BGH zur gefährlichen Körperverletzung (durch Unterlassen)

BGH zur gefährlichen Körperverletzung (durch Unterlassen)

Voraussetzungen der Qualifikation des Unterlassenstatbestandes

Diese Entscheidung des BGH befasste sich mit den Voraussetzungen der gefährlichen Körperverletzung und der Problematik der Qualifikation der gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen. Hinzu kommt die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Beteiligung. Diese Fälle sind in der Praxis zwar seltener, gehören jedoch zum prüfungsrelevanten Wissen und reichen über die Prüfung einer “normalen” gefährlichen Körperverletzung hinaus.

A. Sachverhalt

Zwischen dem N – der an einer paranoiden Schizophrenie leidet und sich in einem aktuell psychotischen Zustand befindet – und anderen Personen kommt in einem Hinterhof zu einer körperlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der zunächst nicht daran beteiligte T an den N herantritt und ihn mit seinen Händen leicht nach hinten stößt. Anschließend versetzte er ihm unvermittelt und grundlos einen wuchtigen Faustschlag ins Gesicht, so dass N zu Boden stürzt. Als dieser gerade dabei ist, sich wiederaufzurichten und sich in der Hocke befindet, tritt ihm der T schwungvoll und mit zwei Schritten Anlauf gezielt mit seinem mit einem Turnschuh mit weicher Sohle beschuhten rechten Fuß wuchtig ins Gesicht. N fällt infolgedessen zu Boden und bleibt liegen, wobei er kurzzeitig sein Bewusstsein verliert.

T ruft seine Lebensgefährtin zu Hilfe. Gemeinsam verbringen sie den N in eine offene Garage, wo er bis zu seinem späteren Tod verbleibt. T verlässt die Garage mehrmals, um zu rauchen. Er erkennt, dass sich N aufgrund seiner akut psychotischen Symptomatik in Not befindet und fachärztlicher Hilfe bedarf. Er entscheidet jedoch zusammen mit seiner Lebensgefährtin – auch in der Hoffnung, dass die vorherige Tat zunächst unentdeckt bleibt – keine fachärztliche Hilfe zu organisieren, sondern sich selbst um dessen Zustand zu kümmern. Dabei nimmt T eine Verlängerung des Leidens des N in Kauf, das durch die Gabe von Medikamenten nach kurzer Zeit hätte gelindert werden können. Aufgrund seiner akuten Psychose schreit N wiederholt laut auf, nässte sich ein, übergibt sich und krampft, was T dazu bewegt, eine gewisse Menge Salz in einem Glas Wasser zu lösen, welches N sodann trinkt. Ferner werden ihm Cannabisprodukte angeboten. Bei dieser Gelegenheit wird N von T zudem gewürgt und ihm wird der Mund zugehalten. Anschließend schreibt T an zwei Zeuginnen per SMS „Wir versuchen ihn am Leben zu halten.“ N verstirbt wenige Stunden später in der Garage im Beisein von T. Todesursächlich ist entweder das Würgen oder die Einwirkung einer zu großen Menge Salz auf den Organismus von N. Der T wird vom Tod des N überrascht; er hatte sich nicht vorgestellt, dass sein Handeln für N tödlich endet.

Wie hat sich T strafbar gemacht?

B. Entscheidung

I. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 5 StGB

T könnte sich in Fall 1 wegen gefährlicher Körperverletzung nach den §§ 223 I, 224 I Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht haben, indem er den N mit seinem Turnschuh ins Gesicht getreten hat.

1. Objektiver Tatbestand

a) Körperverletzung, § 223 I StGB

Dazu müsste T eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben. Eine „körperliche Misshandlung“ ist jede üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt, wobei sich die Beurteilung der Erheblichkeit dabei nach der Sicht eines objektiven Betrachters – nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen – bestimmt und sich insbesondere nach der Dauer und der Intensität der störenden Beeinträchtigung richtet (vgl.BGH, Urteil vom 14. 1. 2009 - 1 StR 158/08, Tz. 36). Als „Gesundheitsbeschädigung“ ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes anzusehen, wobei es insoweit nicht darauf ankommt, auf welche Art und Weise die Beeinträchtigung erfolgt ist (s. BGH, Beschl. v. 26.2.2015 − 4 StR 548/14).

T tritt dem N mit seinem beschuhten Fuß ins Gesicht, so dass dieser zu Boden geht und kurzzeitig das Bewusstsein verliert. Der Tritt ins Gesicht ist eine mit Schmerzen verbundene „üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper“ des N, die auch einen pathologischen Zustand hervorgerufen hat. T hat den N am Körper verletzt.

b) Qualifikation, § 224 I Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 5 StGB

Fraglich ist, ob T auch einen Qualifikationstatbestand i.S.v. § 224 I StGB verwirklicht hat.

aa) Gefährliches Werkzeug (Nr. 2 Alt. 2)

T könnte die Körperverletzung mittels „eines anderen gefährlichen Werkzeugs“ (§ 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB) begangen haben, indem er den N mit seinem beschuhten Fuß ins Gesicht getreten hat. Dazu müsste es sich bei dem von T getragenen Schuh um ein solches „Werkzeug“ handeln. Dazu der BGH:

„(…) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, ob der Schuh am Fuß des Täters als ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen ist, auf die Umstände des Einzelfalls an, unter anderem auf die Beschaffenheit des Schuhs sowie darauf, mit welcher Heftigkeit und gegen welchen Körperteil getreten wurde. Ein Straßenschuh von üblicher Beschaffenheit stellt regelmäßig ein gefährliches Werkzeug dar, wenn damit einem Menschen gegen den Kopf getreten wird. Das gilt jedenfalls für Tritte in das Gesicht des Opfers. Entsprechendes ist anzunehmen, wenn der Täter Turnschuhe der heute üblichen Art trägt (…). Danach drängt es sich den Feststellungen zufolge auf, dass es sich bei dem Turnschuh, mit dem der [T] dem [N] schwungvoll und mit zwei Schritten Anlauf wuchtig ins Gesicht trat, so dass dieser rückwärts zu Boden fiel und kurzzeitig bewusstlos wurde, um ein gefährliches Werkzeug handelte.“

Die Einordnung als „gefährliches Werkzeug“ i.S.v. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB ist ebenfalls schon für einen „Freizeitschuh“ aus Stoff und Leder mit Gummisohle (BGH, Urt. v. 28.8.2019 – 5 StR 298/19, Rn. 11) sowie für einen Straßenschuh von üblicher Beschaffenheit in Form von „Lederslippern“ (BGH, Beschl. v. 13.5.2015 – 2 StR 488/14) erwogen worden, sofern damit gegen den Kopf eines Menschen bzw. in dessen Gesicht getreten worden ist. Für die Beurteilung der Gefährlichkeit der als Tatwerkzeug eingesetzten Schuhe von indizieller Bedeutung sind dabei jeweils die erlittenen Verletzungen (BGH, Urteil vom 15. 9. 2010 - 2 StR 395/10 Der Geschädigte hatte nach der Tat erhebliche Schwellungen und Blutergüsse im Gesicht; sein rechtes Ohr war „schwarz angelaufen”).

T hat die Körperverletzung demgemäß mittels eines gefährlichen Werkzeugs begangen (Nr. 2 Alt. 2).

Hinweis: Das Landgericht hat den T wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Dagegen richtete sich die zuungunsten des T eingelegte, auf die Sachrüge gestützte und auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Der 6. Strafsenat des BGH hat die Revision für begründet erachtet, weil das Landgericht zwar die Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, nicht aber diejenigen von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB bejaht hat. Für den Schuldspruch („wegen gefährlicher Körperverletzung“) kommt es darauf nicht an, aber auf den Rechtsfolgen- bzw. Strafausspruch. Bei der Strafzumessung kann zu Lasten des T nach § 46 StGB berücksichtigt werden, dass im Rahmen des Tatgeschehens zwei Qualifikationen im Rahmen des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 24.03-1994 - 4 StR 656/93 zur Verwirklichung mehrerer Alternativen des § 250 Abs. 1 StGB). Deswegen vermochte der Senat „(…) nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Bewertung das Vorliegen auch des qualifizierenden Merkmals nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB als gegeben angesehen und auf eine höhere Strafe erkannt hätte.“

bb) Lebensgefährdende Behandlung (Nr. 5)

Fraglich ist weiter, ob T die Körperverletzung auch mittels einer das Leben des N gefährdenden Behandlung (§ 224 I Nr. 5 StGB) begangen hat. Zwar muss die entsprechende Tathandlung nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall. Um die gegenüber der einfachen Körperverletzung nach § 223 I StGB höhere Strafandrohung begründen zu können, kommt es maßgebend auf die Gefährlichkeit der Behandlung, nicht aber auf die eingetretenen Verletzungen an. Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung darstellen, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (vgl. nur BGH, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 StR 267/22, Rn. 9). Das gleiche gilt für Tritte gegen den Kopf; sie sind als solche für das Leben des Getretenen generell gefährlich (BGH, Beschluss vom 20. 2. 2013 - 1 StR 585/12, Rn. 18). Das war hier der Fall: T hat dem N schwungvoll und mit zwei Schritten Anlauf gezielt mit seinem beschuhten Fuß „wuchtig“ (also „heftig“) ins Gesicht getreten, wodurch der N auch kurzzeitig sein Bewusstsein verloren hat.

T hat die Körperverletzung daher auch einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen (Nr. 5).

c) Zwischenergebnis

T hat den objektiven Tatbestand des §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 5 StGB erfüllt.

Hinweis: siehe zu den Prüfungsanforderungen im Rahmen der §§ 223, 224 StGB auch unsere Beiträge hier sowie hier.

2. Subjektiver Tatbestand

T hat auch vorsätzlich hinsichtlich aller o.g. objektiven Merkmale der §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 5 StGB gehandelt. Er hat zumindest mit dolus directus 2. Grades (sicheres Wissen) gehandelt.

3. Zwischenergebnis

Rechtfertigungs- und/oder Schuldausschließungsgründe zu Gunsten von T sind nicht ersichtlich, so dass er sich hier – durch eine Handlung im natürlichen Sinne (Tritt gegen den Kopf) – wegen einer gefährlichen Körperverletzung (§§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 5 StGB) strafbar gemacht.

II. Gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen, §§ 223 I, 224 I Nr. 4, 13 I StGB

T könnte sich in Fall 2 wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen nach den §§ 223 I, 224 I Nr. 4, 13 I StGB strafbar gemacht haben, indem er sich in Absprache mit seiner Lebensgefährtin nicht um den N in der Garage gekümmert bzw. keine ärztliche Hilfe hinzugezogen hat.

„(1) Nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich schuldig, wer die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) mit einem Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Um das gegenüber dem Grundtatbestand verdoppelte Strafhöchstmaß zu rechtfertigen, setzt diese Qualifikation eine Beteiligung voraus, die im konkreten Fall zu einer erhöhten abstrakten Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Opfer führt (…). Eine solche liegt insbesondere vor, wenn mindestens zwei Angreifer handeln und damit eine größere Zahl an Verletzungen beibringen können (…), wenn die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers durch die Anwesenheit mehrerer Beteiligter tatsächlich oder vermeintlich eingeschränkt sind (…) oder wenn der die Körperverletzung unmittelbar ausführende Täter durch einen weiteren Beteiligten in seinem Willen hierzu bestärkt wird (…).

(2) Die gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB kann durch Unterlassen begangen werden.

Der Gesetzeswortlaut lässt insoweit keine Einschränkung erkennen, sodass die allgemeinen Regeln einschließlich des Begehens durch Unterlassen nach § 13 StGB Anwendung finden. Zu diesem Normverständnis drängen insbesondere auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Deren Neufassung durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) sollte zuvörderst dem Anliegen Rechnung tragen, dem Schutz körperlicher Unversehrtheit größeres Gewicht zu verleihen (…). Eingedenk dieses erstrebten effektiven Rechtsgüterschutzes ist bei der Anwendung von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB in den Blick zu nehmen, dass auch einer Tatbeteiligung durch Unterlassen – nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls – die erhöhte Gefahr erheblicher Verletzungen bzw. die Einschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten innewohnen kann. Für die Annahme einer gesteigerten Gefährlichkeit bei gemeinschaftlicher Begehung mit einem anderen aktiv handelnden Beteiligten genügt allerdings die Anwesenheit einer sich lediglich passiv verhaltenden Person ebenso wenig (…) wie das bloße gleichzeitige Agieren von Beteiligten an einem Ort, wenn jedes Opfer nur einem Angreifer ausgesetzt ist (…). Dementsprechend kann allein das gleichzeitige Unterlassen mehrerer Garanten im Sinne einer reinen Nebentäterschaft den Tatbestand nicht erfüllen. Die hierfür erforderliche höhere Gefährlichkeit wird aber regelmäßig gegeben sein, wenn sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zu einem Nichtstun verabreden (…) und mindestens zwei handlungspflichtige Garanten zumindest zeitweilig am Tatort präsent sind. Denn die getroffene Vereinbarung und die damit einhergehende Verbundenheit verstärken wechselseitig den jeweiligen Tatentschluss, die gebotene Hilfe zu unterlassen, was zusätzlich zu dem gefahrsteigernden gruppendynamischen Effekt die Wahrscheinlichkeit verringert, dass einer der Garanten der an ihn gestellten Verpflichtung gerecht wird.

So liegt der Fall hier. Ausweislich der Feststellungen vereinbarten [der T und seine Lebensgefährtin] am Vormittag (…) ausdrücklich, sich selbst um den Zustand der [N] zu kümmern und keine ärztliche Hilfe zu holen. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist weiterhin zu entnehmen, dass sich [beide] an diese Verabredung gebunden fühlten, was zur Folge hatte, dass sie bis zuletzt auf das Hinzuziehen professioneller Hilfe verzichteten, obgleich insbesondere die Zeuginnen [die der T kontaktiert hatte] hierzu anhielten. Die Verabredung bestärkte die [T] in [seiner] Entscheidung und hatte somit auf das Tatgeschehen bestimmenden Einfluss.“

T, der auch insoweit vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, hat sich in Fall 2 wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen nach §§ 223, 224 I Nr. 4 StGB strafbar gemacht.

III. Versuchter Totschlag durch Unterlassen, §§ 212 I, 22, 23 I, 13 I StGB

T hat sich nicht wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen nach den §§ 212 I, 22, 23 I, 13 I StGB strafbar gemacht. N ist zwar in der Garage zu Tode gekommen und dafür war auch entweder das Würgen durch T oder die Einwirkung einer zu großen Menge Salz auf den Organismus von N ursächlich. Es fehlte aber jedenfalls an einem entsprechenden Vorsatz des T. Dazu der BGH:

„Rechtlicher Prüfung hält auch die Ablehnung eines versuchten Tötungsdelikts durch Unterlassen (…) stand. Das Landgericht hat sich mit der körperlichen Verfassung des [N] und dem Vorstellungsbild des [T] hinreichend auseinandergesetzt. Gegen seine Überzeugung, dass der Zustand des [N] in der Garage nicht lebensbedrohlich gewesen sei, ist rechtlich nichts zu erinnern. Dabei hat es in den Blick genommen, dass der [N], bevor [er] in die Garage gebracht wurde, noch laut und eindringlich schreien konnte und seitens der rechtsmedizinischen Sachverständigen keine Anhaltspunkte für eine körperliche Erkrankung des [N] feststellbar waren. Weiter setzt sich das Urteil ausführlich mit der Mitteilung [des T] gegenüber den Zeuginnen (…) auseinander, „man versuche [ihn] am Leben zu halten“, und führt diese einer möglichen (…) Interpretation zu. (…)“

Hinweis: siehe zum Unterlassen insoweit auch hier.

IV. Ergebnis

T hat sich wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 und 5 StGB) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen (§§ 223 I, 224 I Nr. 4, 13 I StGB) strafbar gemacht. Beide Delikte stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB).

C. Prüfungsrelevanz

Zum strafrechtlichen „Standardwissen“ gehören sicherlich die Voraussetzungen der gefährlichen Körperverletzung, soweit es um die Annahme eines „gefährlichen Werkzeugs“ geht. Seltener hingegen – auch in der strafgerichtlichen Praxis – sind Fälle, in denen eine Körperverletzung „mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“ und „durch Unterlassen“ begangen wird, so dass auch diese zu einer qualifizierten bzw. gefährlichen wird. Auch der 2. Strafsenat des BGH hatte dazu jüngst im Rahmen eines Revisionsverfahrens zu entscheiden, in dem es um die Vernachlässigung eines Kleinkindes durch seine Eltern in Form von Vorenthaltung von Nahrung ging (Beschl. v. 17.01.2023 - 2 StR 459/21). Dort hat der Strafsenat die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen abgelehnt:

„a) Dieser Qualifikationstatbestand setzt voraus, dass der Täter die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Ob die Voraussetzungen dieser Strafvorschrift auch bei einem Unterlassen durch zwei Garanten erfüllt sind, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden. Nach der Rechtsprechung kommt eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB allerdings dann nicht in Betracht, wenn neben dem aktiv handelnden Täter der Körperverletzung dem Opfer nur eine weitere Person gegenübersteht, die sich rein passiv verhält (…).
b) Reicht aber die bloße Anwesenheit einer weiteren Person am Tatort neben einem aktiv handelnden Täter zur Erfüllung des Tatbestandes von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht aus, kann die Untätigkeit eines weiteren Garanten bei einer allein durch Unterlassen begangenen Körperverletzung erst recht nicht zur Erfüllung des Qualifikationstatbestandes führen. Diese Auslegung ergibt sich maßgeblich aus Sinn und Zweck der Vorschrift.
aa) Der Wortlaut der Bestimmung gibt keine abschließende Auskunft über die Art und Qualität der Tatbeteiligung. Einerseits setzt sie eine „gemeinschaftlich“ begangene Tat voraus, was auf eine Voraussetzung einer mittäterschaftlichen Begehung hinweisen könnte; andererseits verlangt sie die Mitwirkung eines weiteren „Beteiligten“, worunter sowohl Täter als auch Teilnehmer (§ 28 Abs. 2 StGB) in beliebiger Konstellation, also grundsätzlich auch durch Unterlassen, verstanden werden können (…). Der Qualifikationstatbestand des Besonderen Teils hat mit den genannten Begriffen nicht bestimmte Teilnahmeformen oder Begehungsarten des Allgemeinen Teils aufgenommen, sondern eigene Tatbestandvoraussetzungen formuliert, die eigenständig auszulegen sind (…).

bb) Die Materialien zum Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts (…) haben sich zur Auslegung des damals neu gefassten Qualifikationstatbestands nicht geäußert (…).

cc) Für die Frage, welche Art und Qualität der Beteiligungshandlung zur Tatbestandserfüllung vorauszusetzen ist, bleiben danach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung maßgebend (…). Das gilt auch für die Frage, ob der Qualifikationstatbestand durch ein unechtes Unterlassungsdelikt erfüllt werden kann. Der Normzweck spricht gegen eine Qualifikation der Körperverletzung durch alleiniges Unterlassen zweier Garanten (…).

(1) Der Grund für die Qualifikation der Körperverletzung in Fällen, in denen ein Täter („Wer“) die Körperverletzung „mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“ begeht, besteht in der besonderen Gefahr für das Opfer, dass es bei der Konfrontation mit einer Übermacht psychisch oder physisch in seinen Abwehr- oder Fluchtmöglichkeiten beeinträchtigt wird (…), ferner in der Gefahr der Verursachung erheblicher Verletzungen infolge der Beteiligung mehrerer Personen an der Körperverletzung (..). Diese Gefahren bestehen in einer Weise, welche die Erhöhung des Strafrahmens rechtfertigt, nur dann, wenn bei der Begehung der Körperverletzung zwei oder mehr Beteiligte am Tatort anwesend sind und bewusst durch aktive Tatbeiträge mitwirken (…).

(2) Die bloße Anwesenheit von Personen, die passiv bleiben, rechtfertigt daher die erhöhte Strafdrohung nicht. Das Unterlassen entspricht nicht einer Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes durch ein Tun (§ 13 Abs. 1 StGB).“

Insgesamt handelt es sich um eine für die Prüfung(-svorbereitung) sehr gut geeignete Rechtsmaterie!

( BGH, Urt. v. 25.01.2023 – 6 StR 298/22, Urt. v. 17.05.2023 – 6 StR 275/22 und Beschl. v. 17.01.2023 - 2 StR 459/21)