Störerhaftung: OLG Frankfurt zu Prüfpflichten von Plattformbetreibern

Störerhaftung: OLG Frankfurt zu Prüfpflichten von Plattformbetreibern

Betreiber muss sowohl löschen als auch prüfen

Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast muss im Internet immer wieder Hass und Hetze erfahren und wird insbesondere auf Social Media Plattformen wie Facebook oder Instagram in Posts beleidigt oder in Form von Memes falsch zitiert. Nun hat sie in einem Streit um die Löschung eines solchen Falschzitates gegen den Facebook-Betreiber Meta einen Erfolg erzielt und sieht hierin auch ein weitreichendes Signal im Kampf gegen Hate Speech.

Worum geht es?

Renate Künast kämpft schon seit Jahren gegen Hass und Hetze im Internet und hat zusammen mit der Organisation HateAid bereits ein Grundsatzurteil gegen Meta erreicht: Damals sorgte eine Entscheidung des Landgerichts Berlin deutschlandweit für Aufsehen, da es an Künast gerichtete Facebook-Kommentare wie “Drecksau”, “Schlampe” oder “Drecksfotze” als legitime Meinungsäußerung und daher als zulässig angesehen hatte. Vor dem Kammergericht Berlin hatte sie dann nur teilweise Erfolg: Kommentare wie “kranke Frau” oder “Gehirn amputiert” waren nach Ansicht des Kammergerichts zwar überzogen und respektlos, als Politikerin hätte sie dies aber auszuhalten. Solche Kommentare würden die Schwelle zur Beleidigung nicht überschreiten und seien kein Fall einer abwägungsfreien Diffamierung. Erst vor dem BVerfG bekam Künast Recht, das die vorigen Instanzen scharf kritisierte: Die Berliner Richter haben nach Ansicht des BVerfG die Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts verkannt und sind fälschlicherweise davon ausgegangen, dass eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB nur dann vorliege, wenn die Äußerung “lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung” zu verstehen sei. Das BVerfG legte damit erstmals Grenzen dafür fest, was Politiker:innen alles hinnehmen müssen und was nicht.

Doch in dem aktuellen Fall ging es ausnahmsweise nicht um eine Beleidigung oder einen Hasskommentar, sondern um die Pflichten des Facebook Betreibers Meta zur Löschung eines sogenannten Falschzitates. Ein solches liegt in der Regel dann vor, wenn einer realen Person ein Zitat zugeordnet wird, das die Person aber nie getätigt hat. In dem Fall von Renate Künast postete ein User ein Meme, das die Bundestagsabgeordnete mit Foto, Vor- und Nachnamen zeigt und mit einer Fakeaussage in Verbindung bringt - im Meme steht folgendes: “Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!”

Künast klagte hiergegen erneut mit der Unterstützung der Organisation HateAid vor dem Frankfurter Landgericht auf Unterlassung und Schadensersatz. Das LG verpflichtete Meta sodann, es zu unterlassen, das Meme sowie identische Inhalte öffentlich zugänglich zu machen. Meta legte Berufung ein, scheiterte damit aber vor dem OLG, das die Löschpflicht kerngleicher Inhalte bestätigte.

Allgemeines Persönlichkeitsrecht war nicht die Streitfrage

Im Berufungsverfahren wurde jedoch nicht darüber gestritten, ob das Meme Künasts Allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzte - eine solche Verletzung lag unstreitig vor. Den wesentlichen Kern des Verfahrens bildete hingegen die Rechtsfrage, inwiefern die Kenntnis über vorangegangene Rechtsverletzungen den Plattformbetreiber verpflichtet: Muss der Plattformbetreiber selbst aktiv werden, um die Veröffentlichung ähnlicher Inhalte zu verhindern? Oder muss er sie nach Veröffentlichung umgehend löschen? Darf er hierfür Tools oder Künstliche Intelligenz nutzen oder müssen die Inhalte von Menschen geprüft werden? Es ging also grundsätzlich um die Frage, unter welchen Voraussetzungen Plattformbetreiber einer Prüf- und Verhaltenspflicht in Bezug auf sinngleiche Inhalte unterliegen.

Meta trug hierzu vor, dass eine händische Identifikation von Inhalten durch menschliche Mitarbeiter aufgrund der Vielzahl täglich hochgeladener Inhalte faktisch ausgeschlossen sei. Zudem habe das Landgericht die Handlungen nicht präzise genug bestimmt, die Meta nun vornehmen müsse - insbesondere habe es keine Kriterien genannt, anhand derer eine Software-gestützte, automatisierte Prüfung der Inhalte erfolgen könne.

Pflichten der Betreiber ergeben sich aus der Störerhaftung

Das OLG bestätigte jedoch die Rechtsauffassung des Landgerichts und stützte den Unterlassungsanspruch auf §§ 1004 I 2 (analog), 823 I BGB in Verbindung mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 GG sowie Art. 8 I der Europäischen Menschenrechtskonvention). Hierbei handelt es sich um die sogenannte Störerhaftung: Meta als Betreiber der Plattform wird also nicht die Rechtsverletzung einer einzelnen Person zugerechnet, sondern der Betreiber wird hier selbst zum mittelbaren Störer. Wie weit die Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern reicht, wurde in der Rechtsprechung bereits zahlreich diskutiert: Die zentrale Voraussetzung ist die Kenntnis einer Rechtsverletzung bzw. der diese begründenden Tatsachen. Die Kenntnis löst die Pflicht zur unverzüglichen Löschung aus. Dieser Pflicht sei Meta hier aber nur teilweise nachgekommen und löschte zwar den ersten Post, nachdem Künast Meta mit anwaltlichem Schreiben darauf hingewiesen hatte. Die darauf folgenden Memes wurden von Meta aber nicht eigenständig, sondern erst nach erneutem Hinweis entfernt. Und hierin liegt das Problem: Denn bereits der erstmalige Hinweis auf eine Rechtsverletzung löst neben der Löschpflicht auch weitere Prüfpflichten im Hinblick auf identische Inhalte aus.

Künast sieht in der Entscheidung zur Beseitigungspflicht einen Meilenstein für das Persönlichkeitsrecht. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sog. Host Provider eine Prüf- und Verhaltenspflicht in Bezug auf sinngleiche Inhalte treffe, hat das OLG die Revision zugelassen. Möglicherweise kommt es in Karlsruhe dann zu einer weiteren Grundsatzentscheidung, die Künast im Kampf gegen Hass im Netz vorangetrieben hat.