Subjektive Tatbestandsvoraussetzungen der Körperverletzung
Nachdem wir uns im ersten Teil unseres Urteilstickers mit dem objektiven Tatbestand der Körperverletzung beschäftigt haben, schauen wir uns nun die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Körperverletzung an. Auch hier behalten wir den Fokus auf dem Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.
A. Sachverhalt
Der T und der F sowie weitere Personen treffen sich in der Wohnung eines gemeinsamen Freundes. Anlass für dieses Zusammentreffen ist eine zwischen beiden geplante Aussprache, nachdem dem T zuvor zugetragen worden war, der F behaupte, die Verlobte des T würde dem F „schöne Augen machen“. Der F ist seit vielen Jahren alkoholkrank und leidet an Leberzirrhose. Als Folge der Erkrankung sind seine Bewegungen, sein Gang sowie seine Sprache verlangsamt und es kommt immer wieder dazu, dass er zu Boden stürzt und sich dabei Verletzungen an exponierten Stellen seines Körpers zuzieht. Bei dem T liegt ein „Abhängigkeitssyndrom von Alkohol“ vor, darüber hinaus eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen, dissozialen und paranoiden Anteilen. Bereits vor seiner Ankunft in der Wohnung des Freundes hat T Alkohol in Form eines Wodka-Fanta-Gemisches konsumiert. Den Konsum dieses Mischgetränks setzt er während des Aufenthalts in der Wohnung fort.
In der Wohnung stellt T den F zur Rede und schlägt diesem entweder mit der Faust, mit der flachen Hand oder auch der Handkante mehrmals kraftvoll gegen den Schädel und das Gesicht. Der Aufforderung des T folgend entschuldigt sich F anschließend telefonisch bei der Verlobten von T. Im weiteren Verlauf schlafen T und F – aneinander gelehnt auf einer Couch sitzend – ein. Nachdem sowohl der T als auch der F wieder aufgewacht sind, versetzt der T dem F erneut mehrere Schläge. Dabei schlägt er überwiegend auf die bereits verletzten Stellen in dessen Gesicht und an dessen Schädel, so dass F blutet. Durch die von dem T gegen den F geführten Schläge erleidet dieser ein sog. Monokelhämatom des linken Auges einhergehend mit einer Unterblutung der Augapfelbindehaut, Einblutungen der linken Mundregion einhergehend mit Zahnabdruckverletzungen der linken Unterlippe, drei Hämatome der linken Gesichtshälfte, eine Einblutung des linken Ohres sowie weitere diffus verteilte Hautrötungen der linken Gesichtshälfte und des rechten Oberlides. Darüber hinaus weist F weitere Verletzungen auf, deren Verursachung durch den T möglich, aber nicht sicher feststellbar ist. Unter anderem hat sich F eine stark blutende Wunde an der Stirn in Form einer dreieckigen Prellmarke zugezogen, als er von der Couch unter den Tisch gerutscht ist. Überdies wird bei dem F eine Unterblutung der harten Hirnhaut über der rechten Großhirnhalbkugel festgestellt, die zu einer Hirnstammeinklemmung führt.
Wie hat sich T strafbar gemacht?
B. Entscheidung
II. Subjektiver Tatbestand
Ferner müsste T auch die subjektiven Voraussetzungen erfüllt haben, also mit Wissen und Wollen (zumindest bedingtem Vorsatz) die objektiven Voraussetzungen der §§ 223, 224 Abs. 1 StGB erfüllt haben.
T hat den F mehrfach wissentlich und willentlich mittels der Schläge am Körper verletzt. Fraglich ist aber, ob sich der Vorsatz des T auch auf die Verwirklichung des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB bezogen hat:
„II.3.a) Für den Körperverletzungsvorsatz im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist (…) zumindest erforderlich, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt. Dabei muss der Täter sie nicht als solche bewerten (…), jedoch muss die Handlung nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung „angelegt“ sein (…). In Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit müssen bei der Annahme eines bedingten Verletzungsvorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (…).
b) Dem wird allein die Feststellung, dass dem [T] „die Alkoholerkrankung einschließlich der Leberzirrhose“ sowie der „hieraus resultierende schlechte Allgemeinzustand des [F]“ einschließlich dessen „Sturzneigung“ bekannt gewesen sei, nicht gerecht. Denn damit ist nicht dargetan, dass der [T] über eine einfache Körperverletzung hinaus eine potentielle Gefährdung des Lebens des [F] erkannte und auch billigte. Angesichts des nicht im Einzelnen feststellbaren Tatgeschehens, der nicht ausschließbar mit der flachen Hand geführten Schläge gegen den sitzenden [F] und der dem [T] sicher zurechenbaren Verletzungsfolgen (Hämatome im Gesicht, Einblutungen im Bereich des Mundes und an einem Ohr) konnte das Landgericht nicht davon ausgehen, dass sich die angenommene Gefährlichkeit der Behandlung – Schläge mit der flachen Hand – dem [T] aufdrängen musste. Insoweit hätte es hier näherer Darlegungen zum Vorstellungsbild des [T] bedurft.
c) Zu näherer Darlegung bestand auch deswegen Anlass, weil die „nicht auszuschließende mittelgradige Alkoholintoxikation“ und die festgestellte Persönlichkeitsstörung des [T] geeignet waren, dessen Fähigkeit zu beeinflussen, die Umstände zu erkennen, aus denen sich die Gefährlichkeit des Tuns ergab, und unter Umständen der Beurteilung des kognitiven Vorsatzelements die Grundlage zu entziehen.“
T hat (nach derzeitigem Stand) auch die subjektive Tatseite des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht erfüllt.
III. Ergebnis
T – der rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat – hat sich jedenfalls wegen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Ob er auch die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfüllt hat, bedarf weiterer Aufklärung.
Hinweis: Das Landgericht hatte den T wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dieses Urteil, das der T mit seiner Revision angefochten hat, hat der 2. Strafsenat des BGH auf die sog. Sachrüge hin (Verletzung des materiellen Rechts) insgesamt aufgehoben und sie Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen: „Es ist nicht auszuschließen, dass Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung nach § 224 StGB tragen. (…) Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, sorgfältiger als bisher geschehen herauszuarbeiten, welche Tat- bzw. Verletzungsfolgen dem [T] zuzurechnen sind.“
C. Prüfungsrelevanz
Während die Verwirklichung des Grundtatbestandes des § 223 Abs. 1 StGB in der Regel vergleichsweise geringe Anforderungen an die Prüfungsdichte stellt, erweist sich insbesondere der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB als „prüfungsintensiv“, weil es für dessen Verwirklichung nicht darauf ankommt, ob das Opfer tatsächlich in Lebensgefahr geraten ist, sondern ob die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet ist, dessen Leben zu gefährden. Maßgeblich ist also die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall, weshalb sich die Begründung (auch eine Strafurteils) dazu konkret verhalten muss. Die abstrakte Lebensgefährlichkeit im konkreten Fall muss belegt sein (s. etwa BGH, Beschl. v. 24.3.2020 − 4 StR 646/19, Rn. 7) zur Verfolgung eines Fußgängers mit einem fahrenden PKW oder (BGH, Beschluss vom 16. 1. 2013 - 2 StR 520/12), zu einem Faustschlag gegen den Kopf).
Die gefährliche Körperverletzung kann auch mittäterschaftlich begangen werden, worüber der 5. Strafsenat des BGH jüngst zu entscheiden hatte (Urteil v. 13.04.2023 – 5 StR 533/22): Vor einem Café halten sich mehrere Personen auf, die sich in kleinen Gruppen unterhalten und Kaffee trinken. Ohne ersichtlichen Grund versucht der O, den M mit einer Metallstange zu schlagen. Eine andere Person kann den Schlag abwehren und den O zu Boden stoßen. M entreißt dem Angreifer das Schlagwerkzeug, während der N und eine weitere Person auf O eintreten. O gelingt es, wieder aufzustehen. Es kommt zu einem Gerangel, bei dem sich zwei Gruppen gegenübersehen, wobei die M und N zur einen und der O zur anderen gehören. Nachdem sich die Situation beruhigt und der Konflikt ein Ende gefunden hat, entfernt sich die Gruppe um den O. Währenddessen beleidigt der O den M. Gefolgt von anderen Männern stürmt der darüber erzürnte M auf den O zu. In Verletzungsabsicht schlägt M den O mit der Hand, während der N ihm durch einen Schlag mit der Metallstange auf den Kopf eine Platzwunde zufügt. Auch andere Mitglieder der Gruppe um M und N schlagen auf O ein. O erleidet dadurch ein offenes Schädel-Hirn-Trauma mit Brüchen des Schädelbasisknochens. Zudem verlagern sich infolge eines Bruchs des Stirnknochens Knochensplitter in die Hirnhaut. Die Verletzungen sind potentiell lebensgefährlich. Der O wird ins Krankenhaus gebracht, wo die Splitter operativ entfernt werden können. Das Landgericht, das M und N wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat, hat eine mittäterschaftliche Begehung der Tat abgelehnt, weil nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne, dass M und/oder N „sich die geschaffene Lage durch bereits erfolgte Gewalteinwirkungen gegen den [O] zunutze gemacht oder die Angriffe gegen den [O] unter Billigung dieser Gewalteinwirkungen fortgesetzt“ habe. Ein gemeinsamer Tatentschluss der Beteiligten könne daher erst gefasst worden sein, „nachdem“ [M und N] ihren jeweiligen „Tatbeitrag bereits ausgeführt“ hatten. Dazu der BGH:
„b) Dem Landgericht ist (…) vollständig aus dem Blick geraten, dass die Mitglieder der Gruppe um [M und N] unmittelbar nach der beleidigenden Äußerung durch den [O] konkludent übereingekommen sein könnten, diesen gemeinschaftlich gewalttätig anzugreifen.
Nach den Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen entriss der [M] dem [O] die Metallstange, mit der dieser ihn angegriffen hatte. Zugleich traten [N] und eine weitere Person auf den [O] ein. Anschließend kam es noch vor dem Café zu einem Gerangel zwischen den beiden Gruppen. Aufgrund der Beleidigung durch den [O], die den zwischenzeitlich beendeten Konflikt wieder aufflammen ließ, stürzte [M gefolgt von dem [N] und den anderen Männern, die mit ihm vor dem Café standen, auf den [O] zu und schlugen im Rahmen eines dynamischen Geschehens unter Verwendung der Metallstange auf diesen ein. Währenddessen verlagerten sich die beiden Gruppen örtlich.
Angesichts dieser Feststellungen hätte es sich dem Landgericht aufdrängen müssen, dass sich in dem gemeinsamen „Zustürmen“ der Gruppe um [M und N] auf den [O] mit der anschließenden eigenhändigen Beteiligung [von M und N) und weiterer Mitglieder ihrer Gruppe an den Gewalthandlungen ein stillschweigend gefasster gemeinsamer Tatentschluss im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB manifestiert haben könnte. Dies gilt umso mehr, als sich die Strafkammer (…) davon überzeugt hat, dass die Tatbeteiligten aus der Gruppe um [M und N] „nicht unabhängig voneinander, sondern gemeinsam“ gegen die Gruppierung um den [O] „agierten“. Da die Urteilsgründe insofern schweigen, ist zu besorgen, dass das Landgericht einen zu engen rechtlichen Maßstab an die Voraussetzungen der Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB angelegt hat.“
Für den Körperverletzungsvorsatz i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist es ferner neben einem bedingten Verletzungsvorsatz erforderlich, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt; der Täter muss sie nicht als solche bewerten, seiner Vorstellung nach muss sein Handeln aber auf Lebensgefährdung angelegt sein (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 15.2.2023 – 4 StR 300/22 zum Schlagen mit Tisch und Stuhl).
Delikte aus dem Bereich der §§ 223, 224 StGB sind „prüfungsbeliebt“, weswegen ihre Voraussetzungen gut beherrscht werden sollten. Zu deren Wiederholung eignet sich die hier besprochene Entscheidung!
(BGH, Beschluss vom 20.12.2022 – 2 StR 267/22)
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