BGH zu Anforderungen an die Sinndeutung einer Äußerung

BGH zu Anforderungen an die Sinndeutung einer Äußerung

Kann ein Angehöriger eines Prominenten Unterlassung von Wort- und Bildberichterstattungen verlangen?

Ein typisches Phänomen: Die „Klatschpresse“ veröffentlicht ohne entsprechende Einwilligung Fotos von bekannten Persönlichkeiten und ihren Angehörigen inklusive einer Berichterstattung. Kann die Ehefrau eines Prominenten insofern Unterlassung sowie Schadensersatz verlangen?

A. Sachverhalt

Die Klägerin (K) ist die Ehefrau eines bekannten Fernsehmoderators HL. Die Beklagte (B) ist Verlegerin der Zeitschrift „FREIZEIT REVUE“. Darin wurden eine Wort- und Bildberichterstattungen veröffentlicht mit der Überschrift auf der Titelseite „H (…) L (…) – EHETRAGÖDIE – Aus Liebe opfert er seinen großen Traum“. Der letztgenannte Artikel befasst sich mit dem Umzug der Eheleute nach M.

K verlangt von B Unterlassung von Wort- und Bildveröffentlichungen sowie Schadensersatz für vorgerichtliche Anwaltskosten.

B. Entscheidung

K macht insofern einen Unterlassungs- sowie Schadensersatzanspruch geltend.

I. Unterlassungsanspruch

K könnte gegen B einen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Wort- und Bildberichterstattungen haben nach § 1004 I 2 BGB analog.

Ein solcher quasinegatorischer Unterlassungsanspruch nach § 1004 I 2 BGB analog setzt voraus: Sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB, Beeinträchtigung, Wiederholungsgefahr, Anspruchsgegner ist Störer, keine Duldungspflicht nach § 1004 II BGB = Rechtswidrigkeit.

1. Analoge Anwendung

In direkter Anwendung betrifft der negatorische Unterlassungsanspruch nach § 1004 I 2 BGB das Eigentum. Da dieses nicht betroffen war, kommt lediglich eine analoge Anwendung in Betracht. Eine Analogie setzt einen vergleichbaren Sachverhalt und eine planwidrige Regelungslücke voraus. Diese Voraussetzungen sind erfüllt bei einer möglichen Beeinträchtigung eines sonstigen Rechts im Sinne des § 823 I BGB.

2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 I i.V.m. 1 I GG stellt ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB dar. Unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht fällt unter anderem das Recht der Selbstbewahrung, welches das Recht eines geschützten Bereichs der persönlichen Lebensgestaltung verbürgt mit dem Schutz der Privat- und Individualsphäre. Ferner wird von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Recht der Selbstdarstellung erfasst und somit auch das Recht am eigenen Bild, wonach grundsätzlich jeder selbst entscheiden kann, ob Abbildungen seiner Person in der Öffentlichkeit erscheinen. Die Wort- und Bildberichterstattungen könnten eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der K darstellen. Insofern kommt eine analoge Anwendung des § 1004 I 2 BGB in Betracht.

3. Beeinträchtigung

Ob Wort- und Bildveröffentlichungen bezüglich einer Person eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen, bedarf einer Prüfung im Einzelfall.

Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. … Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut – der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann – und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen

Aus der Darstellung „H (…) L (…) – EHETRAGÖDIE – Aus Liebe opfert er seinen großen Traum“ ergibt sich nicht, dass die Ehe der K nach Meinung der B zu scheitern droht.

Die bereits auf der Titelseite abgedruckte Beifügung „Aus Liebe opfert er seinen großen Traum“, die im Artikel selbst wiederholt und dahingehend erläutert wird, dass der Ehemann der Kl. seinen „Traum vom Altersruhesitz im Natur-Idyll“ in B. „ausgeträumt“ und aufgegeben habe, um – zur Vermeidung einer beruflich bedingten und belastenden Fernbeziehung – nach Nordrhein-Westfalen zurückzuziehen, macht für den Durchschnittsleser deutlich, dass die „Ehe-Tragödie“ vielmehr in der vom Ehemann der Kl. getroffenen Entscheidung liegen soll, zugunsten seiner Ehe die Lebensplanung zu ändern.

Insofern besteht kein Unterlassungsanspruch.

Die Kl. macht insoweit schon keine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts geltend, sondern sieht diese allein in der – tatsächlich nicht geäußerten – Mutmaßung, der Fortbestand ihrer Ehe sei gefährdet.

Ergebnis:

K hat gegen B keinen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Wort- und Bildberichterstattungen nach § 1004 I 2 BGB analog.

II. Schadensersatzanspruch

Grundsätzlich sind Rechtsanwaltskosten als vorgerichtliche Kosten aufgrund einer Abmahnung als Schadensposten im Rahmen von § 823 I BGB gem. der nach § 249 I BGB vorausgesetzten Differenzhypothese zu berücksichtigen.

Da der Kl. hinsichtlich der Äußerung „Ehe-Tragödie“ kein Unterlassungsanspruch wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts zusteht, kann sie insoweit auch nicht den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten nach §§ 823 Absatz I, BGB § 249 BGB verlangen.

Ergebnis:

K hat gegen B keinen Schadensersatzanspruch hinsichtlich der Wort- und Bildberichterstattungen nach § 823 I BGB.

C. Prüfungsrelevanz

Unterlassungsansprüche finden nicht selten Eingang in juristische Prüfungen. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um die Wort- und Bildberichterstattung bezüglich der Ehefrau eines Prominenten in einer Zeitschrift.

Die Prüfungsrelevanz der Entscheidung ergibt sich daraus, dass zum einen ein negatorischer Unterlassungsanspruch nach § 1004 I 2 BGB von einem quasinegatorischen Unterlassungsanspruch nach § 1004 I 2 BGB abzugrenzen ist und dabei die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 I i.V.m. 1 I GG zu prüfen ist. Dabei ist dann genau auf die Bedeutung einer Äußerung im Gesamtzusammenhang einzugehen. Ferner könnten Schadensersatzansprüche nach § 823 I BGB in die Prüfung einbezogen werden.

(BGH Urt. v. 1.8.2023 – VI ZR 307/21)