
Richtet sich die Verjährung des Anspruchs auf Ausgleichszahlung bei einer Flugpauschalreise nach der regelmäßigen Verjährungsfrist?
Ansprüche auf Ausgleichszahlung wegen Verspätung eines Fluges richten sich nach der Fluggastrechte-VO. Unterliegen diese im Falle einer Pauschalreise der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB oder der speziellen Verjährungsfrist des Reisevertragsrechts nach § 651j BGB?
A. Sachverhalt
Die Klägerin K geht aus abgetretenem Recht gegen die beklagte Fluggesellschaft B vor. B hat die Reisenden -die Zedenten- 2019 mit einem Flugzeug von Deutschland nach Ägypten befördert, allerdings mit einer Verspätung von drei Stunden und 40 Minuten. Der Flug war Gegenstand einer Pauschalreise. Mit der Klage aus 2022 macht K eine Ausgleichszahlung wegen Verspätung des Fluges von jeweils 400 Euro nach der Fluggastrechte-VO geltend. B hat die Einrede der Verjährung erhoben.
K verlangt von B eine Ausgleichszahlung wegen Verspätung des Fluges von jeweils 400 Euro nach der Fluggastrechte-VO.
B. Entscheidung
K verlangt von B die Zahlung von 800 Euro.
I. § 398 S. 2 BGB, Art. 7 Fluggastrechte-VO
K könnte gegen B einen Anspruch auf Ausgleichszahlung i.H.v. 800 Euro nach § 398 S. 2 BGB, Art. 7 Fluggastrechte-VO haben.
1. Abtretungsvertrag, § 398 S. 1 BGB
K macht keinen eigenen Anspruch geltend, sondern geht aus abgetretenem Recht vor. Die geschädigten Reisenden (Zedenten) haben ihre etwaigen Ansprüche auf Ausgleichszahlung wegen Verspätung des Fluges von jeweils 400 Euro nach Art. 7 Fluggastrechte-VO per Abtretungsvertrag nach § 398 S. 1 BGB an K (Zessionar) abgetreten.
2. Kein Abtretungsverbot, §§ 399, 400 BGB
Es bestand insofern grundsätzlich auch kein Abtretungsverbot, §§ 399, 400 BGB.
3. Berechtigung Zedenten
Ferner müssten die geschädigten Reisenden -die Zedenten- Berechtigte gewesen sein. Das wäre der Fall, wenn sie einen entsprechenden Anspruch auf Ausgleichszahlung i.H.v. 800 Euro nach Art. 7 Fluggastrechte-VO haben.
a) Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 Fluggastrechte-VO
Das setzt zunächst voraus, dass der Anwendungsbereich der Fluggastrechte-VO eröffnet ist und die Voraussetzungen des Art. 7 Fluggastrechte-VO erfüllt sind.
aa) Anwendungsbereich
Die Fluggastrechte-VO ist nach Art. 3 I a) Fluggastrechte-VO anwendbar für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten. Nach Art. 3 II a) Fluggastrechte-VO gilt dies unter der Bedingung, dass die Fluggäste über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und sich –wie vorgegeben und zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung einfinden.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist davon auszugehen, dass Fluggäste mit einer bestätigten Buchung dem Erfordernis, sich vor dem Flug zur Abfertigung rechtzeitig einzufinden, nachgekommen sind, wenn das Luftfahrtunternehmen sie auf dem betreffenden Flug an Bord genommen und an ihren Zielort gebracht hat….
Diese Verordnung gilt nach Art. 3 V Fluggastrechte-VO für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste erbringen. Erfüllt dabei ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht. Insofern steht der Anwendung nicht entgegen, dass der Flug Bestandteil einer Pauschalreise war und keine direkten Vertragsbeziehungen zwischen den Reisenden und B bestanden.
bb) Voraussetzungen des Art. 7 Fluggastrechte-VO
Gem. Art. 7 I b) Fluggastrechte-VO besteht für jeden Reisenden aufgrund der Verspätung von drei Stunden und 40 Minuten am Zielort ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Nach dieser Vorschrift beträgt die Höhe der Ausgleichszahlung 400 Euro bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1.500 km und 3.500 km. Die Entfernung von Deutschland nach Ägypten beträgt zwischen 1.500 km und 3.500 km.
b) Verjährung
Zu prüfen ist, wonach sich die Verjährung richtet.
aa) Deutsches Sachrecht nach Rom I-VO
Aufgrund der Auslandselemente ist zunächst kollisionsrechtlich zu bestimmen, welches Recht anwendbar ist.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bestimmt sich die Frist, innerhalb derer Klagen auf Ausgleichszahlung nach Art. 5 und Art. 7 der Fluggastrechte-VO erhoben werden müssen, nach den Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über die Klageverjährung….
Nach Art. 5 II 1. UA S. 1, 12 I d) Rom I-VO ist insoweit deutsches Sachrecht anwendbar.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beruht der Anspruch auf Ausgleichszahlung auf vertraglicher Grundlage, auch wenn er keine unmittelbare Vertragsbeziehung zwischen Schuldner und Gläubiger voraussetzt. Die Fluggastrechteverordnung ist nur dann anwendbar, wenn eine bestätigte Buchung vorliegt. Dies setzt regelmäßig das Bestehen eines Beförderungsvertrags voraus. Die in der Verordnung enthaltenen Regelungen stellen deshalb eine besondere Ausgestaltung der Rechte und Pflichten aus einem Beförderungsvertrag dar …
bb) Verjährung nach §§ 195 BGB
Die Verjährung des Anspruchs auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 Fluggastrechte-VO könnte sich nach der dreijährigen Regelverjährungsfrist des § 195 BGB mit dem Beginn nach § 199 I BGB oder der zweijährigen Verjährungsfrist des 651j BGB des Pauschalreiserechts richten. Insofern könnte die speziellere Norm des § 651j BGB die Grundnorm des § 195 BGB verdrängen. Welche Regelung einschlägig ist, bedarf der Auslegung.
Nach der Systematik des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten die Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB in der Regel auch über das Bürgerliche Gesetzbuch hinaus für alle Ansprüche des Privatrechts, sofern keine Sonderregelungen getroffen sind …
Dabei
unterliegen Ausgleichsansprüche nach Art. 5 und Art. 7 Fluggastrechte-VO auch dann nicht der zweijährigen Verjährungsfrist gemäß § 651j BGB, wenn der Flug Teil einer Pauschalreise war …
Insofern
spricht gegen eine Anwendung von § 651j BGB der Wortlaut der Vorschrift. § 651j Satz 1 BGB bezieht sich auf die in § 651i III BGB bezeichneten Ansprüche des Reisenden. Dazu gehören Ansprüche auf Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung nicht. Nach den Grundsätzen der Anspruchskonkurrenz ist die Verjährung jedes Anspruchs grundsätzlich gesondert zu beurteilen. Eine für einen Anspruch vorgesehene kurze Verjährung hat nur dann Vorrang, wenn sie nach ihrem Schutzzweck auch die konkurrierenden Ansprüche erfassen will. Letzteres ist der Fall, wenn die Befugnis des Gläubigers, nach Verjährung des einen Anspruchs auf die aus demselben Sachverhalt hergeleiteten anderen Ansprüche mit längerer Verjährung ausweichen zu können, den Zweck der besonders kurz bemessenen Verjährungsfrist vereiteln und die gesetzliche Regelung im Ergebnis aushöhlen würde ….
Dies ergibt sich aber
zwischen den von § 651j BGB erfassten Ansprüchen und Ansprüchen aus Art. 5 und Art. 7 Fluggastrechte-VO nicht. In der Regel richten sich diese Ansprüche gegen unterschiedliche Schuldner. Schon deshalb kann ein ausführendes Luftfahrtunternehmen als Schuldner der Ansprüche aus Art. 5 und Art. 7 Fluggastrechte-VO nicht darauf vertrauen, in demselben Maße gegen eine spätere Inanspruchnahme geschützt zu sein wie ein Reiseveranstalter. Dass der Reiseveranstalter im Einzelfall zugleich als ausführendes Luftfahrtunternehmen tätig sein kann, führt entgegen der Auffassung der Revision nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Ein Reiseveranstalter, der zusätzliche Funktionen übernimmt, muss die sich daraus ergebenden haftungsrechtlichen Konsequenzen in gleicher Weise hinnehmen wie ein Unternehmen, das lediglich die Beförderungsleistung erbringt.
cc) Verjährungsbeginn, § 199 I BGB
Die Verjährung beginnt nach § 199 I BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Da die Verjährung mit dem Schluss des Jahres 2019 begann, war die Verjährungsfrist 2022 noch nicht abgelaufen.
Somit ist der Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 Fluggastrechte-VO noch nicht verjährt.
Zwischenergebnis
Somit waren die geschädigten Reisenden -die Zedenten- Berechtigte, da sie einen entsprechenden Anspruch auf Ausgleichszahlung i.H.v. 800 Euro nach Art. 7 Fluggastrechte-VO haben.
Ergebnis
Somit hat K gegen B einen Anspruch auf Ausgleichszahlung i.H.v. 800 Euro nach § 398 S. 2 BGB, Art. 7 Fluggastrechte-VO.
C. Prüfungsrelevanz
Das Reiserecht ist immer wieder mal Gegenstand von Prüfungsklausuren, vorliegend auch im Zusammenhang mit IPR. Den Schwerpunkt der Entscheidung bildet die Abgrenzung der allgemeinen Verjährungsvorschrift des § 195 BGB von der speziellen des § 651j BGB. Insofern bedarf es einer Auslegung nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck.
(BGH Urt. v. 04.06.2024 – X ZR 62/23)
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