Aufschiebende Wirkung einer Nachbarklage gegen die Baugenehmigung für eine gastronomische Außenbewirtschaftung eines Freibades

Aufschiebende Wirkung einer Nachbarklage gegen die Baugenehmigung für eine gastronomische Außenbewirtschaftung eines Freibades

VG Hannover stärkt den Schutz des betroffenen Nachbarn

Ein klassischer Rechtsstreit aus der Praxis und zugleich häufig geprüfte Klausurkonstellation aus dem Verwaltungsrecht: Es geht um den vorläufigen Nachbarrechtsschutz, die Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung, die Verletzung einer Norm mit drittschützender Wirkung und die Auseinandersetzung mit unbekannten Themen, wie etwa dem Begriff der “schädlichen Umwelteinwirkungen” im Rahmen des BImSchG oder der TA Lärm.

Fälle dieser Art sind beliebt bei Prüfern, da sich hier der Umgang mit meist unbekannten Normen und unbestimmten Rechtsbegriffen prüfen lässt - kombiniert mit klassischen Themen aus dem Verwaltungsrecht AT oder Verwaltungsprozessrecht.

Hier ein Auszug der relevanten Lerninhalte zu diesem Fall:

I. Sachverhalt

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Terrasse und den Betrieb einer gastronomischen Außenbewirtschaftung.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks, für das kein Bebauungsplan existiert. Das Gebiet entspricht einem „reinen Wohngebiet“ im Sinne des § 3BauNVO. Westlich seines Grundstücks verläuft ein Fluss auf dessen gegenüberliegenden Seite das Grundstück der Antragsgegnerin liegt, das sich im Außenbereich befindet. Hier betreibt die Beigeladene ein Freibad mit vier Schwimmbecken, mehreren Liegewiesen, zwei Kiosken und einer Terrasse. Südlich hiervon ist noch ein Strandbad. Außerdem gibt es nördlich, westlich und südlich des Baugrundstücks der Beigeladenen mehrere Sportanlagen, eine Minigolfanlage und eine Skateanlage. Der Flächennutzungsplan von 2011 stellt das Grundstück als öffentliche Grünfläche mit der Zweckbestimmung „Badeplatz“ dar. 

Das Strandbad hat einen ca. 2860 qm großen Sandstrand und eine ca. 3300 qm große Rasenliegefläche und – seit 2010 – auch eine Außengastronomie auf der Rasenfläche. Die Gastronomie verfügt über einen separaten Ein- und Ausgang (S-Tor), der ca. 65 m vom Wohnhaus des Antragstellers entfernt ist.

1. Vorgeschichte

Im Jahre 2014 hat die Beigeladene zur Erweiterung einer vorhandenen Außengastronomie im nordöstlichen Bereich eine Terrasse errichtet, die zunächst befristet genehmigt wurde, 2018 dann unbefristet. Der Abstand dieser Terrasse zum Wohnhaus des Antragstellers beträgt 155m. 

Der Antragsteller hat gegen die Baugenehmigung Widerspruch eingelegt, der mit Bescheid vom März 2019 zurückgewiesen wurde. Die Antragsgegnerin führte zur Begründung aus, dass die befürchteten Lärmemissionen nicht von der Terrasse hervorgerufen würden, sondern von den Nutzern; die Nutzung der vorhandenen Rasenfläche zum Betrieb einer Außengastronomie sei genehmigungsfrei.

Der Antragsteller erhob im April 2019 Klage. In der mündlichen Verhandlung im September 2019 hob die Antragsgegnerin die Baugenehmigung auf, nachdem das Gericht Zweifel an der Bestimmtheit der Genehmigung geäußert hatte und die Außenbewirtschaftung grundsätzlich für eine genehmigungsbedürftige Anlage im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 NBauO hielt.

2. Bauantrag, Baugenehmigung und Klage

Im Juni 2020 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer nachträglichen Baugenehmigung für die Errichtung einer Terrasse (Lärchenholzbohlen mit Unterkonstruktion) für die Außenbewirtschaftung. Die Terrasse teilt sich in zwei Bereiche: ein Sitzbereich von 270 qm (18x15m) sowie ein 75 qm (5x15m) großer Verkaufsbereich mit Theken und Kühlschränken sowie Pagodenzelten.

Den Antragsunterlagen lag ein schalltechnisches Prognosegutachten vom Juni 2020 für das Freibad bei, das zum Ergebnis kam, dass die durch den Betreib des Bades und der Gastronomie verursachten zusätzlichen Immissionen, die für ein reines und allgemeines Wohngebiet geltenden Richtwerte der TA Lärm nicht überschreiten. Wolle man die Immissionsrichtwerte um mindestens 6 dB(A) unterschreiten und damit eine Verletzung der Schutzpflicht auch ohne Berücksichtigung der Vorbelastung durch die weiteren Freizeitanlagen in der Umgebung ausschließen, seien ergänzende Schallschutzmaßnahmen erforderlich (Beschränkung der Öffnungszeiten etc.). Die Nutzung der geplanten Terrasse trage nicht immissionsrelevant zur Geräuschsituation bei. Für das Grundstück des Antragstellers ergäben sich Beurteilungspegel werktags von 43 dB(A), sonn- und feiertags von 44 dB(A) und nachts von 34 dB(A). Bei Berücksichtigung der empfohlenen Schallschutzmaßnahmen würde der Geräuschpegel um jeweils 1 dB(A) sinken.

Mit Bescheid vom 3. Dezember 2020 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die Genehmigung zur Errichtung einer Terrasse und zum Betrieb einer gastronomischen Außenbewirtschaftung.

Das Vorhaben sei planungsrechtlich als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB zulässig. Es bestehe ein funktionaler und räumlicher Zusammenhang mit dem bestehenden Freibad, das von Mai bis September geöffnet habe. Die maßgeblichen Immisssionsrichtwerte würden für die umliegenden Wohngebiete eingehalten. Die Genehmigung enthielt folgende Auflagen:

„Durch geeignete Maßnahmen ist sicherzustellen, dass die genannten Immissionsrichtwerte nicht überschritten werden. Dazu sind unter anderem dauerhaft Hinweise an die Gäste zu richten, im Außenbereich verhaltensbezogene  Ruhestörungen, vor allem in den Abendstunden nach 20.00 Uhr, zu vermeiden (z.B. Hinweistafel im Außenbereich, Aushang im Eingangsbereich).

Die Nutzungszeiten der Terrasse sind auf die Öffnungszeiten der Q. und des S. Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag bis 22.00 Uhr und Freitag und Samstag bis 22.30 Uhr beschränkt.

Die Ausschankzeiten für den S. betragen: Sonntag- Donnerstag 18.00 – 22.00 Uhr, Freitag und Samstag 18.00 - 22.30 Uhr. Der Betreiber hat sicherzustellen, dass der Betreib rechtzeitig endet und die Besucher*innen das Gelände Sonntag- Donnerstag bis 22.30 Uhr und Freitag- Samstag bis 23.00 Uhr verlassen haben.“

Der Widerspruch des Antragsstellers gegen die Baugenehmigung wurde mit Bescheid vom 30. März 2021 zurückgewiesen. 

Der Antragsteller hat am 5. Mai 2021 Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er begründet seinen Antrag damit, dass die Baugenehmigung nicht nur den Bau einer Terrasse umfasse, sondern auch die Legalisierung der vorhandenen, weiteren Terrassenflächen und die Nutzungsänderung des Geländes. Der Schwerpunkt der Nutzung sei nicht die Badestelle, sondern ein Biergartenbetrieb. Dies widerspreche den Darstellungen des Flächennutzungsplans; dieser entfalte für Anwohner Drittschutz. Der Gebietscharakter des naturnahen, städtischen Wohnens gehe verloren. Von dem Vorhaben gingen unzumutbare Lärmbelästigungen aus. Das schalltechnische Gutachten sei mangelhaft und berücksichtige nicht die Geräuschkulisse nach Verlassen des Areals sowie die Geräusche der Aufräumarbeiten. 

Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 3. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2021 anzuordnen. 

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Die Nutzung der Rasenliegeflächen und des Sandstrandes sei bereits 1990 genehmigt worden. Die Darstellungen im Flächennutzungsplan vermitteln keinen Drittschutz, im übrigen entspreche das Vorhaben diesen Darstellungen.

Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.

II. Gründe

1. Zulässigkeit des Antrags

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO für zulässig erachtet, obgleich der Antragsteller keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Bauaufsichtsbehörde gestellt hatte. Nach § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO greift das Erfordernis der vorherigen Befassung der Bauaufsichtsbehörde mit einem Aussetzungsantrag dann nicht, wenn „eine Vollstreckung droht“. Dies ist nach der Rechtsprechung des niedersächsischen OVG grundsätzlich dann anzunehmen, wenn der Bauherr mit der Ausnutzung der Baugenehmigung beginnt. Sofern sich der Nachbar ausschließlich gegen die mit der Nutzung des Vorhabens verbundenen Einwirkungen wende, drohe die Vollstreckung dann, wenn die Aufnahme der Nutzung bevorstehe. Dies ist hier der Fall. Zum Zeitpunkt der Antragstellung im Mai 2021 war die genehmigte Terrasse bereits errichtet, die Nutzung stand angesichts der Freibadsaison unmittelbar bevor.

2. Begründetheit des Antrags

a) Prüfungsmaßstab

Im Verfahren des vorläufigen Nachbarrechtsschutzes kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes in der Hauptsache ausschlaggebende Bedeutung zu; der Sachverhalt ist in der Regel nur summarisch zu überprüfen. 

Hinzukommen muss eine Verletzung des Nachbarn in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).  Eine Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung allein genügt nicht; die verletzte Norm muss drittschützende Wirkung haben d.h. auch dem Schutz des Nachbarn dienen.

b) Planungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 BauGB und drittschützende Norm

Das Vorhaben der Beigeladenen liegt weder im Gebiet eines qualifizierten Bebauungsplanes (§ 30 Abs. 1 BauGB) noch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles ( § 34 Abs. 1 BauGB); die planungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich daher nach § 35 BauGB. 

Nach dieser Norm kann ein – nicht privilegiertes- Vorhaben zugelassen werden, wenn öffentliche Belange nicht beeinträchtigt werden und die Erschließung gesichert ist. 

Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB sind öffentliche Belange u.a. dann beeinträchtigt, wenn das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann. Diese Norm ist als Auswirkung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebotes nachbarschützend.

c) § 3 Abs. 1 BImSchG als Legaldefinition für schädliche Umwelteinwirkungen

Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach der Definition des § 3 Abs. 1 BImSchG solche Immissionen, die nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, … erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Die mit dem Vorhaben verbundenen Geräuschimmissionen erfüllen nach Auffassung des Verwaltungsgerichts diese Voraussetzungen.

d) Die TA Lärm als Grundlage für die Ermittlung und Bewertung von Geräuschimmissionen

Die TA Lärm konkretisiert den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen für Geräuschimmissionen. Auch wenn die TA Lärm nicht für Freiluftgaststätten gilt (Nr. 1 Abs. 2b TA Lärm), weil die Besonderheiten menschlichen Lärms sich nicht nach dem standardisierten Beurteilungsverfahren der TA Lärm abschließend beurteilen lassen, kann die TA Lärm bei der Gesamtbetrachtung als Richtwert herangezogen werden. Sie darf allerdings nicht schematisch angewandt werden. Die Beurteilung der Schädlichkeit menschlichen Lärms bedarf einer Würdigung des Einzelfalls und einer Berücksichtigung der speziellen Schutzwürdigkeit des Baugebiets und der allgemeinen Akzeptanz des Lärms. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die Geräuschimmissionen der Außengastronomie für den Antragsteller aller Voraussicht nach schädlich.

e) Beurteilungspegel im Lärmgutachten nicht realistisch

Das schalltechnische Lärmguthaben der Beigeladenen geht sowohl tagsüber - 42 – 44 dB(A) – als auch nachts – 34 dB(A) von der Einhaltung der maßgeblichen Immissionsrichtwerten von tags 50 dB(A) und nachts 35 dB(A) für das Grundstück des Antragstellers aus. Dies hält das Verwaltungsgericht nicht für realistisch, weil das Gutachten nicht die von den Gästen beim Betreten und Verlassen des Areals verursachten Geräusche berücksichtigt. Diese müssen aber bei Gaststätten mit einbezogen werden solange diese Emissionen nicht aus einem missbräuchlichen Verhalten der Gäste (z.B. absichtliche Störung der Nachtruhe) resultieren.

Die Kammer hält es nach den vorhandenen Erkenntnissen für hinreichend wahrscheinlich, dass nachts der Immissionsrichtwert von 35 dB(A) überschritten wird. 

Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass sich die Gäste (bis zu 600) mit dem Ende der Ausschankzeit um 22.00 Uhr bzw. 22.30 Uhr (freitags – samstags) zum Teil gesammelt auf den Heimweg begeben, so dass es zu einer gebündelten Geräuschkulisse im Bereich des Tores kommen wird. 

Da der im Gutachten errechnete Beurteilungspegel nachts von 34 dB(A) nur kanpp unter unter dem maßgeblichen Immissionsrichtwert liegt und der Abstand vom Tor zum Grundstück des Antragstellers nur 65 m beträgt, hält das Gericht bei Berücksichtigung des Ziel- und Quellverkehrs nachts eine Überschreitung des zulässigen Immissionsrichtwertes für sehr wahrscheinlich. Die in der Baugenehmigung enthaltene Auflage, die Einhaltung der Richtwerte durch „geeignete Maßnahmen“ sicherzustellen, sei zu unbestimmt und nicht geeignet, den Geräuschpegel des Ziel- und Quellverkehrs wirksam zu unterbinden bzw. zu mindern. 

Die vom Gericht vorgenommene Würdigung des Einzelfalls führe zu keinem anderen Ergebnis. Der Gastronomiebetrieb habe keine besondere Schutzwürdigkeit, der die befürchtete Überschreitung der nächtlichen Immissionsrichtwerte rechtfertigen könne.

Das Verwaltungsgericht hat nach allem dem Antrag stattgegeben.

III. Anmerkungen

Das Verwaltungsgericht hat mit seiner vorläufigen Entscheidung den Schutz des betroffenen Nachbarn gestärkt. Es hat das vorliegende Lärmgutachten als nicht ausreichend angesehen und ist daher von der Berechnung des Gutachtens abgewichen, weil es davon ausging, dass nachts der Immissionsrichtwert der TA Lärm überschritten wird. Die diesbezüglichen Ausführungen des Gerichts sind nachvollziehbar, aber nicht bewiesen. Dies bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.