchen objektiv erkennbaren Wesentlichkeit der Lieferfrist fehlt es im Streitfall. Vielmehr lag die Deutung näher, dass es sich um die bloße Mitteilung eines Liefertermins handelte, dessen Versäumung dann jedenfalls geeignet wäre, Verzug ohne das Erfordernis einer Mahnung herbeizuführen (§ 286 II Nr. 1 BGB). Dass die Beklagten sich den vorgegebenen Terminen unterworfen haben und diese im Rahmen ihrer Schreiben im Zusammenhang mit der Vertragsabwicklung bestätigt haben …, ist zur Begründung eines relativen Fixgeschäfts vor diesem Hintergrund nicht hinreichend.
Demnach ist die Fristsetzung nicht nach § 323 II Nr. 2 BGB aufgrund eines relativen Fixgeschäfts entbehrlich.
IV. Durchsetzbarkeit
Gewährleistungsansprüche sind z.B. nicht durchsetzbar, wenn ein Fall der §§ 275 II, III, 439 IV BGB gegeben ist oder sie verjährt sind. Die Verjährung der Mängelansprüche ist in § 438 BGB geregelt. Gem. § 438 I Ziff. 3 BGB verjähren diese in 2 Jahren ab Ablieferung gem. § 438 II BGB. (Auf die Durchsetzbarkeit musste das OLG dementsprechend aufgrund der Verneinung des Anspruchs nicht mehr eingehen.)
V. Ergebnis
K hat gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 4.000.000 Euro nach § 346 I BGB.
C. Prüfungsrelevanz
Das Gewährleistungsrecht des Kaufrechts ist ein großer Schwerpunkt der Examensklausuren. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um das Erfordernis einer Fristsetzung und dessen Entbehrlichkeit.
Die Entscheidung ist höchst prüfungsrelevant, da sie die Möglichkeit bietet, sich mit den üblichen Fragestellungen des Leistungsstörungsrechts auseinanderzusetzen in Verbindung mit der Prüfung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
(OLG Köln Urt. v. 21.06.2024 – 6 U 112/23)
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