BGH zum besonderen persönlichen Merkmal bei § 153 StGB

BGH zum besonderen persönlichen Merkmal bei § 153 StGB

Zeuge oder kein Zeuge – Ist das die entscheidende Frage?

Der BGH liefert mit seinem Beschluss vom 05.02.2024 (Az. 3 StR 470/23) wieder einmal ganz feinen Prüfungsstoff. Das besondere persönliche Merkmal wird hier ungewohnt, aber äußerst lehrreich im Zusammenhang mit der uneidlichen Falschaussage behandelt. Dass der angeklagte Strafverteidiger nicht mehr freigesprochen wird, stand außer Frage. Nichtsdestoweniger dramatisch sind jedoch die Folgen, wenn es um die Höhe der Freiheitsstrafe geht.

Vorgeschichte

Alles begann mit einem Strafverfahren, das im Alltag eines Strafverteidigers wohl als „Tagesgeschäft“ einzuordnen ist. Der Mandant des Rechtsanwalts war in einen Streit verwickelt, in dessen Rahmen er eine Schreckschusspistole hervorzog und sein Gegenüber bedrohte. Natürlich war der Freispruch das Wunschergebnis der Verteidigung. Um dieses zu erreichen, hielt es der Anwalt vermeintlich für besonders gewieft, das Opfer als belastenden Zeugen zu einer falschen Aussage zu überreden. Im Zeugenstand berief sich der Geschädigte dann zur Verwunderung des Gerichts auf Alkohol- und Medikamentenkonsum, durch den er sich nicht mehr an die Tat erinnern könne. Es kam, wie es kommen musste – das Lügengerüst fiel in sich zusammen. Im Folgenden packte der Geschädigte über das wahre Geschehen und die Einflussnahme durch den Anwalt aus. Der Zeuge selbst kam auch wegen seines Geständnisses noch mit einer Geldstrafe davon, während der Strafverteidiger vom LG Aurich wegen Anstiftung zur Falschaussage und Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt wurde.

Dem schloss sich ein mehr als drei Jahre andauernder Weg durch die Instanzen an, in dem der BGH das Urteil bereits zweimal wegen des Strafausspruches unter Aufrechterhaltung der zugehörigen Feststellungen aufhob und an eine andere Strafkammer des LG Aurich bzw. an eine Strafkammer des LG Oldenburg zurückverwies. Das Gericht in Oldenburg verurteilte den Strafverteidiger schließlich zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Hiergegen richtete sich der Rechtsanwalt nun erneut im Wege der Revision.

Man mag sich fragen: Wozu das jahrelange Pingpongspiel zwischen den Landgerichten und dem BGH, das nicht nur Geld, sondern auch Nerven und Zeit kostet, wenn „nur“ eine Bewährungsstrafe im Raum steht? Für den Revisionsführer geht es jedoch um nichts Geringeres als seine berufliche Zukunft, denn nach § 14 II Nr. 2 BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung) ist seine Anwaltszulassung zu widerrufen, wenn er rechtskräftig wegen eines Verbrechens (§ 12 I StGB) zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr verurteilt wird. Hier knüpft die BRAO nämlich an den Verlust der Amtsfähigkeit in § 45 I StGB an, bei dem es nicht von Relevanz ist, ob die Freiheitsstrafe gem. § 56 II 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt wurde. Da auf tatsächlicher Ebene vermutlich „nichts mehr zu holen war“, bot sich für ihn nur noch die Gelegenheit, das Urteil mit der Revision anzugreifen, um sich auf die fehlerhafte Anwendung einer Rechtsnorm i.S.d. § 337 StGB zu stützen. Denn es stellt sich die durchaus interessante Rechtsfrage, ob die Strafe eines Anstifters zur uneidlichen Falschaussage wegen § 28 I StGB gemindert werden muss, falls es sich im § 153 StGB bei „als Zeuge“ um ein besonderes persönliches Merkmal handelt, was dem Anwalt dementsprechend fehlen würde. Läge kein Fall des § 28 I StGB vor, so fände eine Strafrahmenverschiebung nicht statt und es bliebe bei der Bestrafung des Anstifters „gleich einem Täter“ gem. § 26 StGB.

Beschluss des BGH

Weil es keinen Rechtsfehler zulasten des Revisionsführers zu erkennen vermag, verwarf der 3. Strafsenat die Revision per Beschluss als offensichtlich unbegründet, § 349 II StPO. Das Merkmal „als Zeuge“ im Rahmen des § 153 StGB stelle nämlich kein täterbezogenes, sondern ein tatbezogenes Merkmal dar.

Das Gericht näherte sich der Abgrenzung zwischen täterbezogenen Merkmalen nach § 28 I StGB und tatbezogenen Merkmalen, indem es Kriterien zur Einordnung aufstellte. Dabei stellte das Gericht zunächst fest, dass „Umstände, die eine besondere Gefährlichkeit des Täterverhaltens anzeigen oder die Ausführungsart des Delikts beschreiben,“ in der Regel tatbezogen seien. Die Abgrenzung zu täterbezogenen Merkmalen habe unter wertender Betrachtung mit Berücksichtigung des „Charakters und der Schutzrichtung des jeweiligen Tatbestandes“ zu erfolgen. Ein entscheidendes Kriterium sei hierbei die Art der Pflicht, die das jeweilige Merkmal zum Ausdruck bringen soll: Während es sich bei allgemeinen, an jedermann gerichteten Geboten eher um die Tat kennzeichnende Merkmale handele, soll bei vorstrafrechtlichen Sonderpflichten, die eher auf die Persönlichkeit des Täters Bezug nehmen, von personenbezogenen Merkmalen auszugehen sein.

Anschließend zogen die Richter schulbuchmäßig die juristischen Auslegungsmethoden heran. Nach dem Wortlaut des § 153 StGB ließe sich „als Zeuge“ als Element der Deliktshandlung identifizieren, da hiermit nur rein faktisch derjenige bezeichnet werde, der in einer zeugenschaftlichen Vernehmung falsch aussagt. Somit widerspreche die Auslegung des Wortlauts nicht der Annahme, dass es sich um ein tatbezogenes Merkmal handele.

Die Entstehungsgeschichte, zu der in einer Klausur freilich kein Sonderwissen und damit auch keine umfassenden Ausführungen erwartet werden, verwies der Senat auf die Implementierung des § 153 StGB in 1943. Die Norm diente dazu, die Strafbarkeitslücke hinsichtlich uneidlicher Falschaussagen zu schließen, da die Beeidigung, anders als in der Vergangenheit, nicht mehr obligatorisch erfolge. Dem entnahm der BGH, dass die Rechtspflege durch § 153 StGB allein vor der Gefahr von falschen Aussagen geschützt werde. Eine Sonderpflicht des Zeugen zum Schutz der Rechtspflege haben damit nicht einhergehen sollen.

Zur systematischen Auslegung richtete der BGH seinen Blick zunächst auf die Struktur und den Regelungsgehalt des Meineids nach § 154 StGB, unter den auch die beeidete Aussage der Partei im Zivilprozess nach § 452 I ZPO fällt. Das Gesetz erwähnt die Zeugeneigenschaft beim Straftatbestand des Meineids nicht, sodass der Täterkreis, anders als bei § 153 StGB, nicht beschränkt sei. Insofern gäbe es nach § 154 StGB keine Strafrahmenabstufung zwischen dem Meineid von Zeugen und von Parteien des Verfahrens, weswegen man von einem gleichwertigen Unrechtsgehalt ausgehen müsse. Legt man dies zugrunde, ergäbe sich ein erheblicher Wertungswiderspruch zwischen § 154 StGB und § 153 StGB, wenn man den § 28 I StGB bei Zeugen im Rahmen der uneidlichen Falschaussage anwenden würde: Dann fehle es bei § 154 StGB an einem besonderen persönlichen Merkmal, das den Zivilprozessparteien eine Sonderpflicht zur Wahrheit auferlege.

Auch die Schutzrichtung des § 153 StGB untermauere das Verständnis von der Zeugeneigenschaft als tatbezogenes Merkmal. Hierzu leitete der Senat her, dass §§ 153 f. StGB dem Schutz der Rechtspflege diene, indem er ein Verbot konstituiere, die (gerichtliche) Sachverhaltsfeststellung durch unwahre Aussagen zu gefährden. Hieraus folge, dass das strafbarkeitsbegründende Element in der unwahren Aussage läge und daher nicht, wie bei der Amtsträgereigenschaft (relevant bei § 340 StGB) aus einer besonderen Pflicht erwachse, die dem Täter zum Schutz des betroffenen Rechtsguts anvertraut worden sei. Die akzessorische Zurechnung nach § 26 StGB für den Teilnehmer an der uneidlichen Falschaussage beruhe folglich auf dem objektiven Eingriff in das geschützte Rechtsgut, an dem er mitgewirkt hat.

Der Zeuge nehme im Verfahren schließlich eine rein tatsächliche Stellung ein und könne nicht über die rechtliche Einschätzung seiner Aussage disponieren. Dies führe nicht zu einem persönlichen „Anvertrautsein“ des zu schützenden Rechtsguts und spräche genauso signifikant gegen die Einordnung als persönliches Merkmal wie der Umstand, dass der Zeuge diese Pflicht lediglich punktuell in der Vernehmung zu erfüllen habe. Im Anschluss werde er wieder zu einem „jedermann“, der im gleichen Umfang wie alle anderen Menschen der Rechtspflege verpflichtet sei. Dementsprechend könne der vormalige Zeuge genauso wie jeder andere außerhalb des Gerichtsgebäudes auf andere Zeugen einwirken, gefälschte Urkunden vorlegen oder unwahre Zwischenrufe im Sitzungssaal (aber außerhalb der eigenen Vernehmung) tätigen. Dies unterscheide den § 153 StGB von den Amtsdelikten und der Untreue, die als Tatbestände in besonderen persönlichen Merkmalen geprägt werden.

Da es sich um ein tatbezogenes Merkmal handele, muss der Revisionsführer mit der akzessorischen Zurechnung nach § 26 StGB leben, die der Verurteilung von einem Jahr und drei Monaten zugrunde liegt. Die verworfene Revision dürfte gleichzeitig den Schlusspunkt des seit Jahren schwelenden Verfahrens bilden. Ein Schlusspunkt, der für den Angeklagten mit dem Verlust seiner Anwaltszulassung besonders gravierende Folgen haben wird.

Fazit

Ganz klar: Das Urteil ist ein gefundenes Fressen für die Prüfungsämter. Es wird also nur eine Frage der Zeit sein, wann das ohnehin klausurrelevante Thema der besonderen persönlichen Merkmale im Kontext des § 153 StGB in den Examensklausuren auftaucht. Auch diejenigen, die zeitnah ihre Klausuren schreiben, sollten sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. Ob es nun um die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag oder die Amtsträgereigenschaft bzw. die Untreue geht – die Kenntnisse zu § 28 StGB sollten sitzen.

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