BGH zu den Prüfungsanforderungen bei einer gefährlichen Körperverletzung Teil I

BGH zu den Prüfungsanforderungen bei einer gefährlichen Körperverletzung Teil I

Objektive Tatbestandsvoraussetzungen der Körperverletzung

Während die Verwirklichung des Grundtatbestandes des § 223 Abs. 1 StGB in der Regel vergleichsweise geringe Anforderungen an die Prüfungsdichte stellt, erweist sich insbesondere der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB als „prüfungsintensiv“, weil es für dessen Verwirklichung nicht darauf ankommt, ob das Opfer tatsächlich in Lebensgefahr geraten ist, sondern ob die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet ist, dessen Leben zu gefährden.

A. Sachverhalt

Der T und der F sowie weitere Personen treffen sich in der Wohnung eines gemeinsamen Freundes. Anlass für dieses Zusammentreffen ist eine zwischen beiden geplante Aussprache, nachdem dem T zuvor zugetragen worden war, der F behaupte, die Verlobte des T würde dem F „schöne Augen machen“. Der F ist seit vielen Jahren alkoholkrank und leidet an Leberzirrhose. Als Folge der Erkrankung sind seine Bewegungen, sein Gang sowie seine Sprache verlangsamt und es kommt immer wieder dazu, dass er zu Boden stürzt und sich dabei Verletzungen an exponierten Stellen seines Körpers zuzieht. Bei dem T liegt ein „Abhängigkeitssyndrom von Alkohol“ vor, darüber hinaus eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen, dissozialen und paranoiden Anteilen. Bereits vor seiner Ankunft in der Wohnung des Freundes hat T Alkohol in Form eines Wodka-Fanta-Gemisches konsumiert. Den Konsum dieses Mischgetränks setzt er während des Aufenthalts in der Wohnung fort.

In der Wohnung stellt T den F zur Rede und schlägt diesem entweder mit der Faust, mit der flachen Hand oder auch der Handkante mehrmals kraftvoll gegen den Schädel und das Gesicht. Der Aufforderung des T folgend entschuldigt sich F anschließend telefonisch bei der Verlobten von T. Im weiteren Verlauf schlafen T und F – aneinander gelehnt auf einer Couch sitzend – ein. Nachdem sowohl der T als auch der F wieder aufgewacht sind, versetzt der T dem F erneut mehrere Schläge. Dabei schlägt er überwiegend auf die bereits verletzten Stellen in dessen Gesicht und an dessen Schädel, so dass F blutet. Durch die von dem T gegen den F geführten Schläge erleidet dieser ein sog. Monokelhämatom des linken Auges einhergehend mit einer Unterblutung der Augapfelbindehaut, Einblutungen der linken Mundregion einhergehend mit Zahnabdruckverletzungen der linken Unterlippe, drei Hämatome der linken Gesichtshälfte, eine Einblutung des linken Ohres sowie weitere diffus verteilte Hautrötungen der linken Gesichtshälfte und des rechten Oberlides. Darüber hinaus weist F weitere Verletzungen auf, deren Verursachung durch den T möglich, aber nicht sicher feststellbar ist. Unter anderem hat sich F eine stark blutende Wunde an der Stirn in Form einer dreieckigen Prellmarke zugezogen, als er von der Couch unter den Tisch gerutscht ist. Überdies wird bei dem F eine Unterblutung der harten Hirnhaut über der rechten Großhirnhalbkugel festgestellt, die zu einer Hirnstammeinklemmung führt.

Wie hat sich T strafbar gemacht?

B. Entscheidung

T könnte sich wegen gefährlicher Körperverletzung nach den §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB strafbar gemacht haben, indem er auf F mehrfach eingeschlagen und ihn damit am Kopf verletzt hat.

I. Objektiver Tatbestand

1. Grundtatbestand, § 223 Abs. 1 StGB

Dazu müsste T eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben. Eine „körperliche Misshandlung“ ist jede üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt, wobei sich die Beurteilung der Erheblichkeit dabei nach der Sicht eines objektiven Betrachters – nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen – bestimmt und sich insbesondere nach der Dauer und der Intensität der störenden Beeinträchtigung richtet (vgl. BGH, Urteil vom 14. 1. 2009 - 1 StR 158/08). Als „Gesundheitsbeschädigung“ ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes anzusehen, wobei es insoweit nicht darauf ankommt, auf welche Art und Weise die Beeinträchtigung erfolgt ist (BGH, Beschl. v. 26.2.2015 − 4 StR 548/14).

T hat zunächst mit der Faust, mit der flachen Hand und der Handkante mehrmals kraftvoll gegen den Schädel und das Gesicht von F geschlagen und nach dem Aufwachen erneut auf dieselben Stellen, so dass F geblutet hat und sich Hämatome am Auge und im Gesicht, Einblutungen im und Verletzungen am Mund sowie Verletzungen am Ohr und der linken Gesichtshälfte zugezogen hat. Dabei handelt es sich ohne Zweifel um körperliche Misshandlungen und Gesundheitsbeschädigungen. Der räumliche und zeitliche Zusammenhang der Verletzungshandlungen führt zur Annahme von einer Körperverletzung.

2. Qualifikation, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB

Fraglich ist, ob T die Körperverletzung mittels einer das Leben des F gefährdenden Behandlung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen, also den Qualifikationstatbestand erfüllt hat. Dazu der BGH:

„II.1. Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt eine Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ voraus. Zwar muss die Tathandlung nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall (…). Um die gegenüber der einfachen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB höhere Strafandrohung begründen zu können, kommt es maßgebend auf die Gefährlichkeit der Behandlung, nicht aber auf die eingetretenen Verletzungen an. Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung darstellen, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (…).
3. Hiervon ausgehend belegen die Gründe des angefochtenen Urteils nicht, dass die durch den [T] ausgeführten Schläge in objektiver Hinsicht potentiell eine Gefahr für das Leben des [F] begründeten. Dies ist weder ausdrücklich festgestellt noch ergibt sich dies aus den erlittenen Verletzungen oder aus der mitgeteilten Vorschädigung des [F].
a) Konkrete Feststellungen zur Art und Weise, wie der [T] den [F] schlug, hat die Strafkammer nicht treffen können: Zwar habe der [T] – entgegen seiner Einlassung – dem [F] mindestens drei heftige Schläge gegen den Kopf versetzt. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der [T] jeweils (lediglich) mit der flachen Hand schlug. Grundsätzlich können auch Schläge mit der bloßen Hand in das Gesicht oder gegen den Kopf des Opfers eine das Leben gefährdende Behandlung sein; dies setzt jedoch Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Tatopfer voraus, welche das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen” Körperverletzung (§ 223 StGB) deutlich erhöhen (…). Die auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützte Feststellung, dass auch fest ausgeführte Schläge mit der flachen Hand „durchaus geeignet seien, schwerere Verletzungen hervorzurufen“, belegt nicht, dass die konkreten Schläge des [T] gefährlich im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB waren.
b) Auch die festgestellten Verletzungen des [F] (diverse Hämatome im Gesicht sowie Einblutungen im Bereich des Mundes und an einem Ohr) sind kein Beleg einer lebensgefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Soweit dem [T] Verletzungsfolgen zugerechnet werden konnten, ist nicht festgestellt, dass diese derart gravierend waren, dass sie nur Folge einer vorangegangenen lebensgefährdenden Behandlung sein konnten. Hinsichtlich des Ausmaßes der durch die ersten Schläge verursachten Verletzungen ist das Landgericht – gestützt auf die Angaben einer Zeugin – davon ausgegangen, der [F] habe „etwas am Auge und an der Lippe gehabt, was ein bisschen aufgeplatzt gewesen sei“. Bezüglich der vom Landgericht angenommenen nachfolgenden Gewalthandlungen teilen die Urteilsgründe mit, der [T] habe „überwiegend“ auf die bereits verletzten Stellen in dessen Gesicht und an dessen Schädel geschlagen. Insgesamt habe der Sachverständige schließlich bei einer Untersuchung des [F] einen Tag nach dem Tattag Verletzungen festgestellt, die auf einem Lichtbild nach dem ersten Übergriff nicht vorhanden und die teilweise – im festgestellten Umfang – auf die Schläge des [T] zurückzuführen waren. Hieraus lassen sich jedoch keine eine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB tragenden Rückschlüsse auf die Gefährlichkeit der ersten oder der sodann folgenden Schläge ziehen; dass die Kumulation der sukzessive beigebrachten Verletzungen geeignet war, das Leben des Opfers zu gefährden, ist nicht festgestellt.
c) Ihre Annahme, die Schläge des [T] seien lebensgefährdend im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, wird auch nicht mit Blick auf Vorschädigungen des [F] belegt. Zwar ist auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen festgestellt, dass bei dem alkoholabhängigen [F] wegen dessen derangierter – auf einer Leberzirrhose beruhenden – Blutgerinnungssituation sowie wegen dessen Sturzneigung konkrete Risikofaktoren für das Auftreten von Blutungen bestanden. Den Urteilsgründen ist aber nicht zu entnehmen, wie sich diese Risikofaktoren in Bezug auf die Schläge des [T] ausgewirkt haben. Denn die Strafkammer hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die mit der „Blutgerinnungssituation“ im Zusammenhang stehende Subduralblutung des [F] durch Einwirkungen des [T] verursacht wurde. Inwiefern die „Sturzneigung“ des [F] die Gefährlichkeit der [von T] geführten Schläge auch dann erhöht hat, wenn – wovon die Strafkammer gestützt auf Zeugenaussagen ausgeht – der [F] zum Zeitpunkt der Schläge jeweils saß, erhellt sich aus den Urteilsgründen nicht.“

Nach derzeitigem Stand lässt sich mangels konkreter Kenntnis von der Art und Weise der Tatausführung nicht sicher beurteilen, ob T die Körperverletzung tatsächlich „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen hat oder nicht. So kann auch festes Würgen am Hals geeignet sein, eine Lebensgefährdung herbeizuführen; es reicht hierfür jedoch nicht jeder Griff an den Hals aus, der zu würgemalähnlichen Druckmerkmalen oder Hämatomen führt, sondern von maßgeblicher Bedeutung sind vielmehr Dauer und Stärke der Einwirkung, die abstrakt geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. 9. 2010 - 4 StR 442/10). Auf den Körperverletzungserfolg kommt es dafür nicht an. So sind auch Tritte gegen den Kopf als solche für das Leben des Getretenen generell gefährlich und sie verwirklichen den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB jedenfalls dann, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlung im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können.

II. Zwischenergebnis

T hat zwar den Grundtatbestand des § 223 Abs. 1 StGB objektiv erfüllt, aber die Erfüllung der objektiven Voraussetzungen des Qualifikationstatbestandes (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) ist derzeit nicht sicher.

(BGH, Beschluss vom 20.12.2022 – 2 StR 267/22)