Ausschluss der Leistungspflicht wegen „echter“ Unmöglichkeit

Ausschluss der Leistungspflicht wegen „echter“ Unmöglichkeit (§ 275 I BGB)

Leistungsstörungen haben grundsätzlich keinen unmittelbaren Einfluss auf die primären Leistungspflichten.1 Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers bleibt so lange bestehen, bis er einen Rechtsbehelf geltend macht, der die Erfüllung durch den Schuldner ausschließt (z. B. Rücktritt, Schadensersatz statt der Leistung). Nur wenn die Erbringung einer Leistung nicht möglich ist, ist der Anspruch auf sie ausgeschlossen (§ 275 I BGB).

Kann der Schuldner die Leistung nur unter einem grob unverhältnismäßigen Aufwand erbringen oder ist ihm die Erfüllung einer persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar, kann er die Leistung verweigern (§ 275 II, III BGB).

Der Ausschluss nach § 275 I BGB bezieht sich lediglich auf das Recht des Gläubigers, die Leistung in natura zu verlangen, also auf die Primärleistungspflicht des Schuldners. Die Frage, welche weiteren Rechtsfolgen sich daraus ergeben, insbesondere in Bezug auf Gegenleistungsansprüche bei gegenseitigen Verträgen (§ 326 BGB) und etwaige sekundäre Leistungspflichten des Schuldners – Herausgabe eines Surrogats (§ 285 BGB), Ersatz von Schäden (§§ 280 I, III, 283; 311a II BGB) bzw. Aufwendungen (§ 284 BGB) – ist nicht in § 275 BGB geregelt; § 275 IV BGB verweist insoweit auf die allgemeinen Vorschriften.2

Für den Ausschluss der Primärleistungspflicht nach § 275 I BGB spielt es keine Rolle, ob der Schuldner die Unmöglichkeit i.S.v. §§ 276 ff. BGB zu vertreten hat.3 Das Vertretenmüssen ist erst für sekundäre Leistungspflichten von Bedeutung.

§ 275 I BGB als Einwendung

Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist (§ 275 I BGB). Es handelt sich um eine von Amts wegen zu beachtende Einwendung, die nur dann eingreift, wenn die Leistung unter keinen Umständen erbracht werden kann. Ist die Leistung zumindest theoretisch möglich, scheidet § 275 I BGB aus und es kommt allenfalls eine Einrede gemäß § 275 II, III BGB in Betracht.4

Der Wortlaut des § 275 I BGB („unmöglich ist“) unterscheidet nicht danach, ob das Leistungshindernis bereits bei Vertragsschluss bestand (anfängliche Unmöglichkeit) oder erst nachträglich eingetreten ist (nachträgliche Unmöglichkeit). § 311a I BGB stellt ausdrücklich klar, dass es der Wirksamkeit eines Vertrags nicht entgegensteht, wenn der Schuldner nach § 275 I – III BGB nicht zu leisten braucht und das Leistungshindernis schon bei Vertragsschluss vorliegt. Diese Unterscheidung zwischen anfänglicher und nachträglicher ist erst auf der Sekundärebene bei der Frage der Schadensersatzverpflichtung des Schuldners relevant (§ 311a II BGB vs. §§ 280 I, III, 283 BGB).5

Objektive und subjektive Unmöglichkeit

§ 275 I BGB regelt sowohl die objektive als auch die subjektive Unmöglichkeit.6

Objektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Leistung durch niemanden erbracht werden kann. Die Leistung ist dann „für jedermann“ unmöglich. Dies ist der Fall, wenn die Leistung nach den Naturgesetzen oder nach dem Stand der Erkenntnis von Wissenschaft und Technik schlechthin nicht erbracht werden kann.7

Subjektive Unmöglichkeit (Unvermögen) liegt vor, wenn die Leistung zwar von einem Dritten, aber – aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – nicht vom Schuldner erbracht werden kann.

Dies darf allerdings nicht vorschnell bejaht werden. Das nur finanzielle Unvermögen zu leisten oder seine finanzielle Leistungsfähigkeit herzustellen befreit den Schuldner nicht von seiner Leistungspflicht („Geld hat man zu haben“). Auch die Tatsache, dass beispielsweise ein Verkäufer nicht Eigentümer der verkauften Sache ist und deshalb (derzeit) die Pflicht aus § 433 I 1 BGB zur Übereignung (und ggf. auch zur Besitzverschaffung) nicht erfüllen kann, führt noch nicht zwingend zu subjektiver Unmöglichkeit; diese setzt vielmehr voraus, dass der Schuldner (Verkäufer) auch nicht in der Lage ist, sich die Sache (wieder) zu beschaffen oder den Verfügungsberechtigten zur Leistung an den Gläubiger zu veranlassen.8

Unmöglichkeit infolge verspäteter Leistung

Eine verspätete Erfüllung führt regelmäßig nicht zur Unmöglichkeit der Leistung, sondern löst nur die Folgen des Schuldnerverzugs aus. Etwas anders gilt nur dann, wenn die Einhaltung einer bestimmten Leistungszeit so wesentlich ist, dass die Leistung nach dem vereinbarten Zeitpunkt nicht mehr nachgeholt werden kann (absolutes Fixgeschäft).

Über die Festlegung einer genauen Leistungszeit muss für die Annahme eines solchen absoluten Fixgeschäfts hinaus zwischen den Parteien Einigkeit darüber bestehen, dass der Vertrag mit der Einhaltung oder Nichteinhaltung der Leistungszeit „stehen oder fallen“ soll. Der Leistungszeitpunkt muss nach Sinn und Zweck des Vertrags und nach der Interessenlage der Parteien so wesentlich sein, dass eine verspätete Leistung keine Erfüllung mehr darstellt, weil sie für den Gläubiger absolut sinnlos ist.9 Beispiel: Taxifahrt für eine bestimmte Uhrzeit, um einen bestimmten Zug oder Flug zu erreichen,10 sofern eine verspätete Fahrt keinen Sinn mehr hat.11 Zu fragen ist stets, ob der Gläubiger noch ein Interesse an der Leistung haben kann; ist dies der Fall, wäre es interessenwidrig, ihm den Anspruch nach § 275 I BGB ohne seinen Willen aus der Hand zu schlagen.12 Regelmäßig liegt (nur) ein relatives Fixgeschäft vor, bei dem der Vertrag zwar ebenfalls mit der Einhaltung der Leistungszeit „stehen oder fallen“ soll, bei dem aber – dies ist der Unterschied zum absoluten Fixgeschäft – nach dem Vertragszweck die Leistung nach Ablauf des Erfüllungszeitraums nicht gänzlich sinnlos wird, sondern der Gläubiger trotz der Verspätung noch ein Interesse an der Leistung haben kann; in einem solchen Fall führt die Versäumung der Leistungsfrist nicht zur Unmöglichkeit, sondern zu einem Rücktrittsrecht des Gläubigers mit der Besonderheit, dass er dem Schuldner keine Nachfrist einräumen muss (§ 323 II Nr. 2 BGB).13

Vorübergehende Unmöglichkeit

§ 275 I BGB setzt eine dauernde Unmöglichkeit voraus.14 Liegt eine nur vorübergehende Unmöglichkeit vor, entfällt die Leistungspflicht grundsätzlich nicht endgültig. Solange der Schuldner die Leistung nicht erbringen kann, darf der Gläubiger sie aber auch nicht fordern. Sein Erfüllungsanspruch ist in analoger Anwendung des § 275 I BGB für diesen Zeitraum gehemmt.15 Dann ist auch die Gegenleistungspflicht gemäß § 326 I 1 BGB (analog) suspendiert.

Teilunmöglichkeit

Die Primärleistungspflicht ist gemäß § 275 I BGB ausgeschlossen, soweit die Leistung unmöglich ist.16 Damit erfasst die Norm auch die teilweise Unmöglichkeit. Voraussetzung ist freilich die Teilbarkeit der Leistung. Ob die Leistung teilbar ist, ergibt sich primär aus dem Parteiwillen, hilfsweise aus der Verkehrsanschauung.17

Ist die Leistung nicht teilbar, liegt vollständige Unmöglichkeit vor, wenn dem Gläubiger „nur mit der vollen Leistung gedient ist“. Ist die Leistung hingegen teilbar und liegt Teilunmöglichkeit vor, so ist der Schuldner nach § 275 I BGB („soweit“) auch nur von dem unmöglichen Teil der Leistung befreit; den Rest der Leistung darf der Gläubiger verlangen und muss der Schuldner leisten.


  1. Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 2.
  2. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 403.
  3. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 15.
  4. BGH, Urt. v. 19.01.2018 – V ZR 273/16, Rn. 27; Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 3.
  5. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 407.
  6. Zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 4 – 9.
  7. BGH, Urt. v. 13.01.2011 – III ZR 87/10, Rn. 10 (Kartenlegen als unmögliche Leistung – Life-Coaching).
  8. BGH, Urt. v. 19.01.2018 – V ZR 273/16, Rn. 23; BGH, Urt. v. 20.11.2013 – IV ZR 54/13, Rn. 26; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 408. Siehe hierzu den Fall: „Der Doppelverkauf“.
  9. BGH Urt. v. 28.05.2009 – Xa ZR 113/08, Rn. 12; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 411.
  10. Grüneberg, BGB, 78. Aufl. 2019, § 271 Rn. 17.
  11. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 6.
  12. Dem Gläubiger bleibt der Rücktritt nach § 323 BGB (Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 411).
  13. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 412. Siehe hierzu den Fall: „Rücktritt wegen verspäteter Zahlung“.
  14. Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 410.
  15. BGH, Urt. v. 16.09.2010 – IX ZR 121/09, Rn. 22: „Solange einem Anspruch der Einwand zumindest vorübergehender Unmöglichkeit entgegensteht, ist eine Klage als „zur Zeit unbegründet” abzuweisen“; Medicus, FS Heldrich (2005), 347, 349.
  16. Zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 409.
  17. BGH, Urt. v. 07.03.1990 – VIII ZR 56/89, NJW 1990, 3011, 3012.