OLG Oldenburg: Dinklager Goldschatz

OLG Oldenburg: Dinklager Goldschatz

A. Sachverhalt

Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Herausgabe eines Goldschatzes gegen die Stadt Dinklage (Antragsgegnerin).

Der Antragsteller war bei einem Gartenbauunternehmen angestellt, das im Sommer 2016 beauftragt war, auf dem Friedhof der katholischen Kirchengemeinde St. Catharina in Dinklage Gebüsch zwischen dem Friedhofszaun und der daneben belegenen Grabreihe zu beseitigen. Während der Rodungsarbeiten entdeckte der Antragsteller zwei Plastikbehälter, die mit Goldmünzen und Bargeld gefüllt waren. Er verständigte unverzüglich die Polizei, die in dem Bereich zwei weitere Plastikbehältnisse mit Goldmünzen entdeckte. Am Folgetag durchsuchte der Antragsteller gemeinsam mit weiteren Personen die zwischenzeitlich auf das Gelände des Gartenbaubetriebs verbrachten Grünabfälle. Dabei wurden drei weitere mit Goldmünzen befüllte Kunststoffboxen aufgefunden. Insgesamt befanden sich in den Boxen 450 Goldmünzen verschiedener Prägungen, denen im Jahr 2016 ein Wert von mehr als 500.000 Euro zukam. Das jüngste Prägejahr der aufgefundenen Goldmünzen war 2016.

Bis heute ist ungeklärt, wer Eigentümer der Wertsachen war und wer diese auf dem Friedhofsgelände abgelegt hat. Die Antragsgegnerin hat diese am 18.10.2016 in amtliche Verwahrung genommen.

Der Antragsteller macht in erster Linie die Herausgabe der in Verwahrung befindlichen Wertsachen geltend. Er meint, er sei gemäß § 965 BGB Finder der Wertsachen und, nachdem sich kein Berechtigter gemeldet habe, nach Ablauf von sechs Monaten deren Eigentümer geworden, § 973 BGB. Falls die Wertsachen nicht als verloren anzusehen seien, habe es sich um herrenlose Sachen gehandelt, an denen der Eigentümer seine Rechte habe aufgeben wollen. In diesem Fall sei er gemäß § 958 BGB Eigentümer geworden. Hilfsweise macht er geltend, es handele sich um einen Schatzfund im Sinne des § 984 BGB mit der Folge, dass er zur Hälfte Eigentum erworben habe.

Das Landgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

B. Überblick

Umgangssprachlich hat man sicher keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller die Wertgegenstände gefunden hat. Eine solche Zahl an Goldmünzen würden manche sicher auch als Schatz bezeichnen – die regionale Presse tut es jedenfalls. Ist das aber auch die richtige rechtliche Einordnung?

Der Gesetzgeber hat mit den §§ 965 ff. BGB eine Vielzahl von Vorschriften über den Umgang mit Fundsachen geschaffen.

Voraussetzung für die Anwendung dieser Normen ist es, dass eine verlorene Sache gefunden wurde (§ 965 Abs. 1 BGB). Verlorene Sachen sind bewegliche Sachen, die besitzlos, aber nicht herrenlos geworden sind. Ob eine Sache besitzlos ist, entscheidet sich nach den tatsächlichen Verhältnissen.

  • Die Beendigung des Besitzes ist in § 856 BGB geregelt. Danach wird der Besitz dadurch beendigt, dass der Besitzer die tatsächliche Gewalt über die Sache aufgibt oder in anderer Weise verliert. Durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Verhinderung in der Ausübung der Gewalt wird der Besitz nicht beendigt.
  • Herrenlos wird eine bewegliche Sache, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt (Dereliktion, § 959 BGB).

Überblick - Besitz, §§ 854 ff. BGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit

An einer herrenlosen beweglichen Sache erwirbt derjenige Eigentum, der sie in Eigenbesitz nimmt (§ 958 Abs. 1 BGB). An einer verlorenen Sache erwirbt der Finder dann Eigentum, wenn er sie im Fundbüro abgeliefert hat und sich binnen sechs Monaten kein Berechtigter gemeldet hat (§ 973 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Meldet sich rechtzeitig ein Berechtigter, hat der Finder Anspruch auf einen Finderlohn, dessen Höhe vom Wert der Fundsache abhängt (§ 971 BGB).

Eine besondere Regelung gilt für den Schatzfund. Bei einem Schatz handelt es sich um eine Sache, die so lange verborgen gelegen hat, dass der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist (§ 984 BGB). Wird sie gefunden, erwerben der Finder und der Eigentümer des Fundortes das Eigentum am Schatz je zur Hälfte.

Prüfungsaufbau: Eigentumserwerb an beweglichen Sachen
Prüfungsrelevante Lerneinheit

C. Entscheidung

Das OLG Oldenburg als Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 ZPO).

I. Herausgabeanspruch aus § 985 BGB

Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Herausgabe der Sachen aus § 985 BGB, da er durch das Auffinden nicht deren Eigentümer geworden sei.

1. Funderwerb nach § 973 BGB

Der Antragsteller habe keine hinreichenden Tatsachen vorgetragen, die für eine Besitzlosigkeit der Gegenstände im Zeitpunkt ihres Auffindens sprechen.

Zwar dürften an die Darlegung einer solchen negativen Tatsache keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es müsse aber zumindest aufgrund der unstreitigen bzw. der vom Antragsteller behaupteten Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass die Sachen im Zeitpunkt ihres Auffindens durch den Antragsteller nicht (mehr) im Besitz einer anderen Person standen. Dies wäre der Fall, wenn aufgrund der Umstände nicht mehr damit zu rechnen wäre, dass der letzte Besitzer die Sachen wieder an sich nimmt.

a) Besitzverhältnisse auf dem Friedhofsgelände

Der Auffindeort sowie das Prägedatum der jüngsten Goldmünzen (2016) würden jedoch darauf hindeuten, dass der letzte Besitzer die Wertsachen erst kurz vor dem Auffinden durch den Antragsteller auf dem Friedhof versteckt hat und nur vorübergehend an der Ausübung der tatsächlichen Sachgewalt gehindert war. Bei versteckten Sachen sei bei Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der letzte Besitzer bis auf Weiteres die tatsächliche Sachherrschaft ausgeübt hat. Die tatsächliche Sachgewalt des früheren Besitzers sei auch nicht dadurch aufgehoben worden, dass die Boxen infolge der Baggerarbeiten auf dem Friedhofsgelände bewegt wurden, solange sie sich örtlich im Bereich des ursprünglichen Verstecks befanden.

b) Besitzverhältnisse auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers

Der Antragsteller sei auch nicht Finder derjenigen Boxen geworden, die erst am nächsten Tag auf dem Betriebsgelände des Arbeitsgebers entdeckt wurden. Zwar habe die tatsächliche Sachherrschaft des Besitzers mit dem Verbringen der Boxen geendet, gleichzeitig sei jedoch unmittelbarer Besitz des Arbeitgebers begründet worden.

2. Erwerb herrenloser Sachen nach § 958 BGB

Der Anspruchsteller sei auch nicht gemäß § 958 BGB Eigentümer der Wertsachen geworden, da diese nicht herrenlos gewesen sei. Herrenlos seien Sachen, an denen Eigentum noch nie bestanden habe, aufgegeben oder sonst erloschen sei. Auch insoweit trage der Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte, dass der frühere Eigentümer sein Eigentum aufgegeben hat oder dieses sonst erloschen wäre; im Gegenteil sprächen die Werthaltigkeit der Gegenstände sowie die Auffindesituation dafür, dass der bisherige Eigentümer sein Eigentum auch künftig behalten und nicht wahllos einer potentiellen Aneignung durch Dritte habe preisgeben wollen.

3. Hälftiger Schatzerwerb nach § 984 BGB

Auch ein Erwerb nach § 984 BGB komme nicht in Betracht. Um einen Schatz handle es sich nur, wenn der Eigentümer infolge der langen Zeitdauer, nicht aus einem anderen Grund, nicht mehr zu erreichen ist. Vorliegend sei zwar der Eigentümer nicht zu ermitteln. Allerdings stehe aufgrund des jüngsten Prägedatums der Münzen fest, dass die Nichtermittelbarkeit des Eigentümers nicht auf Zeitablauf beruht, sondern auf anderen, letztlich nicht bekannten Umständen, so dass ein Schatzfund im Sinne des § 984 BGB nicht vorliege.

4. Analog Anwendung von § 973 BGB und § 984 BGB

Das Gericht erteilt schließlich auch der analogen Anwendung von § 973 BGB und § 984 BGB eine Abfuhr, und zwar unabhängig von der Frage, ob angesichts des numerus clausus der Sachenrechte eine Analogie überhaupt in Betracht komme.

a) § 973 BGB

Für eine analoge Anwendung des § 973 BGB fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke im Gesetz. Die Motive des historischen Gesetzgebers hätten sich ausdrücklich nur auf verlorene und nicht zugleich auf versteckte Sachen bezogen. Die Interessenlagen seien insoweit auch unterschiedlich. Bei verlorenen Sachen sinke mit zunehmendem Zeitablauf die Wahrscheinlichkeit, dass der Berechtigte Ansprüche an der verlorenen Sache geltend macht, was eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse rechtfertige. Dies gelte für versteckte Sachen nicht, da der Berechtigte auch noch nach vielen Jahren wisse, wo sich die Sachen befinden.

b) § 984 BGB

Die analoge Anwendung von § 984 BGB wäre ebenfalls nicht interessengerecht, da das Herrschaftsinteresse des eine Sache Verbergenden schutzwürdig erscheine, solange mit seinem Zugriff auf die Sache den tatsächlichen Umständen nach noch zu rechnen sei. Erst wenn die Sache so lange verborgen sei, dass der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist, erscheine auch der unmittelbare Eigentumserwerb des Entdeckers (im Gegensatz zu dem erst nach sechs Monaten eintretenden Eigentumserwerb des Finders) in der Sache gerechtfertigt.

Prüfungsaufbau: Herausgabeanspruch gem. § 985 BGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit

II. Herausgabeanspruch aus einem Verwahrungsverhältnis

Herausgabeansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnis bestünden zugunsten des Antragstellers ebenfalls nicht, da dieser nicht als Finder der Sachen anzusehen sei. Auch ein privatrechtlicher Verwahrungsvertrag scheide aus, da der Antragsteller mit der Übergabe der Sachen an die Polizei lediglich seinen gesetzlichen Verpflichtungen als Finder habe nachkommen wollen.

III. Herausgabeanspruch aus §§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2, 818 Abs. 1 BGB (Zweckverfehlung)

Ein Bereicherungsanspruch wegen Zweckverfehlung bestehe nicht. Es fehle an der erforderlichen tatsächlichen Einigung zwischen Antragsteller und Antragsgegnerin über den Zweck der Leistung. Weder habe der Anspruchsteller die endgültige Übergabe der Boxen davon abhängig gemacht, dass diese tatsächlich an den ursprünglich Berechtigten zurückgegeben werden können, noch habe die Antragsgegnerin mit der Entgegennahme eine entsprechende Zustimmung zum Ausdruck gebracht. Nachdem der Empfangsberechtigte unbekannt geblieben sei, habe es sich um unanbringbare Sachen im Sinne des § 983 BGB gehandelt, zu deren Verwertung die öffentlichen Behörden im Rahmen der geltenden Vorschriften (§§ 979 ff. BGB) berechtigt seien.

Überblick - Bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlagen
Prüfungsrelevante Lerneinheit

IV. Herausgabeanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag

Auch stünden dem Antragsteller keine Ansprüche nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag zu, weil dieser mit dem Auffinden und der Übergabe der Wertsachen an die Polizei kein Geschäft der Antragsgegnerin geführt habe. Selbst wenn die Vorschriften der §§ 677, 683, 670 BGB anwendbar wären, würde er als Rechtsfolge nur Aufwendungsersatz, nicht aber die Herausgabe der Wertsachen verlangen können.

Überblick - Arten der GoA, §§ 677 ff. BGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit

V. Anspruch auf Finderlohn

Der Antragsteller habe schließlich auch keinen Anspruch auf Finderlohn.

1. § 971 Abs. 1 BGB

Der Anspruch aus § 971 Abs. 1 BGB stehe nur dem Finder einer besitzlosen Sache zu und das auch nur gegen den Berechtigten.

Für eine analoge Anwendung der Vorschrift fehle es auch hier an einer planwidrigen Regelungslücke. Dem Berechtigten einer versteckten Sache sei – anders als dem Berechtigten einer verlorenen Sache – in der Regel nicht geholfen, wenn ihm die Sache zurückgebracht werde.

2. § 978 Abs. 3 BGB

Der Antragsteller könne auch keinen Anspruch aus § 978 Abs. 3 BGB herleiten. Dieser Anspruch richte sich gegen die Behörde, die eine unanbringbare Sache versteigert, und setze voraus, dass die Sache in den Geschäftsräumen oder den Beförderungsmitteln einer öffentlichen Behörde oder einem dem öffentlichen Verkehr dienenden Verkehrsanstalt aufgefunden werde. Das sei vorliegend nicht der Fall, weil der Friedhof nicht im Eigentum der Antragsgegnerin stehe.

Eine analoge Anwendung komme wiederum nicht in Betracht. Der Gesetzgeber habe keinen allgemeinen Anspruch auf Finderlohn für den Fall der Versteigerung einer unanbringbaren Sache schaffen wollen.

D. Prüfungsrelevanz

Ein Fall wie fürs Examen erdacht. Es kommen viele Anspruchsgrundlagen in Betracht, darunter solche, die eher nicht zum Standardrepertoire gehören, so dass hier besonders gut die Arbeit am Gesetz geprüft werden kann. Die Einkleidung in einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe würde eine zusätzliche Besonderheit für das zweite Examen darstellen.

Prozesskostenhilfe, §§ 114 ff. ZPO
Prüfungsrelevante Lerneinheit (2. Examen)

Die examensrelevanten Kernaussagen der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Ein Funderwerb nach § 973 BGB kommt nur an verlorenen, nicht an lediglich versteckten Sachen in Betracht.
  • Ein (hälftiger) Schatzerwerb nach § 984 BGB setzt voraus, dass der Eigentümer aufgrund der langen Zeitdauer nicht mehr zu erreichen ist. Hiervon kann bei in jüngerer Zeit versteckten Sachen grundsätzlich nicht ausgegangen werden.
  • Finderlohn nach § 971 Abs. 1 BGB erhält nur der Finder einer besitzlosen Sache.

Übrigens: Dem OLG Oldenburg tut der Antragsteller, der sich völlig korrekt verhalten hat und trotzdem leer ausgeht, offensichtlich leid. Deshalb schließt der Beschluss mit folgendem Hinweis:

„Nicht zu prüfen war in dem vorliegenden Verfahren, ob es der Antragsgegnerin - ebenso wie einem privaten Empfangsberechtigten - möglich ist, dem Antragsteller unabhängig von einem gesetzlich normierten Anspruch eine immaterielle - ggfs. aber auch materielle - Anerkennung zukommen zu lassen, nachdem sich dieser in jeder Hinsicht redlich verhalten und so unter Umständen einen ganz erheblichen Vermögenszuwachs bei der Antragsgegnerin und damit letztlich zugunsten des Gemeinwohls herbeigeführt hat.“