VG Würzburg zu den Bauernprotesten

VG Würzburg zu den Bauernprotesten

Dürfen die Bauern die Autobahn A3 blockieren?

Die Bahn wird bestreikt, das Wetter ist unbeständig und die Winterurlauber kehren zurück. Also ist ohnehin schon viel los auf bayerischen Autobahnen. In dieser Entscheidung hat sich das VG Würzburg damit auseinandergesetzt, ob im konkreten Fall das Versammlungsrecht der Landwirte soweit ging, zusätzlich noch die A3 und damit eine ganze Region lahmzulegen.

A. Vereinfachter Sachverhalt

A zeigt am 9. Januar 2024 per Mail gegenüber dem Landratsamt für Freitag, den 12. Januar 2024, die Vollblockade eines Teilstücks der Bundesautobahn (BAB) A3 als Versammlung an. Dabei plant er mit etwa 2000 Teilnehmer großteils mit Traktoren, dass die Autobahn für viereinhalb Stunden blockiert würde. Die Hauptthemen der Versammlungen seien insbesondere die Bereiche Lkw-Maut, CO2-Steuer und Agrardiesel. Im Kooperationsgespräch mit dem Landratsamt gibt A an, es bestünde ein Autobahnbezug, da es auch um die Mauterhöhung und Spritpreise ginge. Auf der geplanten Strecke besteht eine Mautpflicht für Lkw. Eine fünf Meter breite Rettungsgasse werde für Rettungsfahrzeuge freigehalten.

Das Landratsamt äußert Bedenken, da es sich bei dem Streckenabschnitt um einen der frequentiertesten in Bayern handele, die Gewerkschaft der Lokführer am gleichen Tag streike und die Weihnachtsferien in Hessen endeten, was voraussichtlich zu einem weiter erhöhten Verkehrsaufkommen führen werde. Die Ausweichstrecke sei kurvenreich und leide unter lokalen Wetterschwankungen, wodurch es schon im Normalfall häufig zu Unfällen komme. Durch Rückstau und offene Stauenden steige die Gefahr schwerer Unfälle. Auch nach Ende der Versammlung bestünde noch für einige Stunden eine erhöhte Unfallgefahr, da die Staus sich nur langsam auflösten. Insofern bestünden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit konkrete Gefahren für das Leben, die Gesundheit, das Eigentum sowie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Diese ließen sich auch nicht durch polizeiliche Sicherungsmaßnahmen verhindern, da das Staugeschehen zu dynamisch sei und nicht vorhersehbar sei, wohin überall sich der Verkehr verlagere.

Nach Gelegenheit zur Stellungnahme des A übt das zuständige Landratsamt sein Ermessen aus und erlässt am 11. Januar 2024 einen Bescheid, in dem es in Ziffer 3 festlegt, dass die Versammlung nur auf der parallel zur Autobahn verlaufenden Bundesstraße B 26 stattfinden darf. Auch die Bundesstraße ist eine wichtige Verbindungsstraße und für Lkw mautpflichtig. Der Bescheid wird formell ordnungsgemäß begründet.

A fühlt sich in seinen Grundrechten verletzt. Allein die Sperrung der Autobahn sei ausreichend öffentlichkeitswirksam für sein Anliegen.

A erhebt noch am 11. Januar 2024 Klage gegen den Bescheid und beantragt beim zuständigen VG Würzburg im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dass die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffer 3 des Bescheids vom 11. Januar 2024 angeordnet wird.

Hat sein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz Aussicht auf Erfolg?

Bearbeitungshinweise:

  1. Gehen Sie davon aus, dass aufgrund landesrechtlicher Regelungen kein Vorverfahren durchgeführt werden musste.

  2. Art. 25 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) regelt, dass Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz keine aufschiebende Wirkung haben.

  3. Gehen Sie im Übrigen davon aus, dass das BayVersG dem Bundesversammlungsgesetz und das Bayerische Verwaltungsverfahrensgesetz dem Bundesverwaltungsverfahrensgesetz entspricht.

B. Entscheidung

Der Antrag hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und soweit er begründet ist.

I. Zulässigkeit

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Da keine aufdrängende Sonderzuweisung ersichtlich ist, müsste der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I 1 VwGO eröffnet sein. Dafür müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben sein. Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht entstammen. Streitentscheidend sind hier Normen des Versammlungsrechts und damit Normen, die die Versammlungsbehörde als Hoheitsträger berechtigen und verpflichten. Damit handelt es sich um öffentlich-rechtliche Normen und die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich. Die Streitigkeit ist auch nicht-verfassungsrechtlicher Art. A ist eine Privatperson, sodass keine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit vorliegt. Auch eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.

2. Statthafte Rechtsschutzform

Die statthafte Rechtsschutzform richtet sich gemäß §§ 122 I, 88 VwGO nach dem Begehren des Antragstellers. Der Antragsteller begehrt hier einstweiligen Rechtsschutz. Gemäß § 123 V VwGO sind die §§ 80, 80 a VwGO gegenüber § 123 VwGO dabei vorrangig. In Betracht kommt § 80 V 1 VwGO. Voraussetzung ist, dass sich A gegen die Vollziehung eines sofort vollziehbaren und nicht erledigten Verwaltungsakts wehrt. Bei dem Bescheid handelt es sich um einen nicht erledigten Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG. Die Klage gegen diesen hat nach § 80 II 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung. A begehrt daher nach § 80 V 1 Alt. 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.

3. Antragsgegner

Richtiger Antragsgegner ist nach dem in § 78 I Nr. 1 VwGO normierten Rechtsträgerprinzip der Freistaat Bayern.

4. Rechtsschutzbedürfnis

Da der Rechtsschutz im einstweiligen Verfahren nicht weiter gehen darf als in der Hauptsache, darf die in der Hauptsache angestrebte Anfechtungsklage nicht offensichtlich unzulässig sein. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Insbesondere ist A in der Hauptsache nach § 42 II VwGO klagebefugt, da er möglicherweise in seiner Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG verletzt sein könnte. Auch bedurfte es vor der Klageerhebung keines Vorverfahrens.

5. Zwischenergebnis

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig.

II. Begründetheit

Der Antrag müsste auch begründet sein. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 V 1 Alt. 1 VwGO ist begründet, wenn das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung (Vollzugsinteresse) gegenüber dem Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung (Suspensivinteresse) überwiegt.

Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtsreich, so wird das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stärker zu gewichten sein als das gegenläufige Interesse des Antragsgegners. Umgekehrt wird eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage grundsätzlich nicht in Frage kommen, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtslos darstellt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu beurteilen, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen nicht außer Acht gelassen werden. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (…). Auch die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 GG ist in diesem Rahmen zu berücksichtigen.

Zu prüfen sind daher die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage. Es bestehen – wie schon dargelegt – keine Bedenken gegen deren Zulässigkeit. Die Anfechtungsklage ist nach § 113 I 1 VwGO auch begründet, wenn der Bescheid des Landratsamts rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

Der Bescheid ist rechtswidrig, wenn er nicht auf einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage beruht, formell oder materiell rechtswidrig ist.

1. Ermächtigungsgrundlage

Rechtsgrundlage für die Verlegung des Versammlungsortes ist Art. 15 Abs. 1 BayVersG (bzw. § 15 I VersG). Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde eine Versammlung insbesondere beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

2. Formelle Rechtmäßigkeit

Der Bescheid ist auch formell rechtmäßig. Insbesondere handelte die zuständige Behörde und A wurde nach Art. 28 I BayVwVfG (entspricht § 28 I VwVfG) angehört.

3. Materielle Rechtmäßigkeit

Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage erfüllt sind und eine taugliche Rechtsfolge gewählt wurde.

1. Tatbestandsvoraussetzungen

Bei der Veranstaltung müsste es sich um eine Versammlung iSd Art. 15 I BayVersG (bzw. § 15 I VersG) handeln.

Eine Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (…). Weitgehend übereinstimmend definiert Art. 2 Abs. 1 BayVersG (das Bundesversammlungsgesetz enthält keine Legaldefinition des Versammlungsbegriffs, es wird aber der gleiche Versammlungsbegriff verwendet) Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes als Zusammenkünfte von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.

Weiter müsste die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet sein.

Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die gesamte Rechtsordnung und damit auch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, welche die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln (…).

Eine Gefahr ist eine Sachlage, die aus ex-ante-Perspektive bei ungehindertem Fortgang mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in einen Schaden münden wird. Dabei sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit umso geringer, je höherwertiger das gefährdete Schutzgut ist. Eine Gefahr ist unmittelbar, wenn das Schadensereignis schon eingetreten ist oder mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Versammlung eintreten wird.

Die vom Antragsteller angezeigte Versammlung ist mit einer mehrstündigen Vollsperrung der BAB 3 (Dauer von über 4 Std. der eigentlichen Demonstrationsveranstaltung von 13:30 Uhr bis 18:00 Uhr) im Bereich … verbunden. (…)

Damit ergeben sich angesichts der Tatsache, dass es sich bei der BAB 3 auch im entsprechenden Streckenabschnitt um eine hoch frequentierte Bundesfernstraße handelt (…), zum einen konkrete Gefahren im Hinblick auf die Erhöhung der Unfallwahrscheinlichkeit auf der Versammlungsstrecke selbst durch die auf- und abfahrenden Traktoren und landwirtschaftlichen Gespanne und den in der Folge entstehenden Stauenden (…).

Die Verkehrspolizeiinspektion (…) hat hierbei zugleich aufgezeigt, dass am Beginn der Versammlungsörtlichkeit … eine von mehreren Unfallhäufungsstellen im unmittelbaren Einzugsbereich liegt, was neben dem gesteigerten Unfallaufkommen am sog. „Kauppen“ (…) verschärfend zu beachten ist.

Zum anderen hat insbesondere die Fachstelle (…) dargelegt, dass Kapazitäten für Bedarfsumleitungen des betroffenen Durchgangsverkehrs nicht ausreichend vorhanden sind, womit eine massive Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs einhergeht. Das nachgeordnete Straßennetz ist nicht ausreichend leistungsfähig, um die im Falle einer Vollsperrung der BAB 3 auszuleitenden Verkehrsteilnehmer aufzunehmen (…). Dabei hat die Fachstelle darauf hingewiesen, dass die Kreisstraßen im betroffenen Bereich im bayernweiten Vergleich schon im Normalbetrieb hochbelastet sind.

(…)

Hinsichtlich des Verkehrsaufkommens und der davon ausgehenden Unfallgefahren, die sowohl die BAB 3 als auch die betroffenen Ausweichstrecken betreffen, ist im konkreten Versammlungszeitraum an einem Freitag Nachmittag zusätzlich in Blick zu nehmen, dass verstärkt mit Berufsverkehr zu rechnen ist und dass die Straßen durch den Bahnstreik der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) sowie das Ferienende in Hessen am 13. Januar 2024 vermehrt frequentiert sind. Die hiervon ausgehenden Behinderungen des Verkehrs und Staugefahren verstärken die Gefahren im Hinblick auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zusätzlich.

Auch die

durch eine beschränkte Befahrbarkeit des BAB 3 negative Beeinflussung der Rettungs- und Hilfeleistungszeiten aufgrund von zeitlichen Verzögerungen sind (… ) im Hinblick auf eine unmittelbare Gefährdung für Leib und Leben von Unbeteiligten besonders in Blick zu nehmen und ist evident.

Damit stellt sich die Gefahrenprognose des Landratsamts Aschaffenburg als tragfähig dar. Eine sich über einen erheblichen Zeitraum von über vier Stunden erstreckende Vollsperrung der BAB 3 bei der gegebenen Verkehrsbelastung und fehlender leistungsfähiger Bedarfsumleitungen bedeutet eine unmittelbare Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und darüber hinaus höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit.

Die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlage liegen vor.

2. Rechtsfolge

Es müsste auch eine rechtmäßige Rechtsfolge gewählt worden sein.

Die Verlegung der Versammlung stellt eine Maßnahme i.S.v. Art. 15 Abs. 1 BayVersG (bzw. § 15 I VersG) dar. Dabei kann offenbleiben, ob es sich um eine bloße Beschränkung (in der Terminologie der VersG: Auflage) oder um ein faktisches Verbot der angezeigten Versammlung handelt.

Art. 15 Abs. 1 BayVersG (bzw. § 15 I VersG) sieht auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen der Versammlungsbehörde vor, das heißt (auch) bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage steht die Anordnung von Beschränkungen der Versammlung im Ermessen der Behörde, das diese im Rahmen des Art. 40 BayVwVfG (bwz. § 40 VwVfG) unter Berücksichtigung der Grundrechte des Antragstellers und Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszuüben hat. Insoweit ist die Ermessensausübung der Versammlungsbehörde durch die Gerichte nach § 114 Satz 1 VwGO überprüfbar.

Das heißt, die Ermessensausübung der Versammlungsbehörde ist auf Ermessensfehler hin zu überprüfen.

Es darf also kein Ermessensausfall vorliegen (vgl. Art. 15 I BayVersG bzw. § 15 I VersG die Ermessen vorschreiben), von dem Ermessen darf nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sein (vgl. § 114 S. 1 Alt. 2 sog. Ermessensfehlgebrauch) und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens dürfen nicht überschritten worden sein (vgl. § 114 S. 1 Alt. 1 sog. Ermessensüberschreitung).

Hier hat die Versammlungsbehörde in Bezug auf die Verlegung des Versammlungsorts das ihr auf Grundlage von Art. 15 Abs. 1 BayVersG (bzw. § 15 I VersG) zustehende Ermessen erkannt

und ausgeübt. Dabei hat sie von ihrem Ermessen auch in einer dem Zweck des Versammlungsgesetzes entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.

Die Versammlungsbehörde darf auch die Grenzen des Ermessens nicht überschritten haben. Insbesondere darf die Maßnahme keinen unverhältnismäßigen Eingriff in Art. 8 GG darstellen. Die Maßnahme müsste dafür einem legitimen Zweck dienen, geeignet, erforderlich und auch angemessen sein.

aa) Legitimer Zweck

Die Maßnahme dient mit der Abwehr von Gefahren für Leib und Leben von Menschen einem legitimen Zweck.

bb) Geeignetheit und Erforderlichkeit

Die örtliche Verlegung der Versammlung auf die Bundestraße B 26 … ist geeignet und erforderlich, um den dargelegten Gefahren zu begegnen. Eine andere, in gleicher Weise geeignete und die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) des A weniger beeinträchtigende Maßnahme, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist aufgrund der der Gefahrenprognose zugrundeliegenden Erkenntnisquellen auszuschließen, dass die Anwendung eines vorausschauenden Verkehrslenkungs- und Sicherheitskonzepts (…) in Betracht kommt, um negative Auswirkungen bei Durchführung der angezeigten Versammlung zu verhindern. Die dargelegten Beeinträchtigungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der BAB 3 selbst und einer Inanspruchnahme des nachgeordneten Straßennetzes wiegen zu schwer, um dadurch eine Minimierung der aufgezeigten Gefahren auf ein vertretbares Maß erreichen zu können. Hierbei spielen auch die besonderen Umstände des konkreten Veranstaltungszeitraums – Freitag Nachmittag, Ferienende in Hessen, Bahnstreik, Witterungsverhältnisse – eine entscheidende Rolle.

cc) Angemessenheit

Die genannte Beschränkung bewirkt auch einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Versammlungsgrundrecht des A auf der einen und dem dagegen abzuwägenden Schutzgut des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auf der anderen Seite. Auch wenn Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich dem Veranstalter das Recht einräumt, den Zeitpunkt und den Ort der Versammlung selbst zu bestimmen, so ist es zur Gewährleistung des geringstmöglichen Eingriffes möglich, dass gegenüber dem Antragsteller ein alternativer Standort bestimmt wird. Hierbei ist auch von Bedeutung, ob durch die Auflage die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beseitigt werden kann, ohne den durch das Zusammenspiel von Motto und geplanten Veranstaltungsort geprägten Charakter der Versammlung erheblich zu verändern (…). Hieran gemessen ist es dem Antragsteller auch unter Berücksichtigung des hohen Stellenwerts des Versammlungsgrundrechts zumutbar, seine kommunikativen Anliegen im Wege einer Kundgebung an einem alternativen, in unmittelbarer Nähe der beantragten Versammlungsfläche gelegenen Versammlungsort, weil parallel zur Autobahn verlaufenden, Bundesstraße 26 zum Ausdruck zu bringen.

(…)

Die Verlegung des Versammlungsortes hat – anders als A meint – auch nicht zur Folge, dass die beabsichtigte Öffentlichkeitswirkung als Demonstrationszweck in wesentlichen Punkten bzw. komplett entfallen würde. Auf der vorgesehenen Bundesstraße, die eine wichtige Verbindungsstraße im Landkreis Aschaffenburg darstellt, ist vielmehr mit einer zumindest in etwa gleichwertigen öffentlichen Wahrnehmung der Demonstrationsthemen zu rechnen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Versammlungsthemen „Maut, Autobahn, Co2-Steuer, Agrardiesel, Gastro-MwSt“ nur einen mittelbaren Bezug zur Autobahn und keinen Bezug zu dem konkret betroffenen Teilabschnitt der BAB 3 aufweisen. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass der Kontext nicht auch durch die Inanspruchnahme der Bundesstraße B 26 in unmittelbarer Autobahnnähe gewahrt werden kann.

(…)

Nach allem entspricht es der praktischen Konkordanz zwischen der Versammlungsfreiheit sowie den durch die Versammlung beeinträchtigten Rechtsgütern, den Versammlungsort – wie im streitgegenständlichen Bescheid auch im Übrigen ermessensfehlerfrei angeordnet – abzuändern.

Dies zugrunde gelegt, erweist sich die Regelung hinsichtlich der Verlegung des Versammlungsorts als rechtmäßig.

Die in der Hauptsache eingelegte Anfechtungsklage hat daher offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Daher überwiegt insofern das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat keine Aussicht auf Erfolg.

C. Prüfungsrelevanz

Die Entscheidung behandelt ein medial präsentes aktuelles Thema. Gleichzeitig geht es inhaltlich aber um einstweiligen Rechtsschutz und Versammlungsrecht und damit um “alte” Prüfungsklassiker. Mehr Prüfungsrelevanz geht also kaum.

(VG Würzburg, Az. W 5 S 24.109)