Zur Erkrankung am letzten Tag einer Frist
Das Recht, gegen eine Entscheidung einer Verwaltungsbehörde Widerspruch einzulegen, ist das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG. Die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs ist jedoch streng, und die Nichteinhaltung dieser Frist kann zum Verlust des Rechtsbehelfs führen. Dies kann für Einzelne schwerwiegende Folgen haben, insbesondere für diejenigen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind.
Worum geht es?
Im vorliegenden Fall ging es um ein Jobcenter im Landkreis Diepholz, das gegen einen Sozialhilfeempfänger wegen Verstoßes gegen eine sozialrechtliche Meldepflicht ein Bußgeld in Höhe von 500 Euro verhängte. Der Empfänger erhielt den Bußgeldbescheid am 27. Januar 2018 und hatte zwei Wochen Zeit, Widerspruch einzulegen. Am Tag des Fristablaufs erkrankte der Empfänger jedoch an einem fiebrigen, grippalen Infekt, so dass er keinen Einspruch einlegen konnte. Mit Schreiben vom 19. Februar 2018 legte der Empfänger Widerspruch gegen den Bescheid ein und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf den Ablauf der Widerspruchsfrist. Er erklärte, dass er zwischen dem 12. und 14. Februar 2018 aufgrund seiner Krankheit nicht in der Lage gewesen sei, seine geschäftlichen Angelegenheiten zu erledigen. Zur Begründung legte er ein Attest eines Allgemeinmediziners vor.
Das Jobcenter lehnte den Antrag des Leistungsempfängers auf Wiedereinsetzung am 21. Februar 2018 ab. Das Jobcenter argumentierte, der Leistungsempfänger sei nicht daran gehindert gewesen, zwischen dem 27. Januar 2018 und dem 11. Februar 2018 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einzulegen. Daher könne dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattgegeben werden. Der Empfänger stellte daraufhin am 8. März 2018 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, da er der Meinung war, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht abgelehnt worden sei. Das Amtsgericht Diepholz hat jedoch zunächst den Wiedereinsetzungsantrag verworfen. Der Betroffene erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde.
Das Recht, gesetzliche Fristen vollständig auszunutzen
Der Beschwerdeführer sieht sich durch die Verweigerung in seinen Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Er habe das Recht, gesetzliche Fristen vollständig auszuschöpfen. Dies sieht auch das Bundesverfassungsgericht so. Es hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig und insbesondere für begründet und verweist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Diepholz zurück. Der Sozialhilfeempfänger sei in seinem Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt worden.
Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung über die Anhörungsrüge nicht zur Entscheidung angenommen
Dahingegen nahmen die Verfassungsrichter die Beschwerde gegen ablehnende Entscheidung über die Gehörbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da sie nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllte. Die Karlsruher Richter urteilten, dass die Beschwerde nicht über die erste Gerichtsentscheidung hinausging, d. h. sie führte keine neuen Beweise oder Argumente ein, die den Ausgang des Verfahrens ändern würden. Stattdessen wurde mit der Berufung lediglich die fehlerhafte Entscheidung der Vorinstanz aufrechterhalten. Sie stellten fest, dass die Situation anders gewesen wäre, wenn das Gericht die Anhörungsrüge bereits als unzulässig verworfen hätte, was den Zugang zur Anhörungsrüge verkürzt und eine zusätzliche Beschwerde begründet hätte. In diesem Fall hätte der Mann eine neue Beschwerde mit neuen Beweisen oder Argumenten einreichen können.
(BVerfG, 14.02.2023 - 2 BvR 653/20)
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